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Aus:
Robert Feger
Ritter, Fürsten und Melusinen.
Geschichte und Geschichten von Burgen und Schlössern in Südbaden
Rombach Verlag
Seiten 105 bis 123
Faustrecht, Schirmvogtei und Geldgeschäfte
Die Burg Wiesneck bei Kirchzarten
Dort wo sich die breite Talebene des Zartener Beckens nach Osten hin in das Wagensteigtal verengt, erhebt sich nördlich des Dorfes Buchenbach ein schön geformter Hügel; ein von St.Märgen herkommender Höhenzug zwischen Ibental und Wagensteigtal treibt ihn als letzte Erhöhung in den weiten Kessel der Dreisamebene vor. Auf diesem Hügel liegen im lichten Wald die Trümmer der Burg Wiesneck. Wessen Auge aufmerksam über die Landschaft geht, der vermag von der Höllentalbahn oder von der Bundesstraße 31 aus die Ruine zu sehen.
Allein so nahe Zug oder Auto die Reisenden auch vorbeiführen - es sind vom Bahnhof Himmelreich bis zur Burg etwa 1000 Meter -, die Wiesneck liegt heute abseits, in einem stillen Winkel, und macht mit ihren Resten von Mauerzügen und Türmen nichts mehr aus sich. Einst war das anders. Zwar ist unbekannt, wann und von wem die Burg angelegt wurde, doch war sie im 11. Jahrhundert für die Geschicke des Landstrichs von Bedeutung. Damals gehörte sie zusammen mit der Gegend um die Wagensteige den aus dem Fränkischen gekommenen Grafen von Hohenberg. Sie beherrschte die Eingänge in den Schwarzwald - das vielbefahrene Wagensteigtal, das Höllen- und Ibental - und diente vielleicht auch zur Überwachung der Zähringer Herzöge, die sich im Zwist mit der Kaisergewalt zu eben dieser Zeit auf ihren Hausbesitz im Schwarzwald zurückgezogen und im Jahre 1093 ihr Hauskloster von Weilheim unter Teck nach St. Peter im Schwarzwald verlegt hatten. Daß die Hohenberger sich als Rivalen der Zähringer fühlten, geht daraus hervor, daß sie alsbald nach der Gründung von St. Peter durch die Zähringer mit einer Gegengründung aufwarteten: Sie erbauten nicht weit entfernt das Augustinerkloster Marienzelle oder St.Märgen, dessen Schirmvögte sie wurden.
In einer Fehde der Zähringer mit dem Abt von St. Gallen - Kirchzarten war St. Gallischer Besitz -, in der die Hohenberger den Abt unterstützten, wurde die Wiesneck von den Zähringern zerstört. Doch muß der Wiederaufbau bald erfolgt sein, denn im Jahre 1293 konnte sie von Albrecht von Hohenberg an den Freiburger Patrizier Bernhard Turner verkauft werden. In der Kaufurkunde heißt es: „Wir grave Albreht von Hohenberg haben verkoufet die burg und die herschaft ze Wisenegge, dü da lit in Zartuntal in Brisgoewe, und die vogetei über das closter ze sante Mariencelle in dem Swarzwalde in Costenzer bischtuome, mit lüten und guoten unde mit namen über lüte und guot ze Froulenbach, ze  zarten, ze Merdingen . . . . dem erberen manne hern Burcharte dem Turner, einem burger von Friburg, vür lidig eigen umbe tusend Marke und zwenzig marke loetiges silbers geweges ze Friburg“
Nach einem Vierteljahrhundert jedoch kam die Burg an die Snewelin. In ihrer Hand blieb sie nun - mit einer Unterbrechung von 1372 bis 1451. Die Snewelin traten um diese Zeit als tatkräftige Patrizier von Freiburg und als kluge Kapitalisten im ganzen Breisgau hervor. Von rücksichtslosem Erwerbswillen getrieben und oft ohne ritterlichen Sinn, hatten sie sich seit 1300 einen ausgedehnten Besitz und eine hervorragende politische Stellung geschaffen, indem sie die Güter und Gerechtsame  der verarmenden alten Adelsgeschlechter durch Geldverleih in ihre Hand brachten; so etwa die der Landecker und der Falkensteiner. Auch St.Märgen, dessen Vögte sie nun waren, bekam ihre Härte zu fühlen. Nicht genug damit, daß sie die Mönche von St.Märgen bedrückten, beraubten und gar im Verließ der Wiesneck einige von ihnen zeitweilig gefangen hielten, ließ im Jahre 1355 Johann von Snewelin ihren Abt Konrad bei Ebnet ermorden. Vielleicht hängt es mit der Sühnung dieses Mordes zusammen, daß 1372 die Wiesneck an die Herren von Blumeneck verkauft wurde; damit wechselte auch St.Märgen seinen Schirmvogt.
Aber der Tausch bekam dem Kloster nicht. Der Zwist zwischen ihm und den Besitzern der Wiesneck ging weiter: 1401 wurde abermals ein St.Märgener Abt, Johann mit Namen, bei Merdingen erschlagen, diesmal von Knechten der Blumenecker. Im Jahre 1451 kauften die Snewelin die Burg wieder zurück; sie waren immer noch die gleichen unruhigen und rauflustigen Gesellen, und es mag wie ein Urteil der Geschichte erscheinen, daß die Bauernscharen des Hans Müller von Buchenbach im Jahre 1525 die Wiesneck in Trümmer legten. Im Laufe des gleichen Jahrhunderts noch wurde sie jedoch wieder aufgebaut; ein Altarflügel aus der Schloßkapelle Weiler bei Stegen aus der Zeit um 1550 gibt eine naive Ansicht der Burg wieder. 1644 wurde die Wiesneck von den die Stadt Freiburg belagernden Schweden eingenommen und ein drittes Mal in Trümmer gelegt. Und diesmal folgte kein Wiederaufbau mehr, die Burg blieb gebrochen liegen, verödete und geriet in Vergessenheit. Keine Sage rätselte an den Trümmern herum. Das scheint merkwürdig. Wirkte der  nüchterne Sinn der früheren Burgbesitzer immer noch über dem Platze? Oder machten die Gewalttaten, die tatsächlich in der Burg geschehen und geplant worden waren, es überflüssig, noch mehr an Geschehnissen zu erfinden?
Die Trümmer der Burg sind noch heute eines Besuches wert. Sie überraschen durch ihre vergleichsweise Mächtigkeit, die man in diesem vergessenen Winkel nicht suchen würde. Der Zugang öffnet sich gegen Osten hin, wo sich der Burghügel gegen den Bergzug absetzt. Durch ein breites Tor betritt man den geräumigen Zwinger, der die Burg im Osten und Süden umschloß, wo der Burghügel einen flachen Absatz hat. Im Westen und Norden übernahm ein Graben mit vorgelegtem Wall den ersten Schutz. Im Westen stieg man vom Zwinger aus zur inneren Burg auf. Ihre Reste auf dem steil ansteigenden, zerklüfteten Kegel lassen auf einen viereckigen Turm mit anhängenden Wohngebäuden schließen; eine Ringmauer umschloß die Burg.
Die Trümmer zerfallen mehr und mehr. Die Natur hat die Herrschaft über den Platz übernommen: Schlanke Buchen erheben sich und Tannen starren grün zwischen den Blöcken von vermauerten Steinen, kaum halten die Wurzeln der Bäume das Erdreich auf dem steilen Hang zusammen, Stück für Stück fällt bröckelnde Mauer und rutschender Grund in den nordseits umlaufenden Graben oder auf den flacheren Boden des Zwingers. Von den Wiesen im Tal dringt das Geläut der Kuhglocken her und das Brummen der Traktoren; durch das graue Gegitter der Stämme sieht man auf die Dächer des Weilers am Hügelfuß, auf Bach und Wiese. Nichts blieb von Gewalttat und Faustrecht, von großen Machtplänen und harter Geldgier der mittelalterlichen Burgherren. Nichts, nicht einmal eine Erinnerung daran in den Erzählungen des Volkes. Nur der Bauer der Talebene blieb und bestellt sein Feld wie vor Jahrhunderten. Das heißt, soweit er noch kann. Denn inzwischen hat sich südlich der Wiesneck eine sogenannte Wohnanlage breitgemacht, die den Landschaftscharakter des alten Tarodunum dort brutal zerstört hat.


Raubritternest im Höllental
Die Ruine Falkenstein
Kaum einer der vielen, die tagaus tagein vom Titisee her abwärts oder von Freiburg her hinauf auf die Höhen des Schwarzwaldes durch das Höllental fahren, weiß etwas von der interessanten Geschichte der Burgruine, an der er dabei vorüberfährt. Mancher wird vielleicht auf der Karte den Namen Burg Falkenstein lesen und im Vorüberfahren danach Ausschau halten. Und er wird enttäuscht sein, daß er von der Straße aus die alten Mauern nicht ausmachen kann. Und wer schon im Höllental seine Fahrt unterbricht, der tut es dort, wo auf dem Hirschsprungfelsen der bronzene Hirsch steht; von hier aber wenige Minuten talab an den Fuß des Falkensteigfelsens, des Burgfelsens, zu gehen oder gar den kurzen Anstieg zur Ruine hinauf zu machen, das unternimmt selten einer. Und so trifft man nie jemanden dort oben an, und die herrliche Aussichtswarte, die der Burgfelsen auch heute noch ist, ragt allein und windumbraust hoch über Höllenbach und Straße zu den Talrändem hinauf. Sicher aber würde manchen ein Besuch der Ruine locken, wenn er wüßte, daß die Burg Falkenstein wohl die interessanteste Geschichte unter den älteren Breisgauburgen hat, daß Urkunden und Berichte über Falkenstein und seine Ritter in großer Zahl im Archiv der Stadt Freiburg aufbewahrt werden und gerade von den letzten Jahrzehnten der Burg und von den Ursachen ihrer Zerstörung am Ende des 14. Jahrhunderts besonders genaue Kunde geben.
Die Stelle, von der aus man den Anstieg zur Burgruine gewinnt, ist leicht zu finden: Kommt man vom Hirschsprung her, von oben also, so erblickt man nach der ersten, um den Paulke-Felsen herum führenden Rechtskurve der Straße vor sich den Falkensteinfelsen, eine in hohen Stufen aufeinandergetürmte Felswand, die auf der rechten Talseite vorspringt und wie ein quergelagerter Riegel den Durchgang sperrt. Die Bahnlinie führt durch den Felsen hindurch, während die Straße ihn links umgeht. Ein gutes Auge erkennt nun schon von der Talsohle aus, wie hoch oben an den aufragenden Felsgraten da und dort altes, grünverwachsenes Gemäuer klebt. An der Talseite dieses Felsriegels führt nun der Pfad nach rechts von der Straße ab, unter einem Bahnviadukt hindurch, zieht kurze Zeit den Engedobel und dann sich rechts haltend den Burgfelsen hinauf. Steil und im Zickzack führt er nach oben, manchmal die Stufenanlage der alten Burgsteige benützend, durch Buschwerk und Wald, an immer steileren Wänden, an immer jäher fallenden Schluchten vorbei und so Absatz für Absatz des Felsklotzes überwindend. Bald sieht man altes, geborstenes Mauerwerk die Felsspalten füllen oder die Felskuppen krönen. Von einem freien Platze aus, den nach dem wenig höheren Gipfel hin eine Quermauer abschließt, kann man nach dem Anstieg durch den Wald den ersten freien Blick talab und talauf tun: Talauf reicht die Sicht über den Hirschsprung hinweg zu den steilsten und ganz eng zusammentretenden Felswänden der Höllenschlucht, gegenüber steigen die jähen Hänge der linken Talseite an, talab neigt sich eine mäßig breite Talaue mit wenigen Häuschen und einer Kapelle; dort sind die Talwände weniger steil und gänzlich mit Wald überzogen. Am nördlichen Berghang sieht man etwa 300 Meter abwärts der Ruine unweit der Straße die Reste eines Turmes, der als Wacht-turm und Vorwerk der eigentlichen Burg diente. Sie werden im Gegensatz zur Burg mit dem Namen Neufalkenstein oder Bubenstein bezeichnet. Steigt man von dem erreichten Aussichtspunkt zur Höhe des Gipfels hinauf, so ist man auch da begleitet von wurzeldurchzogenem Mauerwerk und gras— bewachsenen Trümmern, bis man an die nördlichste Ecke der Burg gelangt, wo die Brocken der immer mehr zerfallenden Mauer in den schluchtartigen Graben stürzen, der Burgfelsen und Burg von der Berghalde trennt. Wo ein fahrbarer Weg zur Burg führte, ist kaum mehr zu erkennen; es muß wohl von dieser Seite gewesen sein.
Der Versuch, sich einen Überblick über den Grundriß der Burg zu verschaffen, führt zu keinem befriedigenden Ergebnis: Zu viel der umfassenden Mauern ist seit der Zerstörung der Burg vor nun fast 600 Jahren in die erschreckende Tiefe gestürzt, vom spellenden Wurzelwerk der Föhren und Buchen durchlöchert und von den Kräften des Wassers und des Eises abgesprengt. Was noch steht, sind einerseits auf schmalen Felsgesimsen aufsitzende oder aus den Schlüften aufsteigende Substruktionen, auf denen die Umfassungsmauern aufruhten und die die schmalen Plateaus umklammerten‚ andererseits roh gefügte Mauerkerne vermutlich der Treppenanlagen innerhalb der Burg. Von Hausteinwerk fehlt jede Spur. Daß die Anlage mehrere der sich treppenartig hintereinander aufstaffelnden Grate und Kuppen überzog, ist jedoch deutlich. Und deutlich ist vor allem, daß der gesamte Burgfelsen, auf dessen Spitzen man hier steht, die erste — vom Talausgang her gesehen — und gründlichste Sperre des hier zu schmalstem Durchlaß verengten Tales ist. Man begreift die taktische Position einer hier stehenden Burg: Sie konnte den Durchzug auf der Höllenpaß-Straße unter Aufsicht halten und nach Belieben sperren und war doch selber — auf unersteigbaren Felstürmen ins Tal hineinragend und vom Berg durch Schluchten abgesetzt — vor Angriffen sicher. Die Erbauer der Burg haben in der Wahl des Platzes einen ebenso erstaunlichen taktischen und politischen Sinn bewiesen wie die Falkensteiner der Spätzeit rücksichtslose Ruchlosigkeit in der Ausnützung der Lage zu Zwecken der Straßenräuberei.
Ob die Burg von Falkensteinern erbaut wurde, weiß man nicht; der Name der Burg allerdings läßt darauf schließen. Bei ihrem ersten urkundlich zu fassenden Auftreten im 11. Jahrhundert gehören die Edlen von Falkenstein zwar zu den Ministerialen der Herzöge von Zähringen, aber zu den ältesten und vornehmsten unter ihnen. Ihrem Ansehen entsprach ihr Besitztum. Die Grundlage ihrer Herrschaft bildete das Lehen von Zähringen und von St. Gallen. Große Teile des Kirchzartener Tals, des Kappeler Tals und des Höllentals gehörten dazu. Die Gegend um Breitnau und vom Titisee feldbergwärts, aber auch Ländereien in der March und nördlich des Roßkopfes standen unter ihrer Herrschaft‚ und ihr Gebiet erstreckte sich so über das obere Dreisamtal bis in die Baar hinauf. Freilich hatte das Geschlecht mehrere Zweige, die zwar als Ganerben alle ihren Anteil an der Stammburg im Höllental hatten, aber auf kleinen Burgen und Häusern in der Umgebung saßen, so in Wittental, Birkenreute, Neuhäuser und Umkirch oder auch in Freiburg; dort stellten sie häufig Ratsherren und auch Bürgermeister. Und nicht nur dies: Auch sonst im Breisgau sind — und besonders im 13. Jahrhundert — Falkensteiner als Inhaber bedeutender Stellen anzutreffen. Ein Heinrich von Falkenstein begegnet als Vorsteher der bald nach 1218 gegründeten Stadtschule von Freiburg und ist 1260 Abt des Klosters Tennenbach. Ein anderer ist um 1280 Komtur des Deutschordens — um nur zwei Beispiele zu nennen. Und es gehört durchaus auch zu dem Bilde edler und ritterlicher Tatkraft, das die Ritter von Falkenstein in diesen Jahrhunderten bieten, daß sich das Geschlecht auch durch fromme Vergabungen hervortat und aus seiner Wohlhabenheit an Gotteshäuser und Klöster reiche Schenkungen machte. So wissen wir aus dem Jahre 1200 von der Schenkung eines Chuono de Valchinstein an das Hauskloster der Zähringer, an St. Peter; und dies war nicht die letzte Stiftung der Falkensteiner an dieses Kloster.
Aus diesen Zeiten rühmlichen und ritterlichen Lebens und adeliger Taten der Falkensteiner hat nun die Sage ein Andenken bewahrt — trotz der späteren Untaten der Nachkommen des Geschlechtes. Sie erzählt von dem angeblichen Gründer der Burg, einem Kuno von Falkenstein — dieser Vorname ist bei den Falkensteinern sehr häufig —, es habe ihm bei allen Vorzügen und aller Gunst des Schicksals die Nachkommenschaft gefehlt. Um sie von Gott zu erbitten, gelobte er einen Zug ins Heilige Land. Bevor er davonritt, sagte er seiner Gattin, falls er nach einem Jahrsiebent noch nicht auf die Burg zurückgekehrt sei, stünde ihr die Heirat mit einem anderen Mann frei; als Erkennungszeichen gab er ihr die Hälfte seines. Ringes. Im Heiligen Lande kämpfte Kuno mit wechselndem Glück und geriet zuletzt für lange Jahre in die Gefangenschaft der Heiden. Schon nahte sich das Ende des Jahrsiebents, als ihm endlich die Flucht gelang. Aber die Hindernisse des Weges waren zu groß, als daß er zur Zeit hätte daheim sein können. Da versuchte ihn in dieser Not der Satan. Er bot dem Ritter an, ihn im Fluge auf seine Burg zu bringen; nur sollte ihm die Seele des Ritters verfallen sein, wenn dieser Während der Luftfahrt einschliefe. Könne sich der Ritter wachhalten, so sei er der Verpflichtung ledig. Der Falkensteiner willigte ein und unterzeichnete mit seinem Blut den Vertrag. Alsbald nahm der Teufel die Gestalt eines geflügelten Löwen an und trug ihn so durch die Lüfte der Heimat zu. Allein unterwegs wurde der Ritter müde und drohte einzuschlafen. In diesem gefährlichen Augenblick stieß ein weißer Falke von oben her auf das Haupt Kunos herab, krallte sich dort fest und schlug ihm die Flügel ums Gesicht, sooft er dem Schlaf zu verfallen drohte. Schließlich endete die Luftfahrt vor der Burg, wo der Löwe zombrüllend den wachgebliebenen Ritter absetzte; das Pergament der Verschreibung mit der Unterschrift Kunos fiel zerrissen zur Erde. In der Burg feierte man eben die Hochzeit der Frau Kunos, der sich als Pilger ausgab und die Braut um einen Trunk bitten ließ. Er erhielt ihn, leerte den Becher und reichte ihn der Braut zurück, nachdem er seine Ringhälfte hineingeworfen hatte. Die Frau fügte ihre Hälfte hinzu, die genau paßte, und erkannte so den totgeglaubten Gatten wieder. Und Kuno trat wieder in seine Rechte ein und lebte noch lange glücklich mit der neugewonnenen Gattin und den Kindern, die ihnen nun geschenkt wurden.
Es handelt sich also um eine Sage, die das Falkensteinische Wappen erklären will. Die meisten Motive, die sie außerdem noch enthält, kommen auch in anderen Sagenkreisen vor. Ein gewisser historischer Kern mag in ihr ebenfalls enthalten sein: Es lebte, wie die Urkunden nachweisen, zur Zeit der Kreuzzüge, im 12. Jahrhundert, ein Falkensteiner namens Kuno, der ins Heilige Land gezogen sein kann. Vielleicht hat zu der Ausbildung der Sage auch noch das Grabmal eines späteren Falkensteiners beigetragen: In der Kirche von Kirchzarten ist in die vordere rechte Langschiffwand eine Grabplatte eingelassen, die ursprünglich zu liegender Verwendung bestimmt war und auf der die fast freiplastische Figur eines geharnischten Ritters ruht beziehungsweise steht. Die Füße des Ritters ruhen auf einem Löwen aus; das daneben angebrachte Wappen zeigt zwischen zwei roten, von oben und unten ins Feld hineinschwingenden Bögen einen auffliegenden weißen Falken. Die Umschrift besagt, daß der Dargestellte ein Kuno von Falkenstein und am 4.5.1343 gestorben sei.
Gegen Ende des 13. Jahrhunderts waren Ansehen und Besitz der Falkensteiner wesentlich gemindert. Die Urkunden sprechen jetzt immer mehr von Verpfändungen und Verkaufen, von unguten Fehden und unnützen Prozessen, in die die Falkensteiner sich verwickelten. Es scheinen zum Teil Verwandte gewesen zu sein, die die Verschuldung des alten Geschlechtes wenn nicht gar förderten, so doch ausnutzten, und unter den Verwandten besonders die jetzt hochkommenden Snewelin; diese zogen nach und nach den falkensteinischen Besitz ebenso an sich, wie sie es mit dem weiter nördlichen landeckischen taten. Aber auch andere Käufer und Gläubiger treten auf. Ob es nun der Verlust des Besitzes und Vermögens war oder die auch sonst wilden Zustände des ausgehenden 14. Jahrhunderts mit seinen unaufhörlichen Fehden und Kämpfen, was den alten Stamm der Falkensteiner schließlich zum Straßenraub als dem letzten Mittel der Selbsterhaltung trieb? Es wird dies nicht mehr zu entscheiden sein. Die Falkensteiner sind ja nicht die einzigen verarmten Adeligen jener Zeit, die sich dem nach ihren Begriffen immer noch adligen Gewerbe des Straßenraubs ergaben. Nur tritt der moralische Niedergang der Falkensteiner ganz erschreckend zu Tage. Sie trieben ihre Strauchritterei auch so Wild, daß sie selbst gar bald das Ende ihrer Burg herbeiführten. Ein Werner von Falkenstein tat sich besonders hervor. Dieser hatte sich im Kriege der schwäbischen Städte mit dem Württemberger Eberhard hervorgetan; als er aus diesen Kämpfen wieder in das heimatliche Höllental zurückkam, besetzte er die ganze Burg ‘für sich, obwohl ihm nur ein Anteil davon zustand, und nutzte die Lage der Burg für sein Gewerbe aus.
Das Erstaunliche ist nun, daß nicht nur die Ritter und Knechte dem Raub oblagen, sondern auch die Edelfrauen mithalfen. Die Protokolle geben Kunde davon, daß die Gemahlin Werners sich nicht für zu vornehm hielt, selbst Ausschau nach Reisenden zu halten. Erblickte sie solche, rief sie Mann und Knechte und trieb sie zum Hinuntereilen an. Und sie, eine Edelfrau‚ mußte sich einmal von einem Knecht sagen lassen: Nein, ich will nicht hinunterlaufen; soll ich einem das Seinige nehmen, wozu ich kein Recht habe? Wie wohl gefiele es Euch, wenn ich Euch Euren Pelz nähme? Freilich blieben bei einem solchen Treiben nur die schlimmsten Raufgesellen der Gegend als Waffenknechte auf der Burg — eine Reihe durch die Protokolle namentlich bekannter Leute, die zu ihren Herren paßten.
Indessen wurde gegen Ende des 14. Jahrhunderts dem Wüsten Treiben und Morden, als es das Maß des Erträglichen überschritten hatte, plötzlich Einhalt geboten: Schon seit langem plante Freiburg, dessen Verkehr, Handel und Ruf unter dem Falkensteinischen Unwesen sehr litt und in dessen Rathaus sich die Klagen der Überfallenen häuften, energisch Wandel zu schaffen. Den Anstoß zur Verwirklichung des Planes gab eine neue, im Jahre 1388 geschehene Mordtat auf dem Falkenstein. Um diese Zeit überfielen Knechte der Falkensteiner unter Duldung ihres Herrn, Dietrichs von Falkenstein, aus Familienrache einen Hintersassen aus Freiburg zusammen mit seiner schwangeren Frau, die die Tochter eines der Knechte war, und schleppten sie auf die Burg. Die dort mit Schlägen mißhandelte Frau gebar auf der Burg ein totes Kind, das sie nach Kirchzarten auf den Friedhof brachte. Während ihrer Abwesenheit erlaubte Dietrich von Falkenstein jenem Knechte, der der Schwiegervater des Gefangenen war, mit dem Freiburger nach Gutdünken zu verfahren, ja, riet ihm ausdrücklich, ihn umzubringen. Die Knechte beschlossen, ihn aus der Burg in den Abgrund zu stürzen. Der arme Freiburger bat noch, seinem Kinde, von dessen Tod er nichts wußte, seine Kleider hinterlassen zu dürfen. Das wurde ihm erlaubt, er legte die Kleider ab, und die Knechte stürzten ihn in die Tiefe hinab. Eine Woche später erst erfuhr die Frau von dem Geschehen, ging an die Burghalde und suchte den Leichnam ihres Mannes, fand ihn und brachte ihn zur St. Oswaldskapelle, wo er begraben wurde. Dann erhob sie vor dem Rat der Stadt Freiburg Klage gegen die Mörder.
Es scheint nun einerseits die Empörung des Volkes über die Mörder so groß gewesen zu sein, daß der Rat sich zum Einschreiten genötigt sah, andererseits bot der Fall einen willkommenen Anlaß für die Stadt, nun endlich einzugreifen. Sie versicherte sich der Hilfe einiger Adliger, unter denen Herzog Reinholt von Urslingen der vornehmste war, zog mit beträchtlichem Aufgebot gegen die Burg, nahm sie und richtete sie durch Feuer und Niederreißen so zu, daß sie unbrauchbar wurde; ein Verfahren, das die Freiburger 74 Jahre vorher schon gegen die wilde Schneeburg im Oberrieder Tal, ein ebensolches Raubnest, angewandt hatten. Die Besatzung wurde gefangen. Auch an dieses Geschehnis heftete sich eine Sage, die erklären soll, wie die unangreifbar scheinende Burg so schnell eingenommen werden konnte: Eine schöne Gefangene der Falkensteiner soll sich so in das Vertrauen der Burgleute eingeschlichen haben, daß sie frei aus und ein gehen, sich mit den Freiburgem in Verbindung setzen und ihnen den Weg in die Burg zeigen konnte; diese Frau habe dann mit einem weißen Tuch von der Burg aus ein Zeichen gegeben, daß die Besatzung beim Wein und die Zeit für den Angriff günstig sei.
Die Ritter von Falkenstein sowie ihre Knechte blieben nach der Zerstörung der Burg lange in Haft, bis das gerichtliche Nachspiel folgte. Die Schuldigen Knechte endeten auf dem Rad und am Galgen; die Ritter konnten sich durch Bürgschaft der Haft entledigen, mußten aber Urfehde schwören. Im Zusammenhang mit der Sühneleistung wurde der letzte Besitz der Falkensteiner zerschlagen und veräußert.
Die Urkunden berichten uns, dal3 ein Vierteljahrhundert nach diesen Ereignissen Angehörige des Geschlechtes der Falkenstein Anstalten machten, die Burg Wieder aufzubauen. Allein der Rat von Freiburg war wachsam, und das Ratsbuch der Stadt vermeldet unterm 6. Juni 1414: »Als vor unseren Rat gekommen sind Kaspar, Hans Jakob und Heinrich von Falkenstein, von ihrer selbst und anderer ihrer Freunde wegen, und erklärt haben, daß sie meinen, Falkenstein die Feste wieder zu bauen‚ da haben alte und neue Räte die Briefe und bösen Geschichten, so vor Zeiten ab Falkenstein geschehen sind, angehört und darauf erkannt, daß man die Feste nie wieder baue nach den bösen, räublichen und schändlichen Taten, so da geschehen sind. Und ist darauf den obengenannten von Falkenstein, da sie die Unsem sind, bei ihren Eiden geboten worden, die Feste nicht zu bauen und die Sache fürderhin bei niemanden zu bewerben und zu betreiben; käme der Rat darüber in Kosten oder Schaden, so werde. er sich an sie halten. Und liegen Geschrift und Brief, warum Falkenstein die Feste gebrochen ward, im Hahnenturm in einem Schindellädle. Und hat der Rat geboten, es in dies Buch zu schreiben zum ewigen Gedächtnis.«
Und so blieb die Burg Ruine bis auf den heutigen Tag. Nur der zeitlose Falkenschrei schwebt über ihr und hebt sie aus der von der Höllentalstraße mit Motorenlärm heraufdröhnenden Gegenwart hinauf in die zum Mythos werdende Vergangenheit.