zum Inhaltsverzeichnis

Unser Ehemals und Jetzt - Das Dreisamtal macht Weltgeschichte
Aus: Hans Konrad Schneider Fritz Röhrl 
Zauberisches Dreisamtal
Lieblingstal im Schwarzwald 
Verlag Karl Schillinger Freiburg im Breisgau,
1983

  In seiner allgemeinen Geschichte »von Anfang der historischen Kenntnis bis auf unsere Zeiten«, herausgegeben 1834, vermerkt Karl von Rotteck ein Ereignis aus dem Dreisamtal und erhebt es damit ins Überregionale, in den Rang der Weltgeschichte. 
Es ist der Zeitraum der fünf Tage vom 11. zum 15. Oktober 1796, der das Höllental zum »weltgeschichtlichen Engpaß« macht. Kriegszeiten herrschten, Frankreichs Truppen durchzogen das Nachbarland. General Jean Victor Moreau hatte sich mit der Rhein-Mosel-Armee an der Spitze von 40 000 Soldaten weit ins bayerische Gebiet hinein vorgeschoben. Der Vormarsch geschah im Zusammenspiel mit der Sombre-Meuse-Armee unter Marschall Jean Baptiste Jourdan. Dann wurde Jourdan im September bei Amberg vom österreichischen Heer unter Erzherzog Karl geschlagen und mußte über Würzburg zurückweichen, der Abzug wurde zur überstürzten Flucht. Moreau stand noch am 18. September plötzlich ohne Deckung und Sicherung nahe der Isar und Donau in Bayern. Er entschloß sich zum Rückzug.

Heerzug durch die Schluchtenge des Höllentals
Lithographie von F. Piton und Alf. Touchemolin, erschienen um 1860 bei E. Simon in Straßburg

Kämpfend erzwang sich Moreau die Rückkehr Richtung Schwarzwald, der zwischen dem Operationsfeld in Bayern und dem französischen Mutterland lag. Der Durchzug durch den Schwarzwald barg Risiken; die Pariser Regierung beschwor Moreau bereits, notfalls auf Schweizer Gebiet überzutreten und die Armee nicht aufs Spiel zu setzen. Moreau vermied die bekannten Kriegsstraßen und entschloß sich zum Durchmarsch durchs Höllental; noch nie zuvor war eine ganze Armee durch diese Schlucht hindurchgeführt worden. Noch 1707 hatte sich Marschall Louis Victor Villars mit dem bezeichnenden Satz »Bin ich des Teufels, um die Hölle zu passieren?« entschieden geweigert. Nun aber schien das Unterfangen ungefährlicher, nachdem der Ausbau der Höllentalstraße 1770 für die Durchfahrt der österreichischen Kaisertocher Marie-Antoinette vollendet worden war. Moreau wagte das Kabinettstück, die Überraschung gelang. 40 000 Mann zogen unbehelligt in langer, dünner Marschkolonne durch das enge Tal zur rettenden Rheinebene hinunter. 

Interessante Einzelheiten der Marschordnung sind überliefert. Von Hinterzarten an, wo sich das Gelände verengt, ging das Zentrum im Tal voran, während die beiden Flügel den Weg über die Höhe rechts und links nahmen, um jeden Angriff auf die unten in der Talenge marschierenden Truppen abzuwehren. Am Hohlen Graben kam es dabei zu einem Gefecht, das Ringen um diese Höhenfestung unterstreicht zum letzten Mal unter den alten militärischen Bedingungen die Bedeutung der Schwarzwaldlinien und Paßbewehrung, die seit dem 30jährigen Krieg über den Schwarzwaldkamm und die Höhen des Dreisamtals gezogen worden waren. Den Durchbruch der Franzosen konnten die Schwarzwaldlinien 1796 nicht verhindern. Das kleine österreichische Kontingent, das die »Hölle« bewachte, wurde von der französischen Heeresflut über Himmelreich »herausgespült«. Zwar gelang es den Koalitionstruppen danach, den Franzosen den Weg nach Kehl abzuschneiden, die französische Armee überquerte bei Breisach und Hüningen den Rhein und zog sich ins Mutterland zurück; der Feldzug von 1796 war beendet. 

Mit diesem Resumee setzt zugleich die lokale Geschichte ein, die die Ereignisse aus der weltpolitischen Wochenschau, aus der Verkürzung in lehrbuchartige Tabellen und Stichworte zurückführt in die Dimension einer Schicksalswoche für die Tallandschaft. Was die Weltbetrachtung als erfolgreichen Rückzug in Ordnung und Zucht schildert, bedeutet, daß die durchziehenden Truppen zerstörten, brandschatzten, mordeten und raubten. Abt Speckle hält die unsäglichen Trauernachrichten fest, der Freiburger Münsterpfarrer Bernhard Galura bestärkt sie:
»An diesem Tag zogen die Franzosen, die gern Wien gesehen hätten, aber nur bis nach Schwaben gekommen waren, auf der Flucht durch das Kirchzartner Tal und Freiburg dem Rheine zu. Wenn man das Heer genauer sich ansah, erinnerte man sich der Schweden: alle Häuser, alle Dörfer auf ihrem Weg lagen in Schutt und Asche, die Gärten lagen brach und die Reben verödet. Daß in ganz Schwaben kaum etwas ihren Händen entging, was man nur greifen konnte, lehrte ihr Anblick. Kaum einer war beutelos. Auf Pferden saßen sie mit den undenkbarsten Gewändern; einer hatte ein schwarzes Meßgewand, ein anderer eine halblange Albe und Stola an.«

Bei Weilersbach kam es zu einem Gefecht, als einzelne französische Truppenteile von Alpersbach her über die Höllentalflanke, vom Hinterwaldkopf herab und durch das Zastlertal anrückten.
»In Freiburg sehen wir Feuerschein und hören wir Kanonendonner bei Oberried«. 
Als ein Oberrieder Bürger, der Müller Mathias Dufner, innerhalb der Klostermauern einen französischen Offizier und Chirurgen erschlug, stand das Kloster in Gefahr, angezündet zu werden. In Hinterzarten hatten die Truppen die Kirche ausgeraubt, sie hatten das sickingische Schloß Erlenbruck geplündert, in Steig mehrere Häuser angezündet, die Oswaldkapelle geschändet und gefleddert. In Kirchzarten wurde das Talschloß erbrochen und bestohlen, der Talvogt mußte fast unbekleidet flüchten. Selbst die kleine St.Annakapelle bei Ebnet blieb nicht unverschont. Lokale Beobachter schildern den Zustand des Heeres mit rechtem Staunen: »Der größte Teil hatte keine Schuhe; bedeckt waren sie mit Bettüchern oder Teppichen, einige trugen Bauernkittel, andere Mäntel von allerlei Farben, man sah einige in Weiberkleider, einige in Chorröcke, auch in Meßgewänder gekleidet. Das ganze glich einer Maskerade.« 
In den Talchroniken ist 1796 als Schreckensjahr verzeichnet. In der Kriegsliteratur wurde der Zug als heldenrühmliche Tat geehrt, alle Welt sprach plötzlich vom grauenerregenden, gefahrvollen Weg durchs Höllental. Nur der kommandierende Offizier des Marschblocks, der das Höllental durchstieß, St.Cyr, erklärte später, wohl auch aus einer tiefsitzenden Rivalität gegenüber dem gefeierten General Moreau: »Die Passage durch das Höllental flößte einen Schrecken ein, den sie gar nicht verdiente.« 
Mit dem militärisch beachteten Durchzug durchs Dreisamtal hat Moreau zugleich ein neues Kapitel der Verkehrsgeschichte des Tals begonnen. Neue Truppendurchmärsche folgten, die »Hölle« hatte ihre Schrecken verloren; schon 1813 im Koalitionsfeldzug gegen Napoleon rückten größere Kontingente russischer Einheiten durchs Höllental vor, Freiburg war damals für kurze Zeit Hauptplatz und Versammlungsort der Oberrheinoffensive. 

Einen ähnlich sensationellen »Aufmacher« hat das Höllental nur noch einmal erlebt, an jenem 4. Mai 1770, als die erst 14jährige Tochter der Kaiserin Maria-Theresia, Maria-Antonie, auf ihrem Weg von Wien zu ihrer Hochzeit in Paris durchs Dreisamtal reiste. Daß dieser Besuch der österreichischen Prinzessin zu den Glanztagen der landschaftlichen Memoiren zählt, entschädigt vielleicht dafür, daß dieser Reiseetappe keine weitere geschichtliche Bedeutung zukommt. Der Convoi mit seinen 21 sechsspännigen Galawagen, 36 weiteren Kutschen mit 257 Begleitern und 450 Pferden wie die Chronik berichtet wurde schon im Tal zwischen Hinterzarten und Freiburg von den Abordnungen der 24 Gemeinden und den Trachtenmädchen in Schäppeltracht begrüßt. Man ließ sich den Empfang etwas kosten; »es gehen unglaubliche Kosten drauf.« Mit der Pracht handelte sich die Regierung in Freiburg immerhin »das höchste Mißfallen Maria Theresias an solcher unwirtschaftlichen Gebarung« ein. Der Einzug durch Triumpfbögen, Theateraufführungen, Ballettspiele, Empfänge und eine Illumination des Münsterturms mit mehr als 600 Fackeln sollten den festlichen Rahmen heben. Abt Michael Fritz von St. Märgen lobt die Schönheit der Illumination: »Man kann sich nichts Schöneres einbilden als diß es gewesen.« Ein Dreisamtäler, Franz Xaver Gaes, Sohn des Bruggatals, wird als »Erfinder« dieser geheimnisvollen chemischen Feuer gefeiert. 
Schon im voraus hatte der landesfürstliche Besuch für Aufregung im Breisgau gesorgt. Das Dreisamtalkloster St.Märgen sollte mit der Überlassung von Betten die Quartierfrage lösen helfen: »Da Kloster nur 3 Better mit Matrazen hat, stellt sie Abt zur Verfügung« heißt es. »Heint habe 6 Better nacher Freyburg geschiket: 3 mit aller Zubehörde sambt denen Bettladen und Strohsäken und 3 andere ohne Bettladen, jedoch mit Madrazen. Es ist ein ganzer Wagen voll gewesen. Seynd bestimbt für die Ankunft der Dauphine. Gott gebe, ob und wie wir selbe wiederum bekomen.« 
Als der Prunkzug eintrifft, ist Abt Fritz eher enttäuscht:
»Es waren nicht sonderliche viel Guttschen, aber sonst andere Wägen eine Menge, also daß auf jeder Poststation 300 Pferdt vonnöthen waren, dahero auch hießige Gemeind 8 Pferdt auf der Steig parat halten müßen.« 
Das Dreisamtal hat bei dieser Kurzszene aus der weltbejubelten Fürstenhochzeit von 1770 sicherlich in höchster Verzückung gestanden. In Zarten widmete man dem Andenken der Begegnung mit der Kaisertochter unmittelbar am Reiseweg ein Wegkreuz, ein überdachtes Holzkreuz mit Arma Christi, wie die verdienstvolle Kleinarbeit der Flurkreuzforschung herausgefunden hat. Ein Stimmungsbild am Rande bleibt von kulturhistorischem Interesse:
»Der Herr Baron von Beroldingen, um die Unkösten dißer Feyerlichkeith zu ersparen, ist von Freyburg nacher Umkirch geraißet und allda geblieben, biß der Rumpel fürüber ware.« 
Der Ruf des Kriegsruhms, der Glanz des Welttheaters hat sich auch im Dreisamtal längst abgeschliffen, die Lage normalisiert.