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Inhaltsverzeichnis
Ein Ausflug ins Höllental
von Dr. Josef Bader
aus: Badenia II. oder das badische Land und Volk 1860-1862, Seite 253 bis 276
Das Höllental
Wir hatten das verlockende Kleeblatt des „grünen Baumes“, des
„nackenden Mannes“ und des „Rainhofes“ ohne Einkehr zurückgelegt -
freilich nur im Hinblicke auf die nahe Herberge „zum Himmelreich“,
welche wie ein gastlicher Wächter am Eingang der „Hölle“ liegt.
Himmelreich heißt aber das ganze hintere Dreisamtal, von der Wisenecker
Au und vom Birken- und Rainhofe bis ans Gebirge. Und nichts ist
begreiflicher, als wie diese Gegend zu ihrem viel verheißenden Namen
gelangen konnte.
Wenn der Wälder von seinen winterlichen Höhen herab, aus dem engen,
wilden Höllentale, plötzlich ins Freie trat und das breite,
sonnenheitere Dreisamtal mit seinen herrlichen Wiesengründen und
gesegneten Fluren vor sich ausgebreitet sah, so mußte er glauben, in
ein Paradies zu gelangen, und gab diesem Garten unwillkürlich den Namen
„Himmelreich“.
Die rauhen Schwarzwaldberge verlieren sich hier so malerisch in die
sonniglichste, üppigste Ebene; es wechseln mit grauem Felsgestein so
heiter die lieblichsten Bergwiesen, mit dunklem Waldesgrün so lachend
die prangendsten Matten, mit ernsten Tannengehölzen so fröhlich die
anmutigsten Erlen-, Kirschen- und Nußbaumgruppen, und dies reiche
Landschaftsgemälde ist durch rauschende Wasser, durch Bauernhütten,
Sägen und Mühlen so munter belebt, daß ich wenige Gegenden kenne,
welche einen volleren Eindruck romantisch-idyllischer Schönheit auf die
Seele des Wanderers machen.
Wie nah die Hölle grenzt ans Himmelreich,
im Dreisamtale kannst du leicht es schauen.
Ein Felsentor versetzt dich zaubergleich
Vom Paradies in Berge voller Grauen.
Hier außen herrscht der Wiesen Blumenpracht,
und dort im Felsgeklüfte öde Nacht.
Wir kehrten im Wirtshause ein. Dasselbe ist noch eine jener alten
stattlichen Holzbauten, deren Balkenwände eine große getäfelte Stube
mit gewaltigem Kachelofen, eine geräumige Küche mit Kammer, ein
Leibgedingsplätzlein und die Stallung im Erdgeschoß, verschiedene Gaden
mit einer nelkenprangenden Laube über der Stiege, die Scheuer über dem
Stalle, alles unter einem Dache von Stroh traulich umschließen.
Man findet es gar heimelig beim „Himmelreicher“ und fühlt sich
goethisch behaglich; denn immer herrscht in dieser Bauernwirtschaft ein
ruhig munteres Leben und alles ist gut, was Küche und Keller dem Gaste
bieten. Man stärkt sich gleichsam da auf die bevorstehende Höllenfahrt,
oder erholt sich, wenn man dieselbe im Rücken hat.
Das Höllental behält noch eine gute Strecke lang den heiteren Charakter
des Himmelreichs; dann aber beginnt das Tannen- und Felsenbereich und
baut sich immer gewaltiger auf, bis die Granitpfeiler des
Hirschsprunges die Schlucht schließlich abzuschließen scheinen. Kaum
drängen sich Bach und Straße zwischen ihnen hindurch. Jener hat
(während wie vieler Jahrtausende!) den Felsen unterfressen, und für
diese mußte der nötige Raum durch Sprengung das harten Gesteins erst
mühsam gewonnen werden.
Verwundert blickt man aus der engen Tiefe empor an den finsteren
Granitmassen zu den kühnen Tannen, welche sich einzeln auf den
bemoosten Scheiteln derselben festgewurzelt. Und mit Grauen bemerkt der
Wanderer oben am Rande eines dieser Felskolosse überwachsene
Mauertrümmer, die Überbleibsel einer Ritterburg, und begreift es kaum,
wie sterbliche Wesen da hinauf sich anbauen konnten.
Aber so liebten sie’s, jene Ritter unserer Vorzeit. Hoch über den
Hütten ihrer „armen Leute“, in freier, frischer Luft, wollten sie
horsten, den Adlern des Gebirges gleich.
Anderthalb hundert Klafter über dem Talgrunde (2060‘ über der
Meeresfläche) erhob hier eine Veste kühn und stolz ihre Zinnen, als
„Wächterin und Beherrscherin der Höllenschlucht“. An der einzigen
Stelle, wo dieselbe mit dem Gebirge zusammenhing, war sie durch einen
Graben und eine riesige Mauer geschützt. Ihre Gebäulichkeiten
enthielten in verschiedener Abstufung etliche Herren- und
Gesindehäuser, nebst einer Kapelle, welche dem heiligen Nicolaus
geweiht war und zur Mutterkirche in Breitnau gehörte 25.
Etwas weiter talabwärts, auf einem viel niedrigeren Felsenhügel, lag
als Vorwarte dieser Burg der „Turm von Falkenstein“, dessen breite
Wände, über wucherndes Waldgebüsch hinweg, immer noch trotzig ins Tal
herab schauen. Man nannte diesen stattlichen Geviertbau auch den
„Bubenstein“ 26, wahrscheinlich weil er in Friedenszeiten den jungen Gesellen der Burgbesatzung zum Aufenthaltsort diente.
Lage und Grundgemäuer unserer Felsenburg können darüber nicht
zweifelhaft lassen, daß dieselbe ursprünglich eine römische Warte
gewesen. Die Deutschen, als sie das Rheintal vom Römerjoche befreiten,
waren nicht überall im Stande, die eisenfesten Römertürme zu zerstören;
gar mancher derselben blieb für die Nachwelt stehen und wurde vom
umwohnenden Volke bezeichnend „Stein“ genannt.
So verhielt sich’s denn auch mit dem Heidenschlosse im Höllental. Da
mögen sich alsdann in dem öden Gemäuer etliche muntere Falkenfamilien
eingenistet haben, was von selber zu dem Namen Falkenstein führte.
Als nun die Zähringer eines ihrer dienstmännischen Geschlechter mit dem
Grunde und Boden dieser Gegend belehnten, machte sich dasselbe (was
anderwärts von anderem Dienstadel in gleicher Weise geschah) diese
römischen Trümmer zu Nuten, verwandelte sie in eine Ritterveste und
benannte sich danach. Das war ohne Zweifel die Entstehung unserer
uralten Felsenburg im Höllentale.
Die Falkensteiner aber treten in der breisgauischen Geschichte am
Schlusse des 11. Jahrhunderts mit Herrn Walther zuerst auf. Dieser Edle
beschenkte das von seinem Lehens- und Kriegsherrn, Herzog Berchtold
II., neu gestifteten Gotteshaus St.Peter mit einem Hofgute zu Weiler,
und seine nächsten Nachkommen folgten dem frommen Beispiele durch
Güterschenkungen zu Nordweil, Gundelfingen und Merdingen.
Es waren Kuno der ältere und jüngere mit ihren Brüdern, wovon letzterer
neben seiner Wirtin Heilwid dem Kloster unter anderem auch eine
Schusterwerkstätte zu Gundelfingen vermachte, welche drei Schillinge
jährlichen Zinses trug 27. Dieses fromme Ehepaar ist es
höchst wahrscheinlich, welches in der Sage vom „Ritter von Falkenstein“
gefeiert wird, wenn dieselbe wirklich einen geschichtlichen Boden hat.
Nachdem sich Ritter Kuno zu einer Kreuzfahrt entschlossen, reichte er
seiner Ehewirtin die Hälfte des entzweigebrochenen Trauringes mit den
Worten dar: „Wenn ich innerhalb eines Jahrsiebents nicht zurückkehre,
so halte mich für gestorben und handle nach deinem Willen.“
Der edle Ritter hoffte wohl, aus dem heiligen Lande bald wieder
zurückzukehren, geriet aber, nach mancher tapferen Tat gegen die
Sarazenen, in Gefangenschaft derselben und wurde kaum vor dem Ablauife
der sieben Jahre daraus befreit. Durch die Furcht nun, als werde seine
Heimkehr sich verziehen und sein Weib einem anderen die Hand reichen,
zur Verzweiflung gebracht, ließ Kuno sich in ein Bündnis mit dem Teufel
ein.
Der Böse, in Gestalt eines Löwen, machte sich verbindlich, ihn eiligst
durch die Lüfte nach Falkenstein zu tragen; wenn der Ritter einschlafe
auf dieser Fahrt, so solle ihm dessen Seele verlassen, wenn er sich
aber wach erhalte, solle sie geborgen sein. Schon mochte sich der
Verführer seiner Beute freuen; denn der Ritter schien sich des Schlafes
zuletzt nicht mehr erwehren zu können. Da aber flog ein Schutzengel in
Gestalt eines Falken über dem Ermatteten her und erhielt ihn mit
Schnabel und Flügeln wach, bis sie die ersehnte Heimat erreichten.
Eben wurde daselbst der Verspruch der falkensteinischen Burgfrau mit
einem anderen Ritter gefeiert. Herr Kuno nahm als fremder Gast
bescheiden Teil an dem Festmahle und brachte der Braut seinen Becher
zu, indem er seine Ringhälfte in denselben fallen ließ. Sie bemerkte
dies in freudiger Bestürzung und warf auch ihre Hälfte hinein, worauf
sich beide Stücke wieder zu einem Ganzen vereinigten. Der Ritter war
erkannt und nahm, mit Jubel von Freunden und Dienern begrüßt, seine
Stelle als Burg- und Eheherr wieder ein.
So erzählt uns die Sage 28. Ob dieselbe so uralt und im
Höllentale so einheimisch ist, wie man behauptet, wollen wir nicht
untersuchen. Gar viele solcher Rittersagen wurden in neuer Zeit
erfunden, auf verschiedene Weise unter die Bevölkerungen gebracht und
sofort von gläubigen Sammlern als alte echte Volksüberlieferungen
verzeichnet.
Herr Walther also und die beiden Kuno‚ deren Namen lange Zeit die
vorherrschenden in der falkensteinischen Familie verblieben, gehörten
zu denjenigen vom zähringischen Adel, welche das Kloster St.Peter, die
Stiftung ihrer Dienstherrschaft, am reichlichsten begabten. Man darf
hieraus wohl einen Schluß auf ihre Stellung am herzoglichen Hofe
ziehen.
Solche Freigiebigkeiten aber konnten die Falkensteiner damals schon
üben, da ihnen viele Ländereien gehörten im benachbarten Breisgau und
Schwarzwalde. Denn obwohl eine familia ministerialis de domo Ducis,
waren sie auch von anderen Herren noch mit Gütern und Rechten belehnt
und erwarben sich nebenbei manch schönes Stück freien Eigentums.
Vom Hause Zähringen trugen die Falkensteiner zu Lehen: das Höllental,
den Breitnauer Berg, die untere und obere Steig, das Gelände vor und
hinter der Straße, den Albersbach, die Zarten, die Windeck und die
ganze Wildnis bis an den Titisee und den Feldberg alles mit Gütern und
Leuten, mit Holz und Feld, Wiesen und Weiden, Wassern und Fischenzen,
mit Dritteln und Fällen, mit Gerichten, Zwingen und Bännen, mit dem
Zolle, Bergwerke und Wildbamie 29.
Das allein schon bildete eine nicht unansehnliche zähringische
Lehenschaft; aber auch jenseits des Roßkopfes, im Föhrental, zu
Vörstetten, in der March und weiterhin besaßen dieselben noch manches
herzogliche Lehensstück.
Vom Stifte St. Gallen alsdann waren sie mit dem Kirchzartener und von
den Herren von Rötteln mit dem benachbarten Kappler Tale belehnt 30.
Es gehörten also in dieser gesegneten Gegend die Leute und Güter mit
der Gerichtsbarkeit und Polizei, mit Dritteln, Fällen, Ehrschätzen und
ähnlichen Gefallen. Demnach walteten die Falkensteiner (abgesehen von
anderweitigen Besitzungen im Breisgau) über den größten Teil des
hinteren Dreisamgebietes von Littenweiler bis hinauf an die Grenzen der
Baar, unter der Lehensherrlichkeit der Zähringer und ihrer Erben, den
Grafen von Freiburg.
Schon frühe jedoch teilte sich das Geschlecht in mehrere Zweige, welche
auf den Burgen und Säßhäusern zu Falkenstein im Höllental, zu
Falkenbühl 31 am Eingange des Wittentals, zu Bickenreute 32 hinter
Kirchzarten, zu Neufalkenstein 33 bei Neuhäuser oder Kappe] und zu
Dachswangen 34 am Kaiserstuhl hausten.
Die Stammburg im Höllentale war ihr gemeinschaftliches Lehen, wo jeder
Zweig seinen bestimmten Anteil besaß. Einer und der andere derselben
hatten auch Wohn- und Bürgerrecht zu Freiburg, daher mehrere
Falkensteiner städtische Ämter daselbst bekleideten 35.
Noch findet man in der Pfarrkirche zu Kirchzarten das steinerne Grabmal
eines Ritters Kuno von Falkenstein mit dessen lebensgroßem Bildnisse in
voller Rüstung. Derselbe hebt die Hände zum Gebete auf, trägt eine
einfache Eisenhaube, eine Halsberge und einen Harnisch von Ringzeug,
eiserne Kniebecken, Handschuhe "und Armrohre, einen einfachen vorn
geschlitzten Waffenrock, einen Dolch an der rechten, ein langes Schwert
und einen Spitzschild zur linken Seite.
Unter dem Haupte hat die stattliche Rittergestalt einen Turnierhelm mit
zwei Hahnenköpfen und zu ihren Füßen einen Löwen, das Symbol der Stärke
und Großmut. Das Wappenbild auf dem goldenen Spitzschilde zeigt einen
auffliegenden blauen Falken 36 zwischen zwei roten Bögen. Die Umschrift
des Grabmales lautet: Anno domini MCCCXLIII, IV id. Maii, obiit dominus
Cvno de Valkenstein, miles.
Dieses Steinbild nötigt dem Beschauer ein Gefühl von Ehrfurcht ab und
erhöht seine Anschauung von dem Wesen und Walten der alten
Falkensteiner. Aber damals, wo Herr Kuno zu den Vätern ging, war auch
seine Familie schon auf die schlimme Bahn geraten, welche den niedern
Adel seinem Verderben entgegen führte.
Auch die Falkensteiner hatten sich längst mit Schulden beladen. Anstatt
durch fromme Vermächtnisse, wie ihre Vorderen, machten sie sich durch
Verpfändungen und Verkäufe des Familiengutes bemerklich, schon seit
1272, wo Herr Walther „von dem neuen Hause“ das Kapplertal an die
Freiburger Deutschritter abgetreten 37.
Mit den benachbarten Schnewelin mehrfach verschwägert, wurden die guten
wirtschaftslosen Junker von denselben gleichsam angesteckt und in
vielerlei Mißgeschick verflochten, dessen Folgen die ritterbürtigen
Edelmänner in unritterlicher, schnöder Weise zum eigenen Gewinne
ausbeuteten.
So war Herr Werner von Falkenstein, genannt von Krenkingen, schon 1332
„wegen Friedbruch an offener Straße“ von den Freiburgern in Gewahrsam
gebracht worden; nach seinem Hingange aber sank die falkensteinische
Familie immer tiefer in Schulden, artete immer mehr aus und erschien
endlich, wie die schnewelinsche, als eine wahre Plage des Landes.
Freilich fiel das traurige Verkommen des damaligen Adels großenteils dem
Geiste jener Zeit anheim, welcher durch die großen Verhältnisse der
Kirche und des Reiches bedingt war. Wir dürfen dem Gedächtnisse unserer
Falkensteiner diese billige Rücksicht also nicht versagen.
Damals saßen auf dem päpstlichen Stuhle die französischen Geschöpfe von
Avignon, und auf dem römischen Kaiserthrone die unseligen Grafen von
Lüzelburg (Luxemburg). Beide beuteten selbstsüchtig ihre Stellung aus
und man konnte für Geld alles von ihnen erhalten. Dieses schlimme
Beispiel von oben mußte grundverderblich auf alle Schichten der
Gesellschaft wirken.
Hatte auch in Deutschland das avignonsche Unwesen unter der
Geistlichkeit fast allgemeine Zerrüttung erzeugt, so waren durch die
heillose Wirtschaft des Prager Hofes die Fürsten, der Adel und die
Städte überall aus dem Geleise getreten und abscheulich hinter einander
geraten. Der Haß zwischen Ritter- und Bürgertum kannte schon keine
Schranken mehr.
Im Breisgau entfesselte er sich besonders durch den langen Hader der
Stadt Freiburg mit ihren Grafen, in Schwaben durch den Krieg zwischen
den Grafen von Wirtenberg und den dortigen Reichsstädten, in Helvetien
durch den Kampf der Eidgenossen gegen das Haus Österreich.
Die Freiburger entledigten sich mit schweren Opfern des Joches ihrer
Grafen, um unter die österreichische Herrschaft zu geraten; die
schwäbischen Städte aber waren nicht so glücklich wie die
Schweizerbauern, sie unterlagen 1388, zwei Jahre nach der Schlacht von
Sempach, bei Döffingen, und nun überließ der siegestrunkene Adel sich
allen Gelüsten und Ausschweifungen des Rachegefühls.
In diesem Kriege hatte auch Herr Werner von Falkenstein wirtenbergische
Dienste angenommen und besetzte die Burg im Höllentale (obwohl ihm nur
ein geringer Teil daran zustund) mit seinen Knechten, um wandernde
Städter, welche dort in sein Bereich kamen, anzugreifen und zu
ranzionieren. Die übrigen Glieder der Familie sahen ihm dabei durch die
Finger, und als das Geschäft sich ergiebig zeigte, wurden sie seine
getreuen Helfer und Teilnehmer.
Unten, am Fuße des Schloßfelsen, lauerten etliche Knechte mit einem
Hörnlein, und oben verschmähte es selbst die Burgfrau nicht, unter dem
Fensterbogen die Späherin zu machen. Zogen nun Wanderer durch das Tal
einher, so erscholl das Zeichen und etliche Bewaffnete fielen von der
Veste herab an die Straße. Die armen Fremdlinge wurden ergriffen und
ihres Gutes beraubt oder hinauf geschleppt und so lange festgehalten,
bis die Ihrigen sie mit schwerem Gelde erlösten 38.
So trieben die Falkensteiner das schändliche, grausame Handwerk längere
Zeit ohne viel Aufsehen, da sie ihren Opfern immer den Eid der
Verschwiegenheit abzwangen. Die Ruchlosen wurden dadurch immer frecher,
immer übermütiger, und vergaßen sich nicht allein bis zum gemeinsten
Diebstahle, sondem bis zum abscheulichen Morde.
Da füllte sich das Maß ihrer Verbrechen. Nachdem die Junker einen ihrer
Knechte meuchelmörderisch niedergestochen und einen freiburgischen
Hintersaßen auf die empörendste Weise von der Falkenstein in den
Abgrund werfen lassen, kam die Zeit der Rache, welche schwer auf ihre
Häupter fiel.
Die eine dieser Mordgeschichten, obgleich dieselbe schon in
verschiedenen Schriften ausführlich erzählt worden 39, mag hier
neuerdings ihre Stelle finden, da sie besonders geeignet ist, dem Leser
einen genauen Einblick in den Geist und das Detail des damaligen Lebens
zu gewähren.
Hans Schneider, ein armer Seldener oder Hintersäße von Freiburg, liebte
die Tochter des Kune Hänsler zu Kirchzarten, und wie höchlich dieser
auch dagegen war, so ehelichten sich die beiden dennoch. Das aber galt
nach damaligen Begriffen für eine arge Mißheirat; denn der Vater war
ein Bauer, welcher Haus und Hof besaß, sein Schwiegersohn dagegen ein
Tagelöhner, dessen ganzes Vermögen in seinen Armen bestund.
Der Unterschied vom Bauern zum Seldener schien damals kein geringerer
als der vom Ritter zum Bürger; und bedenkt man, wie streng in
mittelalterlichen Zeiten die Standesverschiedenheit bei allen
Lebenserscheinungen festgehalten wurde, so ist es wohl begreiflich, wie
entehrt sich die hänslerische Familie durch diese Verbindung halten
mußte.
Der Vater und die Brüder warfen daher einen tiefen Haß auf das junge
Weib und ihren Mann. Dazu kam alsdann ohne Zweifel noch das gespannte
Verhältnis, welches gerade damals zwischen den „Städtischen“ und den
Leuten des Landadels überall herrschte und zu mancher Todfeindschaft
führte.
Indessen mochte das Ehepaar darauf gerechnet haben, daß nach
geschehener Sache, und wenn einmal Kinder da wären, der Vater sich wohl
werde erweichen lassen, der Tochter einiges Vermögen herauszugeben. Und
in solcher Hoffnung begaben sich denn die beiden eines Tages hinauf
nach Kirchzarten in das väterliche Haus.
Dort aber blieb man nicht allein hart und unbarmherzig, sondern lockte
die Armen noch in eine Falle. Es wurde der Frau ein Gewand ihrer
Schwester als Geschenk mitgegeben, welches man hernach als gestohlenes
Gut zum Grund einer gerichtlichen Anklage machte, um ihren Mann, den
gehaßten und verachteten Seldner, ins Gefängnis zu bringen.
Dieser niederträchtige Streich gelang jedoch nicht, und nun wurde der
Haß der Hänslerschen nur noch größer und giftiger. Hören wir aber den
Verlauf der Geschichte in der einfachen Sprache der darüber noch
vorhandene Akten 40.
„Die arme Frowe hatte jren Mann genomen, da es jres Vatters un jrere
Fiünde Wille nit war, und darumb wolte jr Vatter jr nüt geben. Und da
das etwie lang also gestuend, und sie ein Kind hatte und das ander
trueg, da gieng sie mit jrem Mann zue jrem Vatter und zue jren
Geschwistrigen, und baten da beide, daz sie jnen doch ze Statten kämen
und jnen Etwas gäben. Da sprach einer von der Frowen Brüedern, daz sie
einen Rock neme, der jrer Swester war, daz sie Etwas hätte, damit sie
jre Notdurft bessere.“
„Den Rock nam sie und darumben ward jr Mann in das Gericht ze Ebenot
gelegt, und aber da mit Urteil ledig und los gesprochen. Umbe dis klein
Ding sind die großen Mörde beschehen. Denne von der Sache wegen, daz
der Snider ze Ebenot ledig worden, ließen sie jn fangen und in die
Veste gen Falkenstein füeren.“
„Der Winmann und der Slupf von Kappel und Hanmann von Lütenwiler fiengen
jn an einem Fritage bi Friburg ob dem Käppelin am obern Werde, und
wundeten jn. Und war des Sniders Frowe bi jrem Mann, da er gefangen
wurde, und da sie sah, daz man denselben fieng und stach und slueg, da
schrie sie jämerlich. Da slueg sie Einer mit sinem Spieß über den
Rücken, daz jr geswand 41, und da sie wider zue jr selber kam, da
gieng sie jrem Manne nach.“
„Den füerten sie von Friburg in das Kirchzarter Tal, zue den Birken,
und antwurteten jn dem Hänseler, sinem Swäher, und sinen Sünen.
Dieselben füerten jn darnach an dem Sunnentag gen Valkenstein uf die
Burg. Und hatte sie das Herr Dieterich geheißen und jnen ein
Wortzeichen gegeben an I-Ienni Fräßlin, den Thorwächter, daz er sie mit
dem Gefangenen inließe.“
„Und folgte jnen des Sniders Frowe nach, und da derselbe und sie in die
Burg kamen, da legte man sie in eine Stuben in Isen 42 gefangen, und
Morndes uf den Mentag von der Gefängniße, von der Släge und von
Schrecken wegen, die sie gelitten, gebar sie ein tod Kind, und war
Nieman bi jr von Frowen, das Jr in sämlichen Sachen ze Statten käme.“
„Dasselb jr tod Kind wand sie in jren Taphart 43, und Momdes uf den
Zistag ward sie ussere der Gefängnisse gelassen, trueg da jr todes Kind
unz gen Kirchzarten in das Dorf und begrueb es da.“
„Und wie der Snider etwie manigen Tag uf der Vesti gefangen lag, da
erlaubte Herr Dieterich dem Hänseler, daz er mit dem Seldener leben,
wie er wölle und sprach: „Es ist weger, daz Du jn verdirbst, denne daz
er dich verdirbt.“ Da sagte der Hänseler, sie wöllten den Snider uf das
Felde füeren usser der Vesti und jn erstechen oder in ein Bergloch
werfen oder ab der Vesti stürzen.“
„Darnach bi zweien Tagen da kamen der Hänseler und einer siner Süne,
der Hanmann und der Winmann und andere, die redten mit dem Snider uf
Valkenstein: „Du muest sterben, wir wöllen dich usser der Veste werfen.
Willst du in dinen Kleidern sterben oder dieselben durch Gott 44
vermachen.?“ Da sprach er, er wöllte die sinem armen Kinde geben, und
zog sich us unz an sin Nidergewand und sin Hemde.“
„Da füerten sie jn also nackend uf das Höchst der Vesti, und sprach der
Hänseler, sin Herre hätte es geheißen, daz man jn usser der Burg wurfe,
damit sie sicher vor jm wären.“
„Und also namen sie den armen Seldener und füerten jn zue eime Fenster,
und legten Alle Hand an jn (usgenomen der Hänseler, der rüete jn nit
an, doch war er ratende, daz es geschah) und drückten jm da Houbt hinus
und stieße jn da der Slupf bi dem Arse hinach, daz er also über den
Felsen abhin mordlich zue tode fiel.“
„Und von demselbigen Zistag über acht Tage, da vemam des Snideres Frowe
erst, daz jr Mann ab der Vesti Valkenstein geworfen worden. Da gieng
sie mit jrem kranken Liebe von Friburg wider gen Falkenstein unter die
Burg an die Halden, und suechte da jren Mann und fand jn auch smeckende
und zerfallen, und zog jn herab an den Weg und schuef, daz er begraben
ward im Valkensteiner Tal ze St. Oswalds 45 Kirchen.“
„Jetzt aber trat die unglückliche Witwe mit dem ganzen Schmerze ihres
Jammers vor die Ratsherren zu Freiburg und schrie um Rache der
„gottesvergessenen, mörderischen Tat“. Da ward eine Untersuchung
eingeleitet, und es erging ein Achtspruch das kaiserlichen Hofgerichts
zu Rottweil über die Schändlichen, und ein Haufen Kriegsvolkes zog vor
Falkenstein und zerstörte das Räuber- und Mördernest.
Dieser Schlag traf die Familie der Falkensteiner mit erschütternder
Gewalt, und lange büßten dieselben in harten Gefängnissen. Nur eine
teure Sühne und eine Verburgrechtung zu Freiburg retteten sie. Aber
Ansehen und Vermögen waren dahin; ein Stück ihres bisher noch
erhaltenen Familiengutes nach dem anderen ging für Darlehen und
Bürgschaften in die Hände der Schnewelin über, welche wie Blutigel
nicht abließen von ihnen, bis sie völlig ausgesogen waren 46.
Schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts befanden sich beinahe sämtliche
falkensteinischen Burgen und Herrschaften im Besitze der
schnewelinschen Familie, und der alte Junker Hanns von Wiseneck konnte
1465 ein Testament hinterlassen, welches heute noch in Verwunderung
setzt.
So verloschen die Falkensteiner als Patrizier zu Freiburg in Armut und
Dunkelheit. Den letzten Schimmer adeligen Glanzes warf es noch auf
ihren Namen, als am Reichstage von 1497 die Junker Melchior und Hanns
Jacob mit zwei anderen ihres Standes die Ehre genossen, den „Himmel“ zu
tragen, worunter Kaiser Max seinen Einzug hielt 47.
An einem anderen Orte hoffe ich den Nachweis liefern zu können, daß die
gegenwärtig noch in Freiburg ansässigen „Freiherren“ von Falkenstein
mit den „Edelknechten“ aus dem Höllentale nichts gemein haben; daß ihre
Abstammung eine ganz andere war. Setzen wir aber unsere Wanderung durch
das berühmte Tal wieder fort.
Die Felsenschlucht des Hirschsprunges bildet das Mittelstück des Tales,
wo wiederholte Beugungen demselben das Ansehen geben, als wäre es
plötzlich abgeschlossen oder als wären beide Talwände mit ihren
Vorsprüngen und Vertiefungen künstlich ineinander geschoben. Dieses
verdoppelt die Wirkung der gewaltigen Naturerscheinung. Schwindelnd
erhebt der Wanderer das Auge aus der schauerlichen Tiefe nach dem
Flecklein blauen Himmels, welches zwischen den gigantischen
Granitzinnen auf ihn herabschaut.
Schon zunächst vor der Schlucht, bei Falkenstein, wo der Engebach von
der Rotecke herab in die Rotach fällt, hören alle Menschenwohnungen auf
und der Talgrund ist einsam und öde, bis er sich oberhalb „des Rankes“
wieder erweitert und eine freundliche Aue bildet, in deren Schoß
einerseits an der Straße das alte Posthaus zum Adler und andererseits
eine Mahl- und Sägemühle ruhen.
Hier treten die beiderseitigen Gebirgskämme so weit auseinander, daß
ein breiter Himmelsraum diese „Höllenau“ erheitert. Linkerhand, wo der
Hollbach durch die Talwiese rauschend und schäumend sein steiniges
Bette verfolgt, ist die Berghalde mit düsterer Tannenwaldung bedeckt;
rechts dagegen, wo die Straße sich hinzieht, bekleiden Laub- und
Nadelgehölze, Bergwiesen, Steingerölle und Felsenriffe wechselnd die
breite Talwand, über welche die Granitspitze der Kaiserwarte (3380‘)
wie ein riesiger Dachgiebel hervorschaut.
Aus der Talau geht es die Posthalde aufwärts, und nach einer kleinen
Beugung des Weges erblickt man den wunderschönen Hügel von St. Oswald
mit seinem altertümlichen Kirchlein 48. Im Hintergründe dieser
lieblichen Szene aber erscheinen die stattlichen Gebäulichkeiten des
Sternen-Wirtshauses, der dunkle Eingang des Hollatales, der
kegelförmige Hügel, um welchen sich die neue Steigstraße windet, und
die wilden Höhen, von denen der Ravennenbach ins Tal herabstürzt.
Das Gasthaus „unter der Steige“ ist nicht zu umgehen; wir machten
Mittag daselbst, wobei ich mit Bewunderung wahrnahm, welch ein seltenes
Ding die Forellen, sonst der Stolz der Schwarzwäler Küche, auch hier
schon geworden.
Neben dem stolzen Steinhause des jetzigen Sternen steht noch der
niedrige Holzbau des alten, worin die „Mariageth“ als stattliche Witwe
so lange löblichst gewirtschaftet. Wie behaglich konnte man ausrasten
in dieser altschwarzwäldischen traulichen Herberge! Aber ihre
Räumlichkeiten waren später nicht mehr groß und elegant genug für die
wachsende Zahl und Vornehmheit der Gäste.
Die beiden Häuser, wie sie neben einander stehen, veranlaßten mich zu
einer Vergleichung zwischen ehemals und jetzt. Mein Reisegefährte ließ
dieselbe nicht gelten und hielt der Gegenwart eine Lobrede, indem er
von dem trefflichen Gasthause des jetzigen Sternenwirtes auf dessen
großartigen Holzhandel überging, wogegen der Betrieb seines
Vaters eine Kleinigkeit gewesen. Das gab mir indessen nur Gelegenheit,
durch einen boshaften Fingerzeig auf die Zukunft der schwarzwäldischen
Holzverhältnisse, mein Bild noch sprechender zu machen.
Die neue Steigstraße aber, welche wir jetzt betraten, verschaffte
meinem Gegner einen glänzenden Sieg. Denn hatte der alte Weg sein
Schönes und Interessantes, so übertrifft ihn der neue, abgesehen davon,
daß er viel sicherer und bequemer ist, weit an malerischen Vorzügen.
Schon gleich zu Anfang wird das Auge aufs Angenehmste gefesselt. Man
glaubt, sich nicht satt sehen zu können an dem makellosen Hochgrüne der
Wiesen und dem tiefen Tannengrüne, wie sie hinter dem Sternen, am
Eingange der Rotachschlucht 49, neben einander erscheinen. Und welch
einen Gegensatz zu dieser einfachen, fiiedlich schönen Szene bildet bald
hernach die Wildheit des Bergeinschnittes, welchen der Ravennenbach durch seinen hohen Sturz so malerisch belebt!
Nach einem viertelstündigen Steigen war die Höhe erreicht. Von der
alten Schanze 50 warfen wir noch einen überschauenden Blick in die
„Hölle“ zurück, und ich mußte aufs neue bekennen, daß diese
Bergschlucht malerisch-landschaftlich das schönste all unserer schönen
Täler ist. Es ermüdet der Wanderer weder durch seine Länge, noch durch
einförmigen Charakter, sondern bietet ihm auf der bescheidenen
Wegstrecke einer kleinen Meile die reichste Mannigfaltigkeit an
Gestaltungen und Farben.
Von der kahlen Hochebene (2900‘) in sanften Krümmungen bald steiler,
bald sachter abfallend, bald eng zusammengedrängt, bald mehr oder
weniger erweitert, verliert sich dasselbe, unter fortwährendem Wechsel
von dunklen Waldabhängen und heiteren Birkenhalden, grünen Auen und
steilen Felsenwänden oder wilden Steingeröllen, höchst anmutig in die
gesegnete Talfläche (1500‘) des Himmelreichs.
Dabei wird es überall durch die muntere Rotach und ihre Nebenwasser,
wie streckenweise durch Bauernhütten, Wirtshäuser, Säge- und
Mahlmühlen, Kapellen und Burgtrümmer belebt. Man wandert durch eines
Wildnis und findet überall das freundliche Bild menschlicher Kultur und
Tätigkeit.
So birgt das Höllental für den Freund und Kenner malerischer
Naturschönheiten ein in sich vollendetes Gemälde, und alle
Lebenserhebungen über die Vorzüge anderer Täler können ihm keinen
Nachteil bringen.
Auf der Steige betritt man das Bereich der schwarzwäldischen
Hochebene, wo die Mannigfaltigkeit des Vorgebirges aufhört und ein
ziemlich einförmiges Landschaftsgepräge beginnt. Doch hat die
Kultur auch dieser Gegend ein freundlicheres Angesicht verliehen.
Namentlich seit dem Neubau der Höllentalstraße 51 im vorigen
Jahrhundert ist hier alles wohnlicher, belebter und heiterer geworden.
Bauernhöfe, Taunerhütten, Löffelschmieden, Kapellen, Mühlen und Sägen
wechseln mit einander ab und vier stattliche Wirtshäuser zieren die
Straße bis zum Hirschwalde, wo sich dieselbe hier nach Lenzkirch und
dort nach Neustadt zieht. Überall ist der Wald vielfach ausgereutet,
Bergwiesen, Winterkorn-, Hafer- und Kartoffelfelder bedecken die
besseren Lagen, und das übrige Gelände dient zu Weideplätzen.
Ein so freundliches Bild bot die Gegend in den Zeiten der Falkensteiner
und Schneweline freilich nicht dar. Damals herrschte der Wald noch vor,
besonders gegen den Hochfirst und Feldberg zu, wo einst nur fromme
Einsiedler die weite Wildnis bewohnten. Durchs Tal herauf führte eine
Straße für geringere Fuhrwerke 52, und von Breitnau herüber zog sich
der alte Kirchweg nach der Zarten und dem roten Wasser.
Unten im Höllentale befanden sich bei der Burg Falkenstein ein
Wirtshaus, eine Schmiede, Mühle und Säge. Weiterhin, teils am Wege oder
Wasser abwärts, teils in den nahen Bergeinschnitten, lagen etliche Höfe
und Seldnerhütten. Die Herberge bestund in „Hus, Müli, Ställen, Schüren
und Boumgärten; sie
war
ein Erblehen mit Matten, Weide- und Holzrechten, und hatte einen großen
Backofen, welchen auch der Burgherr zu benützen nicht verschmähte 53.
Auf der Höhe oder „ob und ennet der Steige“ zählte das Gericht „vor der
Straße“ die Leute und Höfe zu Breitnau, im Wirbstein und im Ödenbach,
und das Gericht „hinter der Straße“ die Hofleute im Albersbach, in der
Bisten, an der Windeck‚ in der Zarten, an der Winter- und Bruderhalde,
am roten Wasser und auf der Eisenbreche.
Die Bauern und Häusler‚ welche auf diesen weitschichtigen Höfen und
Gütern saßen, lebten vorzugsweise von der Viehzucht, trieben aber auch
einigen Fruchtbau und verfertigten allerlei einfaches Holzgeschirr. Sie
waren sämtlich leibeigene Leute, welche ihren Herren eine Jahressteuer
entrichteten, Tagwarmdienste leisteten und von ihren Gütern jährliche
Geldzinse, bei Todfallen das Besthaupt, bei Hofverkäufen das Drittel
und bei Belehnungen den Ehrschatz gaben 54.
Ihr Grund und Boden bestund gewöhnlich in s. g. Säßgütern, daneben aber
häufig auch in zerteilten alten Lehen und Reuteländern. Mancher Bauer
hatte zwei solcher Säßgüter; kam jedoch jemand aus der gleichen
Herrschaft und erbot sich, das unbewohnte davon zu behausen, so mußte
es ihm nach einer billigen Schätzung überlassen werden.
Die Säßgüter waren dem Ehrschatz nicht unterworfen, dagegen hatten
einige derselben, meistens die unterhalb der Steige gelegenen, nicht
allein beim Verkaufe, sondern auch bei Todfälllen das Drittel zu entrichten 55. Dieses war wirklich eine harte Belastung, da es kommen konnte, daß während eines einzigen
Geschlechtsalters der ganze Wert eines solchen Gutes an die Herrschaft
bezahlt werden mußte. Man begreift daher den alten Haß gegen die
Drittelspflicht.
Dagegen waren die Jahresteuer und die jährlichen Güterzinse sehr
gering. Sämtliche falkensteinischen und schnewelinschen Bauern und
Tagwanner vom Himmelreiche bis zum Titisee bezahlten an ersterer kaum
50, und an letzterer nicht viel über 200 Gulden. Da nun diese Hofgüter
sehr ausgedehnt waren, so stellt sich die Steuer- und Zinslast für den
einzelnen noch günstiger heraus.
Ein Säßgut mag der alten Hube entsprochen, also gewöhnlich etwa 24
bis 30 Morgen Feldes begriffen haben; das beste trug dem Gutsherrn zwei
Gulden, das geringste 18 Kreuzer, die meisten aber trugen ihm 10 bis 15
Schillinge.
Die Vogtei Breitnau zählte um die Mitte des 15. Jahrhunderts 56 größere
und kleinere Grundbesitzer und entrichtete im Ganzen 20 Gulden Steuer
und 120 Gulden Güterzins 56. Es kommen daher im Durchschnitte auf den
einzelnen Kopf von jener 22 1/2 Kreuzer und von diesem nicht ganz zwei
Gulden. Noch geringer aber mit Güterzinsen belastet war das Gericht
Hinterstraß; denn es zählte 30 Hofbesitzer, welche im Ganzen 50 Gulden
jährlich von ihrem Grunde und Boden entrichteten 57, wonach
durchschnittlich auf den einzelnen nur ein Gulden und 40 Kreuzer
fallen!
Werden nun 5 Köpfe für die Familie angenommen, so hatten damals beide
Gemeinden Vor- und Hinterstraß eine Bewohnerschaft von 430 bis 450
Seelen, und gegenwärtig zählen dieselben das Vierfache dieser Bevölkerung!
Rücksichtlich der Rechtspflege war das Volk „ober- und unterhalb der
Steige, vor und hinter der Straße“ an etliche Dinghöfe 58
gerichtspflichtig, von denen der Rechtszug an das Hauptgericht zu Ebnet
ging. In kirchlicher Beziehung aber gehörten all die Höfe in eine
Pfarrei, sie bildeten das alte große Kirchspiel von Breitnau 59. Nur
konnten für den gewöhnlichen Gottesdienst die Leute unter der Steige
das Kirchlein zu St.Oswald und jene hinter der Straße das
Wallfahrtskirchlein in Zarten 60 benützen; beide waren Filialen von
Breitnau, welche ein Hilfspriester versah.
Bei der Abgelegenheit ihrer Heimwesen, worin diese Tal- und
Waldleute
einen langen Winter und kurzen Sommer arbeitsam und still verbrachten,
kamen sie eben nur durch die weiten Kirchen-, Gerichts- und Marktgänge
mit der übrigen Welt in Berührung. Ihr gewöhnlichster Verkehrsweg ging
nach „der Stadt“, auf deren Märkten sie ihr Vieh und ihre Holzwaren in
Geld umsetzten, um ihr Bedürfnis an Geschirr, Tuch, Leder, Obst und
dergleichen zu kaufen und die nötige Münze zu haben, wenn am St.Jacobs-
und Martinstage der Herrenvogt oder dessen Bote die Steuer und
die Güterzinse von Haus zu Haus einsammelte. Denn derjenige, welcher da
nicht steuern und zinsen konnte, verfiel auf so lange in eine Strafe von
täglich drei Schillingen, bis er seine Schuldigkeit völlig entrichtet
hatte 61.
In diesen einfachen wirtschaftlichen, politischen und kirchlichen
Verhältnissen bildeten diese Waldleute, bei ihrer zähen
Rassenbeschaffenheit, einen merklichen Gegensatz zu den Bauern des
Zartener Tales, wo das germanische Geblüt vorherrschte
und manches Überbleibsel ursprünglicher Freiheit fortbestand 62. Noch
gegenwärtig muß jedem, welcher Sinn für solche Dinge hat, das
verschiedene Gepräge der beiden Bewohnerschaften ober- und unterhalb
des Himmelreichs ins Auge fallen.
Der Gegensatz gründete sich auf die Verschiedenheit der anfänglichen
Niederlassung. In der gesegneten und uraltbebauten Talebene von
Tarodunum ahmte der deutsche Eroberer die Einrichtungen und
Gewohnheiten der Ansiedlung und des Landbaues getreulich nach, wie er
sie vorfand. Denn hatten im rheinischen Vorlande die römischen
Veteranen von dem ihnen zugemessenen Grunde und Boden nur etwa den
besseren Teil selber bebaut und das übrige den ursprünglichen
(keltischen) Bewohnern oder späteren (gallischen) Einwanderern als
Pachtgut überlassen, so bewohnte und bebaute der Alemanne nach seiner
Besitznahme dieser Gegenden eben auch nur die günstigeren Lagen des ihm
zugefallenen Allodes als Sal- oder Herrengut und verlieh das übrige in
einzelnen Stücken als Huben- oder Knechtsgut dem früheren Bewohner.
Daher bestunden im Zartener Tale Freileute und Freigüter neben
unfreien, während auf dem Walde beinahe alles bebaute Land als
Herrengut nur an leibeigenes Volk vergeben war. Denn die Zähringer und
Hohenberger hatten jene spärlich bewohnten Wildnisse ihren
Familienstiften verwidmet oder ihren Dienstleuten verliehen, und diese
bevölkerten dieselben nun mit ihren unversorgten Leibeigenen, indem sie
ihnen die Niederlassung darin geboten oder erlaubten und sie zur
Gründung ihrer Heimwesen mit den nötigsten Erfordernissen an Vieh,
Geschirr und Holz versahen.
Daß nun bei solchen
Verhältnissen der Grundherr von seinem Grundholden, der ja alles von
ihm besaß, neben dem gewöhnlichen Güterzinse und Besthaupte bei einer
Gutsveräußerung das Drittel des Kaufschillings (für fahrendes und
liegendes Gut) forderte, war anfangs gewiß nichts Unbilliges. Nach dem
Verlaufe von Jahrhunderten aber, wo der Wert eines Gutes längst doppelt
und dreifach an die Herrschaft entrichtet war, konnte diese
Drittelspflicht, namentlich das häufig daneben bestehende
Sterbfalls-Drittel, nur als eine tyrannische Bedrückung erscheinen.
Als die schnewelinschen Besitzungen auf dem Walde an die Freiherren von
Sickingen gefallen, hatten diese selber das billige Einsehen, welch
„schädliche Last“ das Kaufs- und Fallsdrittel für den Untertan sei. Sie
ließen daher 1665 nicht allein das Drittel von der fahrenden Habe
gänzlich nach, sondern setzten auch das Drittel von den liegenden
Gütern vertragsmäßig auf ein Viertel herab 63.
Das ungefähr waren die mittelalterlichen Verhältnisse im Höllentale und
ober der Steige. Obwohl nun durch die neueren Staatseinrichtungen,
durch die Schulen, die Industrie und dergleichen auch hier das
Verkehrs-, Betriebs- und Gesellschaftswesen im Schlimmen leider wie im
Guten sehr gesteigert und vermehrt worden, so ist dennoch das Leben
dieser Waldleute in der Hauptsache das gleiche geblieben.
Noch immer lebt die überwiegende Mehrzahl derselben auf ihren großen
Hofgütern von der Viehzucht. Sie fahren mit ihrem Vieh nach der
„Stadt“, versilbern es dort und kaufen ihre Bedürnisse ein. Und wie
ihre Beschäftigung, so enthält auch ihre Lebensweise, Sitte und
Denkungsart noch gar vieles von dem
Wesen
ihrer Vorälteren im Mittelalter. Daher ist der Abstand zwischen ehemals
und jetzt in Wirklichkeit nicht so gewaltig, wie der äußere Anschein es
glauben machen will,
und die Ahnen sind weder im wirtschaftlichen, noch im Sittlichen und
Geistigen so gar weit hinter den Enkeln zurückgestanden.
Die Falkensteiner Vorfälle von 1390, wobei auch Bauern beteiligt waren,
dürfen uns nicht verleiten, das damalige Leben unserer Gegend durch ein
zu düsteres Glas zu sehen. Die Entrüstung und der Abscheu, welche aus
den Akten über diese Geschichte sprechen, deuten auf eine lebhafte
sittliche Stimmung des Volkes hin, und je ausschweifender es zuweilen
die höheren Stände trieben, desto strenger und eingezogener pflegte man
in den niederen zu leben. In der Beurteilung des Mittelalters pflegt das
Faustrecht sehr irre zu führen.
Freilich, höchst leidenschaftlich bei aufgeregtem Blute und oft
rücksichtslos und unbändig im Ausbrüche des Zorns oder der Rache
scheinen jene Waldleute gewesen sein 64. Ihre Leidenschaften wurden
aber durch die Gebote der Kirche, durch die Furcht vor zeitlicher und
ewiger Strafe, möglichst im Zaume gehalten, und selbst der herrschende
Aberglaube übte eine Art Sittenpolizei unter ihnen aus.
25)
Hanns von Landeck zu Wiseneck beklagte sich 1460, daß Konrad von
Falkenstein die Pfründe der St.Niklaus-Kapelle zu Falkenstein von ihrer
Mutterkirche zu Breitnau getrennt und nach Kirchzarten gezogen habe.
Notiz des sel. Archivrats Leichtlin.
26) Falkensteiner Zinsberein von 1448.
27) Curtem apud G. et unum calcidioma in cadem villa.
Rotulus san - petrin. bei Leichtl num. 76, 83, 87, und 94. P.
Baumeister I, 21, 84, 103, 106 und 150.
28) Bereits in
Jacobi’s Zeitschr. Iris (Jahrg. 1805, S. 210) bekannt gemacht, alsdann
von Schreiber im bad. Sagenb. von Schnezler I, 411.
29) Urkunden von 1392 und 1399 im Landecker Copeibuch.
30) Urkunde von 1297 in Neugart, cod. Alem. II, 347. Urkunde von 1320
über die Gerichtsbarkeit und die „St. Galler Leute“, die Brotlaube, den
bach etc. zu Kirchzarten. Alsdann eine Urkunde der Herren von Röttelbn
von 1272
31) „Wer den Burgfriden bricht in dem schloß ue Valkenbühcl, ist sim
herrn und dem hof verfallen 13 Pf. Rappen.“ Wittentaler Dingrotel. Im
Jahre 1447 aber gehörte diese Burg dem Junker Degelin.
32) „In der Burg zue Valkenstein, in deren von Bickenrüti teil, sei ein
klein Kappelin gestanden.“ Aussage von 1460. „Jacob der alte von
Bickenrüti“ in einer Urkunde von 1408.
33) Im Jahre 1265 erscheinen Waltherus senior dictus de Valkinstein (in
Bann getan) und Waltherus de Valkenstein dictus de nova domo, welcher
1272 „von dem nüwen Huse“ oder auch „von der nüwen Valkenstein“ genannt
wird.
34) „Junker Thoman von Falkenstein zur Tachswangen“ (bei Umkirch) in einer Urkunde von 1418.
35) “Walthei' von Falkenstein, Hildebrands sel. Sun, Burger zu
Friburg“, in einer Urk. Von 1302. Später (1321) ist derselbe
Spitalpfieger daselbst. Vergl. auch Schreiber, Taschenb. IV, 168.
36) Es ist mir der Gedanke gekommen, daß dieser Löwe und Falke des
Grabmales zu jener wunderbaren Luftfahrt in der Sage des Ritters Kuno
etwa die Veranlassung gegeben.
37) Urkunde von 1272, worin die Lehensherren von Rötteln die „Eigenschaft“ der Güter an die Commende aufgeben.
38) Schreiber, Freib. Urkunden ll, 59
39) Von
Schreiber im freib. Adresskalender für 1824, im bad. Sagenbuche von
Schnezler l, 340, im Taschenbuche IV, 160, und in der Geschichte von
Freiburg II, 239.
40) Bei Schreiber, Freib. Urk. ll, 59 bis 83.
41) D. h.‚ daß ihr schwindelig, ohnmächtig wurde.
42) das schwache, hochschwangere Weib in eiserne Fesseln!
43) Auch Tabbart, Tappert, von tabardum, tunica, pallium, hier ein Weiberrock, welcher damals Mode geworden.
44) Einer Kirche oder geistl. Anstalt vermachen.
45) Die alte Kirche auf dem Hügel oben beim Sternenwirtshaus.
46) Verkaufs und Versatzbriefe von 1404, 1406, 1407, 1408, 1422, 1426, 1432 u.s.w. im Landecker Copeibuch.
47) Schreiber, Taschenb. IV, 172.
48) Wie wir oben gesehen, bestund dasselbe schon 1390.
49) Die Rotach entspringt aus einem kleinen See zwischen dem Silber-
und dem Himmelsberge und heißt der „Zartenbach“ bis unterhalb der
Windeck, wo die Schlucht beginnt, durch welche der Weg nach der Bisten
und nach Hinterzarten führt. Von hier an aber bis ins Himmelreich nennt
man das Bergwasser den Höllenbach, von hola, antrum, Höhle, Enge,
Schlucht.
50) Dieselbe beherrscht einen großen Teil des Höllentals und wurde wahrscheinlich um 1796 angelegt.
51) Schon 1553 geschah von Seiten der Schnewelin und der Stadt Freiburg
eine „Verbesserung der Straße durchs Falkensteiner Tal“; eine
bedeutendere Verbesserung aber wurde um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts vorgenommen.
52) Nach Schreiber soll damals (am Übergange des 14. Jahrhunderts in
das folgende) nur ein Weg "für Menschen und Saumrosse durchs Höllental
geführt haben; eine Urkunde von 1408 nennt aber ausdrücklich „die
Straße, die von Falkenstein zu der Nüwenstatt gat“, und andere von 1399
spricht von „Karren oder Wagen mit Win“, welche im Tale zu zollen
hätten.
53) Falkensteiner Zinsemeuerung von 1448.
54) Urkunden aus dem Sicking.
Archive von 1408, 1422, 1432 und 1464, und verschiedene Zinsbücher.
55) Z. B.: „Clvy zue der Linden (in der Falkensteige) git ein guldin
zins von der segen und den Wäldern etc. Derselb git 2 Pfd. 8 Schllg.
Zins von sinen zwein Säßgütern, den Drittel nach kouff und ein lebenden
Vall, und den Drittel, wann er darab zichet.“ Oder: „Hand Arnolt git 6
Schllg. Zins und als vil zue Eren (Ehrschatz), und den Drittel nach
kouff und töden, von dem
Säßguet, do er sitzet“. Falkenst. Zinsb.
56) Breitnauer Zinserneuerung von 1446. Summa der Pfennig: LX libr. den. und Wasserzins: I libr. VII sol. Und Xii Hüner.
57) Hintersträßer Zinserneuerung von 1446. Summa der Pfennigzins in dem gerich: XXIV libr. sol. IV den.
58) Leider ist von dem alten Breitnauer Dingrotel nur noch ein geringes Bruchstück vorhanden.
59) „Die gemeind zue Breitenowe und andere Zinken, die zue demselben Kilchspel gehörend“. Urk. von 1446.
60) Dieselbe wurde 1416 durch fromme Gaben gegründet, 1722 vergrößert und 1800 zur selbständigen Pfarrkirche erhoben.
61) Breitnauer Zinsbuch von 1446.
62) Man vergleiche die beiden Dingrodel von Zarten und Kirchzarten
miteinander, welche im freiburgischen Urkundenbuche von Schreiber II, 97
und 111) stehen.
63) Notariats-lnstrument über den zwischen der
Herrschafl von Sickingen und den Gemeinden Breitnau und Hinterzarten
abgeschlossenen Vergleich
wegen des Drittels, Falles und Ehrschatzes vom 19. Jänner 1665.
64) Schimpfworte, Faustschläge und Messerzucke sind die meisten
Verbrechen, welche in den alten Gerichtsprotokollen und Urfehden dieser
Gegend vorkommen. Verworfenheiten, wie unsere Geschworenenverhandlungen
sie zu Tage bringen, waren damals etwas äußerst Seltenes, fast
Unerhörte.