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Durch das Höllental

Jahrtausende war der Schwarzwald unbewohntes Gebiet. Wege gab es keine. Als die Kelten in Tarodunum-Zarten eine Fliehburg anlegten, mögen sich einige in das Tal des Höllenbaches vorgewagt haben. Auch die Alemannen siedelten sich nur am Rande der Vorberge des Schwarzwaldes an. Wie eine Mauer trennte sie der Schwarzwald von den Siedlern auf der Baar.
Kurz vor 1100 kamen die Grafen von Weilheim-Teck in den Breisgau. Als Herzöge von Zähringen hielten sie mit ihrem Heimatland Schwaben und ihrem Hauskloster St. Peter die Verbindung durch das Eschbach oder Glottertal aufrecht. über den Hohlen Graben, Kalte Herberge, gelangten sie in das Urachtal. Man darf an die damaligen „Straßen" nicht heutige Maßstäbe anlegen. Sie waren weder gepflastert noch geteert. Die Karrenräder schnitten tief ein, und bei Regen stand das Wasser in den Rillen.
Zur gleichen Zeit saßen die Falkensteiner im Höllental auf ihrer Burg gleichen Namens. Durch das enge, schluchtenreiche Tal führte nur ein bescheidener Saumpfad. Seit dieser Zeit steht auch die Oswaldkapelle bei Höllsteig. Sie war die Pfarrkirche der wenigen Bauern Hinterzartens und Breitnaus. Ihre Höfe standen „vor" und „hinter der Straß". Seit den Tagen, da die Zähringer mit dem Augustinerkloster St. Märgen, das die Grafen von Hohenberg um 1200 gründeten, in Fehde lagen, wurde die „neue Straß" durch das Wagensteigtal die eigentliche Verbindung des Breisgaus mit der Baar und Villingen, der Schwesterstadt
Freiburgs.
Durch die „Wagensteige" zogen die Bauernheere im Bauernkrieg in den Breisgau, marschierten im Dreißigjährigen Krieg österreichische, bayerische, schwedische und französische Truppen. Auch später, Ende des 17. Jahrhunderts und im 18. Jahrhundert, blieb die Wagensteige die große „Heerstraße". Der Zustand der Wagensteige wurde immer schlechter. Was Wunder, daß der Ruf nach einer besseren Straße laut wurde. So wandten sich die Uhrenhändler und Glasträger des hohen Schwarzwaldes an die breisgauischen Stände mit der Bitte um eine bessere Straße, und zwar durch das Höllental. Am 20. März 1753 traten die Stände - heute würde man Landtag sagen - in Freiburg zusammen, um über die Ausbesserung der schlechten Höllentalstraße zu beraten. Die Vertreter des Adels, der hohen Geistlichkeit und der Städte beschlossen, aus ihr einen „guten und wandelbaren Güter- und Postweg" von 24 bis 30 Fuß Breite zu machen. Aber die Arbeiten gingen nur langsam voran. Da trat ein Ereignis ein, das den Straßenbau beschleunigte: eine königliche Hochzeit. Die Tochter der Kaiserin Maria Theresia, Maria Antoinette, sollte französische Königin werden. Ihre Brautfahrt war eine lange, beschwerliche Reise von Wien durch Tirol, den Schwarzwald und über den Rhein nach Paris. Hinter dem Brautwagen folgten noch 51 schöngeschmückte Wagen. Am 4. Mai 1770 kam der lange Zug ins Höllental. An der Hirschsprungenge waren Felsen weggesprengt worden. Auch sonst hatte man die Straße ausgebessert. Der Verkehr auf der Höllentalstraße nahm in den folgenden Jahren rasch zu. Vom Breisgau her kamen Wein- und Getreidefuhren das Tal herauf. Der Schwarzwald schickte große Holzfuhrwerke ins „ Land" hinaus. Aber schwierig wurde es, wenn ihnen die gelbe Postkutsche mit den goldenen Buchstaben „Paris-Wien", ,,Diligence" genannt, begegnete. Im Sternenwirtshaus, dessen Wirtshausschild stolz die Aufschrift „A l'Etoile d'or" trug, machten die Fuhrleute gerne halt, und die Postkutscher wechselten ihre Pferde.
Vollständig ausgebaut war die Straße durch das Höllental aber erst am 22. November 1860, so daß wir mit Recht von einer „hundertjährigen Höllentalstraße" sprechen können. Der Ausbau kostete 140 000 Gulden. Viele Italiener waren damals beim Straßenbau eingesetzt worden.
Heute rasen die Autos über die Asphaltstraße. Vielleicht verlangsamen ihre Fahrer das Tempo beim Hischsprungfelsen und schauen kurz zu dem bronzenen Hirsch hinauf oder gönnen der alten Oswaldkapelle einen kurzen Blick.
Seit dem Jahre 1887 keucht auch ein Zug durch das enge Tal. Der badische Ingenieur Robert Gerwig, der schon vorher die Schwarzwaldbahn erbaut hatte, war auch mit dem Bau der Höllentalbahn beauftragt worden. Am 21. Mai 1887 fuhren die ersten Reisenden mit dem Zug talaufwärts. Robert Gerwig erlebte diesen Tag nicht mehr. Er war zwei Jahre vorher gestorben.
Der Bau der Höllentalbahn hatte acht Millionen Mark gekostet. Es mußten während des Baues viele Felsen gesprengt und teils 20 Meter hohe Mauern errichtet werden. Sieben Tunnels waren nötig. Der obere Hirschsprungtunnel ist mit seinen 69 Metern der kürzeste, der Finsterranktunnel mit 284 Metern der längste Tunnel. 41 größere und kleinere Brücken wurden gebaut. Die gewaltigste und längste unter ihnen, die Ravennabrücke, überspannt mit ihren auf hohen Pfeilern ruhenden Betonklötzen die wilde Ravennaschlucht. Zwischen Hinterzarten und Titisee liegt das Geleise in einem moorigen Hochtal.
Groß ist der Höhenunterschied für die kurze Strecke mit 27 Kilometern von Freiburg bis Hinterzarten. Der Freiburger Hauptbahnhof liegt 268 Meter über dem Meere, die Station Himmelreich 455 Meter, Hirschsprung 559 Meter und Hinterzarten, der höchste Punkt der Bahnstrecke, 893 Meter. Auf der sieben Kilometer langen Strecke von Hirschsprung bis Hinterzarten steigt die Bahn auf jedem Meter fünf bis sechs Zentimeter. Hier half in früheren Jahren eine zweite Lokomotive schieben. Die Zahnradbahn fährt seit 1936 nicht mehr. Heute überwindet eine elektrische Lokomotive mühelos alle Steigungen. Der Bau der Höllentalbahn hat sich gelohnt. Selbst heute, im Zeitalter des Autos, ist der ,, Höllentäler" voll besetzt. Er bringt die Wanderfreunde an den Ausgangsort ihrer Wanderungen in den Schwarzwald. Im Winter fährt er Hunderte und Tausende von Schifahrern auf die verschneiten Höhen. Ob mit dem Zug oder mit dem Auto, eine Fahrt durch das Tal der ,,Hölle" übt immer einen besonderen Zauber aus. Damit aber die Wanderer
nicht zu kurz kommen, ist für sie - abseits der Straße - der Jägerpfad angelegt worden, der dem wild strudelnden Wasser des Rot- oder Höllenbaches folgt.


Aus: Heimat am Oberrhein. Eine Sammlung heimat- und zeitgeschichtlichers Lesestücke von Hans Mecking und Josepf Weber. Mit vielen Zeichnungen von Alois Pesot. Verlag Herder Freiburg 1961