Die Höllentalstraße
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I. Die Straßenforschung gehört fast allgemein zu den vernachlässigten Themen der Landesgeschichte. Das hängt in erster Linie mit der Quellenlage zusammen. Vor dem 18. Jahrhundert finden sich spezielle Nachrichten über Herstellung und Reparatur von Straßen ganz selten, und auch dann meist im Zusammenhang mit anderen Materien wie Geleit, Zoll, Weggeld und ähnlichen Betreffen. Besondere Sachakten über das Straßenwesen sind bei den Territorien (und Städten) in der Regel erst mit dem Beginn eines planmäßigen Straßenbaus, also ebenfalls vom 18. Jahrhundert an, entstanden. Im Gegensatz dazu ist für den Südschwarzwald der Überlieferungsstand ausnehmend günstig, weil im Villinger und Freiburger Stadtarchiv Urkunden über den Bau der sogenannten Wagensteigstraße zwischen beiden Städten vom Jahre 1310 an Auskunft geben. Für keine Straße über den Schwarzwald sind vergleichbare direkte Zeugnisse aus so früher Zeit vorhanden. Christian Roder hat die Geschichte dieser Verbindung vorwiegend aufgrund der Villinger Quellen schon 1890 in für die damalige Zeit vorbildlicher Weise dargestellt 1. Die gute Kenntnis der Wagensteigstraße hat aber dazu geführt, daß ihre Bedeutung vielfach überschätzt und die der Höllentalstraße meist zu gering veranschlagt wurde. Die allgemeine Auffassung ging dahin, daß es sich bei der Verbindung durch das Höllental "nur um einen Fußgänger-, Reiter- oder höchstens für leichtere Fuhrwerke geeigneten Weg gehandelt haben" kann, der erst 1770 für die Brautfahrt Marie Antoinettes, der Dauphine, zu einer Fahrstraße ausgebaut wurde 2.
1 Ch.
Roder: die Verkehrswege zwischen Villingen und dem Breisgau, hauptsächlich
Freiburg, seit dem Mittelalter, in: ZGO 83,1890, S. 505 - 533 Es wird sich im Laufe unserer Untersuchung herausstellen, daß dies ein krasses Fehlurteil ist. Bei der Straßenforschung kommt es vielleicht mehr noch als bei anderen Zweigen der Forschung darauf an, nicht eine einzelne Verbindung isoliert zu betrachten, sondern sie in einem größeren Zusammenhang und im Vergleich mit den benachbarten Verkehrswegen zu sehen, um derartige Fehleinschätzungen zu vermeiden. Die Quellen über die Höllentalstraße sind keineswegs so spärlich, wie es nach den bisherigen Darstellungen den Anschein hat. Es ist hierfür vor allem das Sickingische Archiv, das im Generallandesarchiv Karlsruhe verwahrt wird, noch nicht genügend ausgewertet worden". Allerdings setzen direkte Nachrichten erst vom 14. Jahrhundert ein. Für die vorausgehende Zeit und insbesondere zur Bestimmung der Entstehungszeit der Höllentalstraße sind aber sichere Anhaltspunkte mit Hilfe verschiedener landesgeschichtlicher Untersuchungsmethoden zu gewinnen. Die Straße durch das Höllental ist wegen ihrer landschaftlichen Schönheit in der ganzen Welt bekannt und berührnt. Eisenbahn und moderner Straßenbau haben ihr den Schrecken genommen, den die Menschen früherer Zeiten empfanden, wenn sie diese Route zur Überquerung des Schwarzwaldes benutzten. Der Name Höllental reicht jedoch kaum über 200 Jahre zurür‑k. Er findet sich erstmals 1671 in einem Bericht des kaiserlichen Ingenieurs Elias Gumpp, der im Auftrag des Freiburger Kommandanten die Schwarzwaldpässe für Maßnahmen der habsburgischen Landesverteidigung zu inspizieren hatte4. Gemeint ist mit dieser Bezeichnung nur der kurze Abschnitt vom "Hirschsprung" an, wo die Felswände schluchtartig zusammenrücken. Vorher hieß die Straße jahrhundertelang Jalkensteiner Tal", Jalkensteiner Steig" oder Jalkensteiner Landstraße"5. Zindelstein und Warenburg. Stützpunkte der Zähringerherrschaft über Baar und Schwarzwald, in: Schauinsland, Jahrlauf 64, 1937, S. 121 L; H. Büttner: Die Entstehung der Höllentalstraße, in: Alemannische Heimat, Beilage zur Freiburger Tagespost, 6. Jg., 1939; K. Mader: Freiburg i. Breisgau. Ein Beitrag zur Stadtgeographie (wie Anm. 21), S. 19 ff.; W. Stülpnagel, in: Amtliche Kreisbeschreibung Freiburg i. Breisgau, Stadtkreis und Landkreis, 1, 1965, Kapitel: "Straßen und Verkehr", S. 370 ff.
3
Diese Auswertung wird dadurch erschwert, daß das Sickingische Archiv,
soweit es ins Generallandesarchiv gelangte, keinen geschlossenen Bestand
mehr bildet. Die Urkunden sind in die Abteilungen 21 (Vereinigte
Breisgauer Archive) und 44 (Lehens‑ und Adelsarchiv) eingereiht und
überwiegend nach Ortsbetreffen auseinander gerissen worden. Die Akten
befinden sich in der Sammelabteilung 229 unter den einzelnen Orten;
die für uns wichtigsten unter Falkensteig. Diese ursprüngliche, bis 1306 zurückzuverfolgende Bezeichnung weist auf ein Adelsgeschlecht hin, das für die Erschließung des schwierigsten Stückes dieser Verbindung über den Schwarzwald eine entscheidende Rolle spielte: auf die Herren von Falkenstein. Ihre Burg erhebt sich unmittelbar vor der engsten Stelle am Eintritt in das FelsentaL Schon der Augenschein lehrt, daß die Burg von Anfang an in Verbindung mit der Straße gestanden haben muß. Ihre Aufgabe kann an diesem Punkte keine andere gewesen sein, als die unter ihr vorbeiziehende Straße zu beschützen und zu beherrschen. Mt den Herren von Falkenstein muß sich daher befassen, wer zu der wichtigen Frage über das Alter dieser Straße eine sichere Aussage machen will. Das Geschlecht tritt mit zwei Namen erstmals in der Regierungszeit Herzog Bertholds III. von Zähringen zwischen 1111 und 1122 durch Schenkungen an das zähringische Hauskloster St. Peter in das Licht der Geschichte 6. Um 1150 wird ein Mtglied ausdrücklich als zur Ministerialität des Zähringerherzogs gehörend bezeichnet 7. Im Verlaufe des 12. Jahrhunderts werden in drei bis vier Generationen jeweils mehrere Angehörige der Familie ‑ wiederum vorwiegend bei Schenkungen an St. Peter ‑ greifbar 8.
1671: in der Falekenberger
(!) staig, so man erst durch die gToße Hölle hindurch muß
(J. L. Wohleb: Die Anfänge
des Erdwehrbaues auf dem Schwarzwald, in: ZGO 92,1940, S. 263); 1688:
in der enge, so die Höll genannt (J. L. Wohleb: Die Sicherung der
Heerstraßen des Südschwarzwaldes im 17. Jahrhundert, in: ZGO 95,
1943, S. 413); 1709: straße unter der Steig und Höll (GLA
229/27889); 1715: straß in der Falkensteig und Höll (ebenda). Von da
an verliert sich dle Bezeichnung Falkensteig und Falkensteiner Tal und der
Name Hölle setzt sich für den ganzen Abschnitt vom Hirschsprung bis nach
Hinterzarten durch. Die Burg Falkenstein am Eingang zur Höllentalschlucht muß demnach bereits um 1100 errichtet worden sein. Zu diesem frühen Zeitansatz führen aber nicht nur die urkundlich überlieferten Nachrichten über das erste Auftreten des Geschlechtes, er entspricht sowohl der allgemeinen Entwicklung wie auch vollkommen dem Bild, das der Rotulus Sanpetrinus über die Ministerialität im Umkreis der Zähringer für diese Periode vermittelt. In die gleiche Richtung weisen aber auch die Ergebnisse, welche die Betrachtung der Siedlungsgeschichte der Falkensteinischen Herrschaft liefert. Schon bisher nahm die Forschung an, daß die Falkensteiner vor der Erbauung ihrer Burg am Eingang zum Höllental ihren Sitz im Zartener Becken hatten. Die topographischen Karten verzeichnen in der Gemarkung Wittental auf einem kleinen aber einen weiten Blick gewährenden Hügel beim Wohnplatz Baldenweger Hof den Burgstall Falkenbühl. Das ganze Gelände um die Burg - die sich bezeichnenderweise unmittelbar an das Hofgut anschloß und wohl nur aus einem Wohnturm bestand - befand sich zusammen mit den beiden Höfen im Besitz der Herren von Falkensteing. Zu Falkenbühl "unter der Linde" wurde noch 1459 Gericht gehalten. Die Situation des Wohnturmes beim Meierhof paßt vorzüglich zu einem Adelssitz im Altsiedelland vor der Erbauung der Höhenburgen. Die bei ihnen sitzenden Adelsgeschlechter nannten sich noch nicht nach der Burg, sondern nach dem Ort, zu dem diese gehörte. Derartige Anlagen trugen im allgemeinen zunächst keinen eigenen Namen 10. Insofern ist es zweifelhaft, ob der Name Falkenbühl die ursprüngliche Bezeichnung des Burgsitzes ist und ob es sich nicht vielmehr um eine vom Namen Falkenstein abgeleitete sekundäre Form handelt 11. Schon von der Topographie her ist es jedoch völlig auszuschließen, daß der Falkenbühl je den Namen Falkenstein getragen habe und dieser von hier auf die Burg im Höllental übertragen worden wäre. Daß Hof und Burg Falkenbühl mit hoher Wahrscheinlichkeit der ältere Sitz der Falkensteiner waren, wird noch durch einen weiteren wichtigen Tatbestand erhärtet. Mit den Falkensteinern eng verwandt waren in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts die Herren von Weiler. Diese hatten ihren namengebenden Sitz - ebenfalls auf einer kleinen Erhöhung und im Anschluß an einen Wirtschaftshof - nur etwa einen Kilometer vom Falkenbühl entfernt, in Weiler auf Gemarkung Stegen. Die Falkensteiner Höfe zu Baldenweg grenzten nicht nur an das Hofgut Weiler unmittelbar an, die Herren von Falkenstein waren auch selbst zu Weiler bereits in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts begütert. Andererseits - und dies führt wieder unmittelbar zum Thema "Höllental" zurück - hatte Reginhard von Weiler mitten im Rodungsgebiet der Falkensteiner Besitz: er schenkte zwischen 1122 und 1152 eine Hufe zu Hinterzarten und die Hälfte des Sees am Feldberg an das Kloster St. Peter 12.
Die Familien Falkenstein
und von Weiler waren so eng miteinander verflochten, daß man den Eindruck
gewinnt, es handle sich um zwei Linien eines einzigen Geschlechts, das
sich etwa um 1100 erst getrennt hat 13. Zu dieser Auffassung trägt
besonders bei, daß die Herren von Weiler um 1125 - wie schon bemerkt
nicht nur in Hinterzarten begütert waren, sondern auch Anteil am Feldsee
hatten und die Falkensteiner genau in diesem Anteil ihre Besitznachfolger
waren. Die geschlossene, durch Rodung erworbene Herrschaft der
Falkensteiner "auf den Wald" reichte vom östlichen Rande des Zartener
Beckens bis zum Titisee, dessen südwestlicher Teil noch dazu gehörte, und
folgte von da dem Seebach entlang mitten durch den Feldsee hindurch bis
auf die Höhe des Feldbergs. Die Ostgrenze ihres Territoriums verlief über
Steig und Breitnau bis zum Turner und Hohlen Graben im Norden. Sie
umschloß somit die Gemarkungen, Hinterzarten, einen Teil der Gemarkung
Feldberg sowie die von Falkensteig, Breitnau und Steig 14. Eine mittelalterliche Fernverkehrsstraße war gerade im Waldgebiet auf bestimmte siedlungsgeschichtliche Voraussetzungen angewiesen. Man brauchte in bestimmten Abständen Vorspann‑ und Übernachtungsstationen, welche ihrerseits nicht ganz isoliert, nicht ohne jegliche eigene landwirtschaftliche Grundlage oder landwirtschaftliches Hinterland bestehen konnten". Man war auf Hilfe bei Unwetter, Unglück an Mensch und Gespann, Schaden am Gefährt, angewiesen. Man brauchte auch Leute in der Nähe, die die Straße reparierten. Das letztere war bei den besonderen Gegebenheiten der Höllentalstraße, wie gerade die späteren Verhältnisse veranschaulichen, ein Gesichtspunkt, der nicht unterschätzt werden darf. Der nüttelalterliche Verkehr mied daher größere unbesiedelte Strecken und nahm lieber schwierige Straßenverhältnisse in Kauf. Die Besiedlung des südlichen Hochschwarzwaldes war die wichtigste Bedingung für einen nennenswerten Verkehr, vor allem für den Handelsverkehr. Diese Aufgabe war um 1100 gelöst. Der Siedlungsvorstoß der Falkensteiner aus dem Breisgau traf zur gleichen Zeit am Titisee mit Erfassungsvorgängen zusammen, die vom Südosten und Osten her ausgingen. Bereits vor 1112 hatte das Kloster Allerheiligen zu Schaffhausen das predium Saig mit Kirche und dem halben Titisee als Zubehör von einem Adeligen geschenkt bekommen".
15 Vgl.
hierzu die grundlegenden Ausführungen von R. Nierhaus: Rönlische
Straßenverbindungen durch den Schwarzwald, in: Studien zur
südwestdeutschen Landeskunde, Festschrift F. Huttenlocher, 1963, S. 253
ff.; jetzt auch in Badische Fundberichte 23, 1967, S .124.
Nierhaus hat ein für alle Mal mit der Vorstellung von einer römischen
Straßenverbindung über den südlichen Schwarzwald aufgeräurnt und auch
zwingend die Annahme Th. Mayers (ZGO 1939, S. 500 ff., 513
Anin. 3) widerlegt, daß vom Zartener Becken aus eine
mittelalterliche Fernverkehrsstraße auf den Bergkamm südlich des
Höllentals über den Hinterwaldkopf ins Feldberginassiv und weiter nach
SchaffhausenZürich und ins Bodenseegebiet geführt habe, die als eine frühe
Verbindung zwischen dem St. Gallischen Kirchzarten und dem Kloster selbst
anzusehen sei. Auch Lenzkirch bestand spätestens in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts und ebenso Gündetwangen, der nächste Ort an der Straße nach Schaffhausen, dessen Kirche sich 1157 im Besitz des Klosters St. Blasien befand. Daran an schließt sich das Gebiet des sogenannten Bonndorfer Grabens: altbesiedelte Gäuplatten mit Höhen bis zu 900 m, die sich in den Hochschwarzwald vorschieben und den Übergang über das Gebirge wesentlich erleichtern17. Es ist daher keine Frage, daß die Orte Bonndorf und Wellendingen, obwohl sie urkundlich erst im 13. Jahrhundert genannt werden, nicht jünger sein können als die im Innern des Schwarzwaldes gelegenen vorgenannten Siedlungen Saig, Lenzkirch und Gündelwangen. Sie reichen sogar erheblich weiter, nämlich sicher bis ins 7. Jahrhundert zurück, da sowohl in Bonndorf wie in Wellendingen merowingerzeitliche Grabfunde zu verzeichnen sind"'. Über Titisee, Saig, Lenzkirch, Gündelwangen, Bonndorf, Wellendingen, von hier über den sogenannten Dünnsteig in auffallend gerader Richtung über die Alphöfe nach Stühlingen, Schleitheim verlief die alte ‑ als via regia ‑ bezeichnete Landstraße vom Breisgau durch das Höllental nach Schaffhausen und von da weiter nach Zürich oder zum Bodensee".
Beim Wirtshaus zum
Schwarzen Bären am Titisee zweigte von der Schaffhausener Straße die alte
Route über Neustadt ab, wo sie sich ihrerseits in die nach Villingen und
in die über Löffingen zur Baar und Donau führenden Verbindungen gabelte.
Die ursprüngliche Fahrstraße von Villingen in den Breisgau verlief
über Neustadt durch das Höllental (Villingen‑Fischerhof‑Bregenbach‑Eisenbach‑Neustadt)
20. Erst im Laufe des 14. Jahrhunderts wurde auf Initiative der Stadt Villingen die sogenannte Wagensteigstraße über das Urachtal, den Hohlen Graben und den Turner für den Wagenverkehr ausgebaut. Sicher war diese Strecke schon lange vorher für den Verkehr von Mensch und Reitern sowie für Saumpferde erschlossen. Ihr Ausbau zur Fahrstraße erfolgte aber erst nach 1310 im vollen Licht der schriftlichen Überlieferung, die im Villinger Stadtarchiv vollständig erhalten ist. In unserem Zusammenhang ist die Tatsache von erheblicher Bedeutung, daß vor 1310 ‑ und teilweise auch noch nachher ‑ der Wagenverkehr aus Richtung Villingen zum Breisgau über Neustadt und das Höllental gegangen ist. Damit ist die alte Streitfrage, welcher Straße ‑ der Wagensteigroute oder der Höllentalroute ‑ der zeitliche Vorrang zukomme, von der urkundlichen Überlieferung her eindeutig beantwortet. Von geographischer Sicht aus war Karl Mader schon 1926 in seiner von historischer Seite leider zu wenig beachteten Arbeit zur gleichen Auffassung gelangt. Er faßt seine Beweisführung folgendermaßen zusammen: "Die Höllentalstraße steht morphologisch nicht schlechter da als die Hohle Graben‑Straße (= Wagensteigstraße). Sie hat im Gegenteil noch den Vorzug der leichteren Auffindbarkeit. Dazu kommt der Vorteil, daß sie den kürzeren Weg durch das Waldgebiet darstellt. Es ist daher aus der Untersuchung der natürlichen Verhältnisse zu schließen, daß die Höllentalstraße die ältere Verkehrslinie ist 21
Hier ist allerdings
einzuflechten, daß es immer wieder vorkam, daß die Höllentalstraße in
ihrem unteren Abschnitt durch starke Unwetter zerstört und für den
Wagenverkehr unpassierbar gemacht wurde. In solchen Fällen wurde der
Verkehr von Hinterzarten aus über Breitnau zum Turner und durch das
Wagensteigtal in den Breisgau geführt. Aber nach jeder Reparatur wurde
diese "Umleitung" wieder untersagt und die Höllentalstraße in ihre alten
Rechte als ausschließliche Landstraße für den Güterverkehr von Neustadt
und Lenzkirch her in den Breisgau wieder eingesetzt 22. Seit wann die Strecke Villingen‑Neustadt‑Höllental vom Wagenverkehr benutzt wurde, dafür lassen sich keine siedlungsgeschichtlichen Anhaltspunkte gewinnen. Anders verhält es sich mit der Straße über Neustadt‑Löffingen‑Baar. Hier sprechen alle Indizien dafür, daß von den alten Großgemarkungen Bräunlingen und Löffingen aus die Erschließung um 1100 bereits bis Neustadt vorgedrungen war. 1123 ist Friedenweiler ‑ vier Kilometer östlich von Neustadt gelegen ‑ bereits als Dorf genannt, das damals schon eine Kirche mit eigenem Zehntbezirk besaß 23. Die Gründung von Neustadt selbst, die zwischen 1240 und 1250 anzusetzen ist, kann nicht im siedlungsleeren Raum erfolgt sein. Das wäre allenfalls bei einer ausschließlich dem Bergbau dienenden Stadtgründung denkbar. Sie hatte nach den Gegebenheiten des fürstenbergischen Territoriums an dieser Stelle die Aufgabe, einen wirtschaftlichen, administrativen und kirchlichen Mittelpunkt zu bilden. Der Platz war hierfür am Schnittpunkt der Villinger und der Baaremer Straße vorzüglich gewählt 24.
23 K. S.
Bader: Das Benediktinerinnenklostere Friedenweiler und die Erschließung
des südöstlichen Schwarzwaldes, in* ZGO gl, 1939, S. 39 ff. ‑
Hinsichtlich des Ortsnamens wie auch der Pfarrei und der gesamten
Frühgeschichte interpretieren wir die Urkunde von 1123 über
Friedenweiler folgendermaßen: Der Name ist keine monastische
Bezeichnung im Sinne des locus amoenus wie etwa bei den
Zisterzienserinnenklöstern Lichtental, Seligental, Schöntal, Gnadental,
Wonnental u. a. Eine solche rnit einem Weiler‑Namen gebildete Forin wäre
eine einzig dastehende Erscheinung. Es handelt sich vielmehr um einen
alten Weller‑Namen, der mit einem Personennamen als Bestimmungswort
gebildet ist. Zugrunde liegt diesem wohl der Personenname Fridaberth.
Ein solcher erscheint im Jahre 851 in dem Nachbarort Rötenbach
(St. Galler Urkunclenbuch 11, 35) und 838 in der
Muttersiedlung Löfflngen (ebenda 1, 35). Ein Ort
Fridabreteswilare ist 788 im Thurgau belegt, einen anderen Weilerort (Göschweiler)
gibt es in der Nachbarschaft von Friedenweiler, auf der gemeinsamen
Muttergemarkung Löffingen entstanden, ebenfalls schon im 9. Jahrhundert.
Die lautgeschichtliche Entwicklung von Fridabreteswilare zu Friden‑ vl
wilare braucht nicht weiter zu stören; es gibt bei Ortsnamen durchaus
entsprechende Fälle, etwa Tagebrechteswilare > Dabensweiler,
Degetsweiler (vgl. W. Göbel: Neustadt, S. 60). Friedenweller besaß
1123 schon eine Kirche mit eigenem Zehntrecht. Denn die Reichenau trat
1123 an St. Georgen ab: quicquid visus est habere in villa Fridenwilare
nuncupata et Leftngen eum terris, pratis, aecclesia, deeimis, aedifteiis,
paseuis, silvis, aquis aquarumque decursibus... Mit aecclesia
kann nur die Kirche in Friedenweiler bezeichnet sein, denn die Löfflnger
Kirche gehörte nicht der Reichenau, sondern dem Kloster St. Gallen. Die
Pertinenzformeln führen zwar regelmäßig alles andere Zubehör "formelhaft"
auf, niemals jedoch die Kirche, wenn diese nicht tatsächlich inbegriffen
Ist. Friedenweiler wurde außerdem als Villa = Dorf bezeichnet, denn
nuneupata bezieht sich auf die vorausgehende villa Fridenwilare.
Man könnte allenfalls zugestehen, daß es apö m~sou sowohl auf
Friedenweiler wie auf Löfflngen zu beziehen ist. Wahrscheinlich ist
Löfflngen in der Urkunde nur genannt, weil Friedenweiler als Ausbauort
damals noch zur Mark und als Filiale zur Pfarrei Löffingen gehörte und
damit Rechte von LÖfflngen (in Friedenweiler) tangiert vrurden, denn
Reichenauer Besitz wird in dem St. Gallischen Löfflngen später niemals
mehr erwähnt. Auch die Tatsache, daß Friedenweiler 1139 als praedium
bezeichnet wurde, kann nicht so interpretiert werden, daß damit 1123
lediglich ein Grundstück oder ein Tal, aber keine Siedlung Gegenstand des
Tauschgeschäfts gewesen war. Praedium bezeichnet im 11./12.
Jahrhundert ganz im Gegenteil sehr oft besonders große Komplexe, die nicht
nur eine, sondern mehrere ganze Siedlungen urnfassen.
Die Siedlungsgeschichte
sollte hier nur insoweit skizziert werden, als sie für das Thema Straße
und Verkehr notwendig ist. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß um 1100 klar
erkennbar etwa gleichzeitig am Titisee Siedlungsvorstöße äus verschiedenen
Richtungen zusammengetroffen sind: Die Besiedlung schuf jedoch nur die Voraussetzungen für den Verkehr; sie beweist nicht, daß um 1100 tatsächlich schon Pilger und Kaufleute, Ritter und Mönche durch das Höllental an die Donau, den Hochrhein und den Bodensee gezogen sind und ein Güteraustausch zwischen diesen Landschaften stattgefunden hat, wie dies vom 14. Jahrhundert an die Urkunden belegen. Doch auch hierfür gibt es sichere Anhaltspunkte. Da ist zunächst noch einmal auf den Standort der Burg Falkenstein selbst hinzuweisen. Wenn ihr eine Schutzfunktion für die falkensteinische Herrschaft auf dem Wald zukommen würde, dann müßte sie in deren Zentrum, in Breitnau oder Hinterzarten, stehen. So aber befindet sie sich vor der engsten Stelle der Höllentalstraße, der alten Falkensteiner Landstraße, die sie beherrschte und bewachte, wo nachweislich seit 1306 bis ins 19. Jahrhundert durch die Falkensteiner und ihre Rechtsnachfolger zugleich der Zoll erhoben wurde. Bezeichnend‑erweise existierte im Spätmittelalter direkt unterhalb der Burg nur ein Wirtshaus mit Herberge, Ställen, Mühle und Backofen, auch dies mit ein Zeichen für ihre ausschließliche Zuordnung zur Straße25. Außer durch die Funktionsbestimmung der Burg, die schon ausreir‑hen würde, um der Höllentalstraße für deren Erbauungszeit um 1100 eine Verkehrsbedeutung zuzumessen, wird diese aber auch noch durch andere, bisher nicht im Zusammenhang beachtete geschichtliche Zeugnisse überzeugend erhellt. Schon bisher wurde auf die frühe Entstehung der St. Oswaldkapelte (1148) im Höllental unmittelbar vor der schwersten Steigung hingewiesen 26. Deren Bedeutung wurde sogar in einer Hinsicht überschätzt, da man sie zu Unrecht als die Mutterkirche der falkensteinischen Herrschaft auf dem Wald ansah 27. Diese Annahme kann eindeutig widerlegt werden. Die dem hl. Johannes d. T. geweihte Kirche in Breitnau ist die ecclesia matrix der St. Oswaldkapelle im Höllental, der Kirche in Hinterzarten und auch ‑was bisher unbekannt war ‑ der Burgkapelle auf Falkenstein 28. Ober‑ und unterhalb der St. Oswaldkapelle befanden sich ursprünglich jeweils zwei oder drei Bauerngüter, die im Spätmittelalter bereits zu je einem großen Gut, dem späteren Posthaltergut und dem Sternenwirtsgut, zusammengelegt waren. Von hier an mußte Vorspann genommen werden, so daß anzunehmen ist, daß diese leistungsfähigen Güter von Anfang an diese Aufgabe versahen bzw. ihr sogar die Entstehung verdankten.
Bei St. Oswald befand sich
der Friedhof für die Bewohner des ganzen Höllentales, von Alpersbach und
von Hinterzarten. Es war dies gewiß darin begründet, daß die Toten
leichter in die für die meisten Höfe talwärts gelegene Filialkirche
gebracht werden konnten als zur hochgelegenen und weitentfernten
Mutterkirche in Breitnau. Man ist versucht zu glauben, daß die Gründung St. Oswalds im Jahre 1148 nicht nur mit der kirchlichen Versorgung der im Umkreis verstreuten Einzelhöfe zusammenhängt, sondern auch etwas mit dem Verkehr auf der Straße zu tun hat. St. Oswald galt als Schützer der Kreuzfahrer, als Schnitter‑ und Viehpatron 29. Das Kloster St. Gallen, dem die Kirche und der Dinghof zu Kirchzarten gehörten, besaß Oswald Reliquien. Die Errichtung der Kapelle an dieser Stelle kann daher verschiedene Motive haben. Sie kann von einem Teilnehmer des 2. Kreuzzuges, zu dem Bernhard von Clairvaux 1146 den Breisgauer Adel in Freiburg i. Br. aufrief, vielleicht zum Dank für glückliche Heimkehr gestiftet worden sein. Das Gründungsdatum 1148 läßt an einen solchen Zusammenhang denken. Andererseits begann unmittelbar hinter der Kapelle der jähe, ja halsbrecherische Aufstieg durch das Löffeltal und in umgekehrter Richtung der Eintritt in das eigentliche Höllental. Bei St. Oswald befand sich wie gesagt die Vorspannstation. St. Oswald als Patron des Viehes würde daher in doppelter Hinsicht passen: als Schutzheiliger der Zug‑, Reit‑ und Saumtiere wie auch für das Vieh der Bauern, die in der Nähe der Kapelle in Alpersbach und Hinterzarten siedelten und hier ihren Begräbnisplatz hatten. Die Errichtung der St. Oswaldkapelle an dieser Stelle im Höllental im Jahre 1148 ist somit bemerkenswert. Ohne das nur zufällig überlieferte Weihedatum würde schwerlich jemand an eine so frühe Datierung denken. Die Gründung steht wohl im Zusammenhang mit dem Verkehr auf der Straße durch die gefährliche Talschlucht, eine zwingende Aussage ist in dieser Hinsicht jedoch nicht möglich. Glücklicherweise gibt ein anderes Patrozinium eindeutige Hinweise: das des hl. Nikolaus, des Patrons der Schiffer und der reisenden Kaufleute 30. Es erscheint in ganz auffallender Weise sowohl an mehreren Stellen der Höllentalstraße und deren Fortsetzung nach Schaffhausen wie auch im Verlauf der alten Verbindung vom Breisgau über den Schwarzwald nach Villingen.
29 M.
Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, 7, Sp. 1296. Die älteste urkundliche Erwähnung steht im Zusammenhang mit der Gründung des Klosters St. Märgen, von dem es 1121 heißt, daß es in einem Tal bei einer St. Nikolauskapelle gelegen sei 31. Die Kapelle kann an dieser Stelle nicht der Seelsorge ihre Entstehung verdanken, sondern sie muß eindeutig mit der Straße von Villingen über Urach Kalte Herberge‑Turner‑St.Märgen in Verbindung stehen. Die Nikolauskapelle befand sich an der Wegscheide, wo die Straße sich einerseits nach St. Peter und weiter ins Glottertal und andererseits ins Wagensteigtal hinab verzweigte. Sie wird von Karl Mader als "die idealste Straßenführung über den Schwarzwald beschrieben, da sie über die Scheidelinie der nördlich und südlich gerichteten Täler zieht" und somit keinen Paß, sondern eine Schwelle überquert 32. An dieser Straße gibt es noch zwei dem hl. Nikolaus geweihte Gotteshäuser. Das erste, eine Nikolauskapelle, steht im Wagensteigtal selbst, bezeichnenderweise an der Stelle, wo 1125 der Hof ze Waginstat genannt wird, der heutige Metzgerbauernhof, von wo aus Vorspann genommen werden mußte 33. Die nächste Nikolauskirche besitzt Waldau, zwischen Hohlem Graben und Kalter Herberge gelegen. Zwar wird die St. Nikolauskapelle in Waldau, das damals noch Filiale von Neukirch war, erst 1411 34 urkundlich erwähnt, jedoch ist mit einem weit höheren Alter dieser Kapelle zu rechnen. Doch kommen wir zurück zur Höllentalstraße selbst. Das erste Nikolauspatrozinium befand sich hier bei der aus einigen wenigen Höfen bestehenden Gemeinde Falkensteig unterhalb der Burg Falkenstein. Im Hinblick auf die nächste Kirche an dieser Straße, die 1148 errichtete St. Oswaldkapelle, könnte die Nikolauskapelle bei der Zollstation unterhalb der Burg kurz vor dem Eintritt ins Höllental durchaus ins 12. Jahrhundert zurückreir‑hen. Jünger ist dagegen wohl die Nikolauskapelle auf der Burg Falkenstein selbst 35. Ebenso ist die Kapelle in Hinterzarten, bei der Nikolaus nur Mitpatron ist, erst im Spätmittelalter erbaut. Jedoch muß bei ihr mit einem Vorgängerbau gerechnet werden 36.
31 W.
Müller: Die Klöster St. Märgen und Allerheiligen, Freiburg i. Br., in:
Freiburger Diözesanarchiv 89, 1969, S. 11 f. Die Stelle lautet in der
Urkunde von 1121 (Schöpflin: Historia Zaringo‑Badensis V, 61): eum
quidam terminos per convalles circa capellam s. Nicolai extendere
vellent. In der päpstlichen Bestätigung von 1136 (ZGO 31, 1879, S.
297): eum quidam ... circa capellas (!) s. Nicolai extendere vellent. ‑
Im Kloster St. Märgen wurde 1316 eine Nikolauskapelle eingeweiht (A.
Krieger: Topographisches Wörterbuch 1, Sp. 764). ‑ In Berau (Kr. Waldshut)
wurde 1117 die Klosterkirche dem hl. Nikolaus geweiht (wie Anm. 50, S.
76). Eine ähnliche Lage an einer wichtigen Straßengabel wie die 1121 erwähnte Nikolauskapelle bei St. Märgen weist die diesem Heiligen geweihte Kapelle beim Wirtshaus zum Schwarzen Bären vor Titisee auf. Sie dient heute noch als Friedhofskirche 37. Unmittelbar vorher zweigte von der Route nach Neustadt die Straße nach Lenzkirch‑Bonndorf-Schaffhausen ab. Am aussagekräftigsten ist für unsere Fragestellung jedoch die Nikolauskirche von Lenzkirch. Schon der Name hebt die kirchliche Bedeutung des Ortes hervor. Er hat um 1100 schon existiert, denn in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts tritt ein nach ihm sich benennender zähringischer Ministeriale de Lendischilicha auf". Es besteht kein Grund, hier einen Patrozinienwechsel anzunehmen, vielmehr spricht jede Logik dafür, daß die Kirche, die dem Siedlungsverband den Namen gab, gleich bei ihrer Entstehung an der Straße von Breisgau an den Hochrhein das Nikolauspatrozinium im Hinblick auf die an ihr vorbeiziehenden Kaufleute und Pilger erhielt, für die nun die schwierigste Etappe der Schwarzwaldüberquerung begann. Von Wellendingen bei Bonndorf verlief die Schaffhauser Straße über den sogenannnten Dünnsteig in auffallend gerader Richtung über die Alp auf Stühlingen zu". Dieser Weg weist auf eine künstlich geschaffene Anlage hin. Es gibt Anzeichen, daß er erst durch die Herren von Lupfen als Inhaber der Landvogtei (1256) und späteren Landgrafschaft Stühlingen (ab 1296) im Spätmittelalter angelegt wurde. 1424 verhandelte der Rat von Schaffhausen mit den Herren von Lupfen "von wegen des lantfridens und der strass über den wald zu machen1140. UM 1300 reichte die Herrschaft der Herren von Lupfen, Landgrafen zu Stühlingen, noch einmal bis zum Titisee. Die ursprüngliche Landstraße nach Schaffhausen und dem Bodensee scheint wie üblich über die alten Siedlungen und zwar von Bonndorf über Münchingen, Lausheim, Schleitheim Schaffhausen einerseits und andererseits in etwas nördlicher Richtung über Fützen, Randen, Tengen, Blumenfeld, Radolfzell zum Bodenseegebiet verlaufen zu sein. Auf dieser Route finden sich noch Nikolauspatrozinien zu Lausheim (und dessen Filiale Blumegg) sowie in Tengen 41.
37 M. Weber: BevöIkerungsgeschldite im Hochschwarzwald.
Quellen und Forschungen aus dem Raum von Lenzkirch, 1953, S. 36
(Abbildung). Es gibt in Südwestdeutschland keine andere Straße, die eine solche Reihung von Nikolauskirchen und ‑kapellen aufzuweisen hat. Es kommt darin ebenso sehr der Grad der Schwierigkeit dieser Verbindung über den Schwarzwald zum Ausdruck wie ihre Bedeutung für den Verkehr der Kaufleute und Pilger. Wenn auch nicht alle der dem hl. Nikolaus an dieser Straße geweihten Gotteshäuser gleichzeitig entstanden sind, so gehen doch einige von ihnen mit Bestimmtheit in die Zeit um 1100 zurück. Mehrere Forschungszweige ‑ Burgenbau, Siedlungsgeschichte und Patrozinienkunde ‑ führen somit von verschiedenen Ansätzen her zu einem gleichlautenden Ergebnis: Um 1100 war das Höllental als Verbindung vom Breisgau zum Hochrhein und zum Bodensee erschlossen und wurde für den Fernverkehr in nicht unbeträchtlichem Maße benutzt. Um die gleiche Zeit waren aber auch für die Route über das spätere Neustadt und Löffingen zur Baar und Donau hin sowie wahrscheinlich auch für die Strecke Neustadt‑Villingen die siedlungsgeschichtlichen Vorbedingungen für einen Wagenverkehr geschaffen. Die deutlicheren Daten der Siedlungsgeschichte, die auffallende Häufung der Nikolauspatrozinien wie auch die Tatsache, daß nur für die Straße Höllental-Lenzkirch‑Schaffhausen die Bezeichnung via regia überliefert ist, scheinen auf die größere Bedeutung und das höhere Alter dieser Verbindung hinzuweisen.
Um 1100 waren aber auch
andere entscheidende Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Austausch
über den Schwarzwald hinweg, ja sogar für eine Einbeziehung der Straßen
über den Schwarzwald in den Fernverkehr geschaffen. Vielfach wird die
Meinung vertreten, daß die etwa gleichzeitige Stadtgründung von Freiburg
und Villingen durch Herzog Konrad von Zähringen um 1120 zuletzt wegen des
Verkehrs vom Breisgau zur Baar erfolgt sei. Das ist in dieser Form sicher
nicht zutreffend. Der Austausch setzt eine wirtschaftliche Spannung oder
ein Gefälle voraus. Eine solche Spannung hat für die Zeit um 1120 zwischen
beiden Städten und Landschaften noch nicht bestanden, sie hat sich
vielmehr durch die Gründung der beiden Städte erst allmählich ‑ frühestens
bis zum Ende des 12. Jahrhunderts ‑ entwickelt. Ein Wirtschaftsgefälle
bestand aber schon um 1100 zwischen dem Breisgau und dem Bodenseegebiet.
Die wirtschaftsgeschichtlichen Forschungen der letzten Jahrzehnte haben
mit aller Deutlichkeit gezeigt, daß man im Umkreis des Bodensees "die
Formung entwickelter Wirtschaft weit ins 12. Jahrhundert und vielleicht
noch weiter zurück" (H. Arninann) datieren muß 42. Es ist hier an erster
Stelle Konstanz zu nennen, dessen überragende wirtschaftliche Bedeutung
sich in einem bis ins 10. Jahrhundert zurückreichenden Fernhandel kund tut
43. Aber auch Schaffhausen verdient Beachtung, das um 1100 eine ansehnliche Marktsiedlung war und bereits vor 1120 eine Befestigung besaß 44. Ähnliches gilt für Zürich, das Otto von Freising für die Zeit um 1100 als nobilissimum Sueviae oppidum bezeichnet und wohl als die älteste planmäßige Stadtanlage der Zähringer anzusprer‑hen ist 45. St. Gallen wird 1121 ebenfalls schon als civitas bezeichnet 46. In Radolfzell gründete die Abtei Reichenau im Jahre 1100 eine vom alten Dorf rechtlich und räumlich geschiedene Marktsiedlung, in der sich Kaufleute und Handwerker nach dem ius fori niederlassen sollten 47. Parallel zur wirtschaftlichen reicht also auch die städtische Entwicklung im Bodenseegebiet in ihren entscheidenden Ansätzen bis in die Zeit um 1100 zurück. Wir haben oben festgestellt, daß gewichtige Indizien für die Priorität der Route Höllental‑Lenzkirch‑Bonndorf nach Schaffhausen(‑Zürich) und zum Bodenseegebiet sprechen. In die gleiche Richtung weisen aber auch die wirtschaftlichen Zielpunkte vom Breisgau aus, so daß die bisherige Argumentation dadurch eine weitere wesentliche Stütze erhält. Die Erschließung des Schwarzwaldes für den Verkehr läßt sich schließlich nicht ohne einen kurzen Blick auf die politischen Kräfte beurteilen. Wir haben schon gesehen, daß die Herren von Falkenstein, die um 1100 durch das Höllental bis zum Titisee vorgedrungen waren, als Ministeriale der Herzöge von Zähringen sicher belegt sind. 1123 erwarben die Zähringer die Vogtei über den Ort Friedenweiler und damit über das kurz danach an dieser Stelle errichtete, von St. Georgen abhängige Benediktinerinnenkloster 48. Zu Anfang des 12. Jahrhunderts begegnet ein Adeliger von Lenzkirch im Gefolge der Zähringer. Die Herrschaft Saig, zu welcher der halbe Titisee und das Gebiet vom Südosten bis zum Feldberg hinauf gehörte, wurde kurz nach 1100 von einem Adligen, der dieses Gebiet erschlossen und die Kirche errichtet hatte, aber offensichtlich nicht zu der zähringischen Ministerialenschaft gehörte, an das Kloster Schaffhausen geschenkt 49. Erst mit der Vogtei über Schaffhausen, die König Philipp von Schwaben 1197/98 dem letzten Zähringerherzog überließ, erwarb dieser die Herrschaft über Saig. Auch die Errichtung der Burg Urach bei Lenzkirch scheint erst in diese Spätphase der Zähringerherrschaft zu fallen.
44 K. Schib
(wie Anm. 40), S. 48 ff. Weitere Stützpunkte an dieser Straße besaßen die Zähringer aber aufgrund der Vogtei über St. Blasien, die sie unmittelbar nach 1125 erwerben konnten. Ganz entscheidend ist jedoch die Tatsache, daß die Zähringer um die Mitte des 11. Jahrhunderts und dann wiederum von etwa 1110 an die Grafschaft Alpgau, der altbesiedelten Landschaft an der Südostabdachung des Schwarzwaldes, d. h. etwa im Gebiet zwischen Alb und Wutach, innehatten. Schon kurz vor 1100 läßt sich eine führende Stellung der Zähringer gegenüber dem Adel dieser Landschaft konstatieren 50. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Zähringer seit 1090/92 die Herrschaft über Zürich besaßen, dort alsbald danach ‑ nach Büttner zwischen 1090/92 und 1098 ‑ die planmäßige Marktsiedlung rechts der Limmat abwärts vom Großmünster anlegten und befestigten". Zürich war der politisch, wirtschaftlich und militärisch bedeutsamste Stützpunkt, den die Zähringer wohl um diese Zeit überhaupt besaßen. Im Frühjahr 1120 versuchte Herzog Konrad von Zähringen, Kloster und Markt Schaffhausen gewaltsam unter seine Herrschaft zu bringen. Es liegt in der Natur der Sache, daß er ein ganz vitales Interesse daran haben mußte, eine Verbindung zwischen seinen Herrschaftszentren im Breisgau und im Alpgau und weiter zum Hochrhein und zu seinem Stützpunkt Zürich zu schaffe1152. Der Versuch, das Kloster Schaffhausen, dessen Besitz sich im Nordwesten bis zum Schluchsee, Feldberg und Titisee und im Süden in den Thur‑ und Zürichgau hinein erstreckte, seiner Herrschaft 1120 einzugliedern, zeigt deutlich die Richtung der zähringischen Interessen 51. Man kann somit feststellen, daß die wichtigsten Abschnitte der durch das Höllental führenden Straße samt ihren einzelnen Fortsetzungen sich im 12. Jahrhundert in der Hand der Zähringer bzw. ihrer Ministerialen befanden. Die Verfügungsgewalt der Zähringer über diese Straße beruhte aber letztlich nicht auf diesen Stützpunkten, so wichtig und wertvoll sie im einzelnen auch gewesen sind.
50 H. Maurer: Das Land zwischen Schwarzwald und Randen im
frühen und hohen Mittelalter ‑ Königtum, Adel und Klöster als politisch
wirksame Kräfte, Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte Bd.
16,1965, S. 110 f. Das Geleitsecht war im 12. Jahrhundert noch eindeutig Königsrecht. Nur der König und in seinem Auftrag die Herzöge hatten es auszuüben, nicht etwa Dynasten im Range von Grafen oder noch kleinere Edelfreie. Die Herrschaft der Zähringer beruhte in einem bestimmten Bereich des Südwestens auf einer herzoglichen oder einer quasiherzoglichen Gewalt. Auf andere Weise lassen sich verschiedene verfassungsrechtliche Erscheinungen der Zähringerherrschaft, so etwa das Verhältnis zahlreicher Dynasten und Edelfreien zu ihnen, nicht erklären 54. 54 Vgl. hierzu auch H. Maurer. Das Land zwischen Schwarzwald und Randen (wie Anm. 50), S. 170 f. Die Herrschaft über diese Straße blieb den Allodialerben der Zähringer, den Freiburg‑Urachern, auch nach dem Aussterben der Stammlinie im Jahre 1218 erhalten, obwohl Kaiser Friedrich II. ihnen die Vogtei über die Klöster Schaffhausen und St. Blasien entzog. II. Nachdem wir auf verschiedenen Wegen den zeitlichen Rahrnen abgesteckt haben, innerhalb dessen die Erschließung der Straße durch das Höllental und ihrer Fortsetzungen über den Schwarzwald zu datieren ist, kommen wir nun zu den urkundlichen Nachrichten, die auf die Benutzung dieser Straße hinweisen. Sie setzen allerdings erst in der Zeit um 1300 ein. Im Jahre 1301 drückte Graf Egon von Freiburg in einem Schreiben an die Stadt Konstanz sein Bedauern darüber aus, daß in seinem Geleit und auf seiner Straße Bürger von Konstanz oder andere Leute Schaden erlitten haben. Er versicherte, alles daran zu setzen, um Abhilfe zu schaffen. Falls ihm dies nicht gelänge, werde er sich an den König und alle seine Freunde wenden, daß sie ihm dazu verhelfen. Andererseits beklagte er sich darüber, daß Konstanzer Bürger wegen vor vielen Jahren bereits "gerichteter Sachen" ihn vor dem geistlichen Gericht ‑ dem Offizial des Bistums Konstanz ‑ belangtenr15. Da wenige Monate später Graf Egon und der Ritter Johann Schnewelin einen "Krieg" zwischen den Kaufleuten von Konstanz und Freiburg durch eine schiedsgerichtliche Entscheidung beilegten, dürfte es sich um Kaufleute von Freiburg gehandelt haben, welche die Konstanzer auf den Straßen des Grafen behelligt hatte 56. 56 F. J. Mone, ZGO 4 (1853), S. 55. 56 Ebenda, S. 56. Daß dies auf der Strecke von Konstanz nach Freiburg geschehen ist, geht aus einer unmittelbar danach ausgestellten Urkunde hervor, worin Graf Egon von Freiburg und sein Vetter Heinrich von Fürstenberg den Konstanzern und den drei mit ihnen verbündeten Städten ‑ St. Gallen, Zürich, Schaffhausen ‑ einen Geleitsbrief zusagten, der ihnen auf der Straße jegliche Sicherheit bieten sollte 57. Durch die Einbeziehung des Fürstenbergers kann es sich nur um die Straße vom Bodensee über Neustadt und das Höllental oder über Schaffhausen‑Lenzkirch und das Höllental gehandelt haben. Eindeutig festgelegt ist die Route Neustadt‑Höllental dagegen in einer Urkunde von 1306, als acht Mitglieder der Familie von Falkenstein dem Kloster Friedenweiler bei Neustadt Zollfreiheit zu Falkensteig für den Transport aller Güter gewährten, welche die Nonnen für ihren Eigenbedarf benötigten 58. Es ist dies die erste Erwähnung des Zolles bei der Burg Falkenstein. Die Herren von Falkenstein trugen den Zoll, das Gericht und ihr Recht auf der Straße vom steinernen Brücklein zu Ebnet bis an das fürstenbergische Territorium beim Titisee von den Grafen von Freiburg und danach von den Herzögen von Österreich als Rechtsnachfolger der ersteren zu Lehen 59. Dies zeigt noch einmal deutlich den ursprünglichen Zusammenhang der Erschließung dieser Straße mit den Herzögen von Zähringen. Geleit wurde auf dieser Straße im allgemeinen weder von den Falkensteinern noch von den Fürstenbergern ausgeübt. Der Herr der Straße trug jedoch ‑ wie das oben angeführte Beispiel des Grafen Egon von Freiburg und der Kaufleute von Konstanz demonstriert ‑ die Verantwortung, wenn Kaufleute durch Gewaltanwendung von seiten Dritter Schaden erlitten.
Ebenfalls im Jahre 1306
erließ Graf Heinrich von Fürstenberg dem Kloster Amtenhausen den Zoll und
alle Abgaben zu Neustadt, wenn es mit Wagen, Karren, mit Vieh oder zu Fuß
die Straße von und nach Neustadt benutzte 60. Diese Vergünstigung hatte
nur einen Sinn für den Verkehr des Klosters mit dem Breisgau und seinen
dortigen Besitzungen, wobei das Kloster den fürstenbergischen Zoll zu
Neustadt passieren mußte. Wichtig ist, daß hier bereits von einem Verkehr
mit Wagen die Rede ist, die schwierige Steige hinter Neustadt war also
bereits für den schweren Verkehr befahrbar. Die Passage von Vieh kann in
doppelter Weise interpretiert werden: einmal der Durchtrieb zum Verkauf,
zum andern als Saumtiere mit Kaufmannsgut. Die Benutzung der Straße zu Fuß
bezieht sich dagegen eindeutig auf zollbare Waren, die als Traglasten von
Menschen befördert wurden. |
Schäfer, Alfons.
Die Höllentalstraße.
Ihre Erschließung und ihre Bedeutung für den Handelsverkehr vom Mittelalter bis
ins 19. Jahrhundert,
in: Erich Hassinger u.a. (Hrg.).
Geschichte. Wirtschaft. Gesellschaft.
Festschrift für Clemens Bauer zum 75.
Geburtstag. Berlin
1974.