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aus: Das Narrenfest der Höllenzunft
Vom Karneval zur Vereinsfasnet in Kirchzarten 1935 bis 1985 mit einem historischen Rückblick
von Jürgen Küster

Kulturgeschichtliche Forschungen, Band VI
Herausgegeben von Dietz-Rüdiger Moser
Verlag Ute Kierdorf, Remscheid

Von Fastnachts-Königreichen, Karneval und Fasnet in Kirchzarten
Die Kirchzartener Fastnachtskönigreiche 1558-1596

Schon vor mehr als 426 Jahren wurde in Kirchzarten die Fastnacht gefeiert. Der Beleg dafür findet sich in einem Urkundenbuch des Freiburger Stadtrates, dem am 10.Dezember 1558 die Meldung des Talpflegers zuging, wonach die Bürger Kirchzartens "altem Geprauch und Gewohnheit nach einen König erwöhlt" und gebeten hatten, "inen zu vergönnen, das Königreich zu halten". Das wurde ihnen erlaubt, doch sollten sie sich "darinnen gepurlich halten". (1)

Dieser Eintrag kann sich nur auf die folgende Fastnacht bezogen haben, da vor dem 6. Januar und damit vor dem Ende des Weihnachtsfestkreises keine Gelegenheit zur Veranstaltung eines derartigen Brauches gegeben war. (2) Möglicherweise bestand dieser Brauch bis zum Beginn des 30jährigen Krieges. (3)
Jedenfalls gibt es in den Ordnungen der Talvogtei, die 1596 schriftlich niedergelegt wurden, auch eine entsprechende Notiz "Freyschießen oder Königreich" betreffend.(4)
 

Unter der Überschrift "Gottslästerung" taucht als Nr. 17 der Eintrag auf: "Welcher ohn bewilligung der Oberkheit Künigreich od freyschiessen anstellet", habe eine Mark in Silber als Strafe zu entrichten. Der Beleg ist deshalb interessant, weil er zeigt, daß "Königreiche" noch Ende des 16. Jahrhunderts in Kirchzarten errichtet wurden, und er damit für eine gewisse Dauer und Bedeutung der Spiele bürgt. Außerdem bezeugt die Notiz, daß ein Brauch, der gemeinhin als gotteslästerlich zu gelten hatte, durchaus auch einmal von der Obrigkeit genehmigt werden konnte. Dies war sicher nur unter ganz besonderen Umständen möglich. Der Zeitraum, der für die Abhaltung normwidriger, "verkehrter" und damit auch betont weltlicher Spiele in Frage kam, war einzig und allein die Fastnacht, die, wie später gezeigt werden wird, als christliches Fest gewissermaßen "unchristliche" Themen zum Inhalt hatte. Nach 1648 scheinen die Königreiche in Kirchzarten aber nicht wieder eingerichtet worden zu sein. Dieser Kirchzartener Brauch stand wahrscheinlich in unmittelbarem Zusammenhang mit den vielfach belegten Königreichen in Freiburg, wo 1539 vom Rat alle "vaßnachten, königreich, eschermittwochen und butzengen oder brunnentragen" der Zünfte verboten wurden.(5)

Aus dieser Zeit wird allerdings auch mehrfach berichtet, daß die Studenten in der Fastnacht Königreiche errichteten und Weinkönige wählten. An einzelne Bürger wurden später sogar Gelder zur Abhaltung von Königreichen gezahlt. In den Freiburger Pflegschaftsakten gibt es dafür mehrere Hinweise. So heißt es dort 1557: "Item geben Paulin zum königreich nach laut seins herrn handgeschrifft... 5ß 10d" (6)

1578 erhielt der Student Hans Ulrich Fischer 1 fl. 10 d. - "Item den 26. januarii (1578) ime geben, hielt er darmit ein körtigreich"- und im Jahr darauf" 10 Iz, tuet 8ß4d" "Item den 20. februarii (1579), als er zue einem königreich beruefen gewesen" (7)

Auch für 1598 und 1609 sind derartige Vorgänge überliefert.
(8)

Ob neben dem Kirchzartener "Königreich" im 16. Jahrhundert tatsächlich noch ein zweiter Brauch, das sogenannte "in prunnen tragen" oder "in prunnen werfen" am Fastnachtsdienstag eine Rolle spielte, ist aus den zugänglichen Quellen nicht ersichtlich.(9)

Die Fastnacht behielt zunächst nur ihre Bedeulung als Geschäftstermin. Regelungen weltlicher Angelegenheiten wie Abgaben-, Zinszahlungen, Gesindewechsel und Hochzeiten sollten die Fastenzeit nicht entweihen und wurden daher kurz vor Ascherrnittwoch getroffen. Dazu gehörte auch die Abgabe von Fastnachtshühnem, die für Kirchzarten und Zarten unter der Regierung des Talvogts regelmäßig belegt ist. (10)
 

Dieser Naturalzins war früher überall bekannt und deshalb sinnvoll, weil ja die Fastenzeit auch den Genuß von Eiern nicht zuließ. Die Dezimierung des Hühnerbestandes trug so auf natürlichem Weg zum Abbau der Eierproduktion bei. Aus dem 18. Jahrhundert, als viele überlieferte Bräuche in folge der aufklärerischen Bestrebungen der Landesherren zum Erliegen gebracht wurden, sind keine Quellen über Fastnachtsbräuche in Kirchzarten bekannt.
(11)

1. zitiert nach F. Hefele, Alte Sitten und Gebräuche in Freiburg und im Breisgau. S. 135.
2.
Am 6. Januar beginnt offiziell die Vorbereitung auf die Amtszeit der Narren, die vielerorts mit der Wahl eines Bohnen-oder Narrenkönigs am Epiphaniastag eröffnet wurde. Vgl. K. Mend und V. Mertens, Der Hofnarr des Bohnenkönigs.)
3.
Lt. Bericht der Breisgauer Nachrichten vom 16.2.1950. Dem Autor des Artikels, Schulrektor Alfred Herbst, standen noch (inzwischen vernichtete) Aufzeichnungen aus dem Nachlaß Kriegk zur Verfügung. Frdl. Hinweis von H. O. Muthmann vom 12.7.1984.
4.
Ordnungen der Talvogtei der Stadt Freiburg. BI. 23.
5.
W. Herterich, Freiburger Fasnet - einst und jetzt -, S. 11.
6.
Stadtarchiv Freiburg, Kollektaneen Dr. Hefele, Rubrik "Kulturgeschichte".
7.
Stadtarchiv Freiburg, Kollektaneen Dr. Hefele, Rubrik "Kulturgeschichte".
8.
Stadtarchiv Freiburg, Kollektaneen Dr. Hefele, Rubrik "Kulturgeschichte".
9.
wird aber im Bericht der Breisgauer Nachrichten vom 16.2.1950 erwähnt, vgl. Anm. 3.
10.
G. Haselier (Hg.), Kirchzarten, S. 259f. "Faßnacht Hiener" werden auch in den Ordnungen der Talvogtei (wie Anm. 4), BI. 26, erwähnt.
11.
Vielleicht existieren in den Akten der ehemals vorderösterreichischen Regierungsbehörden in Ensisheirn, Freiburg, Konstanz oder Innsbruck Eintragungen und Verbote bezüglich öffentlicher Fastnachtsveranstaltungen, aber die Akten sind über viele Archive verstreut und einzelne Nachweise sind ohne entsprechende Register kaum zu erschließen. Die Korrespondenz mit den Staats- und Hauptstaatsarchiven in München, Neuburg a. Donau und Stuttgart, dem Generallandesarchiv in Karlsruhe, dem Tiroler Landesarchiv und dem Stadtarchiv Innsbruck fügt der Verfasser den Zunftakten bei.

Doch der Kaplan von Kirchzarten nahm 1797 an einem Fastnachtsgastmahl teil, das der Abt von St.Peter, Ignaz Speckle, im dortigen Konvent alljährlich ausrichtete. In seinem Tagebuch findet sich am 27. Februar 1797 folgender Eintrag: "Fastnacht im Konvent. Eine mäßige Tafel und Ehrenwein. Die Vögte, der Baumeister und die Schulmeister wurden eingeladen. Fremde Gäste kamen: P(ater) Gregor von Waldau, P Franz von Eschbach und Herr Kaplan von Kirchzarten, P Thaddä von Freiburg mit einem kk Hauptmann von EHg Ferdinand. Man gab Würste, Rindfleisch, Gemüse mit Fleisch, eingemachtes Fleisch, Pastete, einen Hasen, Braten mit Kompott, Salat und Torte, Küchle und Äpfel". (12)

Der Sinn derartiger Einladungen kann wohl nur darin bestanden haben, die Fleischkost vor Anbruch der Fastenzeit feierlich, nämlich mit einem gemeinsamen Mahl, zu verabschieden. Rückwirkungen des Besuches auf Kirchzartener Bräuche konnten jedoch nicht festgestellt werden.

Die Überlieferung zur Kirchzartener Fastnacht ist bis 1854 im Vergleich zu vielen anderen Narrenorten spärlich. Dennoch gibt sie Gelegenheit zu einigen grundsätzlichen Überlegungen. Die Belege aus den Jahren 1558 und 1596 gewinnen nämlich im Zusammenhang vergleichbarer Quellen an Bedeutung und lassen die Anknüpfung einer Reihe von Aussagen über den Sinn der Fastnacht zu. Karnevalskönigreiche errichteten bereits Ende des 13. Jahrhunderts die Bürger von Lilie (Flandern). Um die Mitte des 15. Jahrhunderts war der Brauch in französischen und niederländischen, aber auch in deutschen Städten bekannt und ist oft über Jahrzehnte hinweg gepflegt worden. (13)

Dabei handelt es sich aber im wesentlichen nicht um Königreiche, in deren Mittelpunkt eine lustige Figur stand, sondern um die Demonstration der Herrschaft eines Nebukadnezar' (14), Jonker Mors (15), Fürst Bacchus (16) oder Lord of Misrule (17), d.h. aus christlicher Sicht: um Reiche des Bösen, des Todes, der Heiden und der Ungesetzlichkeit. Derartige zeitliche Reiche hatten aber im Zentrum des katholischen Glaubens ihren festen und begründeten Platz. Am Collegium Gerrnanicum in Rom, wo die Jesuiten den geistlichen Nachwuchs für die Rekatholisierung der deutschen Länder heranbildeten, fand nach einem Bericht in den Annalen des Römischen Seminars in den Jahren 1559 bis 1573 -also in der Zeit, als man auch in Kirchzarten Fastnachtsreiche errichtete-die Wahl eines Karnevalskönigs statt, an der sich die Konviktoren (die weltlichen Zöglinge) aktiv beteiligten. Bankette, Rügegerichte, Ausfahrten und theatralische Vorstellungen bestimmten das Festprogramm, während die zuletzt gehaltene Abschiedsrede des Königs bewies, daß sein "Reich dieser Welt" nur kurz und vergänglich sei.(18) Dahinter stand der Gedanke an die Alternative, das überzeitliche Gottesreich, dem man sich in der Fastenzeit zuwendet, und damit ein theologisches Modell, das der Kirchenvater Augustinus bereits im 5. Jahrhundert entwickelt hatte und das die abendländisch - christliche Kultur ganz entscheidend prägen sollte. Augustinus ordnete die Menschheitsgeschichte der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einer ganz bestimmten Weise und unterschied dabei grundsätzlich zwei Reiche. Demnach habe sich das Reich Gottes - die "Civitas Dei (19) - über Abel, Noah, Abraham und das Volk Israel in der StadtJerusalem historisch verwirklicht und erfülle sich in einem ewigen himmlischen Reich der Einheit, der Ruhe und des Friedens, während sich das Reich des Teufels oder der schlechten Welt - die "Civitas diaboli vel terrena" - mit Kain, BabyIon und dem heidnischen Rom historisch dargestellt habe, vergänglich und chaotisch sei und in das Infernum münde.

Dieses Modell wurde über die alte Perikope des Fastnachtssonntages (Lk 18,31ff.; 1 Kor 13) -die vom Ende des 6. Jahrhunderts bis zur Liturgiereforrn von 1969 Gültigkeit besaß und deren Auslegung über Jahrhunderte hinweg die Wahlmöglichkeit des Menschen zwischen Jerusalem und BabyIon, Gott und Teufel, betraf- auf den Kalender übertragen und ordnete damit die Fastnacht der "Civitas diaboli", die Fastenzeit aber der "Civitas Dei" zu." Der Sinn der Fastnachtskönigreiche bestand demnach prinzipiell darin, den Gläubigen das zeitliche Reich des Teufels in seinen vielen Erscheinungsforrnen und Varianten miterleben zu lassen, es aber auch in seinen Folgen aufzuzeigen, damit man sich am Aschermittwoch bewußt, willentlich und überzeugt dem göttlichen Reich zuwende und so die Entbehrungen der Fastenzeit freiwillig auf sich nehme.

Auch die Kirchzartener Karnevalskönigreiche stehen damit als Beispiele für praktisch umgesetzten, katholischen Glauben, weil schon die Einrichtung der Fastnacht selbst das Augustinische Zweistaatenmodell und damit die Wahlmöglichkeit des Menschen bezüglich seiner Zugehörigkeit zu einem der beiden Reiche voraussetzt.
12.
U. Engelmann OSB, Das Tagebuch von Ignaz Speckle, Teil I, 1795 - 1802, S. 137. Ähnliche Fastnachtsfeiern gab es auch im Konvent der Benediktiner in Villingen 1621 bis 1653. Vgl. B. Heinemann, Die Vil!inger Fastnacht zur Zeit des 30jährigen Krieges.
13.
Vg1. D.-R. Maser, Narren - Prinzen - Jesuiten, S. 202-206.)
14.
Gent 1492, 1503, 1526,1529; wie Anm. 13, S. 203.
15.
Leiden 1596, wie Anm. 13, S. 203.
16.
Antwerpen 1580, wie Anrn. 13, S. 202.
17.
England 16. Jh., wie Anm. 13, S. 203.
18. Ebd., S. 176, Vgl. L. Remling, Probleme der Fasmachtsforschung, S. 92f.
19.
Vgl. D.-R. Maser, Perikopenforschung und Volkskunde.

Bis heute gibt es in den Ländern mit überwiegend evangelischer Bevölkerung keine nennenswerten Fastnachtsveranstaltungen. Ganz im Gegenteil: evangelische Pfarrer rücken immer wieder energisch gegen entsprechende Bräuche vor. (20) Nach dem Einbruch der Reformation erging es den Fastnachtsnarren nicht anders. Überall dort, wo sich der evangelische Glaube behauptete, wurden die Fastnachtsfeiern verboten, die Bräuche systematisch ausgerottet. (21) Das geschah, weil die evangelische Lehre die Entscheidungsfreiheit des Menschen zwischen den zwei Reichen nicht akzeptiert. Der Mensch ist nach einem Wort Martin Luthers "zugleich gerechtfertigt und Sünder" ("simul justus et peccator"), er bleibt nach seiner Auffassung immer ein Mitglied beider Reiche und wird nur infolge seines Glaubens erlöst. Aus diesem Grund haben Fastnacht und Fastenzeit in evangelischen Landesteilen keine obrigkeitliche Förderung erfahren.

Die Feier des durch die Perikope liturgisch definierten Festes "Fastnacht" setzt Leben in katholischen Traditionen voraus, die sich aus der Zweistaatenlehre des hl. Augustinus ergaben, ohne daß sie dabei dem Einzelnen hätten bewußt sein müssen. Zur Feier der Fastnacht gehört aber die Möglichkeit einer Umkehr, die an einem bestimmten Tag, nämlich am Ascherrnittwoch, vollzogen werden kann und durch Reue, Buße und gute Werke, worunter das Fasten zählt, unter Beweis gestellt wird.

In diesem kulturgeschichtlichen Rahmen stehen alle Fastnachtsveranstaltungen, auch diejenigen der Gemeinde Kirchzarten. Er liefert die historische Basis der Fastnachtsfeier, ohne daß freilich aus ihm die unmittelbaren Motive für das Tun einzelner Narren abgeleitet werden können.

Erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts lassen sich in Kirchzarten wieder öffentliche Fastnachtsfeiern nachweisen. Doch ist damit nicht gesagt, daß in der Zeit davor keine Fastnachtsbräuche geübt worden wären. Sicherlich gab es die Gewohnheit, vor dem Beginn der Fastenzeit noch einmal tüchtig zu schmausen. Nach der Chronik der Gemeinde Kirchzarten (Bd. LS. 422) soll der Großbrand des Jahres 1807 dadurch ausgebrochen sein, daß eine Frau in einem kleinen Haus hinter dem Gasthaus "Ochsen" (heute Rats-Cafe) "Fastnachtsküchle im schwimmenden Fett backen wollte. Dabei erfaßte das offene Feuer das flüssige Fett." Erst aus der Zeit zwischen 1854 und 1909 gibt es eine Fülle von Nachrichten, Urkunden und Bildern, die eine recht genaue Darstellung der alten Kirchzartener Fastnacht errnöglichen.
20.
Vg1. F. Mack, Evangelische Stimmen zur Fastnacht. Zuletzt erschienen: T. Fränklc und W. Höhmann, Fastnacht für Christen? - Aufschluß über die konfessionelle Gebundenheit der Fastnachtsfeier gibt auch eine Auseinandersetzung in Schiltach (Baden). Das (ev.) Missionswerk "Hoffnung für Dich" hatte 1980 ein Faltblatt mit dem Titel "Karneval- Dein Fall ! ?" herausgegeben, worin die Fastnacht als Ausdruck der Götterverehrung früherer Zeiten verworfen wurde. Die Reaktion der betroffenen Katholiken in verschiedenen Leserbriefen, die die Fastnacht verteidigten, machte damals den Streit über die Grenzen der Region hinaus bekannt.
21.
Vgl. J. Küster, Spectaculum Vitiorum. S. 106 - 117 und ders.: Fastnachtsgebote als Quellen, S. 60f. und Nrn. 65 - 84.

Der Kirchzartener Karneval 1854 -1932

Im Jahre 1854 fand nach rund 250 Jahren wieder die erste bekannte karnevalistische Veranstaltung in Kirchzarten statt. Dabei versammelten sich Bürger der Gemeinde auf dem Kirchplatz "Unter den Linden" und forderten in närrischer Manier die Absetzung der beiden Nachtwächter und die Einführung des elektrischen Lichts. Erst unmittelbar zuvor kann die Kunde von der Erfindung der Glühbirne durch Heinrich Göbel im gleichen Jahr in New York nach Kirchzarten gedrungen sein, und so wird man der Veranstaltung ein hohes Maß an Aktualität und den Organisatoren spontanes Reaktionsvermögen zusprechen können. Es war die Zeit, als viele Kirchzartener Bürger nach Amerika auswanderten. Die närrische Aktion verband sich zudem mit der Forderung nach Herabsetzung der Gemeindeumlage. (22)

Ein holzgedrechselter Pokal aus dem Jahr 1877 trägt die Inschrift: "Unserem hochverehrten Herrn Kapellmeister Joseph Baron von Hinkelbein" (= Guido Kriegk, Schulleiter in Kirchzarten 1874 - 1911). Dieser Deckname taucht auch in einem Fastnachtsprogramm auf, das wahrscheinlich aus den Jahren um 1899 stammt.(23) Daraus ergibt sich die Veranlassung, schon für 1877/78 einen entsprechenden Anlaß (Fastnacht?) für die Wahl dieses närrischen Decknamens anzunehmen.

Aus dem Jahr 1887 datiert das erste gedruckte Fastnachtsprogramm. Es kündigt einen großen carnevalistischen Umzug am "Fastnacht-Montag" mit dem Thema an: "Des letztjährigen Thalvogt's Brautschau" und eine abendliche "Grosse Narrensitzung, Vorträge sowie Abfütterung ... unter Vorsitz des Thalvogtes Närrischer Hoheit". Auf dem Programm standen außerdem "Eine unfreiwillige Rutschpartie", "Die Kunst im Fluge, oder: Geschwindigkeit ist keine Hexerei" und "Der buhlende Adolfus, oder: Die Liebe bei den Knappem". Eine Vignette mit Beischrift zeigte den "Prinzen Carneval" als Deutschen Michel.

Aus der Zeit von 1891 bis 1894 sind die ersten Gesuche von Kirchzartener Wirten um Tanzerlaubnis in der Fastnacht überliefert.(23)  Am 4. Februar 1891 erhielt der Postwirt Hindenlang-Hoerth die Erlaubnis, "anläßlich der Fastnacht am Sonntag den 8.ten Januar" (Sic!) bis 11 Uhr eine Tanzveranstaltung durchzuführen. Die Polizeistunde wurde bis 12 Uhr verlängert. "Den Schülern der Volks- und Fortbildungsschule (war) der Besuch des Tanzlokals streng untersagt". Ähnliche Bescheide erteilte das Großherzoglich-Badische Bezirksamt Freiburg am 24. Februar 1892 dem Kronenwirt Johann Fehrenbach und 1893 und 1894 den Wirten der "Fortuna", "Krone" und "Post". (25)

1 Camevalsprogramm zum Fastnacht-Montag 1887
2 Bauernhochzeit 1893

Das erste Photo von der Kirchzartener Fastnacht bildet die "Bauernhochzeit" des Jahres 1893 ab (Bild 2). Damals wurden Hochzeitslader durch das ganze DreisamtaI geschickt, das Ereignis bekannt zu machen. Der Pfarrer hatte jedoch Einwände gegen die Teilnahme von Frauen und Mädchen. Daher wurden die entsprechenden Rollen von Männern dargestellt. Im Anschluß an den Empfang der Gäste wurde die Hochzeitunter der Leitung des "Talvogts'' in der "Fortuna" gefeiert.

1898 zog der "Talvogt und Reichsfreiherr Dagobert von und zu Güldenglanz" in seine Residenz Kirchzarten ein. In seiner Anrede begrüßte ihn der "Gemeindevogt" als neuernannten Vertreter der Vorderösterreichischen Regierung und forderte ihn mit der Versicherung seiner Loyalität und der des versammelten "Kollegiums" auf, den "eigens gezierten Festwagen zu besteigen". So sollte er in der "zukünftigen historisch merkwürdigen Residenz" Einzug halten.(26) Die folgende Festrede des "Gemeindevogts" an den "Talvogt" ist in den Akten der "Höllenzunft" als photographische Ablichtung der Originalhandschrift erhalten und lautet: "Festrede des Gemeindevogts auf dem Festplatz unter den Linden. Hochwillkommene Versammlung! hochgeehrter wohlweislicher gnädiger Herr Thalvogt. Angesichts einer solchen überaus zahlreichen und glänzenden Versammlung wie die gegenwärtige, vor sie gnädiger Herr Thalvogt hintreten zu können, das ist ein Moment, der zu den glorreichsten meines Lebens gezählt werden muß. Ein mächtiger Impuls bemächtigt sich meiner denn ich muß gestehen es ist ein Freudenstrom in meinem Herzen entsprungen bei ihrer Ankunft wohlweislicher gnädiger Herr. Meine gegenwärtige Rede soll nun den Kanal bilden dadurch der Freudenstrom meines Herzens in die Herzen aller meiner zahlreichen Zuhörer übergeleitet werden soll. Nun will ich aber nicht mit schönen Worten allein sondern durch entsprechende Thaten die Loyalität meiner Gesinnungslage vorweisen und führe hier die Verfügungen auf die ich bereits vor ihrem Amtsantritt getroffen um ihnen dasselbe so viel wie möglich zu erleichtern und so angenehm als möglich zu gestalten. Erstens habe ich verfügt, daß die Besitzer von Eigenthum dasselbe immerdar unter gutem Verschluß halten so daß kein Diebstahl möglich ist und Sie dann als Richter nicht mit Anklagen belästigt werden. Zweitens: die Biertrinker sollen Abends bei Zeiten heim kehren ehe sie einander in die Haare gerathen und die Gläser an die Köpfe schmeißen. Drittens: die bösen Mäuler sollen zur Verhinderung falscherAussagen sämtlich mit dem Gemeinde Siegel belegt werden. Für die liebe Jugend hauptsächlich soll ein Trachtenverein ins Leben gerufen werden und dafür sorgen, daß sie die modeme Mode wieder verabscheuen lernen und das altfränkisch und altväterliche Wesen wieder zur ersten Liebhaberei erheben. Die schrecklichen Wörter: Anarchismus, Sozialdemokratismus und Ultramontanismus soll niemand auszusprechend sich getrauen und somit unnöthige Aufregungen und politische Zankereien jederzeit von ihren getreuen Unterthanen fern gehalten werden. Mil diesen Verfügungen glaube ich gnädiger Herr Thalvogt gethan zu haben was in meinen schwachen Kräften steht um ihnen die Last ihres Amtes zu erleichtern und eine glorreiche Regierung die von langer Dauer sein möge vorzubereiten. Indem ich sie gnädiger Herr nochmals meiner Loyalität und der Loyalität des Gemeindekollegiums und allerAnwesenden versichere fordere ich alle Anwesenden auf unserem neuernannten gnädigen Herrn Thalvogt ein dreifaches Hoch auszubringen. Unser neuernannter gnädiger Herr Thalvogt Reichsfreiherr Dagobert von und zu Güldenglanz er lebe hoch! hoch und abermals hoch!"

Anhand verschiedener Anspielungen im Text können wir ein anderes handschriftliches Fastnachtsprogramm "zum Empfang seiner närrischen Hoheit des Prinzen Carneval' (27) in die Jahre zwischen 1899 und 1905 datieren. Darin ist von einem Automobil die Rede, dessen Erfindung erst durch C. Benz und G. Daimler nach 1885 bekannt wurde. Das ebenfalls im Text des Programms erwähnte "Kraft und Elektrizitätswerk am Nie-gar kei Fall" in Dietenbach bei Geroldstein kann sich auf das private E-Werk beziehen, das bereits 1899 bestand, spätestens aber auf das seit 1905 betriebene öffentliche Werk. Die in der Speisefolge des Festbankettes genannte "englische Siegespastete" wird als aktuelle Reaktion auf die Siege Englands im Burenkrieg 1899 bis 1902 verständlich. Das Festprogramm im Wortlaut:
"I. Morgens: Tag=Rewell mit Musik und Böllersalben. 9 Uhr 62 m. Frühschoppen und Conzert mit saurem Leberle unter Leitung des Kapellmeisters Baron von Hinkelbein. 12 Uhr: Empfang der ankommenden Ritter und Knappen, wobei die Gassen mit Teppichen belegt werden müssen, solche sind vorher gut auszuklopfen, daß die Gasse nicht beschmutzt und verstaubt wird. 1 Uhr: Einmarsch eines Regiments Landsknechte mit ihrem Hauptmann von Raufenbein, die Weinkeller sind bestens zu verschliessen, und haben sich die jungen ledigen Weiberleut bestens geschmückt auf derStraße aufzuhalten, die Musik spielt den Trauermarsch 'Ach du lieber Augustin' u.s.w. II. Hierauf ist festliche Vorstellung und bekratzfußung unter den "Linden" die Ratssitzung im großen Saal des neuen Reichsrates. Bei dieser Gelegenheit wird das Rathaus 3 meter tiefergeschraubt damit Männlein und Weiblein sich die Hälse nicht verstauchen. 3 Uhr Festzug durch die Stadt und Besichtigung der Sehenswürdigkeiten wie Gimnasium, Geldentlohnungsanstalt, Kraft und Elektrizitätswerk am Nie= gar kei Fall in Dietenbach bei Geroldstein, Gesundungs- und Ruheheim über dem ehemaligen Wildpark für grunzende Vierfüßler, femer zum Schluß das großartige Wasserreservoir unserer nach den neusten hygienischen und gesundheitspolizeilichen Anforderungen angelegten Brunnenleitung auf dem Hüttenwasen, bequem per Automobil in 2 Stunden zu besichtigen. Abends großes noch nie dagehörtes Conzert und türkische Musik im hiesigen Stadtgarten in der Nähe des russischen Hofes bei ginetischer Beleuchtung und Festessen für alle Nationen in ungeheuren Portionen als: bairisch Bier mit Rettig und Rollmops und Thüringer Wurst, Italienischer Rotwein mit Blumenkohl und Rehlebern und Spatzenhirn, französischer Champagner mit englischer Siegespastete, Würtemberger Sauerkraut mit Wälderspeck und Schweineripple, badische Schwartenmagen und Elsässer Käse. Zum Schluß großes Feuerwerk wobei eine Riesenragete über die Hörner des untergehenden Mondes hinübergeblassen wird so daß in Amerika der (?) tot fällt und alle Hund zu toben anfangen." Die Erwähnung "türkischer Musik" weist auf die bereits im 18. Jahrhundert in Europa in Mode gekommene "Janitscharenmusik" hin, deren charakteristische Instrumente, wie Trommel, Becken, Pauken, Tamburin und Schellenbaum infolge ihrer Eignung zur Erzeugung marschartiger Rhythmen von den Militärorchestem aufgenommen wurden und auf diese Weise auch in die Feier der Fastnacht Eingang gefunden haben. Die Janitscharenkapellen waren in Baden sehr verbreitet.



3 Besichtigung der Bürgermiliz 1903. Vor dem Gasthaus "Alte Post".
4 Gruppenbild aus dem Festspiel "Das Ringwunder des Ritters Kuno", 1909.
Mit: Berthold Rombach;
Frieda Schweizer, verh. Eckmann; Frieda Kriegk, verh. Janz; Bertha Kriegk, verh. Janz.

Von der Fastnacht 1903 existieren wieder Photographien. "Talvogt von und zu Güldenglanz" lud damals die Fürsten und regierenden Herren zur Besichtigung der neuen Bürgermiliz ein. Es erschienen: "Freiherr von Gayling zu Altenheim vom Schloß Ebnet", "Graf Schnewlin von Wiesneck", "Ritter Kuno von Falkenstein", "Graf Kageneck von Stegen" und die "Grafen von Zähringen". Nach einem großen Empfang am Bahnhof (Bild 3) zogen die Gäste durch das Dorf und zur Begrüßung durch den Talvogt ins Rathaus.

1907 stand, ebenso wie zwei Jahre darauf, "Ritter Kuno von Falkenstein" im Mittelpunkt eines historischen Spiels. Während 1907 sein Auszug ins Morgenland dargestellt wurde (28), ging es 1909 um "Das Ringwunder des Ritters Kuno (Bild 4) (29) Das Spiel schilderte den Auszug des Kreuzritters (dargestellt von August Schweitzer), das Warten seiner Frau lda (dargestellt von Frieda Schweitzer) auf die Rückkehr ihres Mannes und sein Versprechen, nach längstens sieben Jahren wieder heimkommen zu wollen. Als Erkennungszeichen brachen die Eheleute einen Trauring auseinander, von dem jeder eine Hälfte erhielt: "Bei der Rückkehr sollten dann die beiden Hälften in einen Becher gelegt werden und wenn sie zusammenpaßten, war dies das Zeichen daß der Überbringer Ritter Kuno ist. Nach sieben Jahren aber war Ritter Kuno noch nicht zurück und man bereitete die Hochzeit der Gräfin lda mit dem Ritter von Kyburg vor. In dieser Vorbereitung kam aber dann ein Kreuzritter mit seinem Gefolge, der um einen Becher Wein bat. In diesen leeren Becher legte Kuno den halben Ring und ließ ihn der Gräfin bringen. Auch sie tat ihre Hälfte dazu. Siehe da, das Wunder vollzog sich und aus den beiden Hälften war ein Ring geworden. Große Freude herrschte beim ganzen Volk und mit Fanfaren wurde die glückliche Rückkehr des tapferen Ritters im ganzen Tal bekannt gegeben. Es wurde ein großes Fest gehalten, bei dem das ganze Volk mitfeierte."




5 Empfang der .Kaisertochter Marie-Antoinette", 1908.
Mit: August Schweizer (2. v.I.), Karl Schreiner,

Herrn Lorenz. In der Mitte: Frieda Schweizer, verh. Eckmann.
6 "Marie-Antoinette" und ihre Gouvernanten, 1908. v.l.n.r. Bertha Kriegk, verh. Janz; Frieda Kriegk, verh. Janz; Frieda Schweizer, verh. Eckmann (- Marie-Antoinette).
7 Empfang der .Kaisertochter" durch die Trachtengruppe. 1908.
Mit: Frau Hauser, Frau Schlatterer und Frau Goldschmidt.

Im Jahr zuvor war mit großem Aufwand ein Besuch der Kaisertochter Marie-Antoinette inszeniert worden, der sich an Berichte von ihrer Durchreise durch das eigens ausgebaute Höllental nach Freiburg und weiter nach Frankreich zur Hochzeit mit Ludwig XVI. 1770 anschließen ließ (Bilder 5,6,7). Das Fastnachtsspiel behandelte den historischen Stoff in folgender Weise: "Es war sicher, daß die königliche Hoheit auf ihrer Durchreise nach Frankreich in Kirchzarten Halt machen würde. Man bereitete deshalb einen großen Empfang vor. Marie-Antoinette erschien dann mit ihrer Hofdame, ihrer Gouvernante, ihren Hofherren und ihren Lakaien. Am Bahnhof wurde dann der hohe Gast vom Talvogt durch Handkuß begrüßt. Dies war eine schwierige Sache, da der Talvogt von dem Junggesellen und Frauenfeind "Pfaff-Salesi" (einem bekannten Kirchzartener Original, dessen geschnitztes Standbild noch heute am "Pfaffeneck'' steht) dargestellt wurde. Zur Begrüßung waren auch die verschiedenen Trachtengruppen, die Handwerksgilden, die Ranzengarde, der Schützenverein und die Musik unter Stabführung von Baron Hinkelbein, angetreten. Die Handwerksgilden überreichten bei der Begrüßung der königlichen Hoheit ihre Handwerksembleme. Der hohe Gast wurde dann mit diesem ganzen Aufgebot der Kirchzartener Elite zum Rathausplatz geleitel und in einer langen Rede vom Talvogtfeierlich begrüßt. Der Schützenverein schoß zur Gaudi der Kinder mit Guzeli und Schokolade den Salut. Die Kostüme zu diesem Fastnachtsspiel wurden original nachgebildet und kosteten in der damaligen Zeit schon etwa 200,- Goldmark. Alles wurde in fleißiger Gemeinschaftsarbeit geschaffen. Im ganzen Tal sprach man noch lange über diese schöne Fastnacht anno 1908". (30)

22.
Wie Anm. 3; Vgl. H.O. Muthmann, Zur Geschichte der Fasnet im Dreisamtal. S. 2.
23.
Vgl. Narrenspiegel 1977, S. 6 (mit Abb.)
24.
GA Kirchzarten. XI.2/1618. Die so zitierten Belege aus dem Gemeindearchiv Kirchzarten fügt der Verfasser den Zunftakten in Kopien bei
25. ebenda
26.
Photographische Ablichtung im Archiv der .Höllenzunft" (Bei S. Schneider, Burger SIr. 27, 7815 Kirchzarten
27.
Wie Anm. 23, mit Reproduktion der Originalhandschrift.
28. Lt. Mitteilung von Frau Auguste Pfaff an H. O. Muthmann, vgl. Anm. 22.
29.
Chronik der .Höllenzunft", 1909.
30.
Chronik der "Höllenzunft", 1909.

Mit dem "Ringwunder des Ritters Kuno" endet 1909 die Aufzeichnung Kirchzartener Karnevalsspiele. Fünf Jahre später bricht der Erste Weltkrieg aus, der in der Folge die Feier der Fastnacht unterbunden haben dürfte. Die Not der Nachkriegsjahre ließ entsprechende Veranstaltungen nicht zu, und Verordnungen des Badischen Bezirksamtes Freiburg stellten Tanzbelustigungen und Fastnachtsveranstaltungen sogar unter Strafe. In einer Verordnung vom 15. Dezember 1921 heißt es beispielsweise: "Im Hinblick auf die Zeitlage wird auf Grund der §§38, 61, 62 des Polizeistrafgesetzbuches für das Jahr 1922 verordnet was folgt: § 1. Die Veranstaltung von karnevalistischen Aufzügen, das Tragen von Masken, Verkleidungen oder karnevalistischen Abzeichen auf öffentlichen Straßen und Plätzen und an andern öffentlichen Orten ist verboten. Das Verbot findet auf schulpflichtige Kinder unter 14 Jahren keine Anwendung. §2. Öffentliche und von Vereinen oder geschlossenen Gesellschaften veranstaltete Maskenbälle und sonstige karnevalistische Veranstaltungen sind verboten" (31) Diese Verordnung ging dem Bürgermeisteramt Kirchzarten im folgenden Jahr in einer Abschrift erneut zu.
(32) Weitere Verbote betrafen die Verlängerung der Polizeistunde und "Veranstaltungen mit Tanzlehrern (z.B. Tanzkränzchen) (womit) die ausgesprochenen Verbote umgangen werden." (33)   Erst 1924 wurde wieder für verschiedene Festtage, darunter Fastnachtssonntag, öffentliche Tanzerlaubnis erteilt. (34)

Nach den herangezogenen Quellen zu urteilen, spielte in Kirchzarten die "schwäbisch-alemannische Fasnet" mit ihren typischen Erscheinungsformen wie dem "Strählen" und "Hecheln" sowie den Umzügen von Tiermasken-, Schellen- oder Flecklehäs-Trägern wenigstens bis zum Ende der Zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts keine Rolle. Anders als in vielen anderen Narrenorten, wo die Umwandlung südwestdeutscher "Fasnet-"Bräuche in karnevalistische Maskenbälle, historische Festumzüge und Prunksitzungen mit Schwierigkeiten verbunden war (35), bedurfte es in Kirchzarten offenbar keiner nennenswerten Veränderungen, um den Karneval rheinischer Prägung einzuführen. Im Mittelpunkt der hiesigen Feiern standen von Beginn an Prinz Karneval und sein Gefolge oder seine Vertreter, die gemäß lokalhistorischer Traditionen mit dem Talvogt, dem Ritter Kuno von Falkenstein, den Grafen Schnewlin, von Kageneck und Zähringen, sowie mit Marie-Antoinette gestellt werden konnten. Die Errichtung der "Fastnachtsvogteien" und "Fastnachts-Rittergüter" knüpfte ja zudem thematisch an die ältesten, "Königreich"-Belege von 1558 und 1596 an, und seither hatte es mit Sicherheit keine anderen ausgeprägten lokalen Fastnachtsbräuche gegeben. Auch die Organisation des Karnevals wurde hier nach rheinischem Vorbild von "Comites" und Vereinsausschüssen übernommen. Dabei fallt auf, daß die Einführung des Karnevals in Kirchzarten mehr als ein halbes Jahrhundert nach der entsprechenden Konstituierung des Kölner Karnevals 1823 erfolgte.(36) Allerdings scheint der Karneval in Kirchzarten mit seinen Aufzügen, Banketten und historischen Spielen nicht nur wie andernorts z.B. in Rottweil (37) -von einer gebildeten Oberschicht, sondern, in Ermangelung eigenständiger Traditionen, von der gesamten Bevölkerung getragen worden zu sein. In der Folge müssen Kenner der Lokalgeschichte die Planung und Organisation der Veranstaltungen übernommen haben, seit spätestens 1887 der Talvogt zum höchsten Repräsentanten der Fastnacht erhoben wurde. Immerhin lag das Ende der Regierung der Talvögte im Dreisamtal zu diesem Zeitpunkt schon vier bis fünf Generationen zurück. (38) Die Festrede zum Einzug des Talvogtes von 1898 setzt die Kenntnis gesellschaftspolitischer Zusammenhänge voraus, insoweit sie auf aktuelle Diskussionsthemen wie "Anarchismus" (39), "Sozialdemokratismus" und "Ultramontanismus" (40) humoristisch Bezug nahm. 1903 bis 1909 regierte ein ganzes Aufgebot von Figuren, die wenigstens lokalhistorische Bedeutung erlangt hatten. Darunter Konrad (Kuno) von Falkenstein (+ 1343), der aus verschiedenen Urkunden seiner Zeit als Herr über Kirchzarten bekannt war; seine Grabplatte in der Pfarrkirche wurde bereits erwähnt.

Die Sage um seine Person, in ihrer ältesten romantischen Fassung von Carl von Rotteck 1805 veröffentlicht, lag dem Fastnachtsspiel des Jahres 1909 zugrunde. Das zentrale "Heimkehrer-"Motiv ist jedoch wesentlich älter und taucht in der Zuspitzung auf die Rückkehr arn Hochzeitstag der Gemahlin zuerst in einer Erzählung aus dem "Dialogus miraculorurn" (1219/22) des Zisterziensers Caesarius von Heisterbach auf. Sie bildet den Kern einer dramatisierten Fassung des Stoffes durch Nikodemus Frischlin 1597 mit dem Titel "Frau Wendelgard", 1749 erscheint eine Bearbeitung auf der Schülerbühne des Wengenstiftes in Ulm: "Möringer der Edle, in sein Eigentum zurückkehrende Pilgram". Die in Kirchzarten dargestellte Fassung verbindet dieses Motiv vor dem Hintergrund der Kreuzzugsproblematik mit der Gestalt des Ritters Kuno und steht insofern in einer religiös geprägten Tradition.(41)

Graf Schnewlin von Wiesneck entstammte einem Freiburger Patriziergeschlecht, das 1318 die Burg Wiesneck und damit die Herrschaft über einen Teil des heutigen Kirchzarten erworben hatte.(42) Die Grafen von Kageneck spielten im 18. Jahrhundert in Colmar, Straßburg und im Breisgau (Hauptsitz in Munzingen) eine führende Rolle, und die Zähringer waren als die Gründer Freiburgs ohnehin schon im 10. Jahrhundert in unserer Region bestimmend gewesen. (43)

31 GA Kirchzarten. X1.2/1618.
32
GA Kirchzarten. X1.2/1618.
33 GA Kirchzarten. X1.2/1618.

34 GA Kirchzarten. X1.2/1618
)
35 Vgl. W. Mezger. Narretei und Tradition, S. 76 - 83.
36 Vgl. P. Fuchs und M. L Schwering, Kölner Karneval, Bd. 2, S. 56 f. Der Einführung des Karnevals in Kirchzarten waren die Freiburger Veranstaltungen vorausgegangen. Dort aber werden ".z.B. die Kappenabende auf den Rat und die Initiative des Vorstandmitglieds vom Carnevalsverein Schmid zurückgeführt, der aus dem Rheinland hierher kam" - Vgl. W. Herterich (wie Anrn. 5), S. 16.
37 Vgl. W. Mezger (wie Anm. 35)
38 Wie Anm. 10, S. 243. "Am 26. Dezember 1809 wurden die Befugnisse und Aufgaben des Talvogteiamtes an das Oberamt Freiburg und das Stabsamt St. Peter übertragen".)
39 Politische Lehre, die jede staatliche Gewalt und Ordnung ablehnt und das menschliche Zusammenleben rein vom Willen und der Einsicht des Einzelnen her bestimmt.
40 Im 19. Jh. Bezeichnung für den päpstlichen Absolutismus
41 Wie Anm. 10, S. 198, Anm. 203. Zur Motivgeschichte vgl. G. Hole, Historische Stoffe, S. 49f. und E. Frenzel. Motive, S. 333 f.
42
Ebd., S. 214.
43 Ebd., S. 289 f

Die zweite Phase der Kirchzartener Fastnacht erscheint demnach von der Rückbesinnung auf die lokale Geschichte geprägt.

Auffällig daran ist ihre konservative Tendenz. In einer Zeit, wo gerade die Eingliederung des Breisgaus im Großherzogtum Baden die Bevölkerung von Abhängigkeiten befreit hatte (Ende der bäuerlichen Naturalabgaben, Einführung eines modernen Steuersystems, Aufhebung der Leibeigenschaft, Beseitigung der Drittelspflicht usw.), kamen mit dem Talvogt und der Kaisertochter Marie-Antoinette wiederjene Figuren zur Darstellung, die an die Zeit der Zugehörigkeit Kirchzartens zu Vorderösterreich erinnerten. Und um 1900 nahmen die Kirchzartener gerade jene modernen Versorgungseinrichtungen (E-Werk, Brunnenleitung) zum Gegenstand ihrer närrischen Kritik, die als notwendige Voraussetzungen einer fortschrittlichen Entwicklung der Gemeinde geschaffen worden waren. Die Fastnacht bildete zu diesem Zeitpunkt offenbar den Anlaß verklärender Rückschau, und sie gab Gelegenheit zur Kritik an strukturellen Veränderungen des öffentlichen Lebens. Mit dieser Einstellung gelang es aber, die importierte rheinische Form der Karnevalsfeier mit eigenen und für die Region charakteristischen Inhalten zu füllen. Diese eigenständige Tradition wurde mit großem Aufwand bis in die Jahre vor Beginn des Ersten Weltkrieges beibehalten und lieferte noch 1932 den Rahmen für die Gestaltung des ersten Fastnachtsumzuges nach dem Krieg.

Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß der Kirchzartener Karneval auch im 19. Jahrhundert zunächst dem Freiburger Vorbild folgte. Dort veranstaltete die im Jahre 1807 gegründete Museumsgesellschaft (44) "quer durch das 19.Jahrhundert Fasnachtsunterhaltungen, Fasnachtsbälle und später auch 'Kappensitzungen' '' (45
) Daraus hervorgegangene Karnevalsgruppen, wie die 1854 gegründete "Concordia" oder die "Harmonie", organisierten Maskenbälle, kleine Saalumzüge mit "Prinz Karneval" und sogar eine "Bauernhochzeit",(46) die man ja später auch in Kirchzarten feierte.

Zu Beginn der Dreißiger Jahre ließen die zuständigen Behörden wieder Fastnachtsfeiern zu, wenn auch mit gewissen Einschränkungen. Ein Schreiben des Freiburger Bezirksamtes vom 6. Januar 1930 an die Bürgermeisterämter des Bezirks gibt die Anweisung, Vereine und Wirte davon zu verständigen, daß öffentliche Maskenbälle oder gleichartige Veranstaltungen vor dem 1. Februar nicht zugelassen würden.(47.) Im Jahr darauf wird "imHinblick auf den Ernst der Zeit und die unvermindert bestehende Notlage des deutschen Volkes... jedes Fastnachtstreiben auf öffentlichen Straßen und Plätzen untersagt". Nicht verwehrt sind allerdings "die in bestimmten Teilen des Landes üblichen althergebrachten ("historischen") Gebräuche besonderen lokalen Charakters, soweit sie sich in der Zeit vom Donnerstag vor Fastnacht bis Fastnachtsdienstag abspielen". Auch soll sich das Verbot nicht auf Kinder unter 14 Jahren beziehen.
(49)



8 Szene aus dem Fastnachtsumzug 1932.
Links: Herr Maier, Karl Steinhart, rechts: Joseph Thorna und Ernil Eckmann.
9 Die "Ritter" der Burg Falkenstein. (Mit Adolf Tritschler, Emil Rombach, Hermann Riesterer und August Dengler).

Dieser Verordnung wurden die Kirchzartener mit ihrem Umzug von 1932 in vollem Umfang gerecht. Das Thema "Narrenschatz der Burg Falkenstein" (Bild 8) bezog sich nämlich auf den üblichen althergebrachten Gebrauch "besonderen lokalen Charakters" und stellte die Kinder, den "Narrensamen" oder "Narrenschatz", in den Vordergrund der Veranstaltung (Bild 9). Sie waren ja von den Verboten nicht betroffen. Gleichzeitig stand die Kinderschar als überzeugendes Sinnbild für einen Neubeginn des Brauchlebens nach mehr als zwei Jahrzehnten kriegsbedingten Verzichts.

In diesem Jahr (nach anderer mündlicher Überlieferung allerdings erst 1936) fand sich in der Talvogtei auch eine Gruppe zusammen, die in den Kostümen "alter Bauernweiber" auftrat und damit den ersten Schritt hin zur ländlichen "Fasnet" unternahm. Den Mittelpunkt dieser Gruppe bildete Otto Trescher, dessen Frau "Pfuddleschoobe" besorgt und daraus die Kostüme genäht hatte. Die sogenannten "Pfuddleschoobewieber" bildeten die Keimzelle der späteren "Hexen", die für die Entwicklung der Kirchzartener Fastnacht entscheidend werden sollten.

Die Kirchzartener Fasnacht im "Dritten Reich" 1933-1939

Das Bemühen um die Neuorganisation der Fastnachtsbräuche nach dem Vorbild der "schwäbisch - alemannischen Fasnet" fand bald von höchster politischer Ebene Unterstützung. Im Oktober 1933 ging dem Kirchzartener Bürgermeisteramt ein Schreiben des Bezirksamtes Freiburg zu, das aus verschiedenen Gründen bemerkenswert ist. Zum ersten Mal in der Geschichte der örtlichen Fastnacht geht es darin nicht mehr um die Reglementierung vorhandener Bräuche, um Auflagen oder einschränkende Bestimmungen, sondern um die gezielte Förderung des Festes, dem zugleich eine Landesausstellung (vom 7.1. bis 13.2. in den Ausstellungsräumen des Freiburger Gewerbeamtes) gewidmet war. Damit verband sich das Ziel, "die Erhaltung, möglichste Wiedererweckung und Erforschung altvolkstiimlicher, meist örtlicher Fastnachtssitten und -bräuche" 
(50) zu gewährleisten und voranzutreiben. Diese Maßnahme war gesellschaftspolitisch begründet und "im Sinne der kulturellen Förderungen unseres neuen Volksstaates" (51) beschlossen worden. "Ältere Sitten und Fastnachtskleidung, Masken oder sonstige Sonderheiten fastnachtlicher Bedeutung, soweit sie noch bekannt und in Bildern oder durch die Originalstücke erhalten sind, sollten zur Darstellung gebracht und veranschaulicht werden". (52)

44 Vgl. W. Mezger (wie Anm. 35), S. 76 f)
45 Wie Anm. 5, S. 15.
46
Wie Anm. 5, S. 15.
47 GA Kirchzarten. XI.2/1618
48 Ebd
49 Ebd
50 Ebd
51 Ebd
52 Ebd.

Derartigen Aufrufen, die damals in vielen traditionellen Narrenorten den Gemeindevertretern und Parteigenossen bekannt gemacht wurden, folgte im November 1933 die Weisung der NSDAP-Reichsleitung an alle ihr nachgeordneten Dienststellen, daß die inneren Beziehungen des Festes zum kirchlich-christlichen Fastabend "zu negieren und zu verwischen" seien, wofür aber der Zusammenhang "mit der alten dämonischen Vasenacht" umso stärker herausgestellt werden sollte.(53) Diese Weisung bezog sich auf ein kulturpolitisches Programm der Nationalsozialisten, das überall in Deutschland die Aufwertung und Festigung der "niedergeschlagenen Nation" unter Berufung auf ein vermeintlich germanisches Kulturerbe, das hoch bewertet wurde, bewirken sollte. (54) Dabei konnten sich die zuständigen Ideologen auf die Ergebnisse älterer Forschungen stützen, die im 19. Jahrhundert die vorchristlich-mythischen Hintergründe der abendländischen Kultur aufzudecken versucht hatten. (55) Im politischen Zusammenhang wurden diese überholten Thesen endgültig "ad absurdurn" (56) geführt. Die Vertreter der nationalsozialistischen "völkischen Wissenschaft" und die gleichgeschalteten Medien aber propagierten die "heidnisch-germanischen" Ursprünge der Fastnacht, und ihre ständigen Hinweise auf vorchristliche Frühlingsfeste, jahrtausendealte Fastnachtssitten, germanischen Dämonenglauben, Totenkulte und Fruchtbarkeitsriten begründeten eine Auffassung vom Sinn und der Geschichte der Fastnacht, die sich, obwohl mit den Quellen nicht vereinbar, bis heute im Bewußtsein vieler Narren gehalten hat. Die Wiederaufrichtung eines deutschen Selbstbewußtseins aus den vermeintlich jahrtausendealten Überlieferungen des Volkes betraf viele Bräuche, doch erwies sich die Fastnacht mit ihren unchristlichen Themen dafür als besonders geeignet. Vor diesem Hintergrund fand auch die Kirchzartener Fastnacht neue Freunde und Förderer und damit zu neuen Formen.

Nachdem schon 1934 auf Initiative von Willy Jäger und Harry Schäfer in Freiburg die "Breisgauer Narrenzunft" gegründet worden war, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die karnevalistischen Forrnen der Fastnachtsfeiern abzutragen, um darunter urwüchsiges "schwäbisch-alemannisches Brauchtum" zum Vorschein zu bringen (57) (was zumindest für Kirchzarten ein aussichtsloses Unternehmen war), erfolgte 1935 die Gründung der "Gro-Ki-Fag" (Große Kirchzartener Fastnachtsgesellschaft) und des Elferrates, die von nun an die Organisation der Fastnacht in Kirchzarten übernahmen (Bilder 10, 11, 12, 13).


10 Der erste Elferrat (1935). v.l.n.r. Johann Rieder, Albert Rettich, Franz Pfaff Hans Lehmann, Fritz Eckmann, Arnold Ragg, Emil Schillinger, Karl Schindler, Josef Goldschmidt, Arthur Dannecker).
11 Fasnet-Ausrufen am Schmutzigen Donnerstag 1936. Mit Fritz Janz, Arthur Dannecker, Josef Goldschmidt, Emil Schillinger, Franz Lehmann, Karl Schindier, Albert Rettich, Franz Pfaff,Hermann Steinhart, Fritz Eckmann und Johann Rieder.


12 Fasnet-Ausrufen am Schmutzigen Donnerstag 1936. Mit Fritz Janz, Arthur Dannecker, Josef Goldschmidt, Emil Schillinger, Franz Lehmann, Karl Schindier, Albert Rettich, Franz Pfaff,Hermann Steinhart, Fritz Eckmann und Johann Rieder.13 Elferrat 1937, v.Ln.r. Franz Kaspar, Karl Schindier, Willi Mühlhans, Arthur Dannecker, Franz Lehmann, Johann Rieder, Franz Pfaff, Emil Schillinger, Arnold Ragg, Hermann Steinhart und Josef Goldschmidt.

Die Initiative dazu ging von dem damaligen Bahnhofsvorsteher und NSDAP-Ortsgruppenleiter Karl Straub und seiner Frau sowie von dem Malermeister Johann Rieder aus. In diesem Jahr traten, nach später angefertigten Stempeln zu urteilen, die ersten "Geißelklöpfer" auf, die sich selbst zur "Großen Kirchzartener Narrenzunft" rechneten. (58
) Das waren Narrenfiguren mit langen weißen Kostümen und einer Hörner- oder Zipfelkappe (BiId 14). Am Ostermontag 1935 organisierte Otto Trescher auf eine Anregung Willy Jägers hin zudem das erste Kirchzartener "Eierlesen".(59)


15 Programm der .Gm Kt Fa G" 1936.


14 Die ersten Geißelklöpfer.
16 Kirchzarten wird kanalisiert, 1936.


17 Die neue Ferngasgesellschaft
18 Turn- und Festhallen-Neubau, 1936.


Unter dem Motto "Fasnet ohne Geld" fanden 1936 in den Tagen vom "schmutzigen Dunschtig" bis "Fasnetzischtig" mehrere größere Veranstaltungen statt, die erstmals auch wieder mit einem vervielfältigten Programm angekündigt wurden (Bild 15). Den Auftakt machte ein nach Bonndorfer Vorbild gestalteter Hemdglunkerumzug, dem eine Narrensitzung unter Leitung des Prinzen Karneval in der "Fortuna" folgte. Am "Sunntig" begann um 14.30 Uhr ein närrischer Umzug, bei dem Herolde und Kinder mit "Klepperle" die Wagen begleiteten. Da kamen kommunal- und weltpolitische Themen zur Darstellung, die stets, ähnlich wie beim heutigen Kölner Rosenrnontagsumzug, glossiert wurden. So gab man die neue Kirchzartener Wasserleitung (Bild 16) ebenso wie eine "Fern-Gas G.m.b.H. Pfurzio" (Bild 17) und den Festhallen-Neubau (Bild 18) dem Spott preis. Eine Gruppe in weißen Hemden und mit dunkel geschminkten Gesichtern stellte die Begleitung des Negus durch "Jung-Abessinien" an die Nordfront dar (Bild 19). Am Abend fand ein Bürgerball im "Löwen" statt. Darauf folgte am Montag ein Kinderball in der "Krone" und abends "allgemeiner Rummel der närrischen Vor- und Nachzügler aller Staaten und Nationen in der Sonne unseres Dorfes". Nach dem Narrentreiben am "Zischtig"-Mittag fand man um 20 Uhr in der "Alten Post" zum Begräbnis des Prinzen Karneval zusammen. Anschließend: "Geldbeutelwäsche - ohne Geld." Laut Bericht des "Alemannen" vom 24. Februar 1936 erwies sich die Eröffnung in diesem Jahr als großer Erfolg: "Der Elferrat von Kirchzarten hat am Donnerstag abend Prinz Karneval in sein Reich eingeführt. Alle Narren groß und klein begleiteten ihn im Hemdglunkerumzug zu seinem Standort. Eine große Menschenmenge, darunter sehr viele Volksgenossen von den umliegenden Ortschaften, umsäumte die Straßen, und man konnte nur ein Lob für die unvergleichliche Aufziehung des Abends, wie über seinen wirklich humorvollen Geist hören. Die nachfolgende Narrensitzung in der 'Fortuna' bewies, daß alle Erwartungen vom Elferrat bei weitem überboten wurden, und jeder durch die Büttenreden, voll Witz und Humor, auf seine Rechnung kam."
19 Mit dem Negus an die Nordfront. 1936.
20 Meldung in der Freiburger Zeitung am 13.11.1936.


21 Eintreffen der "Kurgäste" am Bahnhof (1937)
(links: Johann Rieder, Maria Lehmann und Alfons Lehmann)

22 "Kurbetrieb". Auf dem Wagen: Luise Ragg, verh. Haid und Oskar Rombach

Mit einer Anzeige bei der Schriftleitung der "Freiburger Zeitung", der "Tagespost" und des "Alemannen" kündigte der Elferrat am 12. November 1936 das Motto der kommenden "Fasnet" an: "Weltkurort Kirchzarten im Frühling". Die Meldung erschien tags darauf in der Freiburger Zeitung (Bild 20)

1937, im Jahr, das der Olympiade in Berlin folgte, gaben sich auch in Kirchzarten die Fastnachtsnarren international. Neben den bereits üblich gewordenen Bällen, dem Hemdglunkerumzug und der Bestattung des Prinzen Karneval am Fastnachtsdienstag stand der Sonntag wieder im Zeichen einer Großveranstaltung: ,,1/2 3 Uhr großes Kurkonzert der weltberühmten Solisten und Musiker vom Dreisamtal. Währenddesselben Kurbetrieb auf der Hauptstrasse. Einholung des 100.000 ten Kurgastes durch den Elferrat vom Zentralbahnhof (Bilder 21,22), mit Musik, Kurgästen und Volk. Begrüßung durch die Kurbehörde am Rathaus, u.s.w." (60) Im Umzug sah man außer "Alten Damen" (Bild 23) auch "Schwedenmädchen", die dann zusammen mit dem Elferrat posierten (Bilder 24, 25, 26).

53 D.-R. Maser, Nationalsozialistische Fastnachtsdeutung. S. 205 f. Vgl. A M. Keim, 1I Mal Politischer Karneval, S. t90 f 1. Klersch. Die Kölnische Fastnacht von ihren Anfangen bis zur Gegenwart, S. 176.
54 VgL D.-R. Maser (wie Anm. 53) - 1. Küster (wie Anm. 21), S. 214 - 223.
55 Vgl. D.-R Maser (wie Anm. 53) -
56 Entsprechende weltanschaulich motivierte und formulierte Bücher und Broschüren über die Fastnacht kamen damals in Umlauf, z.B. das vom Amt "Feierabend" der NSG "Kraft durch Freude" in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Reichsjugendführung. dem Reichsnährstand und der Arbeitsgemeinschaft für Deutsche Volkskunde herausgegebene Werk "Deutsche Fasnacht", worin das "weltanschauliche Gesicht" wie folgt beschrieben wird: "Welln ein neues Jahr aufbricht, so beginnt es dem deutschen Menschen der Gegenwart am wenigsten in der biugerliehen oder kirchlichen Zeitrechnung. Es steigt uns vielmehr aufaus der Ordnung und Gestaltung des politischen und naturhaften Weltgeschehens. Gerade wir spüren immer wieder die Verwandtschaft und Einheit der neu wachsenden l.ebenskrdfte der Natur, unserer wiedergeborenen Welranschauung und unserer Kraft im politischen Leben. Die Kraft, die unsere Weltanschauung ausströmt, wenn sie sich strafft und formt, bindet uns an Volk und Staat. Die Macht, die ihr innewohnt, welln sie gelöst und fließend uns durchströmt, bindet uns an das Blut lind an die Scholle. hält uns innerlich lebendig. Aus der Vereinigung dieser beiden Quellkrä/tefließt der Strom unserstörbaren Lebens fiir unser Volk." Deutsche Fasnacht, S. 8.
57 J. Küster (wie Anm. 21) und W. Mezger (wie Anm. 35) S. 41-46.

58 Die Stempel zeigen jeweils in der Mitte die Darstellung eines Geißelklopfers. darunter die Jahreszahl 1935. Verschiedene Versionen enthalten im oberen Kreisbogen den Begriff "Narrenzunft Kirchzarten", die aber erst seit 1938 bestand, oder .Höllenzunft Kirchzarten", die erst 1949 gegründet wurde. Die Stempel sind also in jedem Fall jünger, als das gesetzte Datum angibt. Andere Auflagen des Stempels verzichten auf die Jahreszahl.
59
Lt. Mitteilung W. Jägers an H. O. Muthmann. Vgl. Anm. 22.
60 Durchschlag des Originalprogramms und der folgenden Festreden im Archiv der "Höllenzunft".



23 Die "Alten Damen" (v.l.n.r. Helene Lehmann, geb. Eckert; Luise Knetsch, geb. Schweizer; Hermine Rieder; Else Bäuerle)
24 Umzug der .Schwedenmddchen" (Hedwig Dengler, Elisabeth Maier und Armeliese Metzger).




25 Aufstellung mit dem Elferrat (v.l.n.r. Emil Schillinger, Elisabeth Maier, Arthur Dannecker, Franz Pfaff, Johann Rieder, Anneliese Metzger, Karl Schindier, Hedwig Dengler, Josef Goldschmidt.
26 Die "Schwedenmädchen" (v.l.n.r. Anneliese Metzger, Elisabeth Maier, Hedwig DengIer).

Die Begrüßungsrede, der Ansprachen in französischem ("Bonschur mä Damm e Mösjö dö la Franse!"), englischem ("Willköm Inglischmen") und italienischem Kauderwelsch ("Bon Dio Italiani!") folgten, ist dagegen nicht mehr frei von nationalsozialistischem Ungeist. Nach einer aufmunternden Einleitung:

"Ihr Gäste kommt aus weitem Land
Uns umschlingt doch Alle das selbe Band
Ihr Engländer und Franzosen
Ihr Italiener und Japaner
Ihr aus dem Land der blühenden Rosen
Ihr Festlandtreter und Insulaner
Ihr Schwarze Gelbe und Braune
Ihr kommt mit froher Laune
Zum Weltkurort ins Dreisamtal"

heißt es nämlich schon wenige Verse später:

"Dem Meckerer weisen wir die Tür
Laßt Ihn über den welschen Grenzen
Das Maul aufreißen bis zum Verschlenzen
Laßt Ihn drehen den Verleumderzopf
Wir machen alles nach unserm Kopf (...)

Wir wollen nur die deutsche Ehre wahren
Wir wollen zeigen daß wir Deutsche sind
Und nicht mehr dastehen wie ein verlassen Kind
Wir haben uns eine Wehr gebaut
Auf die die ganze Weltjetzt schaut.
Sie können nicht mehr mit uns spielen
Und uns den Schuldenbock zu schieben
Wir stehen da geeint im ganzen Reich
Der Bauer und der Edelmann, ganz gleich
Wir wollen Freunde uns erwerben
Den Bolschiwik geistig zu verderben
Drum freuen wir uns alle samt,
Daß Ihr gekommen seid in Seide und Samt"

In dieses Jahr fiel auch die Auseinandersetzung um eine Fastnachtsveranstaltung im Gasthaus "Löwen", dessen Inhaber, Fritz Rettich, dem Nationalsozialismus nicht verfallen war. Der damalige NSDAP-Ortsgruppenleiter korrespondierte darüber mit Johann Rieder und stellte es dem "nat-sozialistischen Empfinden der Parteigenossen anheim, .... ob dieselben das Lokal noch betreten oder nicht." (62
) Ferner garantierte er, daß den Besuchern des Balles keine Nachteile und Unannehmlichkeiten entstehen würden, zumal die Veranstaltung ja nur "aus Mangel an einem anderen für diesen Abend geeigneten Lokal im 'Löwen' " stattfinde. (63) Bilder aus diesem Jahr zeigen die "Schwedenmädchen" bei ihrem Rundgang durch verschiedene Lokale (Bilder 27, 28).


27 und 28 .Schwedenmiidchen" beim Umgang in verschiedenen Lokalen. (Mit: Hedwig Dengier, Elisabeth Maier, Armeliese Schindier, verh. Metzger - links; Herrn Rohrer, Robert Pfaff, Josef Goldschrnidt - rechts

"Cirkus Bruch und Krach" hieß das Thema der Fastnacht 1938, die wieder unter dem Protektorat des Prinzen Karneval stand. Am Nachmittag des Schmutzigen Donnerstags wurden Seine Närrische Hoheit und die Ehrengäste angekündigt, am Abend fanden der Empfang des Prinzen durch die Hemdglunker und die "große närrische Begrüßung der Cirkus-Direktion in der glückbringenden Fortuna" statt. Am Sonntag um 1/2 2Uhr begann das Programm mit dem Ausladen des Riesenzirkus am Verladebahnhof in Kirchzarten. Darauf setzte sich ein Reklameumzug durch das Dorf in Gang. Darunter waren "noch nie gesehene Raubtiere. Nur rassereine Menschen und Tiere". Anschließend gaben die Artisten eine Gala-Vorstellung auf dem Kirchplatz, die bei schlechter Witterung in der Festhalle Kirchzarten stattfinden sollte. Abends beschloß ein Artisten-Ball "mit zahmen Raubtieren im Löwen-Zwinger bei Rettich und Bier" die Veranstaltung. Die Programmfolge der Galavorstellung sah Konzerte, Dressuren und Artistik vor, wobei der Radfahrverein eine junge Dompteuse ("Fifli die Tigerbraut"), der Sportverein "die besten Akrobaten aller Länder im Stemmen, Ringen und Boxen" , der Gesangverein dressierte "Berberlöwen" und der Schützenverein "Kunstschützen aus Mexiko" präsentierte. H.J. Schweizer, Otto Trescher sowie die Herren Steinhardt und Rombach führten außerdem Dressuren mit einem "Pony", "Braunbären" und "Affen" vor. Montag und Dienstag folgten "Einzelvorstetlungrn in sämtlichen Lokalen von Kirchzarten", Cirkus-Ball mit Fütterung sämtlicher jungen Raubtiere". "Tränken der Raubtiere" und schließlich die Einäscherung des Prinzen, "Nachruf und Beweinung in der alten Post".
(64) Bei aller unbeschwerten Ausgelassenheit der Fastnachtsnarren blieb auch diese Veranstaltung nicht frei vom ideologischen Ballast der Zeit. In der Begrüßungsrede der Cirkusdirektion mischten sich nämlich karnevalistische Verse mit deutlichen politischen Anspielungen. Unter der Überschrift "Weltcirkus 1938" wurden verschiedene Ereignisse der Zeit glossiert, wobei dem heutigen Leser die Drastik der Darstellung bemerkenswert erscheinen muß. Solche Texte, die eine nahezu selbstverständliche Folge der nationalsozialistischen Propaganda bildeten, werden damals niemand erschüttert haben. Nach dem Vergleich der Genfer Konferenz mit einer Cirkusdirektion (65) fuhr der Verfasser fort:

Die ganze Welt muß auf sie hören,
Es ist der Michel, der Japs, der Italiener,
Ja mit der Zeit werden sie sich an sie gewöhnen.
Doch jetzt wird Cirkus in Genf gespielt
Und lustig nach dem großen Bären geschielt,
Das größte Raubtier der Weltgeschicht'
Verkleidet ist bis ins Gesicht,
Mit billigen sanften Farssen
Will er die Welt abgrassen.
Laßt Blut in die Arena spritzen
Mit Handgranaten und Haubitzen,
Hinter allen Masken er sich vergricht,
Bis ein Anderer die Hände verbricht.
Sag mir, ist das nicht Cirkusbetrieb
Doch bestimmt nur dem Juden zu lieb?
Der Jud hält sich als Direktor
Schön und schlau hinter dem Tor,
Er hetzt und schäumt mit Lügenmaulei,
Grad wie die alte Cigeunerweiber.
Nur Geld ist ihm das größte Gut,
Auf uns hat er ja keine schlechte Wut.
Den Cirkus glaubt er allein zu direktieren
Und tut sich niemals vor Mord schenieren.
Doch wird auch ihm einst der Stern verblassen
und seine Heimat muß er verlassen,
So ist Cirkus in der Welt. (66)

Unabhängig vom Thema "Cirkus" traten in diesem Jahr die Geisselklöpfer als Narrennest der "Peitschenknaller" zusamrnen (67). Schon im Jahr zuvor war die Umbenennung der "Gro-Ki-Fag" in "Narrenzunft Kirchzarten" erfolgt. Beim Rosenmontagsumzug in Freiburg war Kirchzarten mit einer entsprechenden Tafel (vgl. Bild 26) und den "Peitschenknallern" vertreten.

Den allgemeinen Richtlinien folgend, schilderte die Presse auch 1938 die "AIemannisch- Oberrheinische Fasnet". In der .Freiburger Zeitung" vom 24. Februar 1938 heißt es: "Fasnacht überall alter Volksbrauch". Dabei formulierte der Verfasser auch einen für die Zeit ganz typischen Absatz über den "Sinn der Fasnacht", worin sich die Parteidirektive nun ganz deutlich abzeichnet: "Am Sinn der Fasnacht wurde schon viel herumgerätselt. Man denke nur daran, daß lange Zeit nicht entschieden werden konnte, ob es nun Fastnacht oder Fasnacht heißt. Letzten Endes ist ihr Sinn doch im Kampf gegen den Winter und alle bösen Dämonen verankert, die man durch Lärm und dadurch zu vertreiben suchte, indem man sich so kleidete, wie man sie sich in der Phantasie ausmalte. Und hierin liegt wohl auch der Unterschied zum rheinischen Karneval, der lediglich ein Ausdruck unbändiger Lebensfreude darstellt". Diese Äußerung geht einem Bericht über verschiedene Narrenorte voraus, der in der Aufforderung gipfelt, "dem frohen Treiben der Narren etwas nachdenklicher zuzusehen". Schließlich sei die Gründung des Bundes " 'Deutscher Carneval', in dem auch die alten Narrenzünfte zusammengeschlossen sind, ... ein Willensausdruck unserer Regierung, welche die Parole herausgab: fliegt echte Fröhlichkeit und vor allem das fasnächtliche Brauchtum, wo es wirklich echt und volkstümlich ist". Der Artikel zeigt sehr deutlich, wie sich bereits 1938 die neue Sprachregelung Fasnacht (ohne "t") durchgesetzt hatte. (68.) Bilder "echter Fröhlichkeit" aus dieser Zeit haben sich auch aus Kirchzarten erhalten (Bilder 35, 36).


35 Narrentreiben in den Lokalen. (Mit: Frau Lorenz, Armeliese Schindler, Frau Heitzmann, Frieda Probst und Karl Scherer).
36 Narrenrunde. 1938. (Mit: Karl_Schindler, Albert Jehle, Emil Macket, Frau Heitzmann und Anneliese Metzger)

Zur .Fasnet" des Jahres 1939 kamen mehrere Freiburger Narrenvereinigungen nach Kirchzarten. Während man unter dem Motto "Mach auf dein Herz für Zigeunerscherz" eine Reihe von Veranstaltungen durchführte (Bilder 37,38), waren am Sonntag die "Freiburger Fasnetrufer" (Bild 39), die "Oberwiehremer Kindsköpfe", die "Herdemer Lalli" und die "Waldseematrosen" zu Gast. Unter den Kirchzartener Gruppen fielen besonders die "Holländerinnen" auf (Bild 43). Zum ersten Mal traten auch die drei roten Teufel (Fastnachtslader) in Erscheinung. Schon 1938 waren beim Schnitzer Fritz Disch in Elzach drei Fastnachtslader-Masken bestellt und dafür Gewänder nach einem Entwurf des Kunstmalers Johannes Thiel angefertigt worden. Die zunächst sogenannten "Fasnetlader" wurden mit zwei Laternen und ausgehöhlten Ochsenhörnern zum Blasen ausgestattet. Unter den Masken steckten 1939: Karl Maier, Hans Lehmarm und Josef Würrnle. Auf einer jüngeren Aufnahme trägt der Mittlere von ihnen die erste Teufelsmaske aus der Werkstatt Gerhard von Ruckteschells, entstanden zu Beginn der Fünfziger Jahre. Zu den Neuerungen des Jahres 1939 zählten die Finanzierung der Fastnacht durch Plakettenverkauf sowie die Herausgabe einer gedruckten Narrenzeitung und eines geschriebenen Programmes (Bild 48). Der Zweite Weltkrieg brachte dann sämtliche öffentlichen Fastnachtsveranstaltungen zum Erliegen.



37 Zigeunerfasnet 1939. (Mit: August Schreieck, Maria Rombach, Oskar Rombach, Albert Jehle und Gretel Hug)
38 Zigeunerfasnet1939. (Mit: Marie Rombach, Alfons Lehmann; rechts: Oskar Rombach)

43 Die "Holländerinnen" beim Kirchzanener Umzug (1939)
(v.l.n.r. Albert Pfaff, Anneliese Metzger, Elisabeth Meier,
Hedwig Dengler und Martha Nowak).
48 Fasnetprogramm der Narrenzunft Kirchzarten 1939.

Der allgemeinen Lockerung von Fastnachtsverboten zu Beginn der Dreißiger Jahre folgte also bald die ausdrückliche Genehmigung historischer, d.h. überlieferter älterer Bräuche, die geeignet erschienen, besondere lokale Eigenheiten auszudrücken. Unter den Nationalsozialisten wurden viele Bräuche in ein kulturpolitisches Programm integriert, das die Bevölkerung auf eine feme, mythische Vergangenheit aufmerksam machen sollte. Daß die verantwortlichen Propagandisten dabei ausgerechnet christliche Bräuche umpolten und in den Dienst ihrer Sache stellten, gehört zu einem ihrer geschicktesten Unternehmen, weil so, für viele unmerklich, bekannte Formen mit neuen Inhalten gefüllt werden konnten und der Bevölkerung ein Bruch mit dem Vertrauten erspart blieb. Die Förderung größerer Institutionen und Verbände, die sich um die Erhaltung der überlieferten Fastnachtsbräuche verdient gemacht hatten oder dazu antreten wollten, gehörte ebenso zu diesem Programm wie die Unterstützung traditioneller Narrenorte durch Veranstaltungen von "Kraft durch Freude". (69)

62
Durchschlag des Originalprogramms und der folgenden Festreden im Archiv der "Höllenzunft".
63
Ebd
64 Ebd.
65 Ähnlich in Nürnberg 1935, wo ein Festwagen mit den "Genfer Abrüstem" besetzt war. Vgl. J. Küster (wie Anm. 21), S. 219.
66 Wie Anm. 60.
67 In einem Brief an Willy Jäger teilte Johann Rieder am 23.2.1938 mit, daß Kirchzarten ein Narrennest erhalten habe: In der Aufmachung von Peitschenknaltem".
68 Vgl. D.-R. Moser. Wie aus Fastnacht und Fasnet "Fasnacht" wurde.
69 Vgl. U. Jeggle, Fasnacht im Dritten Reich, S. 230f. ,,1935 steigt KdF voll in den Freizeitbereich ein, es werden fokale Bälle, Fahrten nach Mainz und München organisiert. Die Annäherung von Nazis und Narren schritt voran. Eine SA-Versammlung in Rottwei! erreichte im Februar '35 ihren Höhepunkt, nachdem Soldatenlieder aller Arr und komische Freiübungen absolviert waren, als ein Brieler Rößle mit lautem Huhu in den Saal sprang und der Rottweiler Narrenmarsch gespielt wurde', In München säumten 100.000 und Göring und Göbbels und Epp die Straßen, die 3000 Mitwirkende durchzogen, darunter auch damals schon die Goaßlschnalzer." )

In besonderer Weise dafür geeignet erschien die "schwäbisch-alemannische Fasnet" mit ihren archaisch anmutenden Erscheinungsforrnen ländlicher Prägung, die aber in den spätmittelalterlichen Städten - wie Basel, Straßburg, Freiburg oder Rottweil - entwickelt worden waren (70) und erst später aufs Land hinaus drangen. Hier glaubte man vorgeschichtliche Kulturformen am leichtesten erfassen zu können und grenzte sie daher auch gegen die offensichtlich städtischen Formen romantischer Prägung des rheinischen Karnevals ab. Ein Ziel der Verantwortlichen bestand dann darin, die karnevalistischen Veranstaltungen zurückzudrängen und an ihrer Stelle die höherbewertete "Fasnet" zu etablieren.

Vor diesem Hintergrund vollzog sich auch in Kirchzarten eine Entwicklung, die aber, infolge der rein karnevalistischen lokalen Vergangenheit, nur zögernd in Gang kam. Die Initiatoren dieser "Wende" folgten dabei der Mode - sicherlich ohne politisches Anliegen; sie hatten nur die Bereicherung der heimischen Fasnet im Auge. Ihre Wahl fiel jedoch auf Figuren, die aus traditionsreichen Narrenorten wie Elzach, Gengenbach oder Offenburg bekannt waren, wo die "schwäbisch-alemannische Fasnet" gegenüber dem rheinischen Karneval immer größere Bedeutung besessen hatte. Der intensive Kontakt mit der "Breisgauer Narrenzunft" und dem "Verband Oberrheinischer Narrenzünfte", aus dem ein Briefwechsel (71), gegenseitige Besuche und die Teilnahme an den überregionalen Narrentreffen in Säckingen und Lörrach hervorgegangen waren, förderte dabei auch die Reform des Karnevals in Kirchzarten, "Alte Bauemweiber", "Hexen", "Teufel", "Peitschenknaller" und "Hemdglunker" standen im Grunde in keinem Zusammenhang mit den überlieferten regionalen Brauchformen, die sich in Kirchzarten ja auch bis 1939 behauptet hatten. Doch prägten diese Masken die Fastnacht nach 1949.

Dem Einfluß der Kultur- und Gesellschaftspolilik im "Dritten Reich" konnten sich auch die Fastnachtsnarren in Kirchzarten nicht ganz entziehen. (72) obwohl der Anteil der 1933 für die NSDAP abgegebenen Stimmen in Kirchzarten deutlich unter dem Durchschnitt lag (Kirchzarten 39,4 % gegenüber 54,7 % im Landkreis Freiburg und 42 % in Württemberg).

Bemerkenswert erscheinen die widersprüchlichen Äußerungen der Veranstalter 1937 und 1938. Da gab man einerseits seinem Gefühl, der Ausgelassenheit, der Festlaune und dem Verlangen nach Einigkeit und Brüderlichkeit Ausdruck und hieß alle Nationalitäten, darunter auch die Franzosen und Engländer im "Weltkurort Kirchzarten" willkommen, bezichtigte dann aber die "welschen Meckerer" der Verleumdung und stellte vor dem Hintergrund der Lasten aus dem Versailler Vertrag die neugewonnene deutsche Einheit und Stärke dar. Die "Bolschewiken-", Zigeuner- und Judenhetze im folgenden Jahr vertrug sich noch weniger mit dem Thema des Festes "Cirkus" und stand zudem im Widerspruch zum Motto der folgenden Fastnacht, wo gerade das Zigeunerleben - und zwar ohne Spott und Hetze - als Thema der offiziellen Veranstaltungen gewählt wurde. Offenbar begegneten sich in diesen Jahren menschliche Bildung, traditionelle Liberalität und nationalsozialistische Ideologie, wobei gerade die Fastnacht mit ihren überlieferten Rügegerichten und anderen Formen der spöttischen Kritik Gelegenheit bot, die neugewonnene Stärke zu demonstrieren.

70 Vgl. P. Kalchthaler und J. Küster, Narrenliteratur am Oberrhein.
71
Die Korrespondenz zwischen Johann Rieder. Harry Schäfer und Willy Jäger aus den Jahren 1937 und 1938, in der es um Anregungen zur Fastnachtsgestaltung und Besuche geht, ist teilweise in den Akten der "Höllenzunft" erhalten.
72
Die geistige Freiheit, den "Führer" und sein Reich zu glossieren, bewahrten sich die Narren offenbar nur in größeren Städten. Im Rottweiler "Narrenblättle" erschienen damals parodistische Beiträge von erstaunlicher Offenheit. - Vgl. W. Mezger (wie Anm. 35), S. 95f. Der Konstanzer "Hemdglonker" veröffentlichte schon 1932 entsprechende Artikel. Da heißt es beispielsweise: ..An mein Volk! Ich, Adotf I.. Priäendant des Thrones der Adatschi-Neger, der Herzog von Braunau. dem Lande, das sich durch seine hochentwickelte Mausefallenproduktion berühmt gemacht, erfüllt von deutscher Art mit original-tschechischer Verbrämung, tue dem geistig verarmten deutschen Volke und Meinen hochedelrassigen Getreuen kund und zu wissen, daß Ich gewillt bin, alle zu zerschmettern, die gegen Mich und Mein kommendes Reich sind. Deutsche Art und deutsches Wesen, kann nur durch mich genesen!". Vgl. E. Hofmann, Konstanzer Fasnacht, S. 130.