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Maria-Linden auf dem Lindenberg

Johannes Kuenzig
Schwarzwaldsagen
Verlag Diederichs, 1930, Seiten 239-242


Deutscher Sagenschatz

Eine handschriftliche Aufzeichnung von 1721 (Abschrift eines älteren Schriftstückes) erzählt: Pantaleon Meyer, ein begüterter Bauer in Unteribental, hatte fortgesetzt Unglück mit seinem Vieh, und keines der angewandten Mittel wollte helfen. Da hörte er eines Nachts im Traum eine Stimme, die ihn aufforderte, zum Lob der allerheiligsten Jungfrau auf seinem Gut eine Bildsäule zu errichten. So werde er dem Unglück in seinem Stalle steuern und auch in Zukunft davon bewahrt bleiben. Der Bauer ließ eine hölzerne Bildsäule setzen, die Seuche hörte auf – und in alles seinen Geschäften spürte er deutlich Gottes Segen. Bald darauf erschien die Himmelskönigin einem Hirtenknaben auf der Weide, wie er gerade am Fluchen war, weil er nur taube Haselnüsse gefunden hatte. Sie verwies ihm streng sein Fluchen und trug ihm auf, dem Hofbauern zu bestellen, er solle eine Kapelle erbauen. Zum Zeichen ihrer himmlischen Herkunft sagte sie noch, daß binnen Jahresfrist die drei reichsten Bauern des Tales sterben würden. Der Bauer wollte dem Verlangen nachkommen und die Kapelle an dem Ort der Erscheinung, a der Quelle beim Gallihof, errichten, die übrigens heute noch die Muttergottesquelle heißt. Durch höhere Gewalt wurde dieser Plan aber jedes Mal vereitelt, und schließlich baute man die Kapelle auf dem Berg. Groß war bald die Zahl der Gebetserhörungen, und von Jahr zu Jahr wuchs die Zahl der Pilger.
Anders erzählte man im letzten Jahrhundert die Erbauung der Kapelle und ihre weiteren Schicksale: In dem Thale, das von Burg herauf gegen St.Märgen zieht, war vorzeiten keine Kirche. Daraus entstanden für die Bewohner viele Beschwerden, und sie beschlossen, sich eine Kirche zu bauen, allein sie konnten über den Platz nicht einig werden. Die Leute des oberen Tales wollten sie dort, die des unteren Tales bei sich haben, und jeder Teil fällte schon Bauholz und führte es an die von ihm gewünschte Stelle. Bei einer gemeinschaftlichen Beratung schlugen einige vor, in die Mitte des Tales zu bauen, aber sie wurden von den Reichen, von denen die meisten an den Enden des Tales wohnten, überstimmt, und die Versammlung trennte sich spät in der Nacht mit dem Entschlusse, gar keine Kirche auszuführen. Am nächsten Morgen lag das Bauholz nicht mehr an seinen Stellen, sondern beisammen auf dem Lindenberg. Jeder streitende Teil hielt dies für einen Streich des andern, ohne zu bedenken, daß dieser unmöglich in einer halben Nacht das Holz hinaufschaffen konnte. Um es herabzubringen, brauchten beide Teile nämlich einige Tage. Als sie dann fertig waren, kam in der folgenden Nacht all das Holz wieder auf den Berg. Das wurde nach dem Rate der Klostergeistlichen von St.Peter , bei denen man die Sache angezeigt hatte, nochmals das Holz ins Tal geschafft und dabei ein Zimmergesell als Nachtwache aufgestellt. Um ja nicht einzuschlafen, fing er an zu rauchen, aber trotzdem fielen ihm die Augen zu; als er sie wieder aufschlug, lag er, die brennende Pfeife im Mund, mit allem Bauholz auf dem Berg. Da überdies auf dem Platze ein großer Lindenbaum stand, der Tags zuvor noch nicht dagewesen war, erkannte man endlich den Willen Gottes und baute dort die Kirche Maria-Linden, jedoch ohne dabei einen Geistlichen anzustellen. Wegen dieses Mangels musste der Gottesdienst von St.Peter aus versehen werden; das hatte aber manche Unbequemlichkeit, so daß die Kirche nach einigen Jahren fast gar nicht mehr besucht wurde.
Zur Strafe dafür brachen drei Jahre nacheinander in dem Tal Seuchen aus, die rafften zuerst alles Hornvieh, dann die Pferde und zuletzt die Schweine und Schafe weg. Größer noch wurden die Drangsale, als man die Kirche abgebrochen und ihr Gerät mit dem Gnadenbild der Mutter Gottes nach Eschbach verkauft hatte. Verheerende Brände nahmen überhand, eine Menge taubstummer und krüppelhafter Kinder kamen zur Welt, und ansteckende Krankheiten wüteten so heftig, daß viele Häuser gänzlich ausstarben. Wegen dieser Trübsale bekam die Gegend den Namen Übeltal, und die meisten Bewohner zogen von da weg nach dem Dorfe Eschbach.
Doch weil die Eschbacher das Gnadenbild von Maria-Linden gekauft hatten, wurden auch sie mit Strafen heimgesucht. Sieben taubstumme Kinder wurden dort in einem Jahr geboren und viele solcher Geburten kamen noch vor, bis die Eschbacher auf den Rat ihres Pfarrers das Kirchlein Maria-Linden wiederaufbauten und alles, was sie daraus gekauft hatten, dahin zurückgaben. Da hörten die Leiden Eschbach und des Übeltals mit einmal auf, und der Name des Tales wurde jetzt in Ibental abgeändert.

Das Spankreuzchen in der Lindenkapelle
Ein hochbetagter, fast blinder Bauersmann, Hans Zähringer aus Unteribental, hatte durch die Herzlosigkeit seiner Familie viel Not zu erdulden. Um die Hilfe des Himmels zu erbitten, wallfahrtete er einst nach der Lindenkapelle. Er verrichtete dort seine Andacht und setzte sich dann ganz getröstet auf einen Haufen Holzspäne, um noch etwas auszuruhen. Da erschien ihm die Himmelskönigin, weckte den Schlafenden durch sanfte Berührung und versprach ihm ihre Fürbitte und Gottes Hilfe. Als sichtbares Zeichen nahm sie zwei Späne, legte sie übers Kreuz zusammen, und der Alte gab ihr ein Trumm von seinem Hosenband zum Zusammenbinden. Maria befahl ihm, dieses Kreuzchen dem Stifter der Kapelle, dem Hofbauern Pantaleon Mayer aus Unteribental, zu bringen und ihn zum weiteren Ausbau der Kapelle zu ermuntern. Pantaleon Mayer tat das gerne; dieses Kreuzchen aber wird seither in einer silbernen Kapsel an einer silbernen, von kunstreicher Hand verfertigten Kette in der Kapelle aufbewahrt. Im Chor der Eschbacher Kirche hängt ein Bild, das die erzählte Begebenheit darstellt: der alte Bauer kniet am Boden, hält das aus Spänen zusammengefügte Kreuzlein in die Höhe und blickt erstaunt zu Maria, die gen Himmel schwebt.