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Die Künstler-Familie von Ruckteschell im Dreisamtal


Woher stammte diese begabte Künstlerfamilie?
Der Vater Carl Nicolai Sergius, Doktor der Theologie und Pastor, hatte nach seiner Heirat mit der Baronin Catherina Helena von Engelhardt 10 Jahre in St. Petersburg gelebt, Dort war er wegen seiner Missionierungstätigkeit in Ungnade gefallen und entging nur dank der Freundschaft seiner Frau mit der Zarin einer Verhaftung. Die Familie siedelte 1888 nach Hamburg über,
wo dervaterdann über 20 Jahre an der Friedenskirche in Hamburg-Eilbeck als Pastor wirkte. Sein Schwerpunkt war die Seelsorge in der von der SPD umworbenen Arbeiterschaft. Acht Söhne und sechs Töchter wurden der Familie geboren.

Gerhard v. Ruckteschell (1894 - 1970) - Bildhauer
Gerhard erblickte 1894 in Hamburg das Licht der Welt und durfte in einem künstlerisch und intellektuell anregenden Milieu aufwachsen. Nach dem Ersten Weltkrieg studierte er in Freiburg bei Prof. Willibald Gurlitt (+1963) Musik. Gurlitt war auf der Suche nach dem "historischen Klangbild" der älteren Musik. Auf ihn geht auch die nach alten Aufzeichnungen nachgebaute "Prätorius-Orgel” zurück, die nach ihrer Zerstörung im Krieg in der Aula der Universität neu erbaut wurde. Gerhard v. Ruckteschell gehörte zu den Studenten, die sich ebenfalls dem Interesse an der Wiederbelebung der alten Originalinstrumente widmeten. Er selbst spielte Geige. Die Musik allein genügte dem begabten jungen Mann aber nicht. Er wollte sich allseitig bilden. Seine Vorbilder waren expressionistische Künstler seiner Zeit mit ihrer Lebensphilosophie vom Gesamtkunstwerk auf der Basis handwerklicher Fertigkeiten. Er schuf in den zwanziger Jahren eine Reihe von Bildern im expressionistischen Stil, von dem er sich dann aber abwandte‚ um seinen eigenen "unheimlich guten Strich” zu finden. — So jedenfalls äußerte sich der Kirchzartener Cartoonist Thomas Zipfel, der sich an diesem Strich, wie er selbst sagte, schulte. Werke aus seiner Jugendzeit wurden Anfang der 1980er Jahre noch einmal im Rahmen einer Expressionisten—Ausstellung in Holland gezeigt.

Seit den 1950er Jahren wurde an der Verschönerung des Ortsbildes gearbeitet. Der damals in Burg am Wald wohnende Holzbildhauer Gerhard von Ruckteschell (1894-1970) gestaltete in dieser Zeit eine Reihe von Skulpturen und Kreuzen, die allenthalben im Dorfan markanter Stelle anzutreffen sind. Jeder kennt den unübersehbaren Pfaff-Salesi am Ortseingang (1956), aber auch den Mutterbrunnen am Rathausplatz (1958 ), den Trachtenbrunnen bei der Krone (1964), auf dem Alten Friedhof das Gefallenendenkmal mit drei Engeln (1957,) und das Holzdenkmal mit dem Auferstehungsengel, ferner die Kreuze am Brunnen an der Freiburger Straße (1950), an der Brücke nach Neuhäuser (1960) und am Giersbergparkplatz (1969). Eine Bronzebüste im Rathaus erinnert an Bürgermeister Dr. Gremmelsbacher. Leider sind der ausdrucksstarke Sämann, der lange vor der Sparkasse stand, ebenso wie die ein Meter hohen Schachfiguren aus dem öffentlichen Raum verschwunden. Dafür haben die Kirchzartener Hexenmasken jedes Jahr ihren Auftritt, die ebenso wie der Narrenbrunnen von Gerhard v. Ruckteschell ent- worfen wurden, so dass er die Kirchzartener Fasnet prägte. Noch manches Kleinkunstwerk findet sich in der Umgebung, so an der Kienzlerschmiede oder in der Laubishofkapelle in Burg und in manchem Privathaushalt. — Das Holzreliefdes sagenumwobenen Ritters Kuno von Falkenstein am Gasthaus Fortuna hat sein Sohn Christof (+1988) geschaffen, der als junger Mann in
der Werkstatt des Vaters gelernt hatte, dann Innenarchitekt wurde und in späteren Jahren noch den Meisterbrief des Schreinerhandwerks erwarb.

Im Sinne einer von ihm angestrebten allseitigen Bildung absolvierte Gerhard v. Ruckteschell in Freiburg bei Schreinermeister Paul Busse (+1944) nun eine Schreinerlehre. Dort lernte er seine Frau Gisela Toporski (T1971) kennen. lm Jahre 1927 erhielt er seinen Meisterbrief und eröffnete daraufhin im Neubergweg in Freiburg-Herden eine eigene Werkstatt.

 Mitte der 30er Jahre war er als Gewerbeschullehrer in Baden-Baden tätig. Sein um 12 Jahre älterer BruderWalter, ebenfalls künstlerisch tätig als Kunstmaler und Bildhauer, lebte nach längerem Aufrikaaufenthalt in Dachau, wo es noch eine denkmalgeschützte Ruckteschell-Villa aus den 1930er Jahren gibt. Im Ersten Weltkrieg hatte Walter General von Lettow-Vorbeck nach Ostafrika begleitet, mit dem zusammen er ein Buch mit Illustrationen von seiner Hand herausgegeben hat. 1935 zog ein weiterer Bruder, Hellmuth, in die Nähe Gerhards. Er war ehemaliger Fregattenkapitän der kaiserlichen Marine und nach dem Krieg, nach ordnungsgemäßer Lehrzeit, 1927 ebenfalls mit Schreinermeisterurkunde ausgestattet. Dieser hatte seine eigene Werkstatt in Bremen aufgegeben, wo er bekannt geworden war für seine vom Worpsweder Einfluss geprägten handgefertigten Möbel und filigranen Schnitzereien. Er hatte sich 1934 als Reserveoffizier reaktivieren lassen und neben seinen militärischen Übungen ein Kunststudium in Karlsruhe begonnen. Mit ihm zusammen machte Gerhard v. Ruckteschell nun in Baden-Baden eine eigene Werkstatt auf.

1938 siedelten die beiden Brüder in den Markenhof nach Burg im Dreisamtal über. Dort, im geräumigen, seit Jahren bereits profanierten Synagogenraum der ehemaligen jüdischen landwirtschaftlichen Lehranstalt richteten sie ihre Werkstatt ein. Sie versuchten in dieser "Villa am Park" die ideale "Lebensgemeinschaft zusammen mit Lehrern und Gesellen" umzusetzen. Mittlerweile hatte sich Gerhard v. Ruckteschell überwiegend der Schnitzkunst zugewandt. Diese hatte er sich als Autodidakt angeeignet, was nicht daran hinderte, daß erjahrelang ohne Lehre und Meistertitel in dieser Sparte in Südbaden lnnungsmeister der Holzbildhauer war. Seine Holzschnitzwerke waren gefragt, außerdem malte er auch. — Im Markenhof
konnte er seine vielseitigen Begabungen pflegen: Es wurde viel musiziert, mit eigenem Chor und zeitweise drei Quartett—Formationen - darunter ein liebevoll so genanntes "Babytett” der Jüngeren. Er malte auch, und seine Holzschnitzwerke waren gefragt. ln dieser Zeit war zu einem Konzert auch einmal derjunge Dietrich Fischer-Dieskau zu Gast.

Auf einer der Weltausstellungen in den 1930er Jahren — wohl 1937 in Paris, denn das Thema hieß damals „Kunst und Technik der Moderne” - hatte Gerhard v. Ruckteschell sich ein Patent für einen besonderen Typ der hoizgeschnitzten Kuckucksuhr geben lassen: Schwarzwaldhaus mit Figuren, die er in verschiedenen Variationen, z.B. auch mit Zwergen, in Zusammenarbeit
mit derTriberger Uhrenfabrik Herr in Einzelstücken herstellte. Während des
Krieges allerdings ruhte die Produktion, da beide Bruder als Reserveoffiziere eingezogen wurden. Nach dem Krieg und nach dem Tod des Bruders fertigte Gerhard v. Ruckteschell Möbel und Kleinplastiken wie etwa auch Krippenfiguren an sowie die verschiedenen, schon genannten Großplastiken in Kirchzarten. Die Uhrenherstellung war inzwischen von Fabriken mit
serienmäßiger Fertigung abgelöst worden. —

Mitte der sechziger Jahren zog die Familie in den Kirchzartener Innerort, wo Gerhard v. Ruckteschell seine letzten Lebensjahre verbrachte. Er hat, zusammen mit seiner Ehefrau Gisela, auf dem Alten Friedhof in Kirchzarten seine letzte Ruhestätte gefunden.
Rolf Miedtke
Aus: Johanna Pölzl - Spuren von gestern. Kirchzartener Persönlichkeiten.  Selbstverlag 2010, Seiten 77-80

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Walter von Ruckteschell (* 12. November 1882 in Sankt Petersburg; † 27. Juli 1941 im Mittelmeer) war ein deutscher Illustrator, Bildhauer und Autor.
Walter von Ruckteschell wurde 1882 in Sankt Petersburg als Sohn des Pastors Nicolai von Ruckteschell und der Baronin Catherina Helene von Engelhardt geboren. Sein Bruder war der Marine-Offizier Hellmuth von Ruckteschell. Ruckteschell schrieb sich mit 26 Jahren am 4. November 1908 in die Akademie der Bildenden Künste München bei Angelo Jank für Zeichnen ein, wechselte dann aber auf die Debschitz-Schule. Verheiratet war er seit 1911 mit der Keramikerin Clara Truëb (1882–1969)
1913 ging das Paar in die deutsche Kolonie Deutsch-Ostafrika, wo Ruckteschell Denkmäler und Skulpturen für öffentliche Plätze und Einrichtungen entwarf. Er meldete sich im Ersten Weltkrieg freiwillig zur „Schutztruppe“ und wurde Adjutant von Paul von Lettow-Vorbeck. Ruckteschell verfasste als Ghostwriter einen Großteil von Lettow-Vorbecks erfolgreichem Buch Heia Safari! Deutschlands Kampf in Ostafrika, zu dem er offiziell nur die Illustrationen lieferte. Neben den vielen Illustrationen in der deutschen Kolonialliteratur, wendete sich Ruckteschell nach dem Ersten Weltkrieg vornehmlich der Gestaltung von Kriegsdenkmälern zu.
In den 1920er Jahren lebte von Ruckteschell in Dachau; er war mit dem Ethnologen Leo Frobenius befreundet, der 1924 auf einer Feier im Hause von Ruckteschell seinen späteren Assistenten Hans Rhotert kennenlernte.
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Hellmuth von Ruckteschell

Hellmuth von Ruckteschell S.M.S. HERTHA
, geb. 23.3.1890 in Hamburg
, bis Febr. 1916 S.M.S. VON DER TANN , dann U-Schule, 1916/17 U '57
WO , dann U B 34 und U 54 Kommandant., mit diesem Versenkung des
 32 000 t großen Dampfers JUSTITIA ( EK II. , EK I. , Hamburger und Bremer Hanseatenkreuz, Ritterkreuz, Königlicher Hausorden von Hohenzollern mit Schwert), 
bis Mai 1919 Freikorps, Juni 1919 Ostsee MS Fl., mit U Z 1921 nach Schweden 
(da "schwarze Liste"), bis 1922 in Lappland Holzfäller, Motorbootsfahrer, Waldarbeiter, Dez. 22/26 Hilfszimmerer und Geselle in Oberammergau,
 Febr. 26 Bremen, 23.1.28 Meisterprüfung und selbst. Handwerksmeister. Obemeuland b. Bremen bis 33, 34 bei Pezold (Versuch, Lebenserinnerungen zu schreiben), 1935 an der Kunstschule Karlsruhe, 36 mit seinem Bruder Gerhard Uhrenwerkstatt in Baden-Baden, 1938 das gleiche in Burg b. Kirchzarten. 
Mit Beginn 2. Weltkrieg erst auf COBRA , dann Kommandant Hilfskreuzer WIDDER,
 31.10.1940 Ritterkreuz zum EK , 1940/41 in Danzig Umbau Hilfskreuzer MICHEL ( " Götz von Berlichingen" ) 1942/43 Kreuzerfahrt bis Japan, 23.12. 1942 Eichenlaub zum Ritterkreuz. E K , wegen schwerer Erkrankung Kommando. abgegeben, eingeliefert ins Krankenhaus Shanghai, dann Peking, 1946 repatritert, von den Briten herumgeschleppt (Asperg, Minden, London, Sheffield, Quorn, Munster-Lager) Mai 1947 Prozeß in Hamburg, Urteil 10 Jahre Gefängnis, 1947/48 in Fuhlsbüttel.
"Rucki" verstarb am 24. ]uni 1948 an Herzinfarkt im Lazarett des Gefängnisses am Sievekingplatz in Hamburg.
heiratete in 1. Ehe 10.2.1923 Annemarie Loerbrooks 
keine Kinder
heiratete in 2. Ehe 2.6.1938 Margret Fremerey verw. Reinhardt (Geb. 20.4.) Stiefkinder

Aus:
Chroniken der deutschen Marinebesatzung, German Navy Crew Chronicle, 1891-1918 (in German) record for Hellmuth Ruckteschell, Seite 150
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Aus:
J. Revell Carr
13 Millionen Tonnen, 2500 Schiffe, 5000 Leben
Seite 91
...... war (Hellmuth) von Ruckteschell Handwerker, ein deutscher Durchschnittsbürger, aber eben auch ausgezeichneter Marineoffizier mit einem ihm eigenen Sinn für Disziplin und Ehre. Er absolvierte zweiwöchige Reserveübungen und studierte zugleich an der Kunstakademie in Karlsruhe. In dieser Zeit fand er einen Menschen, der ihm für den Rest seines Lebens zum Ruhepol wurde. 1938 heiratete er die Witwe Amalie Margaret Femerey Reinhardt, die einen Sohn und zwei Töchter aus erster Ehe mit in die Familie brachte. Diese neue Familie von Ruckteschell und der Bruder Gerhard mit seiner Familie zogen gemeinsam auf den Markenhof in der Nähe von Kirchzarten, Hellmuth von Ruckteschells Zuhause für den Rest seines Lebens. Doch verbrachte er nur wenig Zeit dort. Kurz nachdem er sich in Kirchzarten niedergelassen hatte, wurde er in den aktiven Marinedienst einberufen. Von Ruckteschells Leben und das Hunderter anderer sollte grundlegende Veränderungen erfahren durch sein Wirken in dem Krieg, der bald darauf begann.
Das erkennungsdienstliche Foto des ehemaligen U-Boot-Kommandanten Hellmuth von Ruckteschell, aufgenommen nach seiner Ankunft in Göteborg. Dorthin war er 1919 geflüchtet, um einer möglichen Anklage als Kriegsverbrecher zu entgehen.


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Aus: J. Revell Car: 13 Millionen Tonnen, 2500 Schiffe, 50 000 Leben.  marebuchverlag, 2004, Teil l SCHICKSAL Kapitel 2

Der Auslöser
Hellmuth von Ruckteschell hat auf dramatische Weise das Leben vieler Menschen beeinflusst, er selbst jedoch hielt unbeirrt seinen Kurs durchs Leben. Dabei lässt sich sein Leben wahrlich nicht als gewöhnlich bezeichnen. Von Jugend an über seinen frühen Marinedienst im Ersten Weltkrieg und das «einfachen Leben, das er zwischen den Kriegen führte, bis hin zu seinem Dienst im Zweiten Weltkrieg und schließlich den Jahren nach dem Krieg war der Weg dieses Mannes durch ein Geflecht von Haltungen und Beziehungen geprägt, das ihn zu einer faszinierenden Persönlichkeit macht. Will man die zentrale Person in dem Drama um die Anglo-Saxon verstehen, muss deren Geschichte, die Geschichte Hellmuth von Ruckteschells, erzählt werden. Jeder Aspekt seines Handelns fußt auf vorherigem Geschehen und ist Indiz für die Vielschichtigkeit dieses Mannes. Er war Held und Schurke, Heiliger und Sünder zugleich, doch vor allem war er ein ernst zu nehmender Gegner der Seeleute der alliierten Handelsflotten.
Schon seine Herkunft belegt diesen Kontrast. Seine Mutter, die Baronin Catharina Helene von Engelhardt, verlieh dem elterlichen Haushalt einen aristokratischen Anstrich; sein Vater, Carl Nikolai Sergius von Ruckteschell, Doktor der Theologie, blieb sein Leben lang Pastor. Das Heim der von Ruckteschells war voller intellektueller, musischer und künstlerischer Anreize, die sich im Leben der Kinder der Baronin und des Pastors widerspiegelten. Die ersten zehn Jahre ihrer Ehe verbrachte das Paar in St. Petersburg; ihr erstes Kind, Walter Alexander Moritz von Ruckteschell, der auf Hellmuths Leben großen Einfluss haben sollte, wurde 1882 in Russland geboren. Um 1888 zog Pastor Dr. von Ruckteschell durch seine Tätigkeit den Zorn der Behörden des Landes auf sich, die der Missionsarbeit keineswegs freundlich gegenüberstanden. Dank der Freundschaft seiner Gattin mit der Zarin entging er einer Verhaftung, musste aber das Land verlassen. In Hamburg fand er ein neues Heim und eine neue Wirkungsstätte. Zwei Jahre später war er wieder mit Frau und Kind vereint, und im März 1890 brachte die Baronin Hellmuth zur Welt. Vierzehn Kinder wurden in diesen ungewöhnlichen Haushalt geboren, acht Jungen und sechs Mädchen. Hellmuths Vater war Pastor an der Friedenskirche in Hamburg-Eilbek und hatte dieses Amt zwanzig Jahre lang inne, von Hellmuths Geburt bis zu seinem Tode 1910 im Alter von siebenundfünfzig Jahren.
Hellmuth Max von Ruckteschell blieb nur bis zu seinem elften Lebensjahr im Elternhaus; dann wurde er an das Voss-Gymnasium in Eutin geschickt, etwa achtzig Kilometer nordöstlich von Hamburg. Zwei Jahre lang besuchte er diese Schule und fand in dieser Zeit Unterkunft bei einem Fräulein Jencus. Als er später einmal gefragt wurde, was ihn zum Dienst in der Marine gelockt hatte, antwortete er: «Von frühester Kindheit an hatte ich mit der See zu tun, da ich doch so nah am Meer geboren wurde und auch mein Vater die Marine liebte, und ich entschloss mich zum Beruf des Seemannes, weil es mir so gut gefiel.» Zu Ostern 1903, mit gerade einmal dreizehn Jahren, trat Hellmuth von Ruckteschell dem Kadettenkorps in Plön bei, gelegen am Plöner See, zwischen Hamburg, Kiel und Lübeck-Travemünde, in unmittelbarer Nähe einiger großer deutscher Häfen und Marinezentren.
Zu dieser Zeit leistete sein älterer Bruder Walter seinen Militärdienst bei der Infanterie ab. Walters künstlerische Neigungen waren stark ausgeprägt; er hatte nicht vor, eine Laufbahn beim Militär einzuschlagen, wie dies seinem acht Jahre jüngeren Bruder vorschwebte. Im Rang eines Leutnants der Reserve widmete Walter sich später seinen Kunststudien in München, während der junge Hellmuth 1907 in die Hauptkadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde eintrat und sich ganz einem Lebensweg verschrieb, der ihm, wie er hoffte, zu einer glänzenden Karriere als Marineoffizier verhelfen würde. Innerhalb von zwei Jahren bestand er seine Seekadettenprüfung und wurde Angehöriger der Kaiserlichen Marine. Vom Mai 1909 bis zum März des folgenden Jahres fuhr der Seekadett von Ruckteschell auf dem Kreuzer Hertha über den Atlantik. Er stattete Nord- und Südamerika erste Besuche ab, und einen Monat nach seiner Rückkehr wurde er Fähnrich zur See. Der Ausbildung an der neuen Marineschule in Flensburg-Mürwik folgten Spezialkurse über Marineartillerie und Torpedowesen, bei denen er Fähigkeiten erlangte, die er im Laufe seiner Karriere wirkungsvoll einzusetzen wusste.
Am 1.Oktober 1911 meldete sich der intelligente, gut ausgebildete junge Fähnrich zur See auf seinem ersten Schiff, dem Schlachtkreuzer Von der Tann. Als sich die Gewitterwolken des Ersten Weltkriegs zusammenzogen und 1914 der Krieg begann, war er auf diesem Schiff. Offensichtlich verrichtete er seinen Dienst gut, denn nach nicht einmal einem Jahr war er bereits Leutnant zur See und wurde im Mai 1915 zum Oberleutnant zur See befördert; im Oktober desselben Jahres erhielt er seine erste Auszeichnung, das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse.
Von Ruckteschell war fünfundzwanzig und hatte nahezu sein halbes Leben der Ausbildung und dem Dienst bei der Marine gewidmet. Für einen jungen Marineoffizier war schneller Erfolg nur mit dem Kommando über ein Schiff zu erreichen. Große Schiffe wie die Von der Tann wurden von sehr viel höherrangigen Offizieren kommandiert; doch ein neuer, dynamischer Bereich der Kriegsmarine war wie maßgeschneidert für einen ambitionierten, intelligenten jungen Offizier - U-Boote. Im Frühling 1916 erhielt von Ruckteschell seine Chance.
Nur drei Monate nachdem er von Bord der Von der Tann gegangen war, um die U-Boot-Sonderausbildung zu absolvieren, nahm der Kreuzer an der Skagerrakschlacht teil. Die britische Grand Fleet unter Führung des Admirals Sir John Jellicoe verwickelte die deutsche Hochseeflotte unter dem Kommando von Admiral Reinhard von Scheer an der dänischen Küste vor Jütland in ein Gefecht. Zwar waren die britischen Verluste höher als die der Deutschen, doch konnte keine Partei die Schlacht für sich entscheiden; die Briten sicherten sich die Oberhoheit über die Weltmeere, und die deutsche Hochseeflotte kehrte in ihre Häfen zurück. Da ihre Kriegsschiffe nicht ungehindert die Meere befahren konnten, setzten die Deutschen auf eine Strategie, die jungen Offizieren (von denen einige während des Dritten Reichs zur Führung der Marine gehörten) Gelegenheit gab, Ruhm und Ehre zu erlangen. Geplant war ein uneingeschränkter U-Boot-Krieg, mit dem die britische und die alliierten Handelsflotten terrorisiert werden sollten.
Im Ersten Weltkrieg kamen verschiedene neue Kriegswaffen und -techniken zum Einsatz, darunter Giftgas, die Bombardierung der Zivilbevölkerung von Zeppelinen aus und die im Verborgenen operierenden U-Boote. Den Einsatz dieser Unterseeboote gegen Frachtschiffe hielt man für einen Verstoß «gegen das Gesetz und das Diktat der Menschlichkeit. Großbritanniens First Lord of the Admiralty, Winston Churchill, wurde 1913, also vor dem Krieg, ein Bericht vorgelegt, in dem auf einen möglichen Einsatz von U-Booten gegen Handelsschiffe hingewiesen wurde. Churchill allerdings bezweifelte, daß die deutschen Unterseeboote zur Versenkung unbewaffneter Handelsschiffe ohne Anruf oder ohne Möglichkeiten zur Rettung der Besatzungen verwenden würden. Das stand in allzu krassem Widerspruch zu den seit undenklichen Zeiten existierenden Gesetzten und Usancen der Seefahrt.
Am 7. Mai 1915 wurde vor der irischen Küste südlich von Cork, unweit des Dorfes Kinsale, das majestätische Passagierschiff Lusitania, das sich kurz vor seinem Zielhafen befand, von einem Torpedo der deutschen U-20 getroffen. Die Welt war schockiert; man könnte diesen Angriff als das Hiroshima jener Zeit bezeichnen. Innerhalb von zwanzig Minuten versank das Schiff in den kalten Fluten und riss 1198 Männer, Frauen und Kinder mit sich.
Die Nachricht von dieser Tat führte zu einer umgehenden Reaktion der Alliierten und der Vereinigten Staaten. 128 amerikanische Staatsbürger hatten den Tod gefunden. Zu seiner Rechtfertigung verwies Berlin darauf, dass die Lusitania durch Anzeigen in New Yorker Zeitungen gewarnt worden sei, Schiffe dieser Art könnten unter Beschuss geraten. Es wurde zudem behauptet (und wird bis heute diskutiert), dass die Lusitania Munition an Bord hatte und insofern ein legitimes Ziel darstellte. Kapitänleutnant Walther Schwieger, der das Kommando über die
U-20 hatte, konnte jedoch keinerlei Kenntnis davon haben, ob sich Munition an Bord befand oder nicht, als er den Torpedo auf das Passagierschiff abfeuerte und damit zweifelhaften historischen Ruhm erlangte.
Jahrhundertelang waren Handelsschiffe in Kriegszeiten Angriffsziele, doch galt als allgemein anerkannt, dass ein Schiff gestoppt werden sollte, um der Besatzung Gelegenheit zu geben, von Bord zu gehen, bevor es versenkt wurde. Es gibt Beispiele aus beiden Weltkriegen, in denen Schiffe, die keine Rettungsboote an Bord hatten, die die Besatzungen hätten aufnehmen können, ihre Fahrt fortsetzen durften, nachdem die Seeleute versichert harten, nicht weiter am Kriegsgeschehen teilzunehmen. Es ist überdies ein Fall bekannt, in dem ein Schiff verschont und umdirigiert wurde, um die Mannschaft eines anderen versenkten Schiffes aus dem Wasser zu bergen. Ein solches Verhalten stand allerdings in völligem Gegensatz zum eigentlichen Auftrag von U-Booten. Sie waren entwickelt worden, um ungesehen feindliche Verteidigungslinien zu unterlaufen, Torpedos auf Ziele abzufeuern, die nichts von der Anwesenheit des Feindes ahnten, und unbemerkt zu verschwinden - eine zutiefst unheilvolle Gefahr. Allein die Angst vor einem unsichtbaren Gegner ist eine mächtige, zermürbende Waffe.
Nach einer anfänglichen Phase des uneingeschränkten U-Boot-Einsatzes legten die Vereinigten Staaten massiven Protest ein. Die deutsche Regierung, die keinen diplomatischen Bruch mit den Vereinigten Staaten oder gar deren Kriegseintritt provozieren wollte, ordnete im Frühling 1916, zum Bedauern der betroffenen Kommandanten, eine Einschränkung der U-Boot-Offensive an. Die U-Boote sollten von nun an nach der Prisenordnung agieren, die verlangte, ein Schiff zunächst zum Anhalten aufzufordern, die Schiffspapiere, Ladepapiere und die Ladung selbst zu kontrollieren und für die Sicherheit der Passagiere und der Besatzung zu sorgen. Während weltweit die Debatte um die moralischen Auswirkungen des U-Boot-Krieges geführt wurde, blieben die Kommandanten in ihren Möglichkeiten beschränkt und waren ihrer wirkungsvollsten Methode, der heimlichen Annäherung, beraubt. Dies war die komplizierte Welt der Marine, in die Hellmuth von Ruckteschell eintrat, als er im März 1916 seine U-Boot-Ausbildung in Eckernförde begann.
Nach viermonatiger Ausbildung zum U-Boot-Wachoffizier meldete er sich am 6.Juli 1916 auf der U-57, die an diesem Tag in Dienst gestellt wurde. Im Laufe des folgenden Jahres nahm er eine Schlüsselrolle hinsichtlich der erfolgreichen Bilanz dieses Bootes ein. Sein Lehrmeister war Kapitänleutnant Ritter von Georg, der in Deutschland zum Helden wurde, weil er nahezu 100.000 Bruttoregistertonnen an feindlichen Schiffen versenkte; seine aggressive Taktik brachte ihn nach Kriegsende auf die britische Kriegsverbrecherliste. Bei seinen Fahrten in der Nordsee und entlang der englischen Küste konnte von Georg eine beeindruckende Erfolgsquote vorweisen, und sein «Lieblingsschüler“ lernte gut. Die U-57 war auf dem neuesten Stand; sie war in weniger als einem Jahr auf der Weserwerft in Bremen gebaut worden. Von Georg, von Ruckteschell und zwei weitere Offiziere trugen die Verantwortung für das U-Boot und seine zweiunddreißigköpfige Besatzung. Sie alle taten Dienst in einem Schiffskörper von gerade einmal 67 Metern Länge, in den zudem noch zwei große Dieselmotoren gepfercht waren, die das Boot über Wasser antrieben und die Batterien für die Elektromotoren aufluden, mit denen das Boot unter Wasser fuhr. Dazu kamen Ersatztorpedos für die vier Torpedorohre, zwei im Bug und zwei im Heck, Treibstoff, Ersatzteile, Munition für die Deckgeschütze, Vorräte und Nahrungsmittel und Kojen für etwa die Hälfte der Besatzung, da die Männer in Schichten schliefen und sich die Kojen teilten. Es war ein besonderer Menschenschlag, der sich bereit erklärte, Dienst auf einem U-Boot zu tun, vor allem in jenen frühen Tagen. Das Antriebssystem brachte die U-57 auf eine Geschwindigkeit von bis zu 14,7 Knoten (ungefähr 27 km/h) an der Wasseroberfläche und 8,4 Knoten unter Wasser;  Ritter von Georg sollte sein technisches Gerät umgehend einer intensiven Prüfung unterziehen.
Nicht einmal zwei Monate nach Indienststellung war die U-57 an der englischen Küste in einem Gebiet aktiv, das von britischen Patrouillenbooten gesichert wurde. Von Georgs Spielraum war durch die Prisenordnung eingeschränkt. Am 24. September versenkte die U-57 vierzig Meilen östlich von Whitby vier englische Fischkutter und einen kleinen norwegischen Frachter, der Bannware nach England brachte. Es gab noch mehr Beute zu machen, doch da in der hereinbrechenden Nacht ihr Geschützfeuer zu sehen gewesen wäre, verfielen von Georg und von Ruckteschell auf einen cleveren Plan. Von Ruckteschell und seine Männer überfielen im Schlauchboot der U-57 den Trawler Fisherprince, näherten sich dann nach und nach leise neun weiteren Trawlern und setzten deren Besatzungen auf der Fisherprince fest. Anschließend ließ sich von Ruckteschell von einem verlassenen Trawler zum anderen übersetzen, öffnete deren Seeventile und versenkte sie ohne Verlust von Menschenleben. Am folgenden Morgen überfielen die Deutschen vier weitere Trawler und setzten deren Besatzungen ebenfalls auf die Fisherprince über. Im Laufe des Tages stoppten sie außerdem ein norwegisches Schiff, das keine kriegswichtigen Güter transportierte und daher nicht versenkt werden durfte. Sie brachten die Besatzungen der Trawler auf dieses Schiff und versenkten die Físherprince. Innerhalb von 24 Stunden war es dank der Risikobereitschaft von Ruckteschells gelungen, 18 Fischereifahrzeuge und einen Frachter zu vernichten.
Nicht immer ging es im weiteren Verlauf der Fahrt der U-57 ohne Opfer ab. Einen Monat später versenkte das U-Boot südlich von Irland ein britisches Kanonenboot mitsamt der Besatzung von über hundert Mann. Trotz stürmischer Winde und heftigen Seegangs, der einen der deutschen Offiziere auf dem Kommandoturm das Leben kostete, gelang es dem U- Boot, einen großen englischen Frachter, der Kriegsmaterial und Nahrungsmittel aus Nordamerika transportierte, und mehrere kleine Schiffe zu versenken, bevor es sich mit Motorproblemen in den deutschen U-Boot-Hafen auf Helgoland zurückschleppte.
Anfang des Jahres 1917, als Deutschland nach der Schlacht an der Somme, die vom Sommer bis in den November 1916 auf beiden Seiten eine Million Tote gefordert hatte, ins Taumeln geraten war, dachte die Oberste Kriegsleitung darüber nach, die Beschränkungen der U-Boot-Flotte aufzuheben. Auch zeigte der Würgegriff der Blockade Deutschlands durch die Alliierten Wirkung: Das Land hungerte aus. Die Beschränkungen wurden aufgehoben, und die U-57 konnte im März und April 1917 wieder ihre erheblich aggressivere und effektivere Taktik aufnehmen. Von Ruckteschell spielte dabei eine entscheidende Rolle. Viele der englischen Frachtschiffe hatten zur Verteidigung Bordkanonen, um sich gegen den Überwasserangriff eines U-Bootes zur Wehr setzen zu können. Da nicht länger verlangt wurde, ein Opfer vor dem Angriff zu warnen, konnte von Ruckteschell nun neue Erfahrungen bei sichereren Unterwasserangriffen mit Torpedos sammeln.
Auf dieser Fahrt kam von Ruckteschell zum ersten Mal in Kontakt mit einer ungewöhnlichen Art englischer Schiffe, die jenen Handelsstörkreuzern ähnelte, die er später kommandieren sollte. Bei dem Versuch, ein Mittel gegen die Erfolge der U-Boote zu finden, kamen die Briten auf die Idee, so genannte «Q-Ships» zu konstruieren und einzusetzen. Es handelte sich dabei um Köderschiffe, getarnt als einsame, unbewaffnete Frachter, die den Überwasserangriff eines U-Bootes provozieren sollten. Das Q-Ship nahm erste Einschläge hin, lockte so das U-Boot näher und eröffnete dann plötzlich das Feuer, um das U-Boot zu versenken. Q-Ships waren getarnte, harmlos erscheinende, gut bewaffnete Schiffe, ähnlich der Widder im Zweiten Weltkrieg. Der entscheidende Unterschied bestand jedoch darin, dass die Q-Ships allein zu Verteidigungszwecken gegen Kriegsschiffe eingesetzt wurden. Die deutschen Störkreuzer dagegen waren Offensivwaffen, die Handelsschiffe angriffen und ihren Opfern dank ihrer Feuerkraft überlegen waren. Gegen Ende März ließ sich die U-57 zu einem Angriff auf das Q-Ship Paxton verleiten. Das U-Boot näherte sich unter Einsatz seines Deckgeschützes, als es von der Erwiderung des Feuers überrascht wurde. Noch bevor das U-Boot getroffen werden konnte, befahl von Georg Alarmtauchen und konnte soentkommen. Auch dies war eine Lektion für von Ruckteschell.
Im Mai und Juni 1917 attackierten von Georg und sein U-Boot die feindlichen Schiffe mit zunehmender Heftigkeit. Mitte Mai versenkten sie das 2642-Tonnen-Dampfschiff Refugio in nur zwei Stunden, anschließend mit einem Torpedo die nahezu doppelt so große Arlington Court. Am 24.Mai versenkte die U-57 die britischen Schiffe S.S. Belgian und S.S. Jersey City, auf Heimatkurs nach Helgoland außerdem den Trawler Teal. Was Hellmuth von Ruckteschell gelernt hatte, wurde durchaus kontrovers beurteilt. Zu den Anklagepunkten, die Carl-Siegfried Ritter von Georg auf die Liste der Kriegsverbrecher brachten, gehörte auch die Versenkung der Refugio, der Arlington Court, der Jersey City und der Teal. Für von Georg und seine Vorgesetzten jedoch hatte von Ruckteschell sich bewährt. Er erhielt das Eiserne Kreuz Erster Klasse und bekam die Chance, auf die er gewartet hatte - sein eigenes Kommando.
Im Frühjahr 1917 ging der nun siebenundzwanzigjährige Marineoffizier eine enge persönliche Beziehung mit der Balletttänzerin Frieda Martha Agnes Schmidt ein. Für Agnes Schmidt war der schlanke, kultivierte, ernsthafte U-Boot-Fahrer ein Mann, mit dem sie sich vorstellen konnte ihr Leben zu verbringen. Es ist zu vermuten, dass ihre Beziehung, wie die vieler anderer während des Krieges, unter größten Spannungen stand. Von Ruckteschells Diensteinstellung war makellos, und als er die Chance erhielt, den nächsten Schritt in seiner Karriere zu machen, zögerte er keine Sekunde. Er wusste allerdings nicht, dass Fräulein Schmidt zu diesem Zeitpunkt bereits von ihm schwanger war.
Anfang August 1917 ging er von Bord der U-57 und übernahm nach einem Monat Sonderausbildung das Kommando über sein eigenes U-Boot, die UB-34. Deutschland befand sich zu diesem Zeitpunkt in einer außerordentlich schwierigen Lage: Im April waren die Vereinigten Staaten in den Krieg eingetreten, und die deutsche Hochseeflotte wurde von der Royal Navy, unterstützt durch die US Navy, faktisch neutralisiert. Die U-Boot-Flotte war die einzige Hoffnung, den alliierten Seetransporten, welche die britischen und alliierten Truppen auf dem europäischen Festland versorgten, noch etwas entgegenzusetzen. Als von Ruckteschell sein erstes Kommando übernahm, war vor allem sein ausgeprägter Nationalismus seine wichtigste Triebfeder.
Küsten-U-Boote mit der Bezeichnung UB waren kleiner als die mit U und einer darauf folgenden Zahl gekennzeichneten. Von Ruckteschells neues Boot war nur 37 Meter lang, also dreißig Meter kürzer als jenes, auf dem er zuvor gedient hatte. Es war langsamer, hatte nur zwei Torpedorohre und ein einziges Deckgeschütz; aber es war sein Boot. Er teilte die Verantwortung für Schiff und einundzwanzig Mann Besatzung mit einem weiteren Offizier. Ihre Aufgabe war die gefahrvolle Patrouille vor der englischen Ostküste. Von Ruckteschell hatte diese Gewässer bereits an Bord der U-57 kennen gelernt.
Wenige Tage nach von Ruckteschells Dienstantritt brach die UB-34 zu ihrer ersten Fahrt auf und verließ den Marinehafen Helgoland in Richtung der englischen Küste vor Flamborough Head. Sofort nach Eintreffen in ihrem Einsatzgebiet torpedierte sie die S.S. Grelfryda, einen 5000 Bruttoregistertonnen schweren britischen Frachter. Während der Frachter sich noch mühte, am Strand auf Grund zu laufen, erkannte von Ruckteschell auf seinem abgetauchten U-Boot durch das Periskop einen einsam treibenden britischen Seemann, der ihm Zeichen machte. Die Prioritäten abwägend, entschloss sich von Ruckteschell, den Mann zurückzulassen. Vor die Entscheidung gestellt, seine Besatzung der Gefährdung durch Patrouillenboote und Flugzeuge auszusetzen oder einen feindlichen Seemann zu retten, gab es für ihn kein Zögern.
Am folgenden Tag versenkte die UB-34 ein norwegisches Dampfschiff und kehrte, nachdem alle Torpedos abgeschossen und zwei Erfolge zu verzeichnen waren, nach einer nur fünf Tage dauernden Fahrt wieder nach Helgoland zurück. Zwei Wochen später brach von Ruckteschell von seinem neuen Heimathafen Bremerhaven auf und trat eine waghalsige Fahrt aus der Deutschen Bucht heraus an. Am Tag zuvor hatten die Briten auf dem Grund der Nordsee nördlich der westfriesischen Insel Terschelling ein ausgedehntes Feld von 434 Ankertau-Minen gelegt. Diese Minen sind am Meeresboden verankert und schweben, von Tauen gehalten, knapp unter der Wasseroberfläche. Von Ruckteschell ließ die UB-34 in einer Tauchtiefe von etwa 30 Metern fahren und geriet dabei unwissentlich in das Minenfeld. Während einer zwölf Stunden dauernden Tauchfahrt bahnte sich das U-Boot einen Weg durch den Dschungel der Ankertaue. Immer wieder war an Bord zu hören, wie die Kabel an der Bordwand entlang schrammten und der Rumpf anstieß. Folgender nüchterner Eintrag aus dem Logbuch der UB-34 gibt einen Einblick in die bedrohliche Situation: «Immer noch auf 30 m Tiefe. Starkes Poltern, vor allem im Achterschiff, Boot zittert stark, anscheinend schnell aufeinanderfolgende entfernte Detonationen. Gegenstände im Achterschiff fallen durcheinander. Boot behält jedoch seine Lage bei. Es wird gestoppt und gehorcht, keine Geräusche zu hören. Mit kleiner Fahrt tiefer gegangen. Irgend etwas hakt am Bootskörper, man merkt leichte Stöße, dann eine recht laute Detonation über dem Boot. Boot liegt auf dem Grunde. Etwas gewartet. Alles ruhig. Auf 30 m weitergesteuert. Ab und zu noch das Schrammen von Minen und Ankertauen zu hören. 11.51 Uhr Vm. nach einer Tauchfahrt von 12 Stunden aufgetaucht.“ Das Boot durchquerte das Minenfeld ohne Schäden.
Es war nicht die einzige brenzlige Situation auf dieser kurzen Fahrt. Zwei Tage nach ihrer lebensgefährlichen Erfahrung im Minenfeld erlebten sie die nächste Katastrophe. In einer Tiefe von 12 Metern näherte sich das Boot einem Ziel. Ein einziger Torpedo wurde abgefeuert und versenkte den 5142 Bruttoregistertonnen großen Frachter S.S. GreItoria. Nur wenige Augenblicke später wurde der Besatzung der UB-34 zu ihrem Entsetzen klar, dass sie von einem anderen Dampfer gerammt werden würde. Das bedeutete den sicheren Tod, und die Männer in ihrem Stahlzylinder konnten sich nur noch in ihr Schicksal fügen. Wie durch ein Wunder wurde nur das Periskop getroffen, als der Dampfer, vermutlich die S.S. Morocco, über sie hinwegfuhr. Die UB-34 machte sich sofort auf den Heimweg, um Reparaturen vornehmen zu lassen. Nachdem er bei der nächsten Fahrt den hochseetauglichen Schlepper Desire versenkt hatte, sah von Ruckteschell die Chance, in der Nähe des Docks von Sunderland einen holländischen Frachter anzugreifen. Bei der riskanten Annäherung im Hafen lief die UB-34 auf Grund. Statt sich zurückzuziehen, konnte von Ruckteschell das Boot trotz Bodenkontakt noch so weit manövrieren, dass es ihm gelang, seinen Torpedo abzufeuern und den Frachter S.S. Folmina zu versenken. UB-34 wurde sofort von einem britischen U-Boot-Jäger angegriffen und schaffte es nur unter Einsatz aller Motorleistung, sich in tieferes Gewässer zu flüchten und zu entkommen. Auf dem Heimweg fielen dem U-Boot noch zwei weitere Frachter zum Opfer. Nach der Rückkehr erhielt von Ruckteschell eine Belobigung für seine waghalsigen Angriffe; bei dieser Gelegenheit wies er seine Vorgesetzten auf die zunehmende Stärke der U-Boot-Abwehrkräfte entlang der englischen Ostküste hin. Dieses offene Gespräch mit seinen Vorgesetzten stellte den bisherigen Höhepunkt in von Ruckteschells Karriere dar. Er hatte bewiesen, dass er über die starken Nerven verfügte, die man für die neue, aggressive Kriegsführung brauchte, und den Mut hatte, waghalsige Angriffe auf feindliche Schiffe durchzuführen. Es ist möglich, dass Agnes Schmidt Hellmuth von Ruckteschell nach Bremerhaven gefolgt war, doch ist nicht bekannt, wie lange ihre Beziehung dauerte. Als von Ruckteschell im März 1918 der lang ersehnte Wechsel von einem kleinen UB-Boot zu einem Hochsee-U-Boot gelang, brachte Fräulein Schmidt in Wilhelmshaven ihren Sohn Hellmuth zur Welt. Hellmuth von Ruckteschell hatte offenbar keinerlei Kenntnis von der Existenz seines Sohnes. Er erwähnte nie etwas Derartiges, und als man später von ihm verlangte, einen vollständigen Lebenslauf anzufertigen, hielt er fest, dass er weder eheliche noch uneheliche Kinder habe. Hellmuth von Ruckteschell tat wieder seine Pflicht, diesmal auf der U-54 - einem neueren, schnelleren U-Boot, das auf der Germaniawerft in Kiel konstruiert worden war, jenem Hafen, in dem zehn Jahre später die Widder gebaut werden sollte.
Einen Monat nach Übernahme des Kommandos am 23. März brachen er und seine Besatzung zu einer Reise rund um das nördliche Schottland auf, hinab in die Irische See und zurück. Die Fahrt dauerte 24 Tage. Fünf Tage nach dem Auslaufen hatte die U-54 zwischen den Orkney- und den Shetland-Inseln die erste Feindberührung unter von Ruckteschells Kommando. Die Verluste der Alliierten hatten sich durch die im Jahr zuvor eingeführten Konvois, die von Kriegsschiffen begleitet wurden, erheblich reduziert, doch war es nicht ungewöhnlich, in diesen Gewässern auf einen einzelnen kleinen Frachter zu stoßen. Die U-54 führte einen vorschriftsmäßigen Angriff durch und feuerte aus Periskoptiefe einen Torpedo ab. Das Schiff bekam keine Schlagseite, doch beobachteten die Deutschen, wie Rettungsboote zu Wasser gelassen wurden. Der Wachoffizier, der noch überlegte, ob er auftauchen und sein Opfer mit den Deckgeschützen endgültig erledigen sollte, beobachtete das Schiff weiterhin durchs Periskop und musste zu seinem Schrecken erkennen, dass aus dessen Rumpf ein Torpedorohr auftauchte: ein Q-Ship. Erneut gerieten von Ruckteschell und seine Besatzung in dramatische Gefahr; das englische Schiff widerstand dem ersten Angriff und machte sich daran, selbst zum Angriff überzugehen. Die U -54 konnte nicht mehr schnell genug reagieren, um dem britischen Torpedo auszuweichen, der auf sie zu zischte. Auf das Schlimmste vorbereitet, spürte und hörte die Besatzung des U-Boots einen dumpfen Schlag. Der Torpedo hatte zwar getroffen, explodierte aber nicht. Von Ruckteschell nutzte diese Gelegenheit zur Flucht, er drehte schleunigst ab und tauchte, um dem Geschosshagel zu entkommen, der aus den voll besetzten Geschützen der H.M.S. Starmount auf sie abgefeuert wurde. Bei seinem nächsten Beutezug stieß von Ruckteschell auf ein Ziel, wie er noch keines vor sich gehabt hatte: einen Passagierdampfer von mehr als 30000 Bruttoregistertonnen und von der Größe der berühmten . Die passagierlose Justinia, die in Ballast fuhr, war eskortiert worden, als sie am 18. und 19.Juli von der UB-64 angegriffen worden war. Das Schiff hatte vier Torpedos abbekommen, war schwer beschädigt, aber schwimmfähig. Es war in Schlepp genommen worden und stand unter dem massiven Schutz von etwa achtzehn Zerstörern in einem äußeren und sechzehn Trawlern in einem inneren Verteidigungsring. Aufgrund von Beschädigungen, die die UB-64 während der Attacke erlitten hatte, konnte das Boot nicht erneut angreifen, war aber in der Lage, den Konvoi zu beschatten. Von Ruckteschell, der ganz versessen darauf war, auch unter größten Risiken einen Angriff zu wagen, unternahm den riskanten Versuch, unter dem äußeren Ring der Zerstörer hindurch zu tauchen. Sein Periskop wurde entdeckt und sechzig Wasserbomben wurden abgeworfen. Von Ruckteschell war gezwungen, auf über 45 Meter Tiefe abzutauchen, um der Zerstörung zu entgehen. Nachdem er sorgfältig Kurs und Geschwindigkeit auf die Schiffsbewegungen über sich abgestimmt hatte, stieg er auf Periskophöhe und feuerte sofort zwei Torpedos aus den Heckrohren ab. Dabei konnte er erkennen, dass einige der Begleitschiffe sich daran machten, die U-54 anzugreifen. Er entkam seinen Verfolgern und blieb mehrere Stunden am Meeresgrund liegen, bis er sicher sein konnte, dass es ungefährlich war, wieder aufzutauchen. Die Justinia, von zwei Torpedos getroffen, kenterte und ging im Laufe des Nachmittags unter. Eine Reihe von zeitgenössischen Quellen schreibt von Ruckteschell diese Versenkung zu, doch kommt die neuere Forschung zu dem Schluss, dass die Torpedos, die den Untergang besiegelten, von der UB-124 stammten, die sich von der anderen Seite aus dem Angriff angeschlossen hatte. In jedem Fall bleibt festzuhalten, dass von Ruckteschell nicht zögerte, als er sich einer beeindruckenden Eskorte gegenübersah, sondern auch angesichts dieses Risikos den Angriff wagte.
Die U-54 kehrte in den Hafen zurück und unternahm nur noch zwei weitere Patrouillenfahrten, bevor der Krieg zu Ende ging. Während der letzten Fahrt kam es zu einem Zwischenfall, der weit reichende Auswirkungen haben sollte. Am 27.September 1918 machte von Ruckteschell folgenden Eintrag in das Kriegstagebuch der U-54: «Am Westausgang des Englischen Kanals bew. französischen Segler <En Avant›, 64 t, mit 120 Tonnen Kohlen von Swansea nach Boulogne, nach kurzem Feuergefecht † durch Sprengen.›› Was sich nach einem weiteren, schon zur Routine gewordenen Erfolg der U-54 anhört, führte zur Anklage von Ruckteschells als Kriegsverbrecher. Nach dem Krieg sagte Otto Wiedemann, der auf der U-54 Decksmeister gewesen war, aus, dass die französische Besatzung nach der Aufbringung des Seglers an Deck des U-Boots, hinter dem Kommandoturm, versammelt worden war. Von Ruckteschell habe gefragt, ob Wiedemann bereit sei, die Luke zu schließen. Wiedemann wusste, dass man dies nur tat, wenn das U-Boot abtauchen sollte, und weigerte sich. Er behauptete, von Ruckteschell habe daraufhin seine Pistole gezogen, ihn unter Deck befohlen und sei ihm mit gezückter Waffe gefolgt. Danach habe der Kommandant die Luke eigenhändig geschlossen und das Abtauchen des U-Boots befohlen, was den Tod der französischen Seeleute durch Ertrinken herbeigeführt habe. Als sie eine halbe Stunde später wieder aufgetaucht seien, habe es keinerlei Lebenszeichen der Franzosen gegeben. Ein Jahr zuvor hatte Kapitänleutnant Wilhelm Werner, Kommandant der U-55, eine vergleichbare Gräueltat begangen, als er am S. April 1917 den britischen Dampfer Torrington versenkte und 34 Mann der Besatzung, die an Deck des U-Boots Aufstellung nehmen mussten, dem Tod durch Ertrinken preisgab. Mannschaftsangehörige der U-55 sagten aus, dass es noch weitere solche Fälle gegeben habe. Das Vorbild Werners, der mit dem Orden Pour le Mèrite ausgezeichnet worden war, mag von Ruckteschell zu seiner Tat veranlasst oder ihm zumindest den Eindruck vermittelt haben, dass ein solches Verbrechen legitim sei. Zu diesem Zeitpunkt traten erste Hinweise auf die Probleme auf, die von Ruckteschell bis zu seinem Lebensende quälten. Zwei Tage nach dem heimtückischen Überfall auf die En /lvanı versenkte von Ruckteschell sein letztes Schiff während des Ersten Weltkriegs. Das Logbuch vermerkt, dass aufgrund des schlechten Gesundheitszustands des Kommandanten auf weitere Angriffe verzichtet wurde. Oberleutnant Hellmuth von Ruckteschell musste sich eingestehen, dass auch er nur ein Mensch und verwundbar war. Der Stress hatte seinen Tribut gefordert, und der Kommandant der U-54 sollte die daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen nie mehr ganz überwinden. Er hatte auf seinen beiden U-Booten zahlreiche Fahrten unternommen, hatte eine große Anzahl Schiffe angegriffen und versenkt, war dabei einige Male Tod und Untergang entgangen und hatte nicht einen einzigen Mann verloren. Mit Arglist, Mut und viel Glück hatte er sich und seine Besatzungen durch den Krieg gebracht. Doch bei alledem schwebte die dunkle Wolke des Angriffs auf die En Avant über ihm. Otto Wiedemann, entsetzt über dieses Erlebnis, desertierte nach der Rückkehr nach Wilhelmshaven, um sich von Ruckteschell zu entziehen. Für den Kommandanten muss es außerordentlich beunruhigend gewesen sein zu wissen, dass es einen Mann gab, der davon berichten konnte, was mit den französischen Seeleuten geschehen war. Von Ruckteschell kehrte am 15.0ktober 1918 von seinem letzten Einsatz zurück, und einen Monat später, vier Tage nach dem Waffenstillstand, legte er das Kommando über die U-54 nieder. Für einen deutschen Marineoffizier und Nationalisten brachen entmutigende, verwirrende Zeiten an. Die Entbehrungen der Kriegsjahre hatten viele Deutsche empfänglich werden lassen für die Rufe nach einer Revolution, wie sie seit dem Oktober 1917 den gesamten europäischen Kontinent erschütterten. Im September 1918 war entschieden, dass das Deutsche Reich den bisher größten Krieg der Weltgeschichte verloren hatte. Der amerikanische Präsident Woodrow Wilson war erst zu Verhandlungen mit Deutschland bereit, nachdem Kaiser Wilhelm II. abgedankt hatte. Einige höhere Offiziere des deutschen Militärs vertraten die Ansicht, ihr Land würde von den Politikern verschachert, und befanden, es sei an der Zeit, eine letzte, entscheidende Schlacht zu schlagen. Gerüchte eines solchen Vorhabens kursierten in der stolzen, aber demoralisierten deutschen Flotte, worauf es zu einer Meuterei kam. Als der Flotte befohlen wurde, sich am 29. Oktober in der Nähe des Marinestützpunktes bei Wilhelmshaven einzufinden, breitete sich die Meuterei binnen sechs Tagen auf alle deutschen Marinestützpunkte und Häfen aus. Eine Woche später, am 11. November um elf Uhr, wurde der Waffenstillstand unterzeichnet. Der Krieg war damit zu Ende, doch Deutschland geriet in eine Phase der Enttäuschung und Anarchie, der sich auch Hellmuth von Ruckteschell nicht entziehen konnte. Zehn Tage später ergab sich die Hochseeflotte dem britischen Admiral David Beatty, der befahl, dass die deutsche Seekriegsflagge eingeholt und nie wieder gehisst werden sollte. Die einst so stolze Flotte wurde im britischen Marinestützpunkt Scapa Flow auf den Orkney-Inseln nördlich von Schottland interniert. Von Ruckteschell, der nun kein Schiff mehr kommandierte, war bemüht, durch die Beschäftigung mit administrativen Aufgaben persönliche Stabilität zu bewahren. Eben noch ein mit bedeutenden militärischen Auszeichnungen dekorierter Offizier, musste er sich nun in einem geschlagenen Land ohne jede Marine zurechtfinden. Sein künstlerisch begabter älterer Bruder Walter, während des Krieges Adjutant von General Paul von Lettow-Vorbeck in Afrika, hatte überlebt und kehrte heim, doch der jüngere Bruder Hans Ritter war am 22. April 1918, kurz vor Kriegsende, ums Leben gekommen. Ein weiterer Bruder, Roland, starb 1919. Die von Ruckteschells hatten die Auswirkungen und den Schmerz des Krieges am eigenen Leibe erfahren müssen; hinzu kam nun noch die Demütigung der Niederlage. Im Juni 1919 hatte sich langsam so etwas wie Ordnung aus dem Chaos entwickelt, und von Ruckteschell erhielt wieder das Kommando über ein Schiff. Es handelte sich allerdings nicht um ein grandioses Kriegsschiff, sondern um ein kleines, 24 Meter langes Boot, die UZ-21, die als Minenräumer und U-Boot-Jäger eingesetzt worden war und nun zu Polizeieinsätzen herangezogen wurde. Also patrouillierte von Ruckteschell mit einer kleinen Besatzung von ehemaligen Untergebenen aus seiner Zeit als U-Boot-Kommandant im Kieler Hafen und hielt Ausschau nach Schmugglern und Schwarzmarkthändlern, die die schwache Wirtschaft zu untergraben drohten, die sich nur langsam zu stabilisieren begann. Obwohl die Tatsache, dass er wieder ein Boot befehligte, tröstlich gewesen sein mag, war von Ruckteschell aus zweierlei Gründen ein gebeugter Mann. Zum einen belastete ihn die Sorge um das Schicksal des Landes. Anfang Mai waren die Bedingungen des Versailler Vertrages, der auf Wilsons 14 Punkten basierte, verkündet worden, und von Ruckteschell sah in diesen Bedingungen nur Schmach und Schande. Seiner Meinung nach wurde Deutschland seines Stolzes und seiner Würde beraubt von Politikern, die den Vertrag unterzeichnen und damit formell die Niederlage anerkennen wollten. Zum anderen hatte er aus Berlin erfahren, dass sein Name auf der Liste der Kriegsverbrecher stand. Den ganzen Krieg hindurch, von 1914 an, hatten die Alliierten Grausamkeiten und etwaige Kriegsverbrechen aufgelistet, um nach einem Sieg die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Der Versailler Vertrag sah in den Artikeln 228 bis 231 die Überstellung und Auslieferung solcher Beschuldigten vor. Die Liste umfasste zeitweilig über 3000 Namen; es sollte Jahre dauern, bis diese Liste reduziert wurde und es tatsächlich zu Prozessen kam. Für diejenigen, die auf der Liste genannt wurden, stand tatsächlich einiges auf dem Spiel. Der U-Boot-Krieg genoss oberste Priorität bei den Alliierten, vor allem die Angriffe auf Frachtschiffe ohne vorherige Warnung. Nach Überarbeitung der Liste fanden sich noch immer mindestens fünfzig U-Boot-Kommandanten unter den Gesuchten, darunter Kapitän Lothar von Arnauld de la Périère, das U-Boot-Ass. Auch Erich Raeder stand auf der Liste, da er Chef des Stabes von Vizeadmiral Franz von Hipper, dem Flottenchef, gewesen war. Raeder wurde später von Ruckteschells oberster Vorgesetzter als Chef der Marine im Zweiten Weltkrieg. Auf der Liste standen Admirale, Generale, Fürsten und sogar der entthronte Kaiser; doch sich in dieser illustren Gesellschaft wiederzufinden war für von Ruckteschell nur ein schwacher Trost. Jeder einzelne der Gesuchten hatte eine persönliche Entscheidung zu treffen. Erich Raeder beschloss, standhaft zu bleiben und abzuwarten, was das Schicksal ihm bestimmt hatte. Andere wie Leutnant Patzig, der beschuldigt wurde, für die Versenkung des Lazarettschiffs Llarıdovery Castle verantwortlich zu sein und auf die Rettungsboote geschossen zu haben, entzogen sich der Verantwortung durch Flucht, was zur Folge hatte, dass ihre untergebenen Offiziere vor Gericht gestellt wurden. Von Ruckteschell wägte seine Chancen ab und entschloss sich zur Flucht. Doch tat er dies mit einem derart aufsehenerregenden Sinn für Dramatik, dass er das  Interesse der Presse auf beiden Seiten des Atlantiks auf sich zog. Während von Ruckteschell seine wagemutige Aktion plante, bereiteten sich die politischen Vertreter Deutschlands darauf vor, am 28.Juni 1919 den Versailler Vertrag zu unterzeichnen. Eine Woche vor diesem Termin zogen die Offiziere und Mannschaften an Bord der internierten Schiffe der Kaiserlichen Marine ihre eigene, überraschende Konsequenz: Auf geheimen Befehl des Vizeadmirals Ludwig von Reuter wurden die Besatzungen am 21. Juni angewiesen, die Seeventile auf allen 72 festgesetzten Schiffen zu öffnen. Mit ungläubigem Staunen sahen die Zeugen, britische Offiziere und Marineangehörige am Ufer bis hin zu Schulkindern auf einem Bootsausflug zu den eroberten Schiffen, die Flotte vor ihren Augen versinken. Sieben Monate lang harten die Schiffe vor Anker gelegen, nun brachten die Seeleute der Kaiserlichen Marine den Sieger um die Möglichkeit der weiteren Nutzung. Die Welt war entsetzt über diesen Akt der Selbstzerstörung, der nicht nur Schiffe vernichtete, sondern auch Menschenleben kostete. Von Ruckteschells Handeln war dem von Reuters in gewisser Weise vergleichbar, wenn auch in weit kleinerem Maßstab. Sein direkter Vorgesetzter, Kapitänleutnant Stoas, hatte Verständnis für von Ruckteschells Lage als gesuchter Kriegsverbrecher und war in dessen Pläne eingeweiht. Am 23.Juni, bei Einbruch der Dunkelheit, zwei Tage nach den Ereignissen in Scapa Flow, hisste Leutnant Hellmuth von Ruckteschell, stolzer Deutscher und Offizier der Kaiserlichen Marine, in Kiel eine selbst genähte verbotene kaiserliche Seekriegsflagge und stach mit seiner kleinen, überraschten Crew in See. Da ein Großteil der dreizehnköpfigen Besatzung der UZ-21 schon in den vorangegangenen drei Jahren auf U-Booten unter von Ruckteschell gedient hatte, kannten die Männer ihn und vertrauten ihm. Doch schien ihnen die Fahrt zunächst mysteriös, da sie die Zündmechanismen ihrer Bordgeschütze und die Munition in Kiel zurückgelassen harten. Die Nachrichtenagentur Associated Press berichtete, und die New York Time: meldete am 30.Juni auf der Titelseite: «Captain Ruckteschell verriet bei Verlassen Kiels nicht, wohin die Reise gehen sollte. Als die UZ-21 die offene See erreichte, teilte er der Besatzung mit, dass er nicht zurückkehren werde, da Deutschland mit dem Friedensvertrag Ehre und Glück verloren habe. Er beabsichtige, so sagte er, nach Südamerika zu fahren, und bat die Besatzung, ihn zu begleiten, wobei das Schiff in Göteborg zurückbleiben solle. Offenkundig war diese Flucht für von Ruckteschell eine Frage des Stolzes, und sie war ein Indiz dafür, wie stark er unter dem Verlust von Deutschlands «Ehre und Glück» litt. Allerdings trieb ihn auch ein anderes Motiv: Er floh vor denen, die ihn vor Gericht stellen wollten. Um ihre Flucht so unauffällig wie möglich zu bewerkstelligen, hielten sich Kapitän und Besatzung nahe der Küste Jütlands, durchfuhren noch in derselben Nacht die enge Straße des Kleinen Belts und passierten die Nordspitzen der dänischen Inseln Fünen und Seeland in Richtung schwedische Küste. Schweden, das im Krieg neutral geblieben war, schien ein guter Zwischenstopp auf dem Weg nach Südamerika zu sein. Gegen Mittag des 24.Juni, Mittsommer, staunten die Einwohner von Mölle, 18 Meilen nördlich von Helsingborg, nicht wenig, als ein schnelles, graues Kriegsschiff in den Hafen einlief. Die Neugierigen, die an die Pier eilten, sahen einen Kapitän in Zivil, der aber eine Uniformmütze trug. Von Ruckteschell nutzte die Verwirrung, tankte auf und kaufte eine Seekarte der Region.
Vor dem Auslaufen lud er den Reporter einer Stockholmer Zeitung ein, an Bord zu kommen, und nachdem er ihm einen Genever angeboten hatte, weihte er ihn in seinen Plan ein und erklärte, warum er Deutschland verlassen hatte, nämlich weil er ansonsten wahrscheinlich als Kriegsverbrecher dem Feind überstellt worden wäre. Die Geschichte erschien prompt in der Stockholms-Tidningen. Von Ruckteschell stach wieder in See und machte sich auf die Fahrt nordwärts nach Göteborg, etwa 100 Meilen entfernt. Als er sich der Stadt näherte, wurde er von der Wachmannschaft der Festung Alvsborg aufgestoppt. Nachdem das Schiff inspiziert und festgestellt worden war, dass die Geschütze nicht einsatzfähig waren, erhielt das kleine Fahrzeug Erlaubnis, in den Hafen von Göteborg einzulaufen. Die erste Etappe der Flucht von Ruckteschells war planmäßig geglückt. Während der Fahrt setzte sich die Besatzung mit den Plänen ihres Vorgesetzten auseinander. Zwar hatte alle die Niederlage des Deutschen Reichs getroffen, und ihre Zukunft sah düster aus, doch hatten die Männer Verwandte, einige von ihnen Frauen und Kinder in Deutschland, die sie nicht im Stich lassen wollten. Von Ruckteschell selbst war neun Jahre zuvor während einer Übungsfahrt schon einmal in Südamerika gewesen, doch für die meisten anderen war diese Gegend völliges Neuland. Bei ihrer Ankunft in Göteborg hatten sich sechs Mann entschieden, sich dem Kapitän anzuschließen: ein Oberleutnant zur See, ein Leutnant zur See, zwei Fähnriche zur See und zwei Maschinisten. Von Ruckteschell ließ sich mit den Reisewilligen rasch in Göteborg an Land setzen, ehe das Schiff mit den verbliebenen sieben Mann unter dem Kommando des Oberbootsmanns Huxoll umgehend nach Kiel zurückkehrte. Die schwedische Polizei ließ nicht lange auf sich warten, doch da die UZ-21 bereits verschwunden war, gab es keine Möglichkeit, den zurückgebliebenen Männern die sofortige Ausreise zu befehlen. Die Deutschen wurden auf die Polizeistation gebracht und dort befragt. Sie erklärten, dass sie nur kurze Zeit bleiben und weiter nach Südamerika reisen wollten, aber hofften, für eine Weile in Schweden Arbeit zu finden, da sie nur wenig Geld bei sich hätten. Fraglich ist, wie von Ruckteschell sich und seine Leute nach Südamerika zu bringen beabsichtigte; kein Bericht gibt darauf eine Antwort. Zwar existierten Gruppierungen in Deutschland, die fluchtwillige Gesuchte der Kriegsverbrecherliste unterstützten, doch ist zu bezweifeln, dass eine solche Gruppierung auch Seeleuten half, die nicht auf der Liste standen. Möglich aber, dass zumindest von Ruckteschell ihren Beistand genoss. Um in Schweden bleiben zu können, mussten sich die Männer eine Aufenthaltsgenehmigung ausstellen lassen. Nachdem diese erteilt worden war, gab die Gruppe offensichtlich den Plan, nach Südamerika zu fahren, auf (wenn es denn je wirklich geplant war), und die Männer gingen in unterschiedliche Richtungen auseinander. Wohin, ist nicht bekannt - anzunehmen ist, dass die meisten nach Deutschland zurückkehrten. Der Leutnant und einer der Fähnriche verließen Schweden schon am 4. August, der Oberleutnant brach im Juni des folgenden Jahres auf, einer der Maschinisten folgte sechs Monate später, der zweite im Januar 1923. Wann der zweite Fähnrich abreiste, ist nicht zu ermitteln. Von Ruckteschell selbst zog nach nur vier Tagen in einem Hotel in Göteborg nach Gunnebo, sechzehn Kilometer entfernt, wohin er offensichtlich Kontakte hatte. Alle Schritte scheinen geplant gewesen zu sein, vielleicht tatsächlich von einer der Kriegsverbrecher unterstützenden Gruppierungen. Schon bei seinem Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung hatte von Ruckteschell vermerkt, dass er zunächst in Gunnebo bleiben wolle und für die Dauer seines Aufenthalts zu arbeiten gedenke. Im Juli, als seine erste Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen war, schlug der Flüchtige jedoch einen ganz anderen Weg ein: Statt in die Wärme Lateinamerikas zu ziehen, machte er sich auf nach Norden in die kalte Weite Lapplands.   
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