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Der Staat der Herzoge von Zähringen
Prof. Theodor Mayer 

Wenn ich heute von dieser Stelle zu Ihnen vom Staat der Zähringer und allgemein von der Entstehung des mittelalterlichen Staates spreche, so knüpfe ich an das Werk jenes Mannes an, der dem Lehrstuhl, den innezuhaben ich jetzt die Ehre habe, durch seine langjährige überragende Wirksamkeit Richtung und Ziel gegeben hat. Georg V. Below hat in umfassendster Weise politische, Rechts-‚ Wirtschafts-, und Sozialgeschichte bearbeitet, aber in all diesen Gebieten sah er nur Teilgebiete der Geschichte des deutschen Staates, deren Erforschung sein letztes Ziel war. In seinem leider nicht mehr vollendeten Werke »Der deutsche Staat des Mittelalters« gipfelte seine reiche Lebensarbeit. Er hat die Wissenschaft in neue Bahnen gelenkt, seine Forschungen waren der Abschluß einer ganzen Periode und bilden zugleich die feste Grundlage für die weitere Gestaltung. Auch Hermann Heimpel hat die von Georg v. Below gezogene Linie verfolgt und demgemäß in seiner Antrittsrede in geistvoller Weise das Problem des mittelalterlichen Staates behandelt.

Jede Gegenwart stellt der Geschichtswissenschaft bestimmte Fragen, gibt ihr Aufgaben, durch die diese Wissenschaft immer wieder zu einer unbedingt aktuellen Wissenschaft wird, wenn sie die Fragen der Gegenwart auch erkennt. Zeiten großer Umwälzungen bringen aber nicht nur neue geschichtliche Probleme, sie vermögen oft auch die Augen zu öffnen und Verständnis zu wecken für Probleme, die bisher im Hintergrund standen. In dem Maße, in dem sich die Erkenntnis durchsetzt, daß Staat und Volk eine Einheit sind, daß der Staat die Organisation darstellt, in der und durch die das Volk politisch handlungsfähig war und ist, wird seine Geschichte Volksgeschichte schlechthin; Staats- und Volksgeschichte sind so betrachtet auch in der Forschung nicht mehr zu trennen.

Da die Erscheinungs- und Organisationsformen des Staates so wie das politische Leben eines Volkes auch durch das Land, den Boden bestimmt und bedingt werden, müssen auch die geographischen Verhältnisse zur Klärung der Fragen über den Staat herangezogen werden. Staat und Landschaft sind wechselseitig untrennbar verbunden, wir betrachten aber deshalb die Geschichte eines deutschen Staates oder Landes nicht für sich allein und in sich begrenzt und abgeschlossen, sondern als Ausschnitt der gesamtdeutschen Geschichte. Wir erkennen nicht mehr den Gegensatz zwischen allgemeiner deutscher Geschichte und Landesgeschichte in der alten Form an, denn die Schicksale des deutschen Volkes wurden durch Jahrhunderte in den Territorien entschieden, die Territorien bestimmten das Gefüge des deutschen Volkes und Staates; die Entwicklung einzelner Territorien, besonders solcher, die an der Grenze gelegen sind, ist ein wichtiger Teil der Geschichte des deutschen Gesamtvolkes. In diesem Sinne wollen wir die deutsche Geschichte und Staatswerdung im deutschen Südwesten als Ausstaatlichen Verwaltungsfunktionen seinen Ausgang nimmt, in kleinen Räumen und aus kleinen Verhältnissen entsteht, langsam wächst, auf Einrichtungen, auf dem Staatsapparat ruht, in ihnen besteht. Dieser institutionelle Staat ist dauernder als der nur oder fast nur auf der Gemeinschaft der Personen ruhende Staat, der ohne großen Führer nicht bestehen kann. Der institutionelle Staat wird von Talenten regiert, für ihn besteht aber immer die Gefahr, daß er in bürokratischer Verwaltungsroutine zum Obrigkeitsstaat, der Selbstzweck ist, erstarrt. Der Personenverbandsstaat ist die ältere Form des deutschen Staates, der institutionelle Flächenstaat ist im Mittelalter neben und im Gegensatz zum Bauprinzip des Personenverbandsstaates zur Ausbildung gelangt. Man faßt diesen Vorgang im allgemeinen unter dem Schlagwort „Entstehung der Landeshoheit“ zusammen, wir glauben aber, daß es bei diesem Prozeß in erster Linie auf den Übergang vom Personenverbandsstaat zum Flächen- und Verwaltungsstaat‚ mit anderen Worten zum modernen Staat ankommt. So scharf auch der grundsätzliche Unterschied zwischen Territorien und Reich ist, so erfolgt dieser Übergang doch nicht eigentlich im Gegensatz zum Reich, sondern im Wettstreit mit ihm um die Weiterbildung des Staates, die praktisch in der Übernahme und Erledigung neuer Aufgaben und in der Ausbildung des Staatsapparates besteht und begründet ist.

Diesen grundlegenden Vorgang der deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters an einem besonderen Beispiel, am Staat der Herzoge von Zähringen, der im 11. Jahrhundert entstanden und 1218 mit dem Aussterben der Zähringer untergegangen ist, aufzuzeigen, soll den Gegenstand der folgenden Ausführungen bilden.

Der Raum, in dem die Zähringer ihre geschichtliche Tätigkeit entfalteten, ist der schwäbisch-alemannische Südwesten des Reiches, ein Gebiet, das nur schwer zu einer historisch-geographischen Einheit zusammenzufassen war, weil es mittendurch vom Schwarzwald in zwei Teile geteilt wurde. Zwar war der Schwarzwald im 11. Jahrhundert nicht mehr völlig siedlungsleer, zwar war er kein unbedingtes Verkehrshindernis, sondern wurde schon von Wegen durchquert, auf denen wohl auch militärische Märsche möglich waren, aber die Tatsache, daß südlich der Straße, die von Offenburg durch das Kinzigtal nach Villingen führte und weiter nadi dem Neckarland, dem Donautal und Schaffhausen Anschluß hatte, bis zum Rheinknie bei Basel keine große Straße den Schwarzwald überschritt, hat die Rheinebene stark von den Gebieten östlich des Schwarzwaldes geschieden. Das Oberrheintal rechts und links des Stromes stellte dagegen eine eng verflochtene Einheit dar. Es ist daher kein Zufall, sondern eine Auswirkung dieses Zustandes auf einen besonderen Fall, daß die Kolonisation der nach Westen verlaufenden Schwarzwaldtäler durch Klöster erfolgte, die wie Gengenbach, Schuttern, Ettenheimmünster und wohl auch St.Trudpert vom Westen her gegründet worden sind, obwohl der Raum sonst zur Diözese Konstanz gehörte. Dazu wären auch noch die Clunyazenser-Klöster in St.Ulrich und Sölden zu rechnen, die aber von Basel aus errichtet wurden. Es ist jedenfalls auch bezeichnend, daß diese unmittelbar unter burgundischem Einfluß stehenden Klöster östlich des Schwarzwaldes nicht mehr vorkommen, sondern nur westlich, und zwar auch nur im Einflußgebiet von Basel. Daß einige, in der heutigen Schweiz gelegene Klöster wie St.Gallen und Einsiedeln im Breisgau Besitzungen hatten, war für die Frage der Zusammenhänge des Gebietes Öst- und westlich des Schwarzwaldes Wenig bedeutungsvoll, denn es handelte sich doch nur um Außenposten dieser Klöster.


Es gab auch nur zwei große weltliche Geschlechter, die auf beiden Seiten des Schwarzwaldes Besitz hatten, das waren die Bertolde, die späteren Zähringer und Markgrafen von Baden, und ferner die Grafen von Hohenberg. Die Hohenberger stammten aus dem schwäbischen Raum und hatten Besitz im Dreisamtal mit der Burg Wiesneck als Mittelpunkt. Sie waren aber viel weniger mächtig als die Bertolde-Zähringer, die die Grafschaften im Thurgau, Albgau, in der Ortenau und im Breisgau und daneben eine Reihe von Kirchenvogteien innehatten und wohl auch über allodiales Eigentum verfügten, dessen Ausmaß freilich nicht klar iSt.Die Zähringer gehörten neben den Staufern und den Welfen zu den großen schwäbischen Geschlechtern, die berufen waren, in die deutsche Geschichte entscheidend einzugreifen.

Das Geschlecht der Bertolde teilte sich im 11. Jahrhundert in zwei Linien, in eine markgräfliche, die die Grafschaften im Breisgau und in der Ortenau übernahm, und in die herzogliche, an die die schwäbischen Besitzungen kamen und die sich um 1100 nach einem in ihrem Besitz befindlichen Reichslehen „von Zähringen“ nannten. Offensichtlich schien als Grundlage für dieses Herzogtum nur ein Reichslehen, nicht aber eine Allodialherrschaft geeignet zu sein. Bertold I. war schon 1061 Herzog von Kärnten geworden, ist aber nie in den tatsächlichen Besitz dieses Herzogtums gelangt. Im Investiturstreit finden wir ihn und seine Söhne Bertold II. und Gebhard, den Bischof von Konstanz, auf der dem Kaiser feindlichen Seite. Bertold II. wurde Schwiegersohn des Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden und erhielt auch das Herzogtum Schwaben. Er konnte sich aber auch hier nicht durchsetzen und hat schließlich endgültig 1098 auf Schwaben verzichtet, behielt aber die Reichsvogtei von Zürich und den Herzogstitel. 1090 hatte er die Erbschaft des ausgestorbenen Geschlechtes der Rheinfelder überkommen und damit festen Fuß in der Schweiz gefaßt. Sein Sohn Konrad ist 1127 Rektor von Burgund geworden und hat damit auch links des Rheins eine Stellung erlangt, die etwa der des Herzogs entsprach, ohne daß freilich der Inhalt dieser Würde genau umschrieben werden könnte. So war dieses Haus hoch gestiegen, ohne aber ein eigentliches Herzogtum im alten Sinne zu besitzen, und Otto von Freising nennt das zähringische Herzogtum ausdrücklich einen leeren Titel. Ein solcher Titel, wenn er vom Reich anerkannt war, stellte aber doch einen Anspruch dar; es kam nur darauf an, ob und wie dieser Anspruch verwirklicht, dem Titel ein Inhalt gegeben werden sollte.

Zwei Fragen ergaben sich aus der südwestdeutschen Landschaft, erstens die, wer die weiten Gebiete des Schwarzwaldes wirtschaftlich zu erwerben, und zweitens, wer sie politisch zu erfassen und zu organisieren vermochte. Wem das gelang, dem war die beherrschende Stellung am Oberrhein und in Schwaben sicher.

Einen Versuch machten die Staufer, die von Schwaben aus nach dem Elsaß übergriffen. Daß die Erwerbung von Breisach im Jahr 1185 durch Heinrich VI. und die Bestrebungen Friedrichs II., am Zähringer-Erbe entsprechenden Anteil zu erlangen, in diese staufische Territorialpolitik einzugliedern war, ist nicht zweifelhaft. Dieser Politik war aber hier ein voller Erfolg nicht gegönnt, schon weil ihr die Brücke von Schwaben nach dem Elsaß fehlte, weil die Staufer nicht den Schwarzwald in ihre Gewalt zu bringen vermochten und weil mit ihrem Haus auch ihre Territorialpolitik und das Herzogtum Schwaben unterging.

Das Wichtigste Mittel zur wirtschaftlichen Okkupation eines bis dahin nicht oder nur schwach besiedelten Landes war die Rodung, deren Durchführung großenteils Klöstern übertragen wurde. Die Kolonisation war von Westen her schon in Angriff genommen worden, sie hat aber nur an einigen Stellen die Höhen des Schwarzwaldes erreicht. Der östliche Teil des Schwarzwaldes war noch ziemlich Siedlungsleer, ja auch in den nach Westen verlaufenden Schwarzwaldtälern waren die am höchsten gelegenen Teile noch nicht erreicht, so daß dort noch Raum für Klostergründungen geblieben war. Die Klöster Reichenbach und Alpirsbach sind im obersten Teil von nach Westen ziehenden Tälern, aber von Osten aus gegründet worden, das obere Simonswälder Tal, das in das Siedlungsgebiet von Waldkirch gehörte, kam dann an St.Peter, weil es von dort aus, also von oben her kolonisiert worden iSt.Auf der Höhe des Schwarzwaldes lag Peterzell, das dem Kloster Reichenau gehörte, aber offenbar wegen der großen Entfernung vom Mutterkloster nicht die Kraft zu energischer Siedlungstätigkeit aufbrachte; wie sich auch St.Gallen und Einsiedeln in dieser Hinsicht im Schwarzwald nicht hervortaten und St.Blasien erst Bedeutung als Mittelpunkt des Landesausbaues erlangte, als es vom Kloster Rheinau frei wurde.

Die Rodungstätigkeit nahm in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, und zwar im Zusammenhang mit der Gründung der Reformklöster, einen mächtigen Aufschwung. Der bedeutendste Führer dieser Bewegung war Abt Wilhelm von Hirsau. Abt Wilhelm hat zweifellos entscheidende Anregungen von Abt Bernhard von St.Viktor in Marseille empfangen, der, nachdem er vorher als päpstlicher Legat vom Grafen von Lenzburg gefangengesetzt worden war, von Oktober 1077 bis September 1078 in Hirsau weilte. Wir wissen, daß das Kloster St.Viktor von Marseille eine Reihe von Klöstern von sich abhängig gemacht hatte, so daß geradezu von einem Marseiller Kirchenstaat gesprochen wird. A. Brackmann hat darauf hingewiesen, daß Abt Wilhelm auch ähnliches anstrebte; Wilhelms Wirksamkeit tritt noch stärker hervor, wenn man mit ihr die Tätigkeit des zweiten großen Reformklosters St.Blasien vergleicht, das über seinen unmittelbaren Siedlungsraum hinaus sich nicht durch Klostergründungen im Schwarzwald hervorgetan hat, oder gar mit den eigentlichen Clunyazenser-Klöstern wie St.Ulrich, deren Wirkung nicht über einen kleinen Kreis hinausging. Dagegen hat Abt Wilhelm erreicht, daß das im Jahre 1050 von den Grafen von Nellenburg gegründete Kloster Schaffhausen 1080 reformiert und Hirsau unterstellt wurde. An Klostergründungen in unserem Raum, die auf Abt Wilhelm und Hirsau zurückzuführen waren, sind zu nennen: Reichenbach 1082, St.Georgen 1083/85; 1093 wurde das zähringische Hauskloster Weilheim u.T. nach St.Peter auf dem Schwarzwald übertragen; 1095 wurde endlich Alpirsbach errichtet. Man sieht also ein systematisches Erfassen des hohen und östlichen Schwarzwaldes durch die neuen Klöster.

Wir besitzen einen interessanten Bericht über den Gründungsvorgang bei St.Georgen. Dieses Kloster ist zuerst in Königseckwald im Saulgau errichtet und von den Stiftern dem Papst übergeben worden. Dann rief man den Hirsauer Abt zur Einrichtung des Klosters herbei. Dieser fand jedoch den Platz für ungeeignet und weigerte sich, die Einrichtung vorzunehmen, er verlangte vielmehr die Verlegung des Klosters in den Schwarzwald. Die Stifter waren damit nicht einverstanden und beriefen sich darauf, daß sie das Kloster schon dem Papst geschenkt hätten und daher nicht mehr darüber verfügen könnten. Abt Wilhelm sandte sofort einen Mönch zum Papst und erwirkte so die Genehmigung zur Verlegung. Darauf wurde das Kloster in den Schwarzwald in eine recht rauhe Gegend, aber an einen verkehrsgeographisch sehr wichtigen Punkt nahe der Brigachquelle und dem Übergang nach dem Kinzigtal und Elztal verlegt. Vielleicht Wäre die Verkehrslage des einige Kilometer entfernt gelegenen Peterzell noch günstiger gewesen, aber St.Georgen griff mit seinen Besitzungen nördlich um Peterzell herum, so daß es tatsächlich auch die Straße nach Hornberg beherrschte. Man sieht aber aus diesem Vorgang deutlich, daß Abt Wilhelm klare raumpolitische und verkehrsgeographische Vorstellungen hatte und danach seine Klostergründungspolitik richtete. Er erinnert uns in bescheidenerem Maße an den hl. Bonifatius, der in genialer Weise den Raum zwischen dem Main und dem Sachsenland erfaßte und schließlich gerade in die Mitte das von der bischöflichen Gewalt eximierte Fulda hineinsetzte.

Mit seinem großzügigen Versuch überschritt aber, wie schon Hans Hirsch festgestellt hat, Abt Wilhelm die Grenzen des selbst für ein Kloster von der Bedeutung Hirsaus Durchführbaren; kirchliche Kreise waren es vor allem, die seinen Bestrebungen entgegentraten. Bischof Gebhard von Konstanz, ein Schüler Abt Wilhelms, versagte sich ihm, als er sich das Kloster St.Georgen dauernd unterordnen wollte, und Papst Urban II. unterstellte schließlich die einzelnen Klöster unmittelbar der Kurie. Ebensowenig wie den kirchlichen Stellen gegenüber vermochte Abt Wilhelm gegenüber den weltlichen Faktoren durchzudringen. Er hat den Kampf gegen das alte Eigenkirchenrecht durchaus mit Erfolg geführt, aber er vermochte nicht zu verhindern, daß der politische Teil des Eigenkirchenrechts in der erblichen Herrenvogtei weiterlebte, also nicht in den Besitz der Klöster kam. Hatte bis dahin ein Kloster seiner Gänze nach dem Eigenkirchenherrn gehört, so wurde jetzt eine Teilung vorgenommen: Über die geistlichen Belange und die der Grundherrschaft verfügten die kirchlichen Anstalten frei, die weltlichen Angelegenheiten, d. h. die Ausübung der weltlichen Hoheit über das Gebiet und die Leute des Klosters blieben beim Eigenkirchenherrn als dem Erbvogt des Klosters. Wenn nun gar der Vogt, der das Kloster vor der weltlichen Obrigkeit vertreten und es schützen sollte, gleichzeitig der Inhaber der weltlichen Obrigkeit war, dann bedeutete der Besitz der Vogtei die Eingliederung des Klostergebietes in das Herrschaftssystem des Vogtes. Die Stellung der Klosterherrschaften war damit aufgespalten in eine kirchliche und wirtschaftliche Seite, die dem Kloster verblieb, und in eine politische, die durch die Vogtei unmittelbar in den Staat eingefügt wurde. Diesen Prozeß, der im einzelnen in verschiedener Weise in Erscheinung trat, vermochten auch klösterliche Privilegienfälschungen nicht aufzuhalten.

Hier haben die Zähringer eingegriffen. Schon durch Bischof Gebhard von Konstanz, der ein Bruder Herzog Bertolds II. war, hatten sie Beziehungen zu den Reformklöstern, besonders zu Abt Wilhelm von Hirsau; die Gründung und Ausgestaltung von St.Peter wurde in engstem Einvernehmen mit diesen Kreisen vorgenommen. Schon seit längerer Zeit waren sie die Vögte für die hier im Südwesten gelegenen Besitzungen der Bamberger Kirche, sie hatten also die Vogtei der bambergischen Klöster Gengenbach, Schuttern und Stein am Rhein inne, die Vogtei von St.Trudpert gehörte den zähringischen Ministerialen von Staufen; sie waren weiters die Erbvögte ihres Hausklosters St.Peter, spätestens 1114 erlangten sie die Vogtei über St.Georgen und endlich 1125 wurden sie Vögte von St.Blasien, während Versuche, auch die Vogtei von St.Gallen zu bekommen, nicht geglückt sind. Ein Blick auf die Karte zeigt, daß die Zähringer durch diese Vogteien den ganzen Schwarzwald vorn Kinzigtal südwärts beherrschten, es gab keinen Schwarzwaldübergang, der nicht durch Zähringer-Gebiet führte. Besonders wichtig war dafür die Erwerbung der St.Georgener Vogtei, denn damit brachten die Zähringer das ganze Kinzigtal in ihre Hand und sperrten auch einen Weg, der etwa vom Elztal über St.Georgen nach dem Osten geführt hätte. Ihr Besitz wurde dadurch systematisch abgerundet und geschlossen. Es scheint, daß vor allem Herzog Konrad die treibende Kraft gewesen ist, denn sofort, als er nach dem Tode seines Vaters, vorerst zusammen mit seinem Bruder Bertold III., die Regierung übernommen hatte, kam ein lebhafter Zug in die Zähringer-Politik, was wir besonders in der Förderung und Ausgestaltung von St.Peter feststellen können. Vom Kinzigtal bis zum Hochrhein gab es an selbständigen Herren neben den Zähringern noch die Markgrafen im Breisgau, die Vettern der Herzoge waren, und die Herren von Schwarzenberg als Vögte von Waldkirch. Aber diese standen offenbar ganz unter zähringischem Einfluß, wenigstens treten sie häufig in Zähringer-Urkunden als Zeugen auf. Die Besitzungen der Üsenberger fielen für den Schwarzwald nicht ins Gewicht.

Es gab aber noch einen Fremdkörper in diesem Zähringer-Machtbereich, der nicht sehr groß, aber wegen seiner Lage bedeutsam war, das waren die Besitzungen der Grafen von Hohenberg im Dreisamtal, durch das die beste Verbindung vom Breisgau nach Schwaben führt. Die Gründung von St.Peter und die Ausstattung dieses Klosters zeigt klar, daß die Zähringer dabei die Absicht hatten, den Weg, der vom Glottertal über Rohr nach St.Peter und weiter über den Hohlen Graben nach dem Osten hin führte, auf ein möglichst langes Stück, und zwar gerade in dem zum Teil noch ungerodeten Schwarzwald, wo wohl auch die Eigentumsfragen noch nicht festgelegt waren, in die Hand des Klosters zu bringen. Eine solche Absicht wurde aber durch die 1118 erfolgte Gründung von St.Märgen durchkreuzt. Der Straßburger Domherr Bruno errichtete östlich von St.Peter ein Augustinerstift und besetzte es mit französischen Chorherren. Bruno, der spätere Bischof von Straßburg, war ein Angehöriger des Geschlechtes der Grafen von Hohenberg. Sofort gab es einen scharfen Kampf zwischen St.Peter und St.Märgen, weil Leute des Stiftes von St.Märgen ihre Rodungen angeblich in sanpetrinisches Gebiet vertrieben. 1121 wurde dieser Streit durch einen Schiedsspruch geschlichtet. St.Märgen mußte an St.Peter zwei Höfe abgeben, konnte aber sein Gebiet bis an die Grenzen von Waldkirch nach Norden ausdehnen. Das Ergebnis war also, daß in das sonst ziemlich abgerundete sanpetrinische Gebiet das sanktmärgensche vom Wagensteigtal aus wie ein Keil vordrang und von der Straße von St.Peter nach dem Hohlen Graben ein Stück von etwa 2 Kilometern an St.Märgen kam. Es ist höchst auffällig, daß die Zähringer in einer für ihre Territorialpolitik so grundlegenden Frage, ob diese Straße vom Breisgau nach Schwaben nur über ihr Gebiet und das ihres Hausklosters führen sollte oder nicht, nachgaben, da ja die Bedeutung und der Wert dieser Straße eben darin lag, daß sie vom Breisgau unter Umgehung des hohenbergischen Dreisamtales nach Schwaben führte.

Wir sind über die Beweggründe nicht näher unterrichtet, aber es läßt sich vielleicht aus anderen Nachrichten ein Aufschluß gewinnen. Wiesneck wird im Rotulus Sanpetrinus zum Jahre 1112 ohne jeden Zusatz genannt, 1121 aber wird vom castrum dirutum gesprochen, ebenso 1136. In einer Grenzbeschreibung im Rotulus Sanpetrinus, die mit Benützung jener von 1112 angefertigt worden ist, wird an Stelle der einfachen Nennung von Wiesneck in der Beschreibung von 1112 das castrum dirutum Wiesneck erwähnt. Diese Grenzbeschreibung ist aber von einer späteren Hand des 13. Jahrhunderts nachgetragen. Daraus ergibt sich also, daß die Burg Wiesneck um 1112 noch aufrecht stand, zwischen 1112 und 1121 aber zerstört wurde, und zwar so gründlich, daß sie noch 1136, ja im Beginn des 13. Jahrhunderts nicht aufgebaut war. Weiters wissen wir, daß später die staatliche Hoheit über das Dreisamtal an die Zähringer und ihre Nachfolger gelangte, daß also die Hohenberger nicht imstande gewesen waren, hier eine landesherrliche Stellung auszubauen. Ja, die Dynastenherrschaft Wiesneck wurde schließlich 1293 an einen Freiburger Bürger Burkart Turner verkauft, hatte also offensichtlich ihre hochadelige Eigenschaft völlig verloren. Zweifellos haben hier die Zähringer einen vollen Sieg über die Hohenberger davongetragen; es liegt nun nahe, daß sie es auch waren, die die Burg Wiesneck zerstört haben, denn wir wüßten sonst nicht, wer das getan haben könnte, und man wird weiter noch den Schluß ziehen dürfen, daß den Anlaß dazu die Gründung von St.Märgen geboten hat und daß die Zähringer in dem Augenblick, als sie durch ihren Sieg über die Hohenberger über die Dreisamtalstraße selbst verfügen konnten, kein Interesse mehr an der Straße vom Glottertal über St.Peter - St.Märgen - Hohler Graben nach Schwaben hatten und deshalb auf den Schiedsspruch von 1121 eingingen.

Dieser Schluß scheint auf den ersten Blick etwas gewagt zu sein, er wird aber noch durch einen anderen Umstand bestätigt. Kurz nachdem die Zähringer die volle Herrschaft über die Straße vom Breisgau über den Schwarzwald erlangt hatten, haben sie Freiburg und Villingen gegründet; sie haben also an den beiden Enden der Schwarzwaldstraße je eine Stadt errichtet und so das ganze Verkehrssystem zu einem gewissen Abschluß gebracht. Daraus ergibt sich aber, daß alle diese Einzelheiten untereinander in Zusammenhang stehen. Doch bilden sie nur einen Teil der Zähringer-Politik. Zur gleichen Zeit ist wohl auch die Stadt Offenburg gegründet worden. Wohl sind wir hierüber nicht genauer unterrichtet, aber die Gleichartigkeit des Grundgedankens bei der Anlage des Stadtplanes von Offenburg und Freiburg geht überraschend weit. Sie zeigt sich vor allem in der Art, wie der Anschluß an das Fernstraßennetz gefunden und der Markt angelegt wird. Diese Marktstraße - in Freiburg die Kaiser-Josef, in Offenburg die Kaiserstraße - ist aber in Wirklichkeit ursprünglich keine Verbindungsstraße, sie hatte auch nur an einem Ende einen Zugang, der am anderen Ende ist erst später aufgemacht worden. Diese Eigenart ist kennzeichnender als die, daß sich an die Marktstraße auf beiden Seiten rippenförmig Straßen anlegten. Besonders ist das Straßenkreuz, wie wir es in Villingen finden, nicht die Grundlage des Stadtplanes überhaupt. Diese Gleichartigkeit, für die es in diesem Raum sonst kein Beispiel gibt, hebt die Stadtpläne von Freiburg und Offenburg so stark heraus, daß man annehmen muß, daß die Städte gleichzeitig und vom gleichen Stadtherrn angelegt worden sind. Die Gründung von Offenburg stand aber dann wohl in Verbindung mit der Erwerbung der Vogtei über das Kloster St.Georgen‚ wodurch die Zähringer alle Straßenverbindungen durch das Kinzigtal beherrschten. So erhielt die Verkehrs- und Raumpolitik der Zähringer durch das Städtedreieck Offenburg-Villingen-Freiburg ihren Abschluß. Einen gewissen Ausbau dieses Systems brachte noch die Erwerbung von Breisach im Jahre 1198. Der Hauptträger dieser energischen Politik scheint aber Herzog Konrad, der Gründer von Freiburg, gewesen zu sein; zu seiner Zeit kam der lebhaftere Zug in die Zähringer-Politik. Man ist vielfach gewohnt, die Städte und Städtegründungen für sich allein und vor allem unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten. Das sehr reiche Schrifttum über Freiburg ist ein Beleg dafür, denn immer wieder wurde betont, daß Freiburg in erster Linie eine Nahhandelsstadt, der Markt für die umgebenden Dörfer gewesen sei, und wenn gelegentlich Freiburg als Fernhandelsstadt bezeichnet wird, geschieht das mit recht mangelhafter Begründung. In Wirklichkeit ist die Gründung von Freiburg nur als Glied der allgemeinen Staatspolitik der Zähringer voll zu verstehen, es dürfte sich aber allgemein für die meisten Städte herausstellen, daß ihre Entstehung und ihre Funktionen gar nicht anders als in den großen Zusammenhängen der Wirtschaft und vor allem der Politik verstanden werden können.

Die Zähringer-Politik, die Begründung ihrer Herrschaft und ihres Staates zeigt in überaus eindringlicher Weise die große Bedeutung der Okkupation eines Landes durch Rodung und den Vorgang der Auswertung ihrer Ergebnisse für den politisch-organisatorischen Staatsaufbau. In kleinerem Maßstabe sehen wir die grundsätzlich gleiche Entwicklung bei den Herren von Schwarzenberg, die als Vögte des Klosters Waldkirch eine das Elztal umfassende Herrschaft begründeten, die nur deshalb nicht zur vollen Territorialherrschaft ausgebaut worden ist, weil dazu den Schwarzenbergern inmitten der mächtigen Nachbarn doch die politische Macht gefehlt hat. Durch Rodung gewonnenes Land wurde als Allod bezeichnet und behandelt. Nur so ist es erklärlich, daß Herzog Konrad den Boden, auf dem Freiburg stand und der ringsum unmittelbar von Reichsgut umgeben war, als Eigengut bezeichnen konnte. Wir haben keinen Grund zur Annahme, daß gerade der innerhalb der neuen Mauern gelegene Teil den Zähringern geschenkt worden wäre, ja es ist sogar zweifelhaft, ob es sich hier um wirkliches Rodungsland gehandelt hat, ob nicht vielleicht Rodung als Grundlage für das Eigentumsrecht vorgeschützt worden ist. In gleicher Weise wird das Gebiet von St.Peter als Eigengut bezeichnet und dann an den Papst gegeben. Bei St.Märgen steht es ebenso. Das Gebiet um Rohr aber wird als Eigengut Arnolds von Kenzingen bezeichnet. Wir kennen aber keine Quelle, aus der wir entnehmen könnten, daß es sich hier um älteres Familiengut oder durch Kauf oder Schenkung erworbenes Eigengut der Zähringer oder Hohenberger oder des Kenzingers gehandelt hätte. Rodung brachte also nicht nur wirtschaftliches Neuland, es gewährte dem, der das Land okkupierte, auch die Möglichkeit, die politischen Hoheitsrechte über dieses Gebiet in Anspruch zu nehmen, wenigstens dann, wenn der Okkupierende selbst über solche Rechte verfügte, wie das etwa bei den Dynasten oder bei dem Inhaber einer Grafschaft oder eines Herzogtums zutraf. Wer auf diese Weise durch Rodung Neuland erwarb, bekam dadurch einen Zuwachs an politischer Macht, er stieg über seine Genossen, die sich gegenseitig die Waage hielten, hinaus und hatte die Möglichkeit zur Aufrichtung größerer staatlicher Bildungen. Die deutsche Geschichte ist in großen Zügen dadurch charakterisiert, daß im kolonialen Osten weiträumigere, nicht von einer historischen Tradition überlastete und daher einheitlichere Staatsgebilde entstanden, die den politisch zerkrümelten Westen überflügelten und die entscheidenden Schritte zur Aufrichtung eines gesamtdeutschen Staates taten. Diese Entwicklung ist aber nicht erst im Osten in Erscheinung getreten, wir können sie auch in Altdeutschland feststellen, wo sich der Unterschied zwischen Alt- und Ausbauland in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht ebenso klar erkennen läßt. Durch die Gewinnung von Neuland und dessen politische Organisierung konnte aber auch ein anderer Gedanke zur Durchführung gelangen, der der Begründung der Herrschaft auf das Land, auf die Fläche, nicht mehr auf die Herrschaft über Personen, auf den Personenverband. Die Vogtei aber war das Mittel, durch das die zumeist geistlichen Grundherrschaften für die weltliche Politik erfaßt worden sind. Im Ausbauland waren die Verhältnisse nicht so eng, es gab nicht so viele konkurrierende Gewalten, die sich gegenseitig am Aufstieg behinderten, dort gab es auch nicht den Streubesitz, sondern es waren fast immer größere Bezirke, die gleichmäßig einer Grundherrschaft unterstellt waren. Es gibt aber kaum einen zweiten deutschen Staat, in dem so früh und mit solcher Folgerichtigkeit der Aufbau eines Staates in modernem Sinne durchgeführt worden wäre wie hier von den Zähringern.

Man kann von einem Staat wohl nur dann sprechen, wenn er wenigstens im Innern die Verwaltungsautonomie besaß. Eine solche kam nach deutscher Auffassung grundsätzlich dem Herzog, aber noch nicht dem Grafen zu. Grafen haben sie nur dort erreicht, wo sie politisch vom Herzogtum unabhängig wurden, wo es von Haus aus kein Herzogtum gab oder wo es aus irgendeinem Grunde zerstört worden ist, wo sie also selbst die Stellung der Herzoge erreichten. Solcher Aufstieg durch Usurpation gehört aber doch meist einer etwas jüngeren Zeit an, im 11. Jahrhundert war aber wohl noch irgendein Rechtstitel notwendig. Nun erwies sich für die Zähringer der Wert ihres Herzogtitels. Dieser Titel gab ihnen den hohen Rang eines Herzogs, denn er wurde auch von der kaiserlichen Kanzlei anerkannt. Damit waren die Zähringer unabhängig von irgendeiner anderen herzoglichen Gewalt. Wenn Otto von Freising sagt, daß das Zähringer-Herzogtum ein leerer Titel gewesen sei, so hatte er damit im Sinne der Einrichtung der alten Stammesherzogtümer gewiß recht. Ein solches hatten die Zähringer nicht und konnten sie auch nicht neu errichten. Wir wissen aber aus den Urkunden, die sich auf das österreichische Herzogtum von 1156 und auf das Würzburgische Bischofsherzogtum von 1168 beziehen, daß ein Wesentlicher Teil der herzoglichen Gewalt vorzüglich darin bestand, daß die Ausübung aller staatlichen Rechte, die Wahrung des Landfriedens und besonders die Gerichtsbarkeit von der Zustimmung des Herzogs abhängen, daß die Einrichtung von Gerichten durch ihn erfolgen sollte. Einen solchen Anspruch konnten die Zähringer leicht durchsetzen, weil in den für sie in Betracht kommenden Gebieten im Schwarzwald überhaupt kein Konkurrent vorhanden war. Ihre Rechte sind daher nie angefochten worden. Daß sie aber gewillt waren, alle staatlichen Rechte und Aufgaben zu erfüllen, zeigt uns die Zusicherung des freien Geleites an die Kaufleute durch Herzog Konrad in der Gründungsurkunde von Freiburg. Auf der anderen Seite aber waren sie durch ihren Herzogstitel vor einer Beherrschung durch den Schwabenherzog gesichert. Das Zähringer-Herzogtum war daher ein Herzogtum wie irgendein anderes, soweit seine Zuständigkeiten in Frage kamen, es war aber seiner inneren Struktur nach etwas anderes, denn es war ein Flächenstaat und es war nicht eine Fortbildung des alten Stammesherzogtums, von dem es nur äußerliche Eigenschaften und den Anspruch auf Unabhängigkeit in der Verwaltungsausübung übernommen hatte.

Der neue Staat baute auch ein neues Verhältnis zu seinen Angehörigen aus. Der Personenverbandsstaat war auf einer Gliederung des Volkes aufgebaut, die in der Vasallität und in persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen wie in der Leibherrlichkeit in Erscheinung trat. Diese Verhältnisse änderten sich beim Flächenstaat, der an einer solchen Gliederung durch persönliche Abhängigkeit kein Interesse hatte. Weil er ein weites Gebiet gleichmäßig beherrschte und alle Bewohner in Abhängigkeit von ihm standen, daß staatliche und allfällige leibherrliche Abhängigkeit zusammenfielen, hatte er keinen Grund, die leibherrliche Abhängigkeit wieder stark zu betonen; sie geriet in solchen Fällen auch in älteren Staaten leicht in Vergessenheit und wurde in neuen nicht mehr eingerichtet. Eine öffentlich-rechtliche Untertänigkeit‚ sei es, daß sie auf der Vogtei als der Ausübung der staatlichen Hoheitsrechte oder auf der unmittelbaren Hoheit über ein Gebiet beruhte, schien vollkommen zu genügen. Im Neuland mußte diese veränderte Einstellung um so mehr wirksam Werden, weil man dort Kolonisten durch Gewährung besserer Rechte gewinnen wollte und nicht ältere Zustände als Belastung Vorhanden waren. Ausgangspunkt war aber die veränderte Einstellung der neuen staatlichen Gewalt zu diesem Problem. Deutlich sehen wir diese neue Gestaltung in den Staaten im östlichen Kolonialland, wo die Gedanken rein durchgeführt wurden, um deren Verwirklichung im .Mutterland man oft noch gerungen hat. Dort standen die neuen Staaten und nicht mehr die Grundherrschaften an der Spitze des Kolonisationswerkes, und dem entsprach dann die große Freiheit, die den neuen Ansiedlern gewährt wurde. Was aber im Kolonialland im Osten zu sehen ist läßt sich auch im Zähringer-Staat feststellen.

Das erste Beispiel ist die freie Stellung der Bürger der Stadt Freiburg, die allgemein als Muster für die Ausbildung der Rechte der Stadtbürger betrachtet wird. Wir wissen, daß die städtischen Bürger von Haus aus durchaus nicht immer, ja wohl nicht einmal in der Regel freier Herkunft gewesen sind, aber in der neuen Form der Staatlichkeit und der Eingliederung der Bevölkerung in den Staat war kein Grund mehr für die Aufrechterhaltung der alten persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse, die infolgedessen abgestorben sind, so daß man grundsätzlich von den freien Stadtbürgern spricht, ja daß das Wort „Bürger“ schließlich die typische Bezeichnung für den freien Staatsangehörigen geworden ist. Wir haben aber noch ein anderes, vielleicht noch eindringlicheres Beispiel in den „freien Bauern“, die es nicht nur im Osten, sondern auch in Altdeutschland gegeben hat. Wir wissen, daß von alters her „Freie“ dagewesen sind, ihre Bedeutung war aber gering, denn sie saßen verstreut und waren verfassungsrechtlich nicht organisiert. Nun finden wir aber seit dem 12.-13. Jahrhundert, da unsere Quellen reichlicher fließen, wieder freie Bauern in nicht geringer Zahl. Aber diese freien Bauern sind nicht die Abkömmlinge der alten freien Bauern, sie sitzen durchwegs auf Neuland, das erst im 12.-13. Jahrhundert gerodet worden ist, und zwar besonders in Gebieten, wo der Staat auf die Rodung unmittelbaren Einfluß gehabt hat. Im 11. Jahrhundert haben die Grundherrschaften noch unfreie Bauern als Hörige angesetzt. Dann aber tritt die Aufspaltung von Grundherrschaft und Staatshoheit ein, und diese Veränderung spiegelt sich in der Stellung der Kolonialbauern wider. Das „Freiamt“ nördlich von Emmendingen ist ein trefflicher Beweis für diese Umgestaltung. Ähnlich ist es auch im Schwabenland, für das Weller schöne Nachweise gebracht hat. Aber auch in Ober- und Niederösterreich, in Tirol und im Gebiet des Erzbischofs von Salzburg sind wir darüber unterrichtet. Mögen auch die Namen mitunter wechseln, die Sache bleibt grundsätzlich überall die gleiche. Der moderne Staat des Mittelalters hat im Neuland nicht mehr die alte Grafschaftsordnung aufgebaut, er brauchte und wollte nicht mehr die Gliederung des Staatsvolkes durch persönliche Abhängkeitsverhältnisse, er schaltete sie im Neuland aus und sprengte sie im Altland, wenn er stark genug war. Aus diesen Tatsachen ergibt sich die ungeheure Bedeutung des Landesausbaues in Deutschland für die staatliche und gesellschaftliche Entwicklung. Die Zähringer haben aber in diesem Prozeß eine führende Rolle gespielt. Sie sind es auch gewesen, die auf ihren Schweizer Besitzungen freie Bauern angesiedelt haben. Gerade in der Schweiz zeigt sich die Zähringer Staatspolitik in besonders reiner Form, dort haben sie sich auch als Städtegründer hervorgetan: Burgdorf, Oltigen, Bern, Thun, Gümmenen, Laupen, Freiburg, Murten, Moudon sind Beispiele dafür. Das burgundische Rektorat bedeutete für die Zähringer praktisch genausoviel wie der Herzogstitel im rechtsrheinischen Gebiet. Entscheidend aber war, daß ihnen eben dieses Rektorat die Möglichkeit gewährte, im ostjuranischen Burgund, über das allein sie verfügten, also in der heutigen Mittelschweiz, ebenso frei von irgendeiner übergeordneten Gewalt zu schalten und zu walten wie im Schwarzwaldgebiet. Das Rektorat ersetzte das Titularherzogtum.

Neben diesen Feststellungen über die tatsächlichen Vorgänge bei der Bildung des Zähringer-Staates scheint mir die Frage nach der Entstehung der „Landeshoheit“, nach den rechtlichen Wurzeln derselben, ob diese in der Grundherrschaft, in der hohen Gerichtsbarkeit, in der Grafschaft oder in Zwing und Bann usw. oder in allen zusammen lagen, wenig wichtig. Ich glaube vielmehr, daß wir mit dieser Fragestellung Gefahr laufen, immer wieder am eigentlichen Problem vorbeizureden, denn dieses Problem ist die Entstehung des modernen Staates im Mittelalter. Wir sehen davon ab, daß weder die Grundherrschaft, noch die Grafschaft oder die Hochgerichtsbarkeit für sich genügen würden, um die Landeshoheit zu erklären, daß alle zusammen auch noch nicht jene grundsätzlich neue staatliche Bildung geben würden, die wir im Flächenstaat erblicken, wir betonen aber, daß durch die so gestellte Frage nach der Entstehung der Landeshoheit dieser neue Staat als eine Fortsetzung und Weiterbildung des alten Personenverbandsstaates hingestellt und die Tatsache in den Hintergrund gedrängt wird, daß beide Staatsformen auf einer ganz verschiedenen Ebene liegen. Selbstverständlich hat der neu entstehende Staat alle staatlichen Mittel und Aufgaben des alten Staates übernommen, soweit er sie gebrauchen konnte, darum gingen die Funktionen der Grafschaft in ihm auf, darum übernahm er die Gerichtsbarkeit direkt oder als Gerichtshoheit, darum übernahm er die Wahrung des Landfriedens, bildete die Regalien aus und eignete sie sich an, soweit er konnte, darum stützte er sich auf die Grundherrschaft, wo er konnte, weil sie ihm Mittel für seine Aufgaben gewährte und weil mit der hochadeligen Grundherrschaft auch öffentliche Rechte in erheblichem Ausmaße verbunden waren. Aber in all diesen Rechten und Funktionen spiegelt sich der neue Staatswille wieder; weil er sie ausübte‚ War der neue Staat eine staatsrechtliche und machtpolitische Tatsache. Steuererhebung, Gerichtsbarkeit, Wahrung des Landfriedens‚ Regalien usw. waren Erscheinungsformen, Funktionen und Ausflüsse der staatlichen Hoheit, die gegenüber allen innerhalb eines organisch erfaßten Raumes wohnenden Menschen sich durchsetzte, nicht aber Teilstücke des neuen Staates. Der neue Staatswille und damit der neue Staat ist gegenüber diesen Funktionen das Primäre und nicht aus ihnen zusammengesetzt. Die andere Frage ist die nach dem Weg, auf dem es zum Aufbau des neuen Staates kam. Vor allem mußte die notwendige Verfügungsgewalt vorhanden sein. Deshalb mußte der neue Landesfürst ganz oder weitgehend unabhängig, autonom sein, wenigstens soweit es sich um die innere Verwaltung handelte. Diese Autonomie stand dem Herzog zu, deshalb wird der Herzog der Prototyp des Landesherrn, aber dieser neue Herzog war, wie etwa das österreichische priviIegium minus oder die Würzburger Herzogsurkunde zeigen, grundsätzlich verschieden vom alten Stammesherzog. Der Herzog hatte die Möglichkeit, die staatliche Hoheit gegenüber seinem Land aufzubauen, sie zur politischen Realität zu machen. Deshalb war für die Zähringer der Herzogstitel von grundlegender Bedeutung, weil er ihnen einen Rechtsanspruch auf die Ausübung einer staatlichen Hoheit gab. Die Zähringer hatten nur von Haus aus kein entsprechendes Gebiet, in dem sie die herzogliche Gewalt ausüben konnten, aber sie schufen sich ein solches, sie haben den Herrschaftsanspruch, die staatliche Möglichkeit in die Wirklichkeit umgesetzt, sie haben so den Staat geschaffen. Das Gebiet, auf dem sie ihren Staat errichteten, war Rodungsgebiet, war als bisher wirtschaftlich unbesetztes und staatlich freies Land nicht mit staatlichen Rechten belastet und durch keine Tradition gebunden, hier waren die Pläne leicht durchzuführen, hier war auch jene, bisher latente, staatliche Macht zu gewinnen, die für Verwirklichung der neuen staatlichen Aufbauziele notwendig war. Staatliche Hoheit, staatliche Macht und Ausübung der staatlichen Funktionen sind nicht voneinander zu trennen, in ihnen tritt der Staat als ein lebendiges Gebilde in Erscheinung. Der Staat ist in erster Linie eine Ganzheit von ausgeübten Funktionen, nicht ein System von Rechten, Staat ist eine Tatsache des Lebens, nicht eine Abstraktion von Rechten. Die Rechte hätte im allgemeinen grundsätzlich auch der Personenverbandsstaat gehabt, ab er er hat sie nicht ausgebildet, hat sie nicht selbst ausgeübt, so daß er den neuen, in einer ungleich verstärkten Ausübung beruhenden Staat nicht ausbilden konnte. Der alemannische Raum, der ursprünglich das Herrschaftsgebiet des schwäbischen Herzogtums werden sollte, war zu groß und geographisch zu stark gegliedert, als daß eine solche einheitliche staatliche Erfassung möglich gewesen wäre. Das Herzogtum selbst hat sich auch nicht in diesem Sinne bemüht. Wohl aber wurde die räumliche Erfassung von mehreren Geschlechtern, die zum Teil früh ausgestorben oder nicht voll durchgedrungen sind, in die Hand genommen. Wirklich hochgekommen, so daß sie an die Aufgabe der Staatsbildung im alemannischen Raum in großem Ausmaße denken konnten, sind nur drei Geschlechter, die Welfen, die Zähringer und die Staufer. Alle drei haben Großes geleistet, es war ein schwerer Schlag für die Staatsbildung im deutschen Südwesten, daß sie alle frühzeitig ausgestorben sind. Die Welfen 1190, die Zähringer 1218 und um die Mitte des 13. Jahrhunderts die Staufer. Während das Erbe der Welfen auf die Staufer überging, hat das Aussterben dieser beiden letzten Geschlechter eine Zerschlagung ihres staatlichen Aufbauwerkes zur Folge gehabt. Nach dem Tode des letzten Zähringer-Herzogs ging sein Staat zum Teil auf die Uracher über, aber er war erheblich geschwächt und die Urach-Fürstenberger vermochten nicht annähernd die Stellung der Zähringer zu erlangen. Dies tritt am stärksten in bezug auf die linksrheinischen Besitzungen der Zähringer in Erscheinung, die durch das Zähringer-Herzogtum mit den rechtsrheinischen verklammert waren. Nun fielen diese an die Kyburger. Damit wurde der Rhein eine Grenze, es ist aber sehr wahrscheinlich, daß heute die deutsche Schweiz ein Teil des Reiches wäre, wenn die staatliche Verklammerung durch das zähringische Herzogtum nicht zerstört worden wäre. Das Aussterben der Staufer hatte die Vernichtung des schwäbischen Herzogtums und eines fränkisch-alemannischen Staates in Südwestdeutschland zur Folge. Der staufische Staat hat die Klammer nach dem Elsaß hinüber gebildet, auch sie ist zerschlagen worden. Seitdem gab es in Schwaben und im Elsaß keine starke einheitliche Staatsgewalt, sondern nur Splitterbildungen. 1263 starben auch die Kyburger aus, ihre Erben und damit das führende Geschlecht am Oberrhein wurden die Habsburger, die noch einmal den Versuch machten zur Errichtung eines südwestdeutschen Staates, der die deutsche Schweiz, das Elsaß und das rechtsrheinische alemannische Gebiet zu einer Einheit verbinden sollte. Die Verschiebung des habsburgischen Schwerpunktes nach dem Südosten des Reiches, vor allem aber die unselige Reichspolitik, die Wahl Adolfs von Nassau, der vorzeitige Tod König Albrechts I., die Wahl Heinrichs von Luxemburg und endlich die unglückliche Doppelwahl von 1314 haben diesen Versuch zunichte gemacht. Damit waren der Reihe nach alle Faktoren ausgeschaltet, die staatsbildend in großem Stil werden und gesamtdeutsche Aufbauarbeit leisten konnten. Dazu waren die kleinen Herren, die jetzt um eine Stufe höher stiegen, weil die wirklichen Landesherren wegfielen, ebensowenig fähig wie die demokratischen Einungen, und das Ergebnis war eine staatliche Zersplitterung und Zerrissenheit, die hier im Grenzgebiet weiter ging als sonst irgendwo im Reich und zu schweren Verlusten führte. Es ist aber unangebracht und beweist nur Unkenntnis, wenn von der Unfähigkeit der Alemannen zur Staatsbildung gesprochen wird.

Wir haben jetzt die Bedeutung des Zähringer-Staates für die gesamtdeutsche Entwicklung kennengelernt, unsere Aufgabe ist aber doch erst erfüllt, wenn wir auch versuchen, die Bedeutung des damals entstandenen Staates für die Geschichte des deutschen Volkes zu erkennen. Wir sehen hier von der durch ihn hervorgebrachten oder bewahrten politischen Zersplitterung ab. Vom Standpunkt der gesamtdeutschen Geschichte aus wird man es bedauern, daß es keinen näheren Weg gegeben hat, der zur Bildung eines deutschen Gesamt- und Einheitsstaates führen konnte als der über die Bildung von kleinen Staaten, die den Möglichkeiten entsprachen, die gerade im Zeitalter der Entstehung politisch und verwaltungstechnisch in die Wirklichkeit umgesetzt werden konnten, die aber dann erstarrten und die spätere politische Entwicklung des deutschen Volkes aufhielten. Für uns ist die Feststellung wichtig, daß dieser neue Staat den anstaltlichen Teil des Staates und damit wesentliche Grundlagen für den Staat überhaupt ausgebildet hat. Die Bedeutung dieser Leistung muß aber sehr hoch angeschlagen werden, denn sie schuf jene Elemente, die sich als die stärksten Grundlagen des Staates überhaupt erwiesen. Gleichwohl stellte dieser Staat doch auch nur eine Teillösung des Problems »Staat« dar, denn er vernachlässigte die Grundlage des Personenverbandsstaates, die Personengemeinschaft, die volkliche Grundlage des Staates und erstarrte schließlich in Routine zum fürstenstaatlichen Selbstzweck. Daran ist dieser Staat schließlich gescheitert, nachdem er durch Jahrhunderte Großes geleistet. Wir sind uns aber klar darüber, daß man einerseits diese Leistungen anerkennen, gleichwohl aber doch ihre Grenzen nicht übersehen soll.

Aus: Theodor Mayer - Mittelalterliche Schriften.
Gesammelte Aufsätze. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1972