Der Staat der Herzoge von Zähringen Prof. Theodor Mayer
Wenn
ich heute von dieser Stelle zu Ihnen vom Staat der Zähringer und
allgemein von der Entstehung des mittelalterlichen Staates spreche, so
knüpfe ich an das Werk jenes Mannes an, der dem Lehrstuhl, den
innezuhaben ich jetzt die Ehre habe, durch seine langjährige
überragende Wirksamkeit Richtung und Ziel gegeben hat. Georg V. Below
hat in umfassendster Weise politische, Rechts-‚ Wirtschafts-, und
Sozialgeschichte bearbeitet, aber in all diesen Gebieten sah er nur
Teilgebiete der Geschichte des deutschen Staates, deren Erforschung
sein letztes Ziel war. In seinem leider nicht mehr vollendeten Werke
»Der deutsche Staat des Mittelalters« gipfelte seine reiche
Lebensarbeit. Er hat die Wissenschaft in neue Bahnen gelenkt, seine
Forschungen waren der Abschluß einer ganzen Periode und bilden zugleich
die feste Grundlage für die weitere Gestaltung. Auch Hermann Heimpel
hat die von Georg v. Below gezogene Linie verfolgt und demgemäß in
seiner Antrittsrede in geistvoller Weise das Problem des
mittelalterlichen Staates behandelt.
Jede Gegenwart stellt der Geschichtswissenschaft bestimmte Fragen, gibt
ihr Aufgaben, durch die diese Wissenschaft immer wieder zu einer
unbedingt aktuellen Wissenschaft wird, wenn sie die Fragen der
Gegenwart auch erkennt. Zeiten großer Umwälzungen bringen aber nicht
nur neue geschichtliche Probleme, sie vermögen oft auch die Augen zu
öffnen und Verständnis zu wecken für Probleme, die bisher im
Hintergrund standen. In dem Maße, in dem sich die Erkenntnis
durchsetzt, daß Staat und Volk eine Einheit sind, daß der Staat die
Organisation darstellt, in der und durch die das Volk politisch
handlungsfähig war und ist, wird seine Geschichte Volksgeschichte
schlechthin; Staats- und Volksgeschichte sind so betrachtet auch in der
Forschung nicht mehr zu trennen.
Da die Erscheinungs- und Organisationsformen des Staates so wie das
politische Leben eines Volkes auch durch das Land, den Boden bestimmt
und bedingt werden, müssen auch die geographischen Verhältnisse zur
Klärung der Fragen über den Staat herangezogen werden. Staat und
Landschaft sind wechselseitig untrennbar verbunden, wir betrachten aber
deshalb die Geschichte eines deutschen Staates oder Landes nicht für
sich allein und in sich begrenzt und abgeschlossen, sondern als
Ausschnitt der gesamtdeutschen Geschichte. Wir erkennen nicht mehr den
Gegensatz zwischen allgemeiner deutscher Geschichte und
Landesgeschichte in der alten Form an, denn die Schicksale des
deutschen Volkes wurden durch Jahrhunderte in den Territorien
entschieden, die Territorien bestimmten das Gefüge des deutschen Volkes
und Staates; die Entwicklung einzelner Territorien, besonders solcher,
die an der Grenze gelegen sind, ist ein wichtiger Teil der Geschichte
des deutschen Gesamtvolkes. In diesem Sinne wollen wir die deutsche
Geschichte und Staatswerdung im deutschen Südwesten als Ausstaatlichen
Verwaltungsfunktionen seinen Ausgang nimmt, in kleinen Räumen und aus
kleinen Verhältnissen entsteht, langsam wächst, auf Einrichtungen, auf
dem Staatsapparat ruht, in ihnen besteht. Dieser institutionelle Staat
ist dauernder als der nur oder fast nur auf der Gemeinschaft der
Personen ruhende Staat, der ohne großen Führer nicht bestehen kann. Der
institutionelle Staat wird von Talenten regiert, für ihn besteht aber
immer die Gefahr, daß er in bürokratischer Verwaltungsroutine zum
Obrigkeitsstaat, der Selbstzweck ist, erstarrt. Der
Personenverbandsstaat ist die ältere Form des deutschen Staates, der
institutionelle Flächenstaat ist im Mittelalter neben und im Gegensatz
zum Bauprinzip des Personenverbandsstaates zur Ausbildung gelangt. Man
faßt diesen Vorgang im allgemeinen unter dem Schlagwort „Entstehung der
Landeshoheit“ zusammen, wir glauben aber, daß es bei diesem Prozeß in
erster Linie auf den Übergang vom Personenverbandsstaat zum Flächen-
und Verwaltungsstaat‚ mit anderen Worten zum modernen Staat ankommt. So
scharf auch der grundsätzliche Unterschied zwischen Territorien und
Reich ist, so erfolgt dieser Übergang doch nicht eigentlich im
Gegensatz zum Reich, sondern im Wettstreit mit ihm um die Weiterbildung
des Staates, die praktisch in der Übernahme und Erledigung neuer
Aufgaben und in der Ausbildung des Staatsapparates besteht und
begründet ist.
Diesen grundlegenden Vorgang der deutschen Verfassungsgeschichte des
Mittelalters an einem besonderen Beispiel, am Staat der Herzoge von
Zähringen, der im 11. Jahrhundert entstanden und 1218 mit dem
Aussterben der Zähringer untergegangen ist, aufzuzeigen, soll den
Gegenstand der folgenden Ausführungen bilden.
Der Raum, in dem die Zähringer ihre geschichtliche Tätigkeit
entfalteten, ist der schwäbisch-alemannische Südwesten des Reiches, ein
Gebiet, das nur schwer zu einer historisch-geographischen Einheit
zusammenzufassen war, weil es mittendurch vom Schwarzwald in zwei Teile
geteilt wurde. Zwar war der Schwarzwald im 11. Jahrhundert nicht mehr
völlig siedlungsleer, zwar war er kein unbedingtes Verkehrshindernis,
sondern wurde schon von Wegen durchquert, auf denen wohl auch
militärische Märsche möglich waren, aber die Tatsache, daß südlich der
Straße, die von Offenburg durch das Kinzigtal nach Villingen führte und
weiter nadi dem Neckarland, dem Donautal und Schaffhausen Anschluß
hatte, bis zum Rheinknie bei Basel keine große Straße den Schwarzwald
überschritt, hat die Rheinebene stark von den Gebieten östlich des
Schwarzwaldes geschieden. Das Oberrheintal rechts und links des Stromes
stellte dagegen eine eng verflochtene Einheit dar. Es ist daher kein
Zufall, sondern eine Auswirkung dieses Zustandes auf einen besonderen
Fall, daß die Kolonisation der nach Westen verlaufenden
Schwarzwaldtäler durch Klöster erfolgte, die wie Gengenbach, Schuttern,
Ettenheimmünster und wohl auch St.Trudpert vom Westen her gegründet
worden sind, obwohl der Raum sonst zur Diözese Konstanz gehörte. Dazu
wären auch noch die Clunyazenser-Klöster in St.Ulrich und Sölden zu
rechnen, die aber von Basel aus errichtet wurden. Es ist jedenfalls
auch bezeichnend, daß diese unmittelbar unter burgundischem Einfluß
stehenden Klöster östlich des Schwarzwaldes nicht mehr vorkommen,
sondern nur westlich, und zwar auch nur im Einflußgebiet von Basel. Daß
einige, in der heutigen Schweiz gelegene Klöster wie St.Gallen und
Einsiedeln im Breisgau Besitzungen hatten, war für die Frage der
Zusammenhänge des Gebietes Öst- und westlich des Schwarzwaldes Wenig
bedeutungsvoll, denn es handelte sich doch nur um Außenposten dieser
Klöster.
Es gab auch nur zwei große weltliche Geschlechter, die auf beiden
Seiten des Schwarzwaldes Besitz hatten, das waren die Bertolde, die
späteren Zähringer und Markgrafen von Baden, und ferner die Grafen von
Hohenberg. Die Hohenberger stammten aus dem schwäbischen Raum und
hatten Besitz im Dreisamtal mit der Burg Wiesneck als Mittelpunkt. Sie
waren aber viel weniger mächtig als die Bertolde-Zähringer, die die
Grafschaften im Thurgau, Albgau, in der Ortenau und im Breisgau und
daneben eine Reihe von Kirchenvogteien innehatten und wohl auch über
allodiales Eigentum verfügten, dessen Ausmaß freilich nicht klar
iSt.Die Zähringer gehörten neben den Staufern und den Welfen zu den
großen schwäbischen Geschlechtern, die berufen waren, in die deutsche
Geschichte entscheidend einzugreifen.
Das Geschlecht der Bertolde teilte sich im 11. Jahrhundert in zwei
Linien, in eine markgräfliche, die die Grafschaften im Breisgau und in
der Ortenau übernahm, und in die herzogliche, an die die schwäbischen
Besitzungen kamen und die sich um 1100 nach einem in ihrem Besitz
befindlichen Reichslehen „von Zähringen“ nannten. Offensichtlich schien
als Grundlage für dieses Herzogtum nur ein Reichslehen, nicht aber eine
Allodialherrschaft geeignet zu sein. Bertold I. war schon 1061 Herzog
von Kärnten geworden, ist aber nie in den tatsächlichen Besitz dieses
Herzogtums gelangt. Im Investiturstreit finden wir ihn und seine Söhne
Bertold II. und Gebhard, den Bischof von Konstanz, auf der dem Kaiser
feindlichen Seite. Bertold II. wurde Schwiegersohn des Gegenkönigs
Rudolf von Rheinfelden und erhielt auch das Herzogtum Schwaben. Er
konnte sich aber auch hier nicht durchsetzen und hat schließlich
endgültig 1098 auf Schwaben verzichtet, behielt aber die Reichsvogtei
von Zürich und den Herzogstitel. 1090 hatte er die Erbschaft des
ausgestorbenen Geschlechtes der Rheinfelder überkommen und damit festen
Fuß in der Schweiz gefaßt. Sein Sohn Konrad ist 1127 Rektor von Burgund
geworden und hat damit auch links des Rheins eine Stellung erlangt, die
etwa der des Herzogs entsprach, ohne daß freilich der Inhalt dieser
Würde genau umschrieben werden könnte. So war dieses Haus hoch
gestiegen, ohne aber ein eigentliches Herzogtum im alten Sinne zu
besitzen, und Otto von Freising nennt das zähringische Herzogtum
ausdrücklich einen leeren Titel. Ein solcher Titel, wenn er vom Reich
anerkannt war, stellte aber doch einen Anspruch dar; es kam nur darauf
an, ob und wie dieser Anspruch verwirklicht, dem Titel ein Inhalt
gegeben werden sollte.
Zwei Fragen ergaben sich aus der südwestdeutschen Landschaft, erstens
die, wer die weiten Gebiete des Schwarzwaldes wirtschaftlich zu
erwerben, und zweitens, wer sie politisch zu erfassen und zu
organisieren vermochte. Wem das gelang, dem war die beherrschende
Stellung am Oberrhein und in Schwaben sicher.
Einen Versuch machten die Staufer, die von Schwaben aus nach dem Elsaß
übergriffen. Daß die Erwerbung von Breisach im Jahr 1185 durch Heinrich
VI. und die Bestrebungen Friedrichs II., am Zähringer-Erbe
entsprechenden Anteil zu erlangen, in diese staufische
Territorialpolitik einzugliedern war, ist nicht zweifelhaft. Dieser
Politik war aber hier ein voller Erfolg nicht gegönnt, schon weil ihr
die Brücke von Schwaben nach dem Elsaß fehlte, weil die Staufer nicht
den Schwarzwald in ihre Gewalt zu bringen vermochten und weil mit ihrem
Haus auch ihre Territorialpolitik und das Herzogtum Schwaben unterging.
Das Wichtigste Mittel zur wirtschaftlichen Okkupation eines bis dahin
nicht oder nur schwach besiedelten Landes war die Rodung, deren
Durchführung großenteils Klöstern übertragen wurde. Die Kolonisation
war von Westen her schon in Angriff genommen worden, sie hat aber nur
an einigen Stellen die Höhen des Schwarzwaldes erreicht. Der östliche
Teil des Schwarzwaldes war noch ziemlich Siedlungsleer, ja auch in den
nach Westen verlaufenden Schwarzwaldtälern waren die am höchsten
gelegenen Teile noch nicht erreicht, so daß dort noch Raum für
Klostergründungen geblieben war. Die Klöster Reichenbach und Alpirsbach
sind im obersten Teil von nach Westen ziehenden Tälern, aber von Osten
aus gegründet worden, das obere Simonswälder Tal, das in das
Siedlungsgebiet von Waldkirch gehörte, kam dann an St.Peter, weil es
von dort aus, also von oben her kolonisiert worden iSt.Auf der Höhe des
Schwarzwaldes lag Peterzell, das dem Kloster Reichenau gehörte, aber
offenbar wegen der großen Entfernung vom Mutterkloster nicht die Kraft
zu energischer Siedlungstätigkeit aufbrachte; wie sich auch St.Gallen
und Einsiedeln in dieser Hinsicht im Schwarzwald nicht hervortaten und
St.Blasien erst Bedeutung als Mittelpunkt des Landesausbaues erlangte,
als es vom Kloster Rheinau frei wurde.
Die Rodungstätigkeit nahm in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts,
und zwar im Zusammenhang mit der Gründung der Reformklöster, einen
mächtigen Aufschwung. Der bedeutendste Führer dieser Bewegung war Abt
Wilhelm von Hirsau. Abt Wilhelm hat zweifellos entscheidende Anregungen
von Abt Bernhard von St.Viktor in Marseille empfangen, der, nachdem er
vorher als päpstlicher Legat vom Grafen von Lenzburg gefangengesetzt
worden war, von Oktober 1077 bis September 1078 in Hirsau weilte. Wir
wissen, daß das Kloster St.Viktor von Marseille eine Reihe von Klöstern
von sich abhängig gemacht hatte, so daß geradezu von einem Marseiller
Kirchenstaat gesprochen wird. A. Brackmann hat darauf hingewiesen, daß
Abt Wilhelm auch ähnliches anstrebte; Wilhelms Wirksamkeit tritt noch
stärker hervor, wenn man mit ihr die Tätigkeit des zweiten großen
Reformklosters St.Blasien vergleicht, das über seinen unmittelbaren
Siedlungsraum hinaus sich nicht durch Klostergründungen im Schwarzwald
hervorgetan hat, oder gar mit den eigentlichen Clunyazenser-Klöstern
wie St.Ulrich, deren Wirkung nicht über einen kleinen Kreis hinausging.
Dagegen hat Abt Wilhelm erreicht, daß das im Jahre 1050 von den Grafen
von Nellenburg gegründete Kloster Schaffhausen 1080 reformiert und
Hirsau unterstellt wurde. An Klostergründungen in unserem Raum, die auf
Abt Wilhelm und Hirsau zurückzuführen waren, sind zu nennen:
Reichenbach 1082, St.Georgen 1083/85; 1093 wurde das zähringische
Hauskloster Weilheim u.T. nach St.Peter auf dem Schwarzwald übertragen;
1095 wurde endlich Alpirsbach errichtet. Man sieht also ein
systematisches Erfassen des hohen und östlichen Schwarzwaldes durch die
neuen Klöster.
Wir besitzen einen interessanten Bericht über den Gründungsvorgang bei
St.Georgen. Dieses Kloster ist zuerst in Königseckwald im Saulgau
errichtet und von den Stiftern dem Papst übergeben worden. Dann rief
man den Hirsauer Abt zur Einrichtung des Klosters herbei. Dieser fand
jedoch den Platz für ungeeignet und weigerte sich, die Einrichtung
vorzunehmen, er verlangte vielmehr die Verlegung des Klosters in den
Schwarzwald. Die Stifter waren damit nicht einverstanden und beriefen
sich darauf, daß sie das Kloster schon dem Papst geschenkt hätten und
daher nicht mehr darüber verfügen könnten. Abt Wilhelm sandte sofort
einen Mönch zum Papst und erwirkte so die Genehmigung zur Verlegung.
Darauf wurde das Kloster in den Schwarzwald in eine recht rauhe Gegend,
aber an einen verkehrsgeographisch sehr wichtigen Punkt nahe der
Brigachquelle und dem Übergang nach dem Kinzigtal und Elztal verlegt.
Vielleicht Wäre die Verkehrslage des einige Kilometer entfernt
gelegenen Peterzell noch günstiger gewesen, aber St.Georgen griff mit
seinen Besitzungen nördlich um Peterzell herum, so daß es tatsächlich
auch die Straße nach Hornberg beherrschte. Man sieht aber aus diesem
Vorgang deutlich, daß Abt Wilhelm klare raumpolitische und
verkehrsgeographische Vorstellungen hatte und danach seine
Klostergründungspolitik richtete. Er erinnert uns in bescheidenerem
Maße an den hl. Bonifatius, der in genialer Weise den Raum zwischen dem
Main und dem Sachsenland erfaßte und schließlich gerade in die Mitte
das von der bischöflichen Gewalt eximierte Fulda hineinsetzte.
Mit seinem großzügigen Versuch überschritt aber, wie schon Hans Hirsch
festgestellt hat, Abt Wilhelm die Grenzen des selbst für ein Kloster
von der Bedeutung Hirsaus Durchführbaren; kirchliche Kreise waren es
vor allem, die seinen Bestrebungen entgegentraten. Bischof Gebhard von
Konstanz, ein Schüler Abt Wilhelms, versagte sich ihm, als er sich das
Kloster St.Georgen dauernd unterordnen wollte, und Papst Urban II.
unterstellte schließlich die einzelnen Klöster unmittelbar der Kurie.
Ebensowenig wie den kirchlichen Stellen gegenüber vermochte Abt Wilhelm
gegenüber den weltlichen Faktoren durchzudringen. Er hat den Kampf
gegen das alte Eigenkirchenrecht durchaus mit Erfolg geführt, aber er
vermochte nicht zu verhindern, daß der politische Teil des
Eigenkirchenrechts in der erblichen Herrenvogtei weiterlebte, also
nicht in den Besitz der Klöster kam. Hatte bis dahin ein Kloster seiner
Gänze nach dem Eigenkirchenherrn gehört, so wurde jetzt eine Teilung
vorgenommen: Über die geistlichen Belange und die der Grundherrschaft
verfügten die kirchlichen Anstalten frei, die weltlichen
Angelegenheiten, d. h. die Ausübung der weltlichen Hoheit über das
Gebiet und die Leute des Klosters blieben beim Eigenkirchenherrn als
dem Erbvogt des Klosters. Wenn nun gar der Vogt, der das Kloster vor
der weltlichen Obrigkeit vertreten und es schützen sollte, gleichzeitig
der Inhaber der weltlichen Obrigkeit war, dann bedeutete der Besitz der
Vogtei die Eingliederung des Klostergebietes in das Herrschaftssystem
des Vogtes. Die Stellung der Klosterherrschaften war damit aufgespalten
in eine kirchliche und wirtschaftliche Seite, die dem Kloster verblieb,
und in eine politische, die durch die Vogtei unmittelbar in den Staat
eingefügt wurde. Diesen Prozeß, der im einzelnen in verschiedener Weise
in Erscheinung trat, vermochten auch klösterliche
Privilegienfälschungen nicht aufzuhalten.
Hier haben die Zähringer eingegriffen. Schon durch Bischof Gebhard von
Konstanz, der ein Bruder Herzog Bertolds II. war, hatten sie
Beziehungen zu den Reformklöstern, besonders zu Abt Wilhelm von Hirsau;
die Gründung und Ausgestaltung von St.Peter wurde in engstem
Einvernehmen mit diesen Kreisen vorgenommen. Schon seit längerer Zeit
waren sie die Vögte für die hier im Südwesten gelegenen Besitzungen der
Bamberger Kirche, sie hatten also die Vogtei der bambergischen Klöster
Gengenbach, Schuttern und Stein am Rhein inne, die Vogtei von
St.Trudpert gehörte den zähringischen Ministerialen von Staufen; sie
waren weiters die Erbvögte ihres Hausklosters St.Peter, spätestens 1114
erlangten sie die Vogtei über St.Georgen und endlich 1125 wurden sie
Vögte von St.Blasien, während Versuche, auch die Vogtei von St.Gallen
zu bekommen, nicht geglückt sind. Ein Blick auf die Karte zeigt, daß
die Zähringer durch diese Vogteien den ganzen Schwarzwald vorn
Kinzigtal südwärts beherrschten, es gab keinen Schwarzwaldübergang, der
nicht durch Zähringer-Gebiet führte. Besonders wichtig war dafür die
Erwerbung der St.Georgener Vogtei, denn damit brachten die Zähringer
das ganze Kinzigtal in ihre Hand und sperrten auch einen Weg, der etwa
vom Elztal über St.Georgen nach dem Osten geführt hätte. Ihr Besitz
wurde dadurch systematisch abgerundet und geschlossen. Es scheint, daß
vor allem Herzog Konrad die treibende Kraft gewesen ist, denn sofort,
als er nach dem Tode seines Vaters, vorerst zusammen mit seinem Bruder
Bertold III., die Regierung übernommen hatte, kam ein lebhafter Zug in
die Zähringer-Politik, was wir besonders in der Förderung und
Ausgestaltung von St.Peter feststellen können. Vom Kinzigtal bis zum
Hochrhein gab es an selbständigen Herren neben den Zähringern noch die
Markgrafen im Breisgau, die Vettern der Herzoge waren, und die Herren
von Schwarzenberg als Vögte von Waldkirch. Aber diese standen offenbar
ganz unter zähringischem Einfluß, wenigstens treten sie häufig in
Zähringer-Urkunden als Zeugen auf. Die Besitzungen der Üsenberger
fielen für den Schwarzwald nicht ins Gewicht.
Es gab aber noch einen Fremdkörper in diesem Zähringer-Machtbereich,
der nicht sehr groß, aber wegen seiner Lage bedeutsam war, das waren
die Besitzungen der Grafen von Hohenberg im Dreisamtal, durch das die
beste Verbindung vom Breisgau nach Schwaben führt. Die Gründung von
St.Peter und die Ausstattung dieses Klosters zeigt klar, daß die
Zähringer dabei die Absicht hatten, den Weg, der vom Glottertal über
Rohr nach St.Peter und weiter über den Hohlen Graben nach dem Osten hin
führte, auf ein möglichst langes Stück, und zwar gerade in dem zum Teil
noch ungerodeten Schwarzwald, wo wohl auch die Eigentumsfragen noch
nicht festgelegt waren, in die Hand des Klosters zu bringen. Eine
solche Absicht wurde aber durch die 1118 erfolgte Gründung von
St.Märgen durchkreuzt. Der Straßburger Domherr Bruno errichtete östlich
von St.Peter ein Augustinerstift und besetzte es mit französischen
Chorherren. Bruno, der spätere Bischof von Straßburg, war ein
Angehöriger des Geschlechtes der Grafen von Hohenberg. Sofort gab es
einen scharfen Kampf zwischen St.Peter und St.Märgen, weil Leute des
Stiftes von St.Märgen ihre Rodungen angeblich in sanpetrinisches Gebiet
vertrieben. 1121 wurde dieser Streit durch einen Schiedsspruch
geschlichtet. St.Märgen mußte an St.Peter zwei Höfe abgeben, konnte
aber sein Gebiet bis an die Grenzen von Waldkirch nach Norden
ausdehnen. Das Ergebnis war also, daß in das sonst ziemlich abgerundete
sanpetrinische Gebiet das sanktmärgensche vom Wagensteigtal aus wie ein
Keil vordrang und von der Straße von St.Peter nach dem Hohlen Graben
ein Stück von etwa 2 Kilometern an St.Märgen kam. Es ist höchst
auffällig, daß die Zähringer in einer für ihre Territorialpolitik so
grundlegenden Frage, ob diese Straße vom Breisgau nach Schwaben nur
über ihr Gebiet und das ihres Hausklosters führen sollte oder nicht,
nachgaben, da ja die Bedeutung und der Wert dieser Straße eben darin
lag, daß sie vom Breisgau unter Umgehung des hohenbergischen
Dreisamtales nach Schwaben führte.
Wir sind über die Beweggründe nicht näher unterrichtet, aber es läßt
sich vielleicht aus anderen Nachrichten ein Aufschluß gewinnen.
Wiesneck wird im Rotulus Sanpetrinus zum Jahre 1112 ohne jeden Zusatz
genannt, 1121 aber wird vom castrum dirutum gesprochen, ebenso 1136. In
einer Grenzbeschreibung im Rotulus Sanpetrinus, die mit Benützung jener
von 1112 angefertigt worden ist, wird an Stelle der einfachen Nennung
von Wiesneck in der Beschreibung von 1112 das castrum dirutum Wiesneck
erwähnt. Diese Grenzbeschreibung ist aber von einer späteren Hand des
13. Jahrhunderts nachgetragen. Daraus ergibt sich also, daß die Burg
Wiesneck um 1112 noch aufrecht stand, zwischen 1112 und 1121 aber
zerstört wurde, und zwar so gründlich, daß sie noch 1136, ja im Beginn
des 13. Jahrhunderts nicht aufgebaut war. Weiters wissen wir, daß
später die staatliche Hoheit über das Dreisamtal an die Zähringer und
ihre Nachfolger gelangte, daß also die Hohenberger nicht imstande
gewesen waren, hier eine landesherrliche Stellung auszubauen. Ja, die
Dynastenherrschaft Wiesneck wurde schließlich 1293 an einen Freiburger
Bürger Burkart Turner verkauft, hatte also offensichtlich ihre
hochadelige Eigenschaft völlig verloren. Zweifellos haben hier die
Zähringer einen vollen Sieg über die Hohenberger davongetragen; es
liegt nun nahe, daß sie es auch waren, die die Burg Wiesneck zerstört
haben, denn wir wüßten sonst nicht, wer das getan haben könnte, und man
wird weiter noch den Schluß ziehen dürfen, daß den Anlaß dazu die
Gründung von St.Märgen geboten hat und daß die Zähringer in dem
Augenblick, als sie durch ihren Sieg über die Hohenberger über die
Dreisamtalstraße selbst verfügen konnten, kein Interesse mehr an der
Straße vom Glottertal über St.Peter - St.Märgen - Hohler Graben nach
Schwaben hatten und deshalb auf den Schiedsspruch von 1121 eingingen.
Dieser Schluß scheint auf den ersten Blick etwas gewagt zu sein, er
wird aber noch durch einen anderen Umstand bestätigt. Kurz nachdem die
Zähringer die volle Herrschaft über die Straße vom Breisgau über den
Schwarzwald erlangt hatten, haben sie Freiburg und Villingen gegründet;
sie haben also an den beiden Enden der Schwarzwaldstraße je eine Stadt
errichtet und so das ganze Verkehrssystem zu einem gewissen Abschluß
gebracht. Daraus ergibt sich aber, daß alle diese Einzelheiten
untereinander in Zusammenhang stehen. Doch bilden sie nur einen Teil
der Zähringer-Politik. Zur gleichen Zeit ist wohl auch die Stadt
Offenburg gegründet worden. Wohl sind wir hierüber nicht genauer
unterrichtet, aber die Gleichartigkeit des Grundgedankens bei der
Anlage des Stadtplanes von Offenburg und Freiburg geht überraschend
weit. Sie zeigt sich vor allem in der Art, wie der Anschluß an das
Fernstraßennetz gefunden und der Markt angelegt wird. Diese Marktstraße
- in Freiburg die Kaiser-Josef, in Offenburg die Kaiserstraße - ist
aber in Wirklichkeit ursprünglich keine Verbindungsstraße, sie hatte
auch nur an einem Ende einen Zugang, der am anderen Ende ist erst
später aufgemacht worden. Diese Eigenart ist kennzeichnender als die,
daß sich an die Marktstraße auf beiden Seiten rippenförmig Straßen
anlegten. Besonders ist das Straßenkreuz, wie wir es in Villingen
finden, nicht die Grundlage des Stadtplanes überhaupt. Diese
Gleichartigkeit, für die es in diesem Raum sonst kein Beispiel gibt,
hebt die Stadtpläne von Freiburg und Offenburg so stark heraus, daß man
annehmen muß, daß die Städte gleichzeitig und vom gleichen Stadtherrn
angelegt worden sind. Die Gründung von Offenburg stand aber dann wohl
in Verbindung mit der Erwerbung der Vogtei über das Kloster St.Georgen‚
wodurch die Zähringer alle Straßenverbindungen durch das Kinzigtal
beherrschten. So erhielt die Verkehrs- und Raumpolitik der Zähringer
durch das Städtedreieck Offenburg-Villingen-Freiburg ihren Abschluß.
Einen gewissen Ausbau dieses Systems brachte noch die Erwerbung von
Breisach im Jahre 1198. Der Hauptträger dieser energischen Politik
scheint aber Herzog Konrad, der Gründer von Freiburg, gewesen zu sein;
zu seiner Zeit kam der lebhaftere Zug in die Zähringer-Politik. Man ist
vielfach gewohnt, die Städte und Städtegründungen für sich allein und
vor allem unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu betrachten. Das
sehr reiche Schrifttum über Freiburg ist ein Beleg dafür, denn immer
wieder wurde betont, daß Freiburg in erster Linie eine Nahhandelsstadt,
der Markt für die umgebenden Dörfer gewesen sei, und wenn gelegentlich
Freiburg als Fernhandelsstadt bezeichnet wird, geschieht das mit recht
mangelhafter Begründung. In Wirklichkeit ist die Gründung von Freiburg
nur als Glied der allgemeinen Staatspolitik der Zähringer voll zu
verstehen, es dürfte sich aber allgemein für die meisten Städte
herausstellen, daß ihre Entstehung und ihre Funktionen gar nicht anders
als in den großen Zusammenhängen der Wirtschaft und vor allem der
Politik verstanden werden können.
Die Zähringer-Politik, die Begründung ihrer Herrschaft und ihres
Staates zeigt in überaus eindringlicher Weise die große Bedeutung der
Okkupation eines Landes durch Rodung und den Vorgang der Auswertung
ihrer Ergebnisse für den politisch-organisatorischen Staatsaufbau. In
kleinerem Maßstabe sehen wir die grundsätzlich gleiche Entwicklung bei
den Herren von Schwarzenberg, die als Vögte des Klosters Waldkirch eine
das Elztal umfassende Herrschaft begründeten, die nur deshalb nicht zur
vollen Territorialherrschaft ausgebaut worden ist, weil dazu den
Schwarzenbergern inmitten der mächtigen Nachbarn doch die politische
Macht gefehlt hat. Durch Rodung gewonnenes Land wurde als Allod
bezeichnet und behandelt. Nur so ist es erklärlich, daß Herzog Konrad
den Boden, auf dem Freiburg stand und der ringsum unmittelbar von
Reichsgut umgeben war, als Eigengut bezeichnen konnte. Wir haben keinen
Grund zur Annahme, daß gerade der innerhalb der neuen Mauern gelegene
Teil den Zähringern geschenkt worden wäre, ja es ist sogar zweifelhaft,
ob es sich hier um wirkliches Rodungsland gehandelt hat, ob nicht
vielleicht Rodung als Grundlage für das Eigentumsrecht vorgeschützt
worden ist. In gleicher Weise wird das Gebiet von St.Peter als Eigengut
bezeichnet und dann an den Papst gegeben. Bei St.Märgen steht es
ebenso. Das Gebiet um Rohr aber wird als Eigengut Arnolds von Kenzingen
bezeichnet. Wir kennen aber keine Quelle, aus der wir entnehmen
könnten, daß es sich hier um älteres Familiengut oder durch Kauf oder
Schenkung erworbenes Eigengut der Zähringer oder Hohenberger oder des
Kenzingers gehandelt hätte. Rodung brachte also nicht nur
wirtschaftliches Neuland, es gewährte dem, der das Land okkupierte,
auch die Möglichkeit, die politischen Hoheitsrechte über dieses Gebiet
in Anspruch zu nehmen, wenigstens dann, wenn der Okkupierende selbst
über solche Rechte verfügte, wie das etwa bei den Dynasten oder bei dem
Inhaber einer Grafschaft oder eines Herzogtums zutraf. Wer auf diese
Weise durch Rodung Neuland erwarb, bekam dadurch einen Zuwachs an
politischer Macht, er stieg über seine Genossen, die sich gegenseitig
die Waage hielten, hinaus und hatte die Möglichkeit zur Aufrichtung
größerer staatlicher Bildungen. Die deutsche Geschichte ist in großen
Zügen dadurch charakterisiert, daß im kolonialen Osten weiträumigere,
nicht von einer historischen Tradition überlastete und daher
einheitlichere Staatsgebilde entstanden, die den politisch zerkrümelten
Westen überflügelten und die entscheidenden Schritte zur Aufrichtung
eines gesamtdeutschen Staates taten. Diese Entwicklung ist aber nicht
erst im Osten in Erscheinung getreten, wir können sie auch in
Altdeutschland feststellen, wo sich der Unterschied zwischen Alt- und
Ausbauland in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht ebenso klar
erkennen läßt. Durch die Gewinnung von Neuland und dessen politische
Organisierung konnte aber auch ein anderer Gedanke zur Durchführung
gelangen, der der Begründung der Herrschaft auf das Land, auf die
Fläche, nicht mehr auf die Herrschaft über Personen, auf den
Personenverband. Die Vogtei aber war das Mittel, durch das die zumeist
geistlichen Grundherrschaften für die weltliche Politik erfaßt worden
sind. Im Ausbauland waren die Verhältnisse nicht so eng, es gab nicht
so viele konkurrierende Gewalten, die sich gegenseitig am Aufstieg
behinderten, dort gab es auch nicht den Streubesitz, sondern es waren
fast immer größere Bezirke, die gleichmäßig einer Grundherrschaft
unterstellt waren. Es gibt aber kaum einen zweiten deutschen Staat, in
dem so früh und mit solcher Folgerichtigkeit der Aufbau eines Staates
in modernem Sinne durchgeführt worden wäre wie hier von den Zähringern.
Man kann von einem Staat wohl nur dann sprechen, wenn er wenigstens im
Innern die Verwaltungsautonomie besaß. Eine solche kam nach deutscher
Auffassung grundsätzlich dem Herzog, aber noch nicht dem Grafen zu.
Grafen haben sie nur dort erreicht, wo sie politisch vom Herzogtum
unabhängig wurden, wo es von Haus aus kein Herzogtum gab oder wo es aus
irgendeinem Grunde zerstört worden ist, wo sie also selbst die Stellung
der Herzoge erreichten. Solcher Aufstieg durch Usurpation gehört aber
doch meist einer etwas jüngeren Zeit an, im 11. Jahrhundert war aber
wohl noch irgendein Rechtstitel notwendig. Nun erwies sich für die
Zähringer der Wert ihres Herzogtitels. Dieser Titel gab ihnen den hohen
Rang eines Herzogs, denn er wurde auch von der kaiserlichen Kanzlei
anerkannt. Damit waren die Zähringer unabhängig von irgendeiner anderen
herzoglichen Gewalt. Wenn Otto von Freising sagt, daß das
Zähringer-Herzogtum ein leerer Titel gewesen sei, so hatte er damit im
Sinne der Einrichtung der alten Stammesherzogtümer gewiß recht. Ein
solches hatten die Zähringer nicht und konnten sie auch nicht neu
errichten. Wir wissen aber aus den Urkunden, die sich auf das
österreichische Herzogtum von 1156 und auf das Würzburgische
Bischofsherzogtum von 1168 beziehen, daß ein Wesentlicher Teil der
herzoglichen Gewalt vorzüglich darin bestand, daß die Ausübung aller
staatlichen Rechte, die Wahrung des Landfriedens und besonders die
Gerichtsbarkeit von der Zustimmung des Herzogs abhängen, daß die
Einrichtung von Gerichten durch ihn erfolgen sollte. Einen solchen
Anspruch konnten die Zähringer leicht durchsetzen, weil in den für sie
in Betracht kommenden Gebieten im Schwarzwald überhaupt kein Konkurrent
vorhanden war. Ihre Rechte sind daher nie angefochten worden. Daß sie
aber gewillt waren, alle staatlichen Rechte und Aufgaben zu erfüllen,
zeigt uns die Zusicherung des freien Geleites an die Kaufleute durch
Herzog Konrad in der Gründungsurkunde von Freiburg. Auf der anderen
Seite aber waren sie durch ihren Herzogstitel vor einer Beherrschung
durch den Schwabenherzog gesichert. Das Zähringer-Herzogtum war daher
ein Herzogtum wie irgendein anderes, soweit seine Zuständigkeiten in
Frage kamen, es war aber seiner inneren Struktur nach etwas anderes,
denn es war ein Flächenstaat und es war nicht eine Fortbildung des
alten Stammesherzogtums, von dem es nur äußerliche Eigenschaften und
den Anspruch auf Unabhängigkeit in der Verwaltungsausübung übernommen
hatte.
Der neue Staat baute auch ein neues Verhältnis zu seinen Angehörigen
aus. Der Personenverbandsstaat war auf einer Gliederung des Volkes
aufgebaut, die in der Vasallität und in persönlichen
Abhängigkeitsverhältnissen wie in der Leibherrlichkeit in Erscheinung
trat. Diese Verhältnisse änderten sich beim Flächenstaat, der an einer
solchen Gliederung durch persönliche Abhängigkeit kein Interesse hatte.
Weil er ein weites Gebiet gleichmäßig beherrschte und alle Bewohner in
Abhängigkeit von ihm standen, daß staatliche und allfällige
leibherrliche Abhängigkeit zusammenfielen, hatte er keinen Grund, die
leibherrliche Abhängigkeit wieder stark zu betonen; sie geriet in
solchen Fällen auch in älteren Staaten leicht in Vergessenheit und
wurde in neuen nicht mehr eingerichtet. Eine öffentlich-rechtliche
Untertänigkeit‚ sei es, daß sie auf der Vogtei als der Ausübung der
staatlichen Hoheitsrechte oder auf der unmittelbaren Hoheit über ein
Gebiet beruhte, schien vollkommen zu genügen. Im Neuland mußte diese
veränderte Einstellung um so mehr wirksam Werden, weil man dort
Kolonisten durch Gewährung besserer Rechte gewinnen wollte und nicht
ältere Zustände als Belastung Vorhanden waren. Ausgangspunkt war aber
die veränderte Einstellung der neuen staatlichen Gewalt zu diesem
Problem. Deutlich sehen wir diese neue Gestaltung in den Staaten im
östlichen Kolonialland, wo die Gedanken rein durchgeführt wurden, um
deren Verwirklichung im .Mutterland man oft noch gerungen hat. Dort
standen die neuen Staaten und nicht mehr die Grundherrschaften an der
Spitze des Kolonisationswerkes, und dem entsprach dann die große
Freiheit, die den neuen Ansiedlern gewährt wurde. Was aber im
Kolonialland im Osten zu sehen ist läßt sich auch im Zähringer-Staat
feststellen.
Das erste Beispiel ist die freie Stellung der Bürger der Stadt
Freiburg, die allgemein als Muster für die Ausbildung der Rechte der
Stadtbürger betrachtet wird. Wir wissen, daß die städtischen Bürger von
Haus aus durchaus nicht immer, ja wohl nicht einmal in der Regel freier
Herkunft gewesen sind, aber in der neuen Form der Staatlichkeit und der
Eingliederung der Bevölkerung in den Staat war kein Grund mehr für die
Aufrechterhaltung der alten persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse, die
infolgedessen abgestorben sind, so daß man grundsätzlich von den freien
Stadtbürgern spricht, ja daß das Wort „Bürger“ schließlich die typische
Bezeichnung für den freien Staatsangehörigen geworden ist. Wir haben
aber noch ein anderes, vielleicht noch eindringlicheres Beispiel in den
„freien Bauern“, die es nicht nur im Osten, sondern auch in
Altdeutschland gegeben hat. Wir wissen, daß von alters her „Freie“
dagewesen sind, ihre Bedeutung war aber gering, denn sie saßen
verstreut und waren verfassungsrechtlich nicht organisiert. Nun finden
wir aber seit dem 12.-13. Jahrhundert, da unsere Quellen reichlicher
fließen, wieder freie Bauern in nicht geringer Zahl. Aber diese freien
Bauern sind nicht die Abkömmlinge der alten freien Bauern, sie sitzen
durchwegs auf Neuland, das erst im 12.-13. Jahrhundert gerodet worden
ist, und zwar besonders in Gebieten, wo der Staat auf die Rodung
unmittelbaren Einfluß gehabt hat. Im 11. Jahrhundert haben die
Grundherrschaften noch unfreie Bauern als Hörige angesetzt. Dann aber
tritt die Aufspaltung von Grundherrschaft und Staatshoheit ein, und
diese Veränderung spiegelt sich in der Stellung der Kolonialbauern
wider. Das „Freiamt“ nördlich von Emmendingen ist ein trefflicher
Beweis für diese Umgestaltung. Ähnlich ist es auch im Schwabenland, für
das Weller schöne Nachweise gebracht hat. Aber auch in Ober- und
Niederösterreich, in Tirol und im Gebiet des Erzbischofs von Salzburg
sind wir darüber unterrichtet. Mögen auch die Namen mitunter wechseln,
die Sache bleibt grundsätzlich überall die gleiche. Der moderne Staat
des Mittelalters hat im Neuland nicht mehr die alte Grafschaftsordnung
aufgebaut, er brauchte und wollte nicht mehr die Gliederung des
Staatsvolkes durch persönliche Abhängkeitsverhältnisse, er schaltete
sie im Neuland aus und sprengte sie im Altland, wenn er stark genug
war. Aus diesen Tatsachen ergibt sich die ungeheure Bedeutung des
Landesausbaues in Deutschland für die staatliche und gesellschaftliche
Entwicklung. Die Zähringer haben aber in diesem Prozeß eine führende
Rolle gespielt. Sie sind es auch gewesen, die auf ihren Schweizer
Besitzungen freie Bauern angesiedelt haben. Gerade in der Schweiz zeigt
sich die Zähringer Staatspolitik in besonders reiner Form, dort haben
sie sich auch als Städtegründer hervorgetan: Burgdorf, Oltigen, Bern,
Thun, Gümmenen, Laupen, Freiburg, Murten, Moudon sind Beispiele dafür.
Das burgundische Rektorat bedeutete für die Zähringer praktisch
genausoviel wie der Herzogstitel im rechtsrheinischen Gebiet.
Entscheidend aber war, daß ihnen eben dieses Rektorat die Möglichkeit
gewährte, im ostjuranischen Burgund, über das allein sie verfügten,
also in der heutigen Mittelschweiz, ebenso frei von irgendeiner
übergeordneten Gewalt zu schalten und zu walten wie im
Schwarzwaldgebiet. Das Rektorat ersetzte das Titularherzogtum.
Neben diesen Feststellungen über die tatsächlichen Vorgänge bei der
Bildung des Zähringer-Staates scheint mir die Frage nach der Entstehung
der „Landeshoheit“, nach den rechtlichen Wurzeln derselben, ob diese in
der Grundherrschaft, in der hohen Gerichtsbarkeit, in der Grafschaft
oder in Zwing und Bann usw. oder in allen zusammen lagen, wenig
wichtig. Ich glaube vielmehr, daß wir mit dieser Fragestellung Gefahr
laufen, immer wieder am eigentlichen Problem vorbeizureden, denn dieses
Problem ist die Entstehung des modernen Staates im Mittelalter. Wir
sehen davon ab, daß weder die Grundherrschaft, noch die Grafschaft oder
die Hochgerichtsbarkeit für sich genügen würden, um die Landeshoheit zu
erklären, daß alle zusammen auch noch nicht jene grundsätzlich neue
staatliche Bildung geben würden, die wir im Flächenstaat erblicken, wir
betonen aber, daß durch die so gestellte Frage nach der Entstehung der
Landeshoheit dieser neue Staat als eine Fortsetzung und Weiterbildung
des alten Personenverbandsstaates hingestellt und die Tatsache in den
Hintergrund gedrängt wird, daß beide Staatsformen auf einer ganz
verschiedenen Ebene liegen. Selbstverständlich hat der neu entstehende
Staat alle staatlichen Mittel und Aufgaben des alten Staates
übernommen, soweit er sie gebrauchen konnte, darum gingen die
Funktionen der Grafschaft in ihm auf, darum übernahm er die
Gerichtsbarkeit direkt oder als Gerichtshoheit, darum übernahm er die
Wahrung des Landfriedens, bildete die Regalien aus und eignete sie sich
an, soweit er konnte, darum stützte er sich auf die Grundherrschaft, wo
er konnte, weil sie ihm Mittel für seine Aufgaben gewährte und weil mit
der hochadeligen Grundherrschaft auch öffentliche Rechte in erheblichem
Ausmaße verbunden waren. Aber in all diesen Rechten und Funktionen
spiegelt sich der neue Staatswille wieder; weil er sie ausübte‚ War der
neue Staat eine staatsrechtliche und machtpolitische Tatsache.
Steuererhebung, Gerichtsbarkeit, Wahrung des Landfriedens‚ Regalien
usw. waren Erscheinungsformen, Funktionen und Ausflüsse der staatlichen
Hoheit, die gegenüber allen innerhalb eines organisch erfaßten Raumes
wohnenden Menschen sich durchsetzte, nicht aber Teilstücke des neuen
Staates. Der neue Staatswille und damit der neue Staat ist gegenüber
diesen Funktionen das Primäre und nicht aus ihnen zusammengesetzt. Die
andere Frage ist die nach dem Weg, auf dem es zum Aufbau des neuen
Staates kam. Vor allem mußte die notwendige Verfügungsgewalt vorhanden
sein. Deshalb mußte der neue Landesfürst ganz oder weitgehend
unabhängig, autonom sein, wenigstens soweit es sich um die innere
Verwaltung handelte. Diese Autonomie stand dem Herzog zu, deshalb wird
der Herzog der Prototyp des Landesherrn, aber dieser neue Herzog war,
wie etwa das österreichische priviIegium minus oder die Würzburger
Herzogsurkunde zeigen, grundsätzlich verschieden vom alten
Stammesherzog. Der Herzog hatte die Möglichkeit, die staatliche Hoheit
gegenüber seinem Land aufzubauen, sie zur politischen Realität zu
machen. Deshalb war für die Zähringer der Herzogstitel von
grundlegender Bedeutung, weil er ihnen einen Rechtsanspruch auf die
Ausübung einer staatlichen Hoheit gab. Die Zähringer hatten nur von
Haus aus kein entsprechendes Gebiet, in dem sie die herzogliche Gewalt
ausüben konnten, aber sie schufen sich ein solches, sie haben den
Herrschaftsanspruch, die staatliche Möglichkeit in die Wirklichkeit
umgesetzt, sie haben so den Staat geschaffen. Das Gebiet, auf dem sie
ihren Staat errichteten, war Rodungsgebiet, war als bisher
wirtschaftlich unbesetztes und staatlich freies Land nicht mit
staatlichen Rechten belastet und durch keine Tradition gebunden, hier
waren die Pläne leicht durchzuführen, hier war auch jene, bisher
latente, staatliche Macht zu gewinnen, die für Verwirklichung der neuen
staatlichen Aufbauziele notwendig war. Staatliche Hoheit, staatliche
Macht und Ausübung der staatlichen Funktionen sind nicht voneinander zu
trennen, in ihnen tritt der Staat als ein lebendiges Gebilde in
Erscheinung. Der Staat ist in erster Linie eine Ganzheit von ausgeübten
Funktionen, nicht ein System von Rechten, Staat ist eine Tatsache des
Lebens, nicht eine Abstraktion von Rechten. Die Rechte hätte im
allgemeinen grundsätzlich auch der Personenverbandsstaat gehabt, ab er
er hat sie nicht ausgebildet, hat sie nicht selbst ausgeübt, so daß er
den neuen, in einer ungleich verstärkten Ausübung beruhenden Staat
nicht ausbilden konnte. Der alemannische Raum, der ursprünglich das
Herrschaftsgebiet des schwäbischen Herzogtums werden sollte, war zu
groß und geographisch zu stark gegliedert, als daß eine solche
einheitliche staatliche Erfassung möglich gewesen wäre. Das Herzogtum
selbst hat sich auch nicht in diesem Sinne bemüht. Wohl aber wurde die
räumliche Erfassung von mehreren Geschlechtern, die zum Teil früh
ausgestorben oder nicht voll durchgedrungen sind, in die Hand genommen.
Wirklich hochgekommen, so daß sie an die Aufgabe der Staatsbildung im
alemannischen Raum in großem Ausmaße denken konnten, sind nur drei
Geschlechter, die Welfen, die Zähringer und die Staufer. Alle drei
haben Großes geleistet, es war ein schwerer Schlag für die
Staatsbildung im deutschen Südwesten, daß sie alle frühzeitig
ausgestorben sind. Die Welfen 1190, die Zähringer 1218 und um die Mitte
des 13. Jahrhunderts die Staufer. Während das Erbe der Welfen auf die
Staufer überging, hat das Aussterben dieser beiden letzten Geschlechter
eine Zerschlagung ihres staatlichen Aufbauwerkes zur Folge gehabt. Nach
dem Tode des letzten Zähringer-Herzogs ging sein Staat zum Teil auf die
Uracher über, aber er war erheblich geschwächt und die
Urach-Fürstenberger vermochten nicht annähernd die Stellung der
Zähringer zu erlangen. Dies tritt am stärksten in bezug auf die
linksrheinischen Besitzungen der Zähringer in Erscheinung, die durch
das Zähringer-Herzogtum mit den rechtsrheinischen verklammert waren.
Nun fielen diese an die Kyburger. Damit wurde der Rhein eine Grenze, es
ist aber sehr wahrscheinlich, daß heute die deutsche Schweiz ein Teil
des Reiches wäre, wenn die staatliche Verklammerung durch das
zähringische Herzogtum nicht zerstört worden wäre. Das Aussterben der
Staufer hatte die Vernichtung des schwäbischen Herzogtums und eines
fränkisch-alemannischen Staates in Südwestdeutschland zur Folge. Der
staufische Staat hat die Klammer nach dem Elsaß hinüber gebildet, auch
sie ist zerschlagen worden. Seitdem gab es in Schwaben und im Elsaß
keine starke einheitliche Staatsgewalt, sondern nur Splitterbildungen.
1263 starben auch die Kyburger aus, ihre Erben und damit das führende
Geschlecht am Oberrhein wurden die Habsburger, die noch einmal den
Versuch machten zur Errichtung eines südwestdeutschen Staates, der die
deutsche Schweiz, das Elsaß und das rechtsrheinische alemannische
Gebiet zu einer Einheit verbinden sollte. Die Verschiebung des
habsburgischen Schwerpunktes nach dem Südosten des Reiches, vor allem
aber die unselige Reichspolitik, die Wahl Adolfs von Nassau, der
vorzeitige Tod König Albrechts I., die Wahl Heinrichs von Luxemburg und
endlich die unglückliche Doppelwahl von 1314 haben diesen Versuch
zunichte gemacht. Damit waren der Reihe nach alle Faktoren
ausgeschaltet, die staatsbildend in großem Stil werden und
gesamtdeutsche Aufbauarbeit leisten konnten. Dazu waren die kleinen
Herren, die jetzt um eine Stufe höher stiegen, weil die wirklichen
Landesherren wegfielen, ebensowenig fähig wie die demokratischen
Einungen, und das Ergebnis war eine staatliche Zersplitterung und
Zerrissenheit, die hier im Grenzgebiet weiter ging als sonst irgendwo
im Reich und zu schweren Verlusten führte. Es ist aber unangebracht und
beweist nur Unkenntnis, wenn von der Unfähigkeit der Alemannen zur
Staatsbildung gesprochen wird.
Wir haben jetzt die Bedeutung des Zähringer-Staates für die
gesamtdeutsche Entwicklung kennengelernt, unsere Aufgabe ist aber doch
erst erfüllt, wenn wir auch versuchen, die Bedeutung des damals
entstandenen Staates für die Geschichte des deutschen Volkes zu
erkennen. Wir sehen hier von der durch ihn hervorgebrachten oder
bewahrten politischen Zersplitterung ab. Vom Standpunkt der
gesamtdeutschen Geschichte aus wird man es bedauern, daß es keinen
näheren Weg gegeben hat, der zur Bildung eines deutschen Gesamt- und
Einheitsstaates führen konnte als der über die Bildung von kleinen
Staaten, die den Möglichkeiten entsprachen, die gerade im Zeitalter der
Entstehung politisch und verwaltungstechnisch in die Wirklichkeit
umgesetzt werden konnten, die aber dann erstarrten und die spätere
politische Entwicklung des deutschen Volkes aufhielten. Für uns ist die
Feststellung wichtig, daß dieser neue Staat den anstaltlichen Teil des
Staates und damit wesentliche Grundlagen für den Staat überhaupt
ausgebildet hat. Die Bedeutung dieser Leistung muß aber sehr hoch
angeschlagen werden, denn sie schuf jene Elemente, die sich als die
stärksten Grundlagen des Staates überhaupt erwiesen. Gleichwohl stellte
dieser Staat doch auch nur eine Teillösung des Problems »Staat« dar,
denn er vernachlässigte die Grundlage des Personenverbandsstaates, die
Personengemeinschaft, die volkliche Grundlage des Staates und erstarrte
schließlich in Routine zum fürstenstaatlichen Selbstzweck. Daran ist
dieser Staat schließlich gescheitert, nachdem er durch Jahrhunderte
Großes geleistet. Wir sind uns aber klar darüber, daß man einerseits
diese Leistungen anerkennen, gleichwohl aber doch ihre Grenzen nicht
übersehen soll.
Aus: Theodor Mayer - Mittelalterliche Schriften.Gesammelte Aufsätze. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1972