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Merowingerzeitliche Grabfunde aus Tarodunum
Gerhard Fingerlin
aus: Kelten und Alemannen im Dreisamtal Beiträge zur Geschichte des Zartener Beckns
Konkordia Verlag Bühl 1983


In der Diskussion frühgeschichtlicher Verhältnisse im Zartener Becken hat das Fehlen merowingerzeitlicher Grabfunde immer eine gewisse Rolle gespielt.1 Wenn auch die Besiedlung dieser fast abgeschlossenen Tallandschaft im frühesten Mittelalter keineswegs in Frage stand, diente diese auffällige Fundlücke doch immer wieder als Anhaltspunkt dafür, daß alamannische Neusiedler erst sehr spät in diesem Raum seßhaft wurden. Was sprachund namensgeschichtliche Hinweise2 vor allem das Fehlen früherer Ortsnamenformen, ohnehin nahelegten, schien sich in diesem Befund zu bestätigen: Das Bild eines Rückzugsgebietes der romanischen Bevölkerung3 die sich noch lange nach der germanischen Landnahme in diesem wie in anderen abgelegenen Räumen ihre sprachliche und kulturelle Eigenart bewahrt hatte. 

Mit der Vorlage einiger merowingerzeitlicher Fundstücke aus dem östlichen Randbereich von T arodunum wird zwar einer archäologischen Argumentation „e silentio“ der Boden entzogen, doch wird dadurch — dies sei ausdrücklich betont — das von der philologischen Forschung entworfene Bild der Besiedlung keineswegs in Frage gestellt. Die Funde aus wenigstens zwei alamannischen Gräbern des 7. Jahrhunderts nach Chr. bezeugen vorerst nichts anderes, als was auch für andere „Rückzugsgebiete“ belegt ist: das Eindringen einzelner germanischer Familien in einen von der „Vorbevölkerung“ besiedelten Raum,4 wo ihnen möglicherweise neben der Ausübung der Grundherrschaft (?) auch andere Aufgaben militärischer und administrativer Art zufielen. Nach wie vor fehlen allerdings frühe Spuren aus der Landnahmezeit und aus den folgenden drei Jahrhunderten. Ähnlich wie bei den ungünstigen „Ausbaulagen“ scheint der zunehmende Landbedarf tatsächlich erst relativ spät zu einer Besitznahme durch alamannische (oder fränkische) Ansiedler geführt zu haben. Über dieses vorläufige Resultat hinaus läßt sich aber jetzt schon feststellen, daß für den „seltenen Fall gallisch-römischer und römisch-alamannischer Namenskontinuität“ die archäologischen Belege erbracht sind,5 zwar nicht im Sinne eines lückenlosen Siedlungsnachweises, den es kaum jemals gibt, aber doch im Sinne einer Präsenz aller an diesem Überlieferungsprozeß beteiligten Gruppen, nachdem schon 1935 die römische „Nachfolgesiedlung“ innerhalb der Wälle von Tarodunum ergraben worden war.6

Die hier erstmals vorgestellten vier merowingerzeitlichen Objekte stammen nicht aus einer neuen Grabung. Sie lagen vielmehr seit knapp 80 Jahren unerkannt im Magazin des Freiburger Museums, wo sie bei einer Durchsicht der Altbestände aus den Grabungen von F. LEONHARD und E. FABRICIUS zum Vorschein kamen.7 Unter den verschiedenen Metall- und Keramikfunden dieser 1901 im Bereich des „Heidengrabens“ durchgeführten Untersuchungen waren die unscheinbaren, von einer starken Rostschicht überzogenen Gegenstände nie aufgefallen, auch nicht bei einer im Museum vorgenommenen flüchtigen Konservierung. Die damals übliche Methode des Abbrennens mit Öl löste zwar die Rostschicht, bildete aber gleichzeitig eine dichte schwarze Brandpatina, die alle Einzelheiten, so auch die an einer Schnalle erhaltenen Silber- und Messingeinlagen verdeckte. 

Tarodunum. Grabung E. Fabricius von 1901. Merowingerzeitliche Funde. M.3:4


Katalog der Funde: 
1. Eiserne Gürtelschnalle mit schmal-dreieckigem Beschlag und bichromer Tauschierung (Silber — Messing). Vom ovalen, im Querschnitt flach D—förmigen Rahmen ist nur ein Fragment erhalten, der (schildförmige, ebenfalls verzierte) Dorn fehlt. Am Beschläg sind die Verbindungslaschen abgebrochen, die ursprünglich profilierten Außenkanten stellenweise stark beschädigt, ein Nietloch ausgerissen, die Niete ausgefallen. Muster: Punktiertes Flechtband in silbernem Mittelfeld, gerahmt von Strichen und Zackenlinien. Im vorderen Beschlägteil zwei symmetrisch gegeneinander gestellte D-förrnige Leiterbandrahmen mit silbernem, durch eine Punktreihe abgetei1tem Innenfeld. Zwischen den vorderen Nieten quer laufendes doppeltes Leiterband, davor nur noch schwer deutbare Reste. Alle eingelegten Flächen aus Silber, aus Messing einige der einfassenden und begleitenden Linien. Auf dem Rahmen abwechselnd Silber— und Messingstreifen. 
Für 3 cm breiten Gürtel, L. noch 11,0 cm. 

2. Schmale eiserne Riemenzunge mit U-förmigem Ende, unverziert. Riemenkante mit einer Ecke abgebrochen, ein Niet (von zweien) erhalten. L. noch 9,2 cm, B. 1,8 cm.


3. Eisenmesser mit schmaler vierkantiger Griffangel (einseitig deutliche Schmiedespuren), Rücken und Schneide fast parallel, Spitze abgebrochen. L. noch 11,5 cm, B. 2,1 cm. 

4. Eisenmesser mit breiter dünner Griffangel, Schneide fast geradlinig, Rücken gewölbt, Spitze abgebrochen. Zwei spitzwinklig zusammenlaufende Zierrillen. L. noch 17,1 cm, B. 2,5 cm. 

Obwohl diese Stücke, wie auch andere Metallfunde der gleichen Grabung, im Inventarbuch der Freiburger Sammlung nicht aufgeführt sind,8 besteht doch kein vernünftiger Zweifel an der Herkunft. Alle vier Objekte sind mit der Beschriftung „Tarodunum 1901“ versehen. Sie lagen gemeinsam in einer Schachtel mit der Ortsangabe Tarodunum, dabei ein Zettel mit dem handschriftlichen Vermerk „Tarodunum 1901. Grabung Fabrizius“. Beschriftung und Aufbewahrung unterscheiden sich nicht von den übrigen Funden aus dem gleichen Zusammenhang. 

Aus den wenigen noch erhaltenen Unterlagen und aus den veröffentlichten Grabungsberichten sind keine näheren Anhaltspunkte zu gewinnen. Da jedoch Dinge dieser Art fast ausschließlich aus Gräbern stammen, sind sie auch hier sicher nicht als Siedlungsfunde zu werten. So dürfte es sich also kaum um Funde von der Oberfläche (wie manche Scherben) oder aus einem nur flach ausgehobenen Teil der Grabung handeln. Ebenso scheiden aber auch die tieferen Schichten des „Heidengrabens“ (Grabenspitze) aus, da die hier gemachten Funde doch relativ genau registriert und beschrieben worden sind. Ohne daß bis auf weiteres ein Beweis dafür zu erbringen ist, spricht fast alles dafür, daß die betreffenden Fundstücke aus der Grabung im Torbereich des „Heidengrabens“ stammen, aus den tiefer ausgehobenen Schnitten und Flächen (vgl. hierzu S. 35,  Abb. 8). Hier müßten demnach bei den Grabarbeiten zwei oder mehrere Bestattungen unbemerkt zerstört worden sein? Dies ist keineswegs unwahrscheinlich, da ein nicht von Steinsetzungen oder Platten geschütztes Grab mit schlecht erhaltenem oder ganz vergangenem Skelett auch bei einer modernen Grabung sehr leicht übersehen werden kann — vor allem, wenn niemand mit Grabfunden rechnet. Die Unvollständigkeit der Inventare spricht außerdem dafür, daß diese Gräber schon in früherer Zeit ausgeraubt und dabei auch weitgehend zerstört worden sind. Trotzdem sind vielleicht noch Reste von Gräbern festgestellt, nur nicht als solche erkannt worden. Teile der in diesem Bereich angetroffenen, sehr unklaren „Baubefunde“, von den Ausgräbern als Mauern und Turmreste gedeutet, könnten teilweise auch als Rudimente von steingeschützten Gräbern angesprochen werden. Sollten in spätmerowingischer Zeit noch Reste älterer Steinbauten sichtbar gewesen sein, dürfte dies sogar die Anlage eines kleinen Friedhofs an dieser Stelle mit verursacht haben10

Wie schon erwähnt, müssen die Fundstücke als Reste von wenigstens zwei Grabausstattungen interpretiert werden. Eisenschnalle (Nr. 1) und Riemenzunge (Nr. 2) gehören nämlich zu zwei grundlegend verschiedenen Formen des Männergürtels, die zwar durchaus gleichzeitig sein können, funktional aber nichts miteinander zu tun haben. Ein ursprünglicher Zusammenhang dieser beiden Stücke scheidet daher aus. Zu jedem dieser Männerinventare kann eines der beiden Messer (Nr. 3 und 4) gehören, die aber auch Reste von zwei weiteren Bestattungen sein könnten. Chronologisch läßt sich nur das mit Rillen verzierte Messer beurteilen. Es gehört ins fortgeschrittene 7. Jahrhundert, läßt sich aber als langlebige Gebrauchsform nicht präziser fassen. Aussagefähiger sind die Gürtelbeschläge. Sowohl die tauschierte Schnalle, die zum sog. Typ „Bern — Solothurn“ der „dreiteiligen“ Garnituren gezählt wird, wie auch die lange Riemenzunge als Bestandteil einer unverzierten „Vielteiligen“ Gürtelgarnitur11 gehören ins spätere 7. Jahrhundert nach Chr., jedenfalls in die Zeit nach der Jahrhundertmitte. Vergleichbare Stükke finden sich in den jüngeren Abschnitten großer Reihengräberfelder oder in kleineren, spät erst einsetzenden Friedhöfen neuer Ortschaften, die im Zusammenhang mit dem Landausbau des 7. Jahrhunderts entstanden sind.12

Wenn es auch vorerst unsicher bleibt, ob mit diesen Grabfunden der zeitliche Rahmen schon abgesteckt ist, oder ob an gleicher Stelle noch ältere Bestattungen existieren, läßt sich doch mit guten Gründen vermuten, daß hier kein großes Reihengräberfeld liegt, sondern nur eine relativ kleine Gräbergruppe, die von einem Weiler oder wahrscheinlicher von einem Einzelhof aus angelegt worden ist. Dieser Ort oder Hof kann aufgelassen und verschwunden sein, vielleicht war es aber auch der frühgeschichtliche Vorgänger des in der Nähe liegenden „Rainhofs“, der ursprünglich eine eigene Gemarkung besaß, bevor er nach Burg eingemeindet wurde. Von der Entfernung her käme auch der „Jockelshof“ auf Gemarkung Buchenbach in Frage. 

Die siedlungsgeschichtlichen Möglichkeiten für diese frühe Zeit weiter zu diskutieren und auszubreiten ist der archäologische Anlaß jedoch immer noch zu gering, mit zu vielen Unsicherheiten belastet. Immerhin gibt er erste Anhaltspunkte dafür, wie im Lauf 
des 7. Jahrhunderts wohl an verschiedenen Stellen alamannisch/fränkische Siedler (und Grundherren ?) im Zartener Tal seßhaft geworden sind und wie sich schon unter den merowingischen Herrschern die urkundlich besser bekannte Situation der karolingischen Zeit vorbereitet hat. Erstmals läßt sich damit auch der Zeitraum bestimmen, in dem ein neues sprachliches Element in diesen geschlossenen Sprach— und Siedlungsraum eingedrungen ist.13 Faßbar wird für uns der Beginn eines Assimilationsprozesses, dem sich auf die Dauer nur Ortsund Gewässernamen, Flurbezeichnungen und einige andere „Wortrelikte“ zu entziehen vermochten.


1 M. WEBER, Spuren aus der alemannisch-fränkischen Zeit im Dreisamtal, in: Kirchzarten. Geographie — Geschichte — Gegenwart, 1966, S. 100. — W. KLEIBER, Zwischen Antike und Mittelalter. Das Kontinuitätsproblem in Südwestdeutschland im Lichte der Sprachgeschichtsforschung, Frühmittelalterliche Studien, 7, 1973, S. 27 ff., S. 41. 

2 W. KLEIBER, Tarodunum — Zarten. Beiträge zum Problem der Kontinuität, in: Alemann.  Jahrbuch 1971/72, S. 229.

3 Dazu grundlegend W. KLEIBER, Auf den Spuren des voralemannischen Substrats im  Schwarzwald, ZGO, 108, 1960, S. 305. — Zu den Verhältnissen in der Nordschweiz: M. MARTIN, Das Fortleben der spätrömisch-romanischen Bevölkerung von Kaiseraugst und Umgebung im Frühmittelalter auf Grund der Ortsund Flurnamen. Festschr. R. Laur-Belart, 1968, S. 133. 

4 Archäologisch faßbar wird diese gesellschaftlich—politische Rolle einzelner germanischer Familien sehr wahrscheinlich in Gräberfeldern wie Lörrach—Stetten, wo einer größeren Anzahl ärmlicher oder beigabenloser Bestattungen nur wenige Gräber mit guter Waffenausrüstung gegenüberstehen. Die ethnische Beurteilung dieser Gräber ist allerdings schwierig. K. BÖHNER, Die fränkischen Altertümer des Trierer Landes, 1958, 1. Teil, S. 276. Dort auch Hinweise auf ähnliche Verhältnisse in der „romanisch-germanischen Mischzone an Rhein und Mosel“. 

5 W. KLEIBER (wie Anm. 1), S. 41. 

6 G. KRAFT, R. HALTER, Römische Gebäude im Gebiet von Tarodunum (Gemarkung Burg, Amt Freiburg i. Br.), Badische Fundberichte, 13, 1937, S. 100. 

7 Mit den Ergebnissen dieser Grabungen setzte sich vor allem F. FISCHER auseinander: Beiträge zur Kenntnis von Tarodunum, in: Badische Fundberichte‚ 22, 1962, S. 37 ff.

8 Sie wurden erst 1941 zusammen mit einigen anderen Funden dieser Grabung inventarisiert und erhielten die Inventarnummer P 41/144. Ihre Zeitstellung und Bedeutung für die Siedlungsgeschichte wurde dabei nicht erkannt. 

9 Menschliche Knochen wurden bei der Grabung nicht bemerkt, unter den Funden von 1901 finden sich auch keinerlei Reste. Einen Hinweis auf Grabfunde (?), die 1885 beim Bau der Bahn in relativ geringer Entfernung gemacht wurden, gibt ein Schreiben der Generaldirektion der großherzoglichen Staatseisenbahn Karlsruhe vom 10. November 1885. Demnach wurden „im sogenannten Heidengraben, . . . . . . 50 m rechts von der Bahnachse, . . . an 23 m voneinander entfernten Stellen, 1 m unter der Krone des Walles“ zahlreiche Skelettreste gefunden, da immerhin „eine Kiste mit Menschenknochen“ übergeben werden konnte (Generallandesarchiv Karlsruhe, Abschrift in den Ortsakten des Landesdenkmalamts). Möglicherweise wird mit dieser nahe dem „Rainhof“ gelegenen Fundstelle ein zweiter Bestattungsplatz im Bereich von Tarodunum angezeigt, doch ist selbstverständlich mit diesen undatierten Resten keinerlei Beweisführung möglich.


10 Für die Anlage merowingerzeitlicher Bestattungsplätze in römischen Ruinen gibt es zahlreiche Belege. 

11 „Dreiteilig“ oder „vielteilig“ kennzeichnet bei Gürtelgarnituren die Zahl der Metallbeschläge. Dreiteilige Garnituren bestehen aus Schnalle, Gegenbeschläg und Rückplatte. Vielteilige Garnituren, für deutlich schmalere Gürtel, werden besonders durch die größere Zahl von Riemenzungen charakterisiert, die an kleinen, herabhängenden Nebenriemen angebracht sind. Zu den dreiteiligen Garnituren: J . WERNER, Das alamannische Gräberfeld von Bülach, Basel 1953, S. 45 f. mit Abb. 6. — Zu den vielteiligen Garnituren: R. CHRISTLEIN, Das alamannische Reihengräberfeld von Marktoberdorf im Allgäu, 1966, S. 44 f. mit Abb. 17-21. 

12 G. FINGERLIN, Zur alamannischen Siedlungsgeschichte des 3.-7. Jahrhunderts, in: Die Alemannen in der Frühzeit, 1974, S. 45 ff., S. 81. 

13 W. KLEIBER (wie Anm. 2), 236 zieht eine völkerwanderungszeitliche Übernahme einzelner Worte in Betracht (3.—5. Jahrhundert). Aus den „Indizien früher und später Entlehnung“ (um 700) erschließt er ein ‚Jängeres friedliches Nebeneinander von Autochthonen und Einwanderern“ (S. 237-238). Sprachgeschichtliche Argumente könnten also gegen die hier vorgetragene Auffassung sprechen, die aber von siedlungsgeschichtlichem und archäologischem Standpunkt aus die wahrscheinlichere ist.