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Transkription
bzw. Abschrift der Briefe
Pater Dr. Heinrich Middendorfs (1)
zusammengestellt von Wilfried Buß
Brief Nr. 1
Liebe Familie Coenenberg! (2)
Freiburg, d. 24. V. 48.
An Ihrer Freude über die Heimkehr des Paters (3) aus der
Gefangenschaft nehme ich innigen Anteil. So unverhofft und lange
erwartet - das ist gewiss ein grosses Glück. Nun wollen wir
hoffen, dass Herr Rettig (4) auch noch so unerwartet kommt, damit
die Familie wieder den Vater hat. Grüssen Sie bitte, den Pater
herzlich von mir. Und für Eberh. Rettig wollen wir fleissig weiter
beten. Dass es dort alles gut geht, ist recht erfreulich. Resi (5)
hat auch mal einen Familienbericht geschickt. Jetzt kommt bald der
Sommer, und der Rhein lockt wieder .... Mir geht es gut. Ich bin
so ziemlich immer „geschäftlich" (6) in Anspruch genommen. Zur
Wissenschaft stosse ich selten durch'. Schicksal! Ende Juli oder
im August werde ich wohl mal wieder vorbeikommen dürfen. Nun behüt
Sie alle Gott!
Es grüsst Gross, Mittelgross u. Klein
herzlich
P. Middendorf.
(1) Bei der
Transkription der handschriftlich verfaßten Briefe bzw. bei der
Abschrift der Schreibmaschinentexte habe ich weitgehend sowohl
die Anzahl und Länge der Zeilen als auch die Orthographie und
Interpunktion übernommen. Die Briefe 1 bis 3 sowie 5 bis 17
wurden mir am 11. Juni 1998 von Bernhard Coenenberg und die Nrn.
4 und 18 im Sommer 1995 von Hans Coenenberg übergeben. (Zu
Bernhard und Hans Coenenberg vgl. Fußnote 5!) Im Hause
Coenenberg wurde sowohl die auf den Originalen sichtbare
Nummerierung der Briefe - mit Ausnahme der von mir deklarierten
und chronologisch eingeordneten Nrn. 4 und 18 - als auch die
gelben Markierungen und die Hinzufügung von handschriftlichen
Zusätzen vorgenommen.
(2)
Alle 18 Briefe umfassen die noch erhaltene Korrespondenz Pater
Dr. Middendorfs an die Düsseldorfer Familie Coenenberg.
(3)
nachträglicher Eintrag durch die Familie Coenenberg (als Fußnote
auf der Rückseite des Originals notiert): ,,Pater Hans
Coenenberg kam 1948 aus russischer Kriegsgefangenschaft!"
(4)
Seit 1944 vermißt, 1945 (nach einer späteren Zeugenaussage:
1949) in sowjetischer Kriegsgefangenschaft an Entkräftung
gestorben.
(5)
Resi Coenenberg: Sie wurde nach einem Bombenangriff auf
Düsseldorf (11. 9. 1942), bei dem das Elternhaus völlig zerstört
wurde, zusammen mit ihrer Mutter und den Geschwistern Liesel,
Ursula, Margret, (Ma)Ria, Adolf, Hans und Bernhard im Stegener
Schloß Weiler aufgenommen. Dort bezogen sie eine Wohnung im
sogenannten Brüderhaus und wohnten hier von 1942 bis 1945.
(6) Dr.
Middendorf war, nachdem er 1946 die Leitung des Hauses in Stegen
in andere Hände übergeben hatte, bis 1949 Rektor des
Ordensscholastikats der Herz-Jesu-Priester in Freiburg i. Br.
Die „geschäftliche" Inanspruchnahme betrifft offensichtlich die
Aufgaben eines Rektors, nämlich Führung, Organisation, Fürsorge
u. ä.
(7)
Seit Jahren war er Dozent der Exegese in Bendorf, Stegen,
Handrup und Freiburg. Mit dem Amt des Rektors war
selbstverständlich die Leitungsverantwortung in Freiburg
verbunden, und diese arbeitsaufwendige sozialverantwortliche
Aufgabe ließ ihm vermutlich nur wenig Zeit für seine
liebgewonnene Lehrtätigkeit.
Brief Nr. 2
Bafwabaka (8), d. 31-12-57
Liebe Familie Coenenberg!
langsam wird man sich in Düsseldorf zum Gang in die Silvesternacht
rüsten. Hernach versammelt man sich dann, um dem alten Jahr den
Abschied zu geben. Die Eifrigsten sind um 24 Uhr noch auf, um sich
Glück zu wünschen für das neue Jahr. Ich gehöre natürlich auch zu
denen, die Gottes Gnade für das neue Jahr wünschen. Meine Zeit zum
Briefschreiben ist knapper bemessen als vor einem Jahre; denn ich
habe nun die tägliche, stündliche Sorge für meine schwarzen
Seminaristen. Gestern haben wir einen Marsch zu einem guten
katholischen Häuptling gemacht: das ging (mit Pausen) von ½ 8 - 1
Uhr durch den Urwald auf einem guten Weg. Ich habe im Hause des
Häuptlings geschlafen und gegessen; die Buben gegenüber. Kurz
vorher hatten sie einen Elefanten erlegt: die Jungens bekamen
Elefantenfleisch, mir spendierte man ein (weniger heldenhaft
erlegtes) Huhn. Abends um 8 Uhr begann der Tanz; diesmal Tänze der
Freude. Originell war die Aufzeigung von Schwänzen, Federn, die
auf eine Art Sperrholzbrettern befestigt waren und die rhythmisch
mit grosser Gewandtheit und Anstrengung von Männern geschwungen
wurden. freilich waren wir so müde, dass wir um 9 Uhr schlafen
gingen; aber die ganze Nacht ging die Tanzerei weiter mit Pauken,
Hörnern, Klappern etc .... So waren wir am anderen Morgen
hundsmüde. Ich habe noch 40 - 50 Leuten Beichte gehört. Und dann
ging es per Camion (9) zurück. So bringe ich meine Ferien zu mit
der Jugend. Ich hoffe, dass alle aus der Familie recht gesund sind
und grüsse Sie herzlich Ihr P. Middendorf
(8) Nachdem Pater Dr. Middendorf von 1949 bis 1954 als
Generalrat nach Rom berufen wurde, blieb er nach Ablauf seiner
Aufgabe zunächst noch dort. Wenige Monate später - bereits
58jährig - meldete er sich als Missionar für den Kongo, wo er
mit seiner mir bekannten Energie und Begeisterung im Jahre 1956
seine Arbeit als Lehrer und Seelsorger begann. Vgl. ,,nova et
vetera", Nr. 133, September 1972, S. 17f
(9) franz.; Lkw oder Lastwagen
Brief Nr. 3
Lingondo, den 7. Mai 1959.(10)
Sehr geehrte, liebe Frau Coenenberg,
Die Glückwünsche zu Pfingsten sind nun überall unterwegs. Den
weiten Weg vom Congo zu Ihnen in die niederrheinische Tiefebene
legen sie in kurzer Zeit zurück: ich denke, dass es nur eine Woche
per Auto, Flugzeug und Bahn geht. Möge Ihnen der Geist des Trostes
und der Stärke seine Gnade mitteilen!
Jeder Christ hat von Zeit zu Zeit in besonderer Weise Gottes
Gnadenhilfe nötig. Das ist unser Menschen- und Christenlos. So
wissen wir uns in solchen Zeiten wieder enger mit Gott verbunden.
Es ist ja nur scheinbar, dass Gott uns zu verlassen scheint: das
sind seine Prüfungen. In Wirklichkeit ist er bei uns, will uns gut
sein, uns läutern von all dem, was zu irdisch ist. Wir sollen nie
den frohen Mut verlieren. Und nie denken, dass alles umsonst ist
oder dass man nichts recht macht. Bei all diesen Gedanken ist
immer nur ein Körnchen Wahrheit,¾ ist Einbildung. Wahrheit ist,
dass kein Mensch alles 100 prozentig gut machen kann, denn niemand
ist vollkommen. Aber das geht allen so; und über diese
menschlichen Schwächen weiß der Herrgott Bescheid und ist uns
nicht gram. Und die Rheinländer haben diesbezüglich ihren gesunden
Humor, und das ist eine ganz christliche Art, um mit den Dingen
fertig zu werden. Nun, ich werde Sie in diesen Tagen im Gebete
nicht vergessen; seien Sie guten Mutes.
Grüssen Sie mir alle in der Familie. Von mir kann ich berichten,
dass es gesundheitlich gut geht. Und das erste Schuljahr geht zu
Ende. Ein Foto zeigt Ihnen die kleine, schwarze Gesellschaft.
Gott befohlen und gnadenreiche Pfingsten.
Ihr P. Middendorf SCJ (11)
(10) handschriftlicher Hinweis: ,,in Cleve erhalten" (Frau
Coenenberg hielt sich zu dieser Zeit in Cleve auf.)
(11) Zu Beginn des zweiten Abschnitts wurde nachträglich
von fremder Hand (aus der Familie Coenenberg) als Hinweis ein
Kreuzchen gesetzt. Dieses verweist auf die Fußnote, die auf der
zweiten Seite des Briefes folgendermaßen lautet: ,,P. Middendorf
hat der Mutter Mut zugesprochen!" Frau Coenenberg war traurig
darüber, daß ihre heranwachsenden Kinder sich allmählich ihrer
Sorge und Obhut entzogen, Berufe erlernten, Freunde und
Freundinnen kennenlernten, sie bald aus dem Elternhaus auszogen,
Familien gründeten oder sogar ins Ausland zogen. Die ungewohnte
Stille im Haus stimmte sie depressiv. Diese Gemütsstimmung war
über den seit Jahren stets offen, ehrlich und vertrauensvoll
geführten Briefwechsel selbstverständlich Dr. Middendorf
bekannt.
Brief Nr. 4
Lingondo, den 13. Dez. 1959.
Liebe Familie Coenenberg!
Schon haben wir den Sonntag Gaudete (12). Für Weihnachten sende
ich Ihrer Familie herzliche Segenswünsche. Ihre grosse Familie
wird im Geiste sich vereinigen an diesem Festtage. Wie steht es
mit den einzelnen?
Mir geht es gut. Ich habe immer wieder neue Arbeit. So verrostet
man nicht. Zudem sorgt die Unabhängigkeitsbewegung hier zulande
auch dafür, dass man nicht einschläft. Hier ist ein Durcheinander
von Meinungen über die Zukunft des Congo, dass man sich frägt, was
wohl dabei herauskommt. Alte Stammesfehden wachen wieder auf - und
hunderte von Menschen haben schon ihr Leben gelassen. Für die
Europäer und auch für die Missionare sind die religiös-politischen
Bewegungen am gefährlichsten. Das alte Heidentum in Mischung mit
anderem religiösem Gebrauch steht wieder auf. Hier ist man sicher
viel zu „abendländisch" in der Kirche 13. In Kamerun sind 2 Patres
und ein Bruder solchen Bewegungen zum Opfer gefallen, ein anderer
ist verwundet. Aber hier bei uns ist alles ruhig. Nun Gott
befohlen im neuen Jahr!
Grüßen Sie Familie Rettig;
für Neujahr werde ich schreiben.
Ihr P. Middendorf, SCJ
(12) Sonntag, 13. Dezember 1959: Gaudete = dritter Sonntag im
Advent (GAUDETE in Domino semper: iterum dico, gaudete ... ; Ps.
84.2); vgl. MISSALE ROMANVM, dort DOMINICA TERTIA ADVENTUS
(13) Hier wird offenkundig Kritik an der wohl zum Teil
ineffektiven traditionellen Missionierung deutlich, eine
lnkulturation postuliert, d. h. nationale kulturelle Eigenheiten
und Riten in den jeweiligen Missionsgebieten sollen wohl mit der
katholischen (Missions-)Tradition verbunden werden. Zwar wird
die Frage, wie man mit dem afrikanischen Animismus umgehen
solle, nicht expressis verbis gestellt, aber möglicherweise
könne Missionsarbeit nur gelingen, wenn die Landeskultur mit
einbezogen werde. Wie allgemein bekannt, sind Liturgien, in
denen die eigene Kultur ihren Platz findet, nicht nur in Afrika
oder in Lateinamerika bei den Christen beliebt. Es geht
Middendorf gewiß nicht allein darum, dem katholischen Ritus
fremde Äußerlichkeiten überzustülpen, schon gar nicht darum, dem
Fetisch-Mann nach dem sonntäglichen Gottesdienst für dessen
Heilsversprechungen die übrigen Wochentage zu überlassen,
sondern nationale Traditionen, Landes- bzw. Stammestypische
Denk- und Lebensweisen, die weit über Trommelwirbel, Gesang und
Tanz hinausreichen, zu berücksichtigen. Warum nicht kirchliche
Liedtexte mit traditionellen Melodien komponieren, mit
heimischen Musikinstrumenten begleiten? Es gilt, viele
grenzenübergreifende, universelle Werte zu beleuchten, wie sie
z. B. die Mythenforschung herausgefunden hat, und das jeweils
Ureigene zu entdecken, um es im lichte der Bibel zu
interpretieren. Wenn Middendorf die ausgebrochenen
„Stammesfehden" und die „religiös-politischen Bewegungen"
erwähnt, die „hunderte ... Menschenleben" gefordert haben bzw.
zigtausende bedrohen, so sieht er, vor Ort wirkend, daß nach
jahrzehntelanger politischer Erniedrigung und Ausbeutung durch
die imperialistischen europäischen Mächte viele afrikanische
Länder und Stämme zu den Wurzeln ihrer ursprünglichen Identität
streben. Liegt hier das Fundament - wird sich Middendorf
vermutlich in seiner kulturoffenen Art (So habe ich ihn
zumindest als junger Ministrant und Schützling während der
letzten Kriegsjahre kennengelernt.) gefragt haben - etwa für
eine ureigene Verwurzelung des Christentums? Heute ist das
Problem der lnkulturation bereits zu einem Thema geworden, das
derzeitig (im Frühjahr 1998) auf einem Symposium in der
kenianischen Hauptstadt Nairobi - vom Päpstlichen Kulturrat
initiiert, von der dortigen Universität des Östlichen Afrika
organisiert - zur Sprache kommt.
Brief Nr. 5
MISSION CATHOLIQUE St. Michel BAFWABAKA
Bafwabaka, le 28. Nov. 1963.
Liebe Familie Coenenberg,
Herzlichen Dank für den großen, schönen Brief über die
Ereig(nisse) (14) in dem „Clan" Coenenberg. So nennt man hier eine
Grossfamilie. Das sind ja fast ausschliesslich gute Nachrichten.
Aber wie sind sie nun so weit zerstreut, die Coenenberg's Kinder -
und die Rettig's auch. Aber das ist die Welt von heute. Und doch
ist man auch in der Feme viel näher zusammengerückt als früher
wegen all der modernen Verbindungsmittel. Es soll mich garnicht
wundern, wenn eines guten Tags so eines der Kinder hier im Kongo
landet. Herzlich willkommen im voraus. Gesundheitlich geht es
eigentlich nicht schlecht bei Ihnen; es hat sich immer was,
gewiss, aber die Krisen sind doch überwunden. Ich fühle mich
solidarisch mit all den Ausländern: Gottes Welt ist unser Feld.
Und allen frohe, herzliche Weihnachtsgrüsse, auch Familie Rettig
und DR. Königshausen. Und das neue Jahr, möge es ein gesegnetes
sein. Die moderne Zeit sagt uns mehr denn die alte: Bereit sein.
Von mir kann ich gesundheitlich ein gutes Prädikat berichten: aber
das ist schliesslich keine Leistung; jeder gesunde Junge hat
wenigstens „gut" in diesem Punkt. Ich habe eine ordentliche und
ausserordentliche Arbeit. Meine ordentliche Arbeit ist die eines
geistlichen Beraters bei den schwarzen Schwestern, deren
Mutterhaus hier ist in Bafwabaka. Aber ich bin viel mehr mit dem
Ausserordentlichen beschäftigt: Vertretung eines kranken
Missionsobern, der in Europa weilt. Wie ich schon mal schrieb an
Resi, sind es 5000 Seelen um mich herum, 1400 Katholiken, 600
Protestanten, Rest Heiden. Bei den Heiden ist die alte Religion
kaum mehr in Uebungen praktiziert, aber lebt weiter im
Aberglauben. So kam gestern noch ein Lehrer zu mir, er sei
verhext: Art epileptische Anfälle; jemand hat auf ihn ein
„danieli" geworfen. Dagegen gibt es keine europäischen Heilmittel,
nur das Gegenmittel des einheimischen Medizinmannes. Sowas ist
hier sehr häufig. Krankheit ist selten natürlichen Dingen
zugeschrieben; wie auch der Tod nicht. Das ist einer von den
heidnischen Gebräuchen, die tief sitzen; dann natürlich die
Vielweiberei. Der Stamm ist eigentlich noch gesund und arbeitsam; freilich grade
in dieser Ecke sitzen die lauesten Christen. Helft mal beten,
dass meine Taufschüler dieses Jahr ordentliche Christen werden.
Nun herzlichen Dank für alles, die 20 DK (15) sind gut
angekommen.
Und Gott befohlen im neuen Jahr.
Ihr P. Middendorf SCJ
(14) Die in Klammern eingefügte zweite
Worthälfte wurde im Original vergessen.
(15) = D(e-Mar)K
Brief Nr. 6
P. Middendorf,
SCJ Mission Catholique
Obongoni par Wamba/Uele
Congo/Léo
Obongoni, den 4.Juli 1964
Liebe Frau Coenenberg, liebe Familie Coenenberg, Um diese Zeit
herum haben Sie Namenstag; das weiss ich von meiner Tante, die
Margarete hiess. So schicke ich Ihnen nun die herzlichsten
Segenswünsche zu diesem Familienfeste. Ich hoffe, dass Sie bei
guter Gesundheit sind, sowie alle Mitglieder der Familie. Resi hat
mir einen Lagebericht geschickt vor etlichen Wochen, sodass ich in
etwa auf dem laufenden bin. In meiner Familie hat der Tod Einkehr
gehalten. In den drei Jahren seit meinem Urlaub sind drei meiner
Brüder gestorben. Vor einigen Wochen starb mein Bruder in Münster,
der schweres Asthma hatte und sich deswegen zwei Jahre früher als
nötig hatte pensionieren lassen. Im Krieg hatte er seine erste
Frau mit zwei Kindern durch Bombenangriff verloren. Die zweite
Frau schenkte ihm wieder zwei Kinder. Der aus der ersten Ehe
übriggebliebene älteste Sohn hatte in Amerika sein Glück versucht,
wohin er mit einer deutschen Frau gegangen war. Er ist Anfang
dieses Jahres zurückgekehrt und hat eine gutgehende Schreinerei in
Münster. Das war meinem Bruder noch ein grosser Trost. So geht es
im Leben. Jetzt habe ich nur noch meine Schwester in Aldekerk am
Niederrhein, die dort verheiratet ist; also zwei von 7 Kindern
sind noch da. Hier im Kongo ist zur Zeit Abstimmung über die neue
Verfassung. Dann kommen die Wahlen Ende des Jahres; das gibt immer
etwas Unruhe (16). Aber in unsrer Gegend gab es nie besondere
Unruhe; alle haben
Arbeit, können verdienen, wenn sie wollen. Anders ist es in den
grossen Städten. Aber es wird wohl alles gut vorbeigehen (17).
Hat Resi meinen Brief mit dem sonderbaren Wunsch (18) erhalten:
Material für einen Dreikönigsstern? Ich wäre sehr dankbar, wenn
sie mir helfen könnte. Nun Gott befohlen. Ihnen, dem
Namenstagskinde wie der kleinen Margarete (jetzt etwas grösser
als in Stegen (19)) allen in der grossen Familie herzliche
Grüsse.
Euer P. Middendorf SCJ
(16) Als Anfang 1959 in Belgisch Kongo Unruhen ausbrachen, vor
allem in Leopoldville (heute Kinshasa), leitete Belgien in
seiner Kolonie eine Verfassungsreform ein. Stärkster Befürworter
eines Einheitsstaates war P. Lumumba, der, nachdem Belgien im
Januar 1960 zum 30. Juni desselben Jahres seiner Kolonie die
Unabhängigkeit gewährte, nach den Wahlen, die keine eindeutige
Mehrheit ergaben, am 23. Juni 1960 eine Koalitionsregierung
bildete. Staatspräsident wurde Kasavubu. Bereits sechs Tage nach
der Unabhängigkeitserklärung meuterte die 21000 Mann starke
Armee. Gegen die nun folgende belgische Intervention rief
Lumumba die Vereinten Nationen zur Hilfe, deren Truppe
versuchte, die Ordnung wieder herzustellen. Katanga, die reiche
Bergbauprovinz, erklärte sich unter ihrem Präsidenten Moise
Tschornbe im Juli 1960 für unabhängig. Im September wurde
Lumumba durch Staatspräsident Kasavubu und Generalstabschef
Mobutu gestürzt und am 18. Januar 1961 an Katanga ausgeliefert.
Dort wurde er ermordet. Im Januar 1963 erzwangen die Vereinten
Nationen mit US-amerikanischer Rückendeckung die
Wiedereingliederung Katangas, jedoch brachen bald in mehreren
Provinzen bewaffnete Aufstände aus. Am 6. Juli 1964, also zwei
Tage nach der Datierung dieses Briefes, übernahm Tschornbe auf
Bitten Kasavubus die Führung der Zentralregierung.
(17) Obwohl Pater Middendorf sich nicht restlos in
Sicherheit wiegen kann, will er mit diesen beruhigend wirkenden
Zeilen den Freunden im fernen Düsseldorf die Sorgen nehmen; er
spricht sich selbst Mut zu. Noch haften Greueltaten und Morde an
Christen in seinem Gedächtnis (vgl. Brief Nr. 4), aber daß es zu
großen Exzessen und Massakern kommen könnte, das war trotz der
Rebellenaufstände der den toten Lumumba abgöttisch verehrenden
Simbas zu diesem Zeitpunkt nicht unmittelbar zu befürchten.
(18) Dieser Brief existiert nach Aussage Resi Coenenbergs
nicht mehr, aber die gewünschte Goldfolie und andere
Bastelmaterialien konnte sie ihm zusenden.
(19) 1943 geboren, erinnert er sich mit diesen väterlich
ermunterden Worten an den einst hilflosen Säugling, seine wohl
jüngste Schutzbefohlene im Schloß Weiler.
Brief Nr. 7
Mambasa, d. 13-6-66.
Liebe Familie Coenenberg! Herzlichen Dank für den „Pfingstkuß".
Mit den Paketen geht es leider nicht so schnell. Aber man muss
Geduld haben. So ist ein kleines Päckchen aus meiner Heimat diese
Tage angekommen. Gestern hatten wir Fronleichnamsprozession mit
guter Beteiligung und schöner Ordnung. Gesundheitlich geht es gut.
Seelsorglich ist hier ein schwieriges „Pflaster", d. h. der
Vergleich hinkt, denn es gibt nur Sandwege, die bei Regenwetter
ganz ausgeschwemmt sind. Samstag war Margarete. Ich weiss nur,
dass in dieser Zeit Namenstag der Frau u Tochter Coenenberg ist.
Herzliche Glückwünsche. Nun Gott befohlen! Alle herzlich grüssen
von Pol zu Pol!
Ihr P. Middendorf
Brief Nr. 8
Mambasa, le 26-7-66
Liebe Familie Coenenberg,
Den Namenstagsgruss habe ich erhalten mit den Bildchen. Vielen
Dank. Es freut mich, dass es Ihnen gut geht in der weltweiten
Familie. (20) Grüssen Sie mir alle, Maria nicht zu vergessen. Ihr
und den anderen, die auf Schule oder sonst ihren Mann oder ihre
Frau stellen, herzliche Glückwünsche. Resi muss meine Grüsse auch
den Rettigs (21) bringen und danken für die Ostergrüsse, die vor
einiger Zeit ankamen. Hier ist alles ruhig. Es ist nicht überall
im Kongo so. Ich hoffe, dass die Unruhen in Stanleyville (22) sich
nicht bis hierher auswirken. Sehr viele Menschen sind hier aus dem
Busch gekommen und haben Hunger. Da Mambasa Zentrum ist des
Regierungsbezirkes und ein Gefängnis hat, sind viel
ex-Revolutionäre hier. Sie arbeiten bis Mittag auf irgendeinem
Posten; dann haben sie frei, um sich Nahrung zu suchen und kommen
oft auf die Mission. Habe Gottlob vor einigen Wochen eine gute
Ladung Hafergrütze erhalten und kann so etwas helfen. Die
häufigste Krankheit hier ist das Malariafieber, rund 60%; unter
den Pygmäen selbst 84%, wie ein Fachmann, der diese Tage von
Leopoldville hier vorbei kam, sagte; Er hat 700 Personen hier
untersucht. Darum brauchen wir sehr viel Medikamente gegen
Malaria. Mir persönlich geht es gut. Am Margaretentag habe ich
Mutter und Tochter kommemoriert. (23) Gott befohlen!
Ihr P. Middendorf
(20) z.B. Maria Coenenberg in Bogota (Kolumbien), Liesel
und Ulla Coenenberg in Australien, Margret in den USA
(21) Der Kontakt zur Familie Rettig geschah grundsätzlich
mittels der an die Familie Coenenberg gerichteten Briefe
(Auskunft erteilte Bernhard Coenenberg).
(22) Knapp anderthalb Wochen nach der Datierung dieses
Briefes war Stanleyville in Rebellenhand (vgl. Pater Middendorfs
Bericht über die Massaker im Bistum Wamba in „Opfergang",
Sondernummer der Zeitschrift „Heimat und Mission"; Hrsg.
Herz-Jesu-Priester in Luxemburg; ohne Datum (1965?)
(23) Er hat sich beider erinnert, sie in seine Gebete
einbezogen.
Brief Nr. 9 (24)
Missionsprokura der Herz-Jesu-Priester Postscheckkonto: Köln 85449
Fernruf 73226
Kreissparkasse Krefeld Kto. 72
Liebe Familie Coenenberg!
Freiburg, d. 9 - 4 - 69.
Herzlichen Dank für Ihre Ostergrüsse. Sie machen schon wieder
Ferienpläne. Bei dem schönen Wetter hier wird jeder die Versuchung
bekommen. Seit Karfreitag ist es schön; heute sehr schön. Ich
werde mal etwa 10 Tage hier bleiben. Dann wieder zurück nach
Krefeld, Antwerpen und anderswo fahren. Anfang Mai wird mein
„schwarzer" Bischof (25) auf Besuch kommen. Bei Familie Borgmann
(26) sind die Kinder alle verheiratet und gut: Der älteste,
Albert, ist Philosophieprofessor auf der Insel Hawaii. Eva ist
Lehrerin; Rainer Techniker bei Radio „Saba"; Margret Psychologin.
Herr Bergmann selbst ist pensioniert: 69 Jahre. Ursula Giessler
macht jetzt ihren Doktor in Literatur (Deutsch) Herr Giessler (27)
ist auch pensioniert (72 Jahre), arbeitet aber noch an der
Zeitung.
Nun allen Düsseldorfern herzliche Grüsse Ihr P. Middendorf
(24) Der Text ist auf einem vorgedruckten Briefbogen
geschrieben. vgl. Kopfzeile!
(25) Mit dem „schwarzen" Bischof könnte der Administrator
Msgr. Fataki gemeint sein. Der Nachfolger des ermordeten
belgischen Bischofs Wittebols (vgl. Fußnote 30), Msgr.Gustave
Olombe wurde erst am 2. Februar 1970 eingesetzt.
(26) Dr. Karl Borgmann war ehemals Hauptschriftleiter der
Caritas. Seine Ehefrau und die vier Kinder Rainer, Eva, Albert
und Margret gehörten zu den vielen ungezählten Flüchtlingen, die
am späten Abend des 27. November 1944 aus dem zerbombten,
brennenden Freiburg flohen und auch im Schloß Weiler Unterkunft
suchten und dank der Hilfe Dr. Middendorfs fanden. Noch über
Jahre hinaus, wie man hier sieht, hielt Pater Middendorf
gedankliche oder briefliche Verbindungen zu seinen ehemaligen
Schutzbefohlenen.
(27) Dr. Rupert Giessler war bis 1939 Redakteur der
damaligen katholischen „Freiburger Tagespost". Er war mit der
Jüdin Irmgard geb. Freitag verheiratet. 1939 wurde die Tochter
Ursula geboren. Weil Giessler eine nicht nach der
menschenverachtenden national-sozialistischer Ideologie
„rassisch reine" Ehe führte, erhielt er Berufsverbot. Frau und
Tochter wurden mit selbstloser Hilfe Pater Middendorfs im
Stegener Schloß Weiler vor den Nazischergen versteckt. Nach dem
Kriege war Giessler Mitbegründer der „Freiburger Nachrichten"
(heutige „Badische Zeitung"). Dr. Rupert Giessler starb im Jahre
1980.
Brief Nr. 10 (28)
P. Henri Middendorf BP 71 lsiro Kongo-Kinshasa
Obongoni, den 13-IV-69
Liebe Resi! (29)
Du hast entweder Deinen Namenstag gehabt (3. Okt: Kleine Theresia)
oder Du wirst am 15. Okt. die grosse hl. Theresia feiern: also ein
ähnlicher Fall wie mit dem Namenstag Deiner Mutter. Jedenfalls
meine herzlichsten Segenswünsche. Deine Heilige hat gewiss ein
Interesse daran, dass Du ihr folgst - nicht ins Kloster -, sondern
auf dem christlichen Weg der Nachfolge Christi. Wie geht es
daheim? Das schöne Wetter in Deutschland wird auf Mutters
Gesundheit sicher einen guten Einfluss haben. Du wirst alle
grüssen aus der Gross-familie Coenenberg.
Ich habe meine Arbeit hier wieder aufgenommen wie früher vor dem
Bürgerkrieg (30): Ich habe in den zwei Missionen Obongoni und Legu
die Katechumenen vorzubereiten zur Taufe, in Legu sind sie ein
Jahr zurückgeblieben; zu Weihnachten wird die Taufe sein. In
Obongoni wer[den] sie zu Ostern getauft, wenn alles gut geht. Es
gibt in der Woche Besuche aus den Filialen: Obongoni 5 und Legu 9.
Mit meiner Gesundheit geht es gut bis jetzt; freil[ich] muss ich
fürs Herz immer Medikamente nehmen,
was aber eine Regel für die
meisten „alten" Leute ist.
Du hast doch viele pädagogische Mittel gelernt (31), ich hätte
gern eine Anweisung, um eine Krippe z. B. auszuschneiden - oder
zu basteln - oder Figuren aus Tonerde zu formen (Tonerde und
Töpfereien gibt es hier viel.). Grade für das letztere wären
irgendeine Anweisung und Vorlagen nützlich. Du hast mir schon
manchmal geholfen .... (32)
Wie geht es übrigens Maria im fernen Südamerika? Und all den
anderen?
Allen herzliche Grüsse.
Euer Pater Middendorf
Wenn ein Brief etwas dicker ist ... schicke ihn an folgende
Adresse: R. P. Provincial Jansen für P. Middendorf S. Gabriel
Kisangani - Kongo-Kinshasa.
(28) Dieser Brief ist nur noch als Fotokopie erhalten.
(29) Resi Coenenberg: Sie wurde nach einem Bombenangriff
auf Düsseldorf (11.9.1942), bei dem das Elternhaus völlig
zerstört wurde, zusammen mit ihrer Mutter und den Geschwistern
Liesel, Ursula, Margret, (Ma)Ria, Adolf, Hans und Bernhard im
Stegener Schloß Weiler aufgenommen. Dort bezogen sie eine
Wohnung im sogenannten Brüderhaus und wohnten hier von 1942 bis
1945.
(30) In diesem Schreiben wie auch in den vorhergehenden
Briefen 7 bis 9 erwähnt Dr. Middendorf nicht die Greueltaten,
die Demütigungen, Folterungen, Morde während des von ihm hier
apostrophierten „Bürgerkrieges". Diese furchtbaren Ereignisse
sollten die Familie Coenenberg auch im nachhinein wohl nicht
beunruhigen. Aus seinem Bericht über die Unruhen im Kongo im 2.
Halbjahr 1964 wird der qualvolle Leidensweg ersichtlich, den
große Teile der Bevölkerung, weiße Farmer mit ihren Frauen und
Kindern, einheimische und weiße Ordensfrauen sowie evangelische
und katholische Missionare (schwarze wie weiße) gehen mußten.
Dr. Middendorf hat trotz Demütigungen, Gefangenschaft und
Folterungen die Massaker glücklicherweise überlebt. Auf
bestialischste Weise wurden u. a. 30 Herz-Jesu-Patres, unter
ihnen auch der Bischof von Wamba, Msgr. Joseph Wittebols, 2
Maristen-Brüder und 20 Ordensfrauen nach grausamsten Folterungen
erschossen, erschlagen, erwürgt, verstümmelt, ertränkt oder mit
Lanzen und Messern ermordet. Vgl. dazu Pater Middendorfs Bericht
in: ,,Opfergang", a. a. o. Seiten 13 bis 20! und „Blutende
Kirche im Kongo", Heft 3 / 4, 1965
(31) Resi ist Lehrerin.
(32) Auch in diesem Falle konnte geholfen werden. Vgl.
Brief Nr. 11 !
Brief Nr. 11
P. H. Middendorf
BP 71 ISIRO Kongo-Kinshasa
Obongoni, den 2. Dez. 1969
Liebe Familie Coenenberg! Allen in der grossen Familie frohe
Weihnachtsgrüsse, selbstverständlich besonders in der
unmittelbaren Nachbarschaft, Familie Rettig. Heute habe ich von
Resi „Unsere Hauskrippe" erhalten. Ich danke Resi vielmals; das
Büchlein gibt viele Anre- gungen, obgleich es nicht direkt
anwendbar ist hier zulande. Das Material fehlt den Leuten; selbst
den Schwestern, die vor der Revolution mancherlei solcher
Materialien hatten; aber das ist alle[s] gestohlen; es gibt keine
„Reste" hier. Man kann jedoch manches hier bei anderem Material,
z. B. Tonerde, probieren. Eine ge- wisse Schwierigkeit, die wir
uns in Europa garnicht vorstellen, liegt darin, dass die „arme
Hütte" hier für alle genau so ist wie in Bethlehem. Die Schwarzen
werden sich freuen, dass „Mtoto Yezu" - das „Kind Jesu" ihnen
gleich geworden ist und nicht in einem Ziegelsteinbau, wie die
Weissen ihn hier haben, zur Welt gekommen ist. Was sie freilich
gar nicht begreifen können, ist die ,,Herbergsuche". Dass die
Bethlehemiten Josef und Maria nicht aufgenommen haben, ist
unerhört; man muß jeden Fremden aufnehmen und besonders jeden
Stammesgenossen; das waren Maria und Josef, aus dem Hause Davids.
Freilich bei Fremden ist man hier schon sehr misstrauisch; das
bringen so Zeiten wie die Revolution mit sich. Unser Bischof (33)
war in Krefeld und hat auch meine Schwester in Aldekerk besucht.
Was machen die ehemals Kleinen von Stegen (34) in aller Welt? Mir
geht es gesundheitlich gut; ich muss etwas langsamer machen, aber
die Kongoluft ist besser als die Luft im lndustriegebiet (35). Nun
grüssen Sie alle nah und fern; allen wünsche ich Gottes Segen zum
neuen Jahr. Ihr P. H. Middendorf
(33) Administrator Msgr. Fataki (vgl. Brief Nr. 9, Fußnote
25 !)
(34)Vorrangig sind die „Coenenbergkinder" gemeint, aber
auch die ehemaligen Hagener „Waisenkinder", zu denen ich
gehörte, waren wohl stets bei solchen Erinnerungen an die
leidvollen Kriegsjahre in Stegen präsent.
(35) Hinweis auf seinen Kräfteverfall! Pater Dr.
Middendorfschonte sich nie (z.B. während der Jahre 1943 bis 1945
kann ich das aus eigener Erfahrung sagen), wenn es darum ging,
anderen Menschen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Vgl. dazu
seinen Hinweis im Brief Nr. 10!
Brief Nr. 12
P. H. Middendorf, SCJ BP 71 lsiro/Kongo-Kinshasa
Obongoni, den 16-3-70
Liebe Familie Coenenberg!
Zu Ostern meine herzlichsten Segenswünsche; ich glaube, dass
ziemlich viele der Grossfamilie in Düsseldorf sein werden zu den
Festtagen. Hoffentlich habt Ihr den Winter gut überstanden. Ich
danke noch recht herzlich für das interessante Büchlein aus dem
Patmosverlag, das mich mehrere Wochen nach Weihnachten erreichte.
Da sieht man, was so ungefähr gedacht wird in der Heimat. Wir
haben Gott sei Dank auf unsrer Seite Theologen, die die
Auseinandersetzungen nicht scheuen. Auf der anderen Seite werden
wohl manche Leute denken wie hier ein Europäer: Die Geistlichen
mögen sich nur mit all den Problemen auseinander setzen, abe[r]
uns Laien in Ruhe lassen. Hier haben wir andere Probleme;
besonders solche der Katechese; dann die Ehe, die bei manchen
Stämmen nichts Christliches von alterher an sich hat; bei andern
wohl. Dann das Problem der Arbeitsmöglichkeit für die Jugend; sie
weiss nicht, wie sie dem blöden Arbeitsbetrieb beim Häuptling
entfliehen kann. Sodann ist die Korruption überall anzutreffen.
Leider helfen die Europäer durch Bestechungen mit, die
Verwaltungsmoral zu untergraben. Nach Ostern werde ich einen
deutschen Mitbruder bekommen. Dann ist man nicht mehr so allein.
Er wird sich freilich woh[I] an die Enge dieses Hauses gewöhnen
müssen; denn die Klöster haben in Europa meist weite
Räumlichkeiten. Das ist z. B. bei der Mission Bafwabaka auch so.
Gesundheitlich darf ich nicht klagen; hie und da ein bisschen
Grippe wie jedermann hier. In der Osternacht werden in Obongoni
etwa 70 getauf[t.]
Nun allen herzliche Grüsse, natürlich auch an Familie Rettig.
Ihr P. Middendorf
Brief Nr. 13
Kisangani(Stanleyville), 14-6-70
Liebe Familie Coenenberg!
In der vergangenen Woche war St. Margareta; da habe ich, wie alle
Jahre, an Mutter und Tochter Margarete in Düsseldorf gedacht. Also
die Glückwünsche sind schon an „höchster Stelle" ausgerichtet;
heute die Mitteilung nach Düsseldorf. Ich hoffe, dass Sie das
Namensfest in guter Gesundheit und rheinischer Fröhlichkeit
gefeiert haben. Was macht Margarete junior nun? Wie geht es Vater
und den vielen anderen Coenenbergs in Amerika, Australien, Europa?
Ich bin augenblicklich in Erholung; mein Herz wird unter
Beobachtung eines Arztes gestellt (36) seit 3 Wochen; aber es ist
nichts Akutes. Ich habe mir sowieso vorgenommen, mich jedes Jahr
dem Arzt zu stellen. In der ganzen Diözese Wamba - so gross wie
Belgien, ist kein Arzt. In der Nachbardiözese lsiro ist ein
Mulatte (Mischling), aber er hat keine Erfahrung. Hier in
Stanleyville bin ich bei einem alten europäischen Arzt, der zudem
perfekt Deutsch spricht. Ende des Monats wird der König von
Belgien einen Besuch machen anlässlich der 10-jähr.
Unabhängigfkeit (30. Juni!) Das gibt viel Biervergiessen im Kongo;
hoffentlich geht alles gut (37). Alle rückständigen Gehälter sind
schon ausbezahlt. Grüssen Sie mir alle Ihre Familien und
Bekannten.
Gott befohlen Ihr P. Middendorf
Ab Ende Juni ist meine Adresse wieder: lsiro BP 71
(36) Trotz gesundheitlicher Schwächen und dem Hinweis, sich
ein paar Tage zu schonen, beabsicht er weiterhin, sich ganz
seiner Arbeit zu widmen. Ihm ist jedoch bewußt, daß er
eigentlich „kürzer treten" müßte.
(37) Nach den leidvollen Erfahrungen schwingt hier Angst
mit, unvorhergesehene Ereignisse könnten gar zu Blutvergießen
führen.
Brief Nr. 14
P. H. Middendori SCJ BP 71 lsiro Kongo-Kinshasa
Bafwab[a]ka, den 4. Dez. 1970
Liebe Familie Coenenberg! Zu den Festtagen sende ich Ihnen
herzliche Segenswünsche. Es ist überall, wo Christen sind, ein
schönes Fest. Für manche bleibt es einzig eine schöne
Zusammenkunft der Familienmitglieder. Das ist hier weniger der
Fall, wenn auch wegen der Weihnachtsferien manche Kinder dann
heimkommen. Hier ist Maria mit dem Kinde für alle, auch die
Heiden, der Mittelpunkt ihres Interesses und ihrer Freude.
Freilich weiss man hier im Heidenlande um die Gnade der Erlösung.
Wir haben im November in einer Gemeinde 75 Erwachsene und grosse
Schulkinder getauft; in einem Buschdorf 31 grosse Schulkinder.
Diese jungen Christen werden Weihnachten natürlich in neuer Weise
feiern, wenn sie früher auch immer schon ,,mit" gemacht haben. Wie
geht es denn in Familie Coenenberg und Rettig? Von der hiesigen
Hochsaison aus kann man sich die Nässe und Kälte des heimatlichen
Winters kaum vorstellen. Und doch weiss man, dass der Winter dort
der älteren Generation meist einige Schwierigkeiten macht Bisher
hat das Psalmenwort von den 70 - 80 Jahren als Höchstgrenze des
menschlichen Lebens etwas pessimistisch gemacht; vor einigen
Wochen habe ich aber gelesen im Buche Sirach Kap. 18, 9: ,,Die
Zahl der Jahre eines Menschen sind, wenn's viel sind hundert
Jahre. Dann (ein Gedanke am Silvesterabend): Gleichwie ein
Wassertropfen aus dem Meer, wie ein Körnchen Sand, sind diese
kurzen Jahre in der Zeit der Ewigkeit." - Also, mit 70 und etwas
hat man noch keinen Grund, am Leben zu verzweifeln. Gehen wir mit
Gottes Hilfe vertrauensvoll ins neue Jahr hinein! (38) Wir haben
hier in diesem Jahre einige Patres dazu bekommen. Darunter sind 2
Luxemburger, ein Holländer, ein Italiener und ein Deutscher aus
Dortmund, P. Robben (39), früher mal in Düsseldorf stationiert. So
wird es doch etwas besser. Man erwartet auch eine neue Schwesterngruppe, Barmherzige Schwestern,
aus Kanada oder Frankreich, für ein Krankenhaus. Gott verlässt
uns nicht. Politisch dürfte wahrscheinlich noch eine Zeitlang
Ruhe herrschen. Der einzige Präsidentschaftskandidat Mobutu ist
100% wiedergewählt worden (40) (So ging das bei uns seiner Zeit
auch mit dem Prozentsatz!") Aber die Währung hat gut reagiert.
Wenn Ruhe im lande herrscht, dann geht es auch meist im
religiösen Leben besser. Nun allen herzliche Grüsse,
selbstverständlich auch an Familie Rettig.
Euer P. Middendorf
(38) Pater Middendorf denkt zunächst an die langen
Wintermonate in Deutschland, gewiß, wenn er an Coenenbergs und
Rettigs denkt, an die Wintererfahrungen während der Kriegsjahre
im Schwarzwald, durchlebt beim Schreiben Eis und Schnee,
naßkaltes Wetter verbunden mit Erkältungskrankheiten, die
besonders vielen alten Menschen erheblich zusetzen können. Dabei
spendet er den Eltern der Familien Coenenberg und Frau Rettig
mit den Bibelworten Mut und läßt durchblicken, daß auch er gerne
noch einige Jahre mit ihnen Kontakt halten, an ihren und der
Kinder Lebensplanungen etc. teilhaben möchte.
(39) verstorben! In der noch in Dortmund lebenden
Verwandtschaft Robbens sind weder Briefe noch Fotos aus der Zeit
im Kongo aufbewahrt worden.
(40) vor wenigen Monaten verstorben! Nachfolger
und derzeitiger umstrittener Präsident: Kabila
(41) Deutliche Kritik am Mobutu-Regime mit einem Verweis auf
seine Erfahrungen in „Großdeutschland" 1939 bis 1945
Brief Nr. 15
P. H. Middendorf BP 71 lsiro Kongo-Kinshasa
Liebe Familie Coenenberg! Ihre Ostergrüsse vom 29/3. erwidere ich
herzlich. Die Osterzeit dauert ja noch an; jeden Sonntag ist
Erinnerung an Ostern. Das waren neben sehr frohen Ereignissen auch
wieder sorgenvolle Stunden. So ist das Leben. Hier ist auch nicht
alles rosig, da wir Menschenkinder nicht alle vollkommen sind.
Wenn die Räume hier auch weit genug sind, so „reiben sich doch die
Sachen." Aber wir haben die Freiheit des Schaffens. Bis Pfingsten
bleiben noch in zwei grösseren Dörfern die Taufen, jeweils ± 100.
Dann die Erstkommunionen überall, vielleicht noch die Firmung. Ich
wünsche Ihnen allen, in der Heimat Düsseldort (42), wie in Hamburg
(43), Augsburg (44), Kolumbien (45), Wittenberg (46) eine gute
Gesundheit - frohe Pfingsten. Herzliche Grüsse an Familie Rettig.
Ihr P. Middendorf
Obongoni: den 20-4-71
(42) Bernhard und Resi
(43) Margret
(44) Adolf, Ursula und Liesel
(45) (Ma)Ria
(46) ? (konnte nicht ermittelt werden)
Brief Nr. 16
P. H. Middendorl BP 71 lsiro Kongo-Kinshasa
Obongoni, den 6/7/71
Liebe Familie Coenenberg!
Diese Tage habe ich Ihren Brief erhalten. Man hat zunächst immer
noch die Coenenbergkinder von damals (47) in der Vorstellung -
heute, na: da ist allerhand geschehen im laufe der 25 Jahre: ein
Jubiläum! Gewiss ist das Leben nicht so einfach wie im
Kindesalter, aber ich glaube, dass alle das Leben meistern, auch
in schweren Prüfungen. Nun wollen Resi und Freundin, Ursula und
Liesel in die weite Welt: alle sind weit unterwegs in diesem
Sommer. Glückauf zur Fahrt! Hier haben wir die Hauptarbeitszeit
hinter uns: Vorbereitung zur Taufe und Taufe. Auf Maria
Himmelfahrt wird noch eine kleine Gruppe getauft. Zu Ihrem
Namenstag, Frau Coenenberg, herzliche Segenswünsche! Sie haben mal
zu Weihnachten oder Ostern gefragt, was Sie mir etwa schenken
könnten. Ich habe jetzt einen Mitbruder (48), der fotographiert.
Das Fotopapier ist hier sehr rar. Wäre es möglich, mir mal etwa
100 Stück Papier (Postkartengrösse) o. ä. zu schicken für
schwarz-weisse Abzüge (49). Unsere Taufkinder bekommen ein Foto
vom Pater - Sie dann auch mal von hier (50). Statt Fotopapier auf
das Päckchen besser neutral schreiben: Lichtbildmaterial o. ä.
Nun stehen neue Schwestern hier in Aussicht: zwei Kongregationen
u. a. die Vinzentinerinnen (51), die noch 45.000 Mitglieder in der
ganzen Welt haben. Gesundheitlich geht es mir noch gut; nächstes
Jahr hoffe ich in Urlaub zu kommen (52). Für heute allen in der
Grossfamilie, auch in Südamerika, herzliche Grüsse
Ihr P. Middendorf
(47) Kriegszeit in Stegen
(48) Der „begeisterte Fotograf" konnte namentlich nicht
ermittelt werden.
(49) Der Wunsch wurde erfüllt. (vgl. Brief Nr. 17!)
(50) Vergleich Anlage! Farbfoto vom August 1971
(51) Frauen dieses Ordens waren für die Betreuung der
„Waisenkinder" des Hagener Schutzengel-Kinderheims
verantwortlich.
(52) Voll Tatendrang plant Pater Middendorf zum „Auftanken"
bereits ein Jahr im vorhinein für den Sommer 1972 ein paar
Urlaubstage, um dann gestärkt wieder nach Obongoni in den Kongo
zurückkehren zu können. Dieser unausgesprochene Wunsch, dem
tagtäglich spürbaren Kräfteverschleiß durch ein paar Tage
Rekonvaleszenz entgegenzuwirken, zeigt deutlich, daß ihn die
Arbeit im heißen Kongo immer schwerer fiel.
Brief Nr. 17 (53)
Obongoni, den 12-10-71
Liebe Familie Coenenberg!
Ende vergangener Woche ist das Päckchen mit dem Fotopapier
angekommen. Ich glaube, dass alles gut geblieben ist; eins war am
Rande ein wenig beschädigt. Herzlichen Dank! In der Ferienzeit
läuft hier alles langsamer. Warum wollen auch nur die Lehrpersonen
zwei Monate Ferien haben? (54) Aus den Briefen ersieht man, dass
die Coenenbergs die weite Welt lieben. Die nächste Generation
fährt in d. Ferien zum Mond (55). Vielleicht gibt's dort auch was
zu missionieren.
Mir geht es gut. Mein Mitarbeiter, P. Robben, hat sich in Wamba
niedergelassen und richtet sich das „Pfarrhaus"? in Legu ein; er
wird dort so langsam Pastor werden. Jetzt haben wir in Obongoni
noch eine Erwachsenentaufe von 24 Katechumenen; auch noch in einem
Buschdorf; inzwischen hat der Unterricht für die Neulinge
begonnen.
Resi hat mir letztes Jahr ein Büchlein über Weihnachtskrippe
geschickt; aber das Material haben wir hier nicht. Resi, könntest
Du mir das Goldpapier schicken, wenigstens etwas, um schöne
Krippenfiguren herzustellen (56). Aber in einem kleinen Päckchen
per Flugzeug; sonst kommt es 1972 Ostern an. Euch allen wünsche
ich gute Gesundheit, auch den Rettigs.
Euer P. Middendorf
(53) Dieser maschinenschriftliche Brief ist zerschnitten,
später mit einem Tesa-Streifen zusammengefügt, aber die
Absenderangabe wurde nicht nachträglich dazugefügt. Da der Brief
in Obongoni geschrieben wurde, ist davon auszugehen, dass die
Absender-Anschrift mit den bisherigen Briefen aus Obongoni
übereinstimmen wird.
(54) Selbst jahrelang Lehrer und dazu meist noch mit vielen
anderen Ämtern betraut, gönnt sich Pater Middendorf - und damit
auch in seiner unmittelbaren Umgebung anderen Pädagogen - ob
seiner sozialverantwortlichen Einstellung gegenüber den ihm
Anvertrauten, den Schutzbefohlenen bzw. den Bildungswilligen
keine Verschnaufpause
(55) Anspielung auf die erste bemannte Mondlandung
(20.7.1969) durch Astronauten der USA (Apollo 11) und die damit
verbundene Fiktion, auf dem Mond gar siedeln zu können.
(56) Dem Wunsche wurde entsprochen (handschriftliche
Auskunft per Post durch Resi im August 1998).
Brief Nr. 18 (57)
P. H. Middendorf BP 71 lsiro Zaire
Obongoni, den 26-3-72.
Liebe Familie Coenenberg!
Ich habe Schulden. Ein Brief vom 1-1-72 ist noch nicht
beantwortet. Bitte, entschuldigen - und nun meine Ostergrüße,
frohe, herzliche gut aufnehmen. Wir haben diese Tage noch viel
Arbeit: Taufe und 8 Tage darauf Firmung. Und dann: Vorbereitung
der Reise in Urlaub (58) . Darum schreibe ich keine Neuigkeiten.
Es geht mir gesundheitlich gut. So hoffe ich, dass ich einen guten
Urlaub habe, um neue Kraft zu sammeln. Ihnen allen in Europa,
Amerika und .... frohe Ostern wünschend - die Nachbarschaft nicht
vergessen - bin ich bis auf ein baidiges Wiedersehen (59)
Ihr P. Middendorf
(57) Ist dieser Brief das letzte schriftliche Lebenszeichen vor
seinem plötzlichen Tode, der ihn in dem hier angekündigten
Urlaub am 10. August 1972 in Deutschland ereilte?
(58) Trotz seines permanenten Tatendrangs ist tiefes
Aufatmen zwischen den Zeilen zu spüren: Ausspannen und Kraft
schöpfen bei Freunden in Deutschiand!
(59 ) Wiedersehen dann im frühen Sommer 1972. Wenige Wochen
vor seinem Tode weilte "unser Pater Rektor", wie wir Stegener
(,,Waisen-")Kinder Pater Dr. Middendorf liebevoll nannten, im
Hause der Düsseldorfer Familie Coenenberg. Anläßlich seines
Besuches wurde das Foto gemacht, das ihn zum Schluß meiner
Zusammenstellung in seiner gütigen Ausstrahlung zeigt.