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Das Dreisamtal als mittelsteinzeitliches Siedlungsgebiet

Von Robert Lais + 28. März 1945



In feiner wertvollen sprachgeschichtlichen Studie über die Dreisam hat F. Pfaff (1907) auch die Frage nach der Quelle der Dreisam beantwortet. Für die anderen größeren Schwarzwaldflüsse, die Wiese, Elz, Schutter oder Kinzig etwa, erscheint eine solche Frage unnötig, und vollends brauchte sich kein Historiker um sie zu bemühen. Daß es bei der Dreisam geschah, ist darin begründet, daß der Fluß heute seinen Namen nicht von seiner Quelle, sondern erst von der Stelle an trägt, wo der Rotbach in den Wagensteigbach mündet, obwohl kein Zweifel darüber bestehen kann, daß der Wagensteigbach die natürliche Fortsetzung der Dreisam ist. Er trug auch bis in das 18. Jahrhundert hinein ihren Namen.

Das Tal der Wagensteig allerdings ist nicht die Fortsetzung des Dreisamtales, so wenig wie eines der vier andern großen Täler, die in den Anfang des heutigen Dreisamtals einmünden. Wer aus seiner Mitte, etwa zwischen Zarten und Kirchzarten, nach Norden, Osten und Süden schaut, sieht auf Berge, die höher und höher steigend, in der Ferne zum Gebirge zusammenwachsen und einen halbrunden Kessel zu umranden scheinen. Vergebens sucht das Auge die Fortsetzung des weiten Tals.

Wandert man vom Hirschsprung durch die Schlucht des Höllentals abwärts, so weitet sich an seinem Ende plötzlich die bis dahin durch schroffe Felswände und steil aufsteigende Berge beengte Schau: man sieht sich am Rande eines geräumigen Beckens mit weitgedehnten Wiesen und Ackerflächen mit Einzelhöfen, Weilern und geschlossenen Dörfern um die sich die Obstbäume scharen. Aus drangvoller Enge, aus einer Fels- und Waldwildnis ist man in eine weite und helle, fruchtbare und altbesiedelte Landschaft gewandert, von der Hölle ins Himmelreich.

Nach Westen hin wird das weite Becken enger; seine Ränder treten allmählich zusammen und lassen schließlich - zwischen Schloßberg und Brombergkopf - nur noch die schmale Lücke frei, in der die Türme und Dächer der Stadt Freiburg sichtbar werden.

So ist das Dreisamtal völlig anders als die meisten Schwarzwaldtäler, die in die Rheinebene hinausmünden. Während diese sich zum Schluß wie ein Füllhorn erweitern gleicht das Dreisamtal einer bauchigen Flasche, die ihren Inhalt durch einen engen Hals entleert. Wir haben hier die geologischen Ursachen dieser eigenartigen Talausweitung nicht zu erörtern, müssen aber auf die mit ihr eng zusammenhängende Entstehung und Gestaltung des alten Talbodens näher eingehen, denn dieser vor allem trägt die mittelsteinzeitlichen Siedlungen

Als während der letzten Eiszeit die höchsten Teile des Schwarzwaldes Gletscher trugen, waren die tieferen Teile der zerstörenden Wirkung des Spaltenfrostes ausgesetzt, der den Fels überall in große und kleine kantige Trümmer zerlegte. So wurden die Höhen und Abhänge mit gewaltigen Schuttmassen überkleidet. Wo diese in den Wirkungsbereich der sommerlichen Schmelzwässer gerieten, wurden sie talabwärts geführt und zu Geröllen abgeschliffen Die Bäche haben die Fracht der Gerölle den vorhandenen Senken zugeführt, sie allmählich ausgefüllt und so die Schotterfluren geschaffen, die heute den Boden aller breiten Schwarzwaldtäler bilden. Dem Auge erscheint diese Sohle als eine talabwärts schwach geneigte Ebene. In Wirklichkeit ist sie ein Teil eines äußerst flachen Kegels, dessen Rückenlinie sich etwa in der Mitte des Tales hält.

In der weiten Wanne des hinteren Dreisamtals breitete sich, aus fünf größeren Tälern gespeist, dieser Schuttkegel mächtiger aus als in den andern Schwarzwaldtälern. Nach der Eiszeit aber haben die in den Hintergrund des Dreisambeckens einmündenden Bäche in diesen Schutt ihre mehr oder weniger breiten Betten gegraben und so aus der Ebene Terrassen geschaffen, zwischen denen sie in einer mit Wiesen bedeckten, mit Weiden und Erlen bestandenen feuchten Aue dahinfließen.

Von den sechs größeren Bächen, die ins Dreisamtal münden, vereinigen sich im Hintergrund des Beckens nur zwei, der Jbenbach und Wagensteigbach. Die andern fließen, durch die Wölbung des Schuttkegels nach Norden und Süden abgedrängt, kilometerlang nebeneinander her, ehe sie sich finden. Am frühesten noch treten der Rotbach (Höllenbach) und der Wagensteigbach zur Dreisam zusammen. Aber der Zastlerbach (Osterbach), der westlich non Kirchzarten Krumbach heißt, und die Brugga laufen nicht nur im Dreisamtal, sondern im unteren Oberrieder Tal in geringem Abstand, insgesamt acht Kilometer lang, nebeneinander her, wie zwei feindliche Geschwister, bis sie endlich nördlich des Falkhofes in die Dreisam münden. Kaum anders treibt es am Nordrand des Tals der Eschbach, der bei Stegen aus dem Gebirge heraustritt, sein Wasser aber erst unterhalb von Ebnet in die Dreisam schüttet.

So wird also das Tal von lang hinziehenden feuchten Niederungen durchfurcht, zwischen denen zungenförmige trockene Rücken als Reste der sogenannten Niederterrasse stehen geblieben sind. Im Osten des Dreisambeckens, wo der Schuttkegel steiler ansteigt, überragen sie die Aue um etwa 15 Meter, im Westen, bei Ebnet oder Freiburg, beträgt der Höhenunterschied nur noch 3 bis 5 Meter.

Auf diesen Rücken liegen die Äcker, an ihren Rändern die Ortschaften, über sie führen die Straßen und die Strecke der Höllentalbahn. Die tiefere und reich bewässerte Aue trägt überall Wiesen.

So ist die Sohle des Dreisamtals weit lebhafter zerschnitten als die der übrigen großen Schwarzwaldtäler, in denen die Schotterebene der Niederterrasse von einer einzigen, den Fluß fortlaufend säumenden Aue durchfurcht ist.

Die hinterste Terrasse des Dreisamtals, die in ansehnlicher Höhe und mit steilen Rändern die Auen des Rot- und Wagensteigbaches überragt, ist die berühmte Stätte
der spätkeltischen Volksburg Tarodunum. An der schmalsten Stelle des Verbindungsstückes mit dem Hintergelände war diese natürliche Feste durch Wall und Graben gesichert und der steile Rand rundum von einer aus gewaltigen Schwarzwaldgeröllen aufgeschichteten Trockenmauer gekrönt gewesen, deren Reste noch heute stellenweise erhalten sind und als niedriger Wall die Hochfläche säumen.

Als dieser Wall im Jahre 1931 beim Bau eines Hauses südöstlich des Brandenburger Hofes angeschnitten wurde, fanden sich bei der durch das Landesamt für Ur- und Frühgeschichte in Freiburg vorgenommenen Untersuchung zwei kleine Jaspisstücke, darunter eine schöne Klinge aus rotem Bohnerzjaspis. Kraft schrieb damals (1931): »Sie deuten auf eine nahegelegene wohl steinzeitliche (mesolithische?) Siedlung hin«

Daß diese Deutung das Richtige traf, haben spätere Funde bewiesen. Gelegentliches Absuchen der Äcker durch die Herren R. und A. Halter, G. Vogelgesang, A. Wangart und den Verfasser hat schon eine ganze Anzahl mittelsteinzeitlicher Funde und Fundstellen geliefert, die erkennen lassen, daß das Becken des Dreisamtals damals dicht besiedelt gewesen sein ums.

Verzeichnis der Fundstellen und Funde:
1. Gemarkung Falkensteig, südlich der oberen Blechschmiede, am Rand der hochliegenden Niederterrasse: Kerbkratzer von dreieckigem Querschnitt aus grauem Muschelkalkhornstein. Splitter aus grauweißem chalzedonartigen Muschelkalkhornstein und Dogelgesang. Lais und Vogelgesang
2. Gemarkung Burg, Südrand der Hochfläche von Tarodunum, östlich des Rainhofs: Reststück aus lederbraunem Bohnerzjaspis (Rheingerölle). Lais
3. Gemarkung Burg, Südrand der Hochfläche von Tarodunum, westlich des Rainhofs: Zwei Feuersteinsplitter. A. Wangart 1934, siehe Lais 1937
4. Gemarkung Burg. Südrand der Hochfläche von Tarodunum, westlich des Birkenhofs zwischen Landstraße und Terrassenkante: Vier Klingen aus rotem Bohnerziaspis, braunem Bohnerzjaspis, weißem Jaspis, dunkelgrauem fast schwarzem Muschelkalkhornstein, ein kleiner Stichel aus schwarzem Muschelkalkhornstein, Absplisse und Splitter aus den gleichen Gesteinen. Lais und Vogelgesang
5. Gemarkung Burg. Südrand der Hochfläche von Tarodunum, südlich des Brandenburger Hofs: Die oben erwähnten zwei Jaspisstücke.
6. Gemarkung Burg. Westspitze der Hochfläche von Tarodunum: Splitter aus Muschelkalkhornstein ein kleines Stück Radiolarit aus dem Rheinkies. Lais und Vogelgesang
7. Gemarkung Freiburg (Littenweiler), nahe der Gemarkungsgrenze gegen Ebnet,
gegenüber der Einmündung des Eschbachs in die Dreisam, am nördlichen Terrassenrand: Kleine, am Rücken fein retuschierte Klinge aus fleischrotem Bohnerzjaspis. Lais 1943
8. Gemarkung Freiburg (Universitätsstadion): Mikrolithisches Messer mit Rücken.
Halter 1936, siehe Lais, l937.
9. -11. Gemarkung Freiburg. Aus der Ebene des Dreisamtals haben vielleicht noch drei im Stadtgebiet gemachte Feuersteinfunde mesolithisches Alter: Beim Strandbad, bei der Schwabentorbrücke und beim neuen Bahnhof Wiehre. Sie sind erwähnt bei Lais, 1937. Von den Rändern des Dreisamtals sind bis jetzt zwei Fundstellen bekannt geworden:
12. Gemarkung Neuhäuser, Engenberg: Die von A. und R. Halter entdeckte Fundstelle (siehe Lais, l937) hat noch einige weitere Funde geliefert.
13. Gemarkung Freiburg, Kartäuserstraße, etwa 60 Meter nördlich der Kartäuferstraße in der zum Hirzberg hinaufführenden Einmuldung: Abschlag aus lederbraunem Bohnerzjaspis und ein Stück grauer Muschelkalkhornstein. O. Vogelgesang Das mesolithische Alter ist fraglich.

Für die meisten dieser Funde ist das mittelsteinzeitliche Alter durch das Auftreten typischer Werkzeuge wie der kleinen, teilweise mit abgestumpftem Rücken versehenen Klingen, eines kleinen Stichels und Kerbkratzers und durch die Feinheit der Retuschen gesichert. Daß es sich um ein kleingerätiges Mesolithikum handelt, steht fest, doch sind die Funde noch zu spärlich, als daß sie die Zuweisung zu einer bestimmten Stufe oder Gruppe zuließen.
Besonders geologische Bedeutung hat der Fund von Freiburg-Littenweiler. Er lag am Rand einer niedrigen Stufe der Niederterrasse, etwa 5 Meter über dem Spiegel der Dreisam. Diese Stufe ist etwa 400 Meter weiter südlich durch eine flache, aber deutlich erkennbare Böschung von der allgemein entwickelten höheren Stufe der Niederterrasse getrennt, sonst im Dreisamtal aber nur selten und schwach ausgebildet. Sie ist wie die höhere Stufe älter als das Mesolithikum dieses Gebietes.
Die mittelsteinzeitlichen Siedlungsstellen reihen sich, im unteren Höllental beginnend, in ziemlich dichter Folge am Südrand der Terrasse von Tarodunum vom Rainhof bis zu ihrer Westspitze und von Ebnet über das Freiburger Strandbad zum Universitätsstadion und vielleicht bis in das Innere der Stadt. Es darf als nahezu sicher gelten, daß auch die übrigen Terrassenränder Funde liefern werden, wenn erst einmal danach gesucht wird. Zwar erscheint ihre Menge noch gering. Hält man ihr jedoch die Gesamtzahl der im ganzen übrigen Schwarzwald bekanntgewordenen Fundstellen aus mesolithischer Zeit, etwa 17, gegenüber, so tritt die Bedeutung des Dreisamtals in ein anderes Licht.
Unsere Siedlungsstellen lassen eine enge Bindung an die Ränder der trockenen, die feuchte Aue um drei bis zwanzig Meter überragenden Niederterrassenflächen klar erkennen; Trockenheit des Bodens und Wassernähe waren für ihre Auswahl bestimmend. Daß es nicht das in der Aue durch flache Gruben leicht erschließbare Grundwasser, sondern der fischreiche Bach war, kann mit den Verhältnissen im Dreisamtal begründet werden. Hier fließen nicht nur an den auf den Terrassenrändern liegenden Siedlungen wasserreiche Bäche in unmittelbarer Nähe vorbei, sondern auch an den beiden andern, die auf den Abhängen der das Dreisamtal einschließenden Berge entdeckt worden sind, am Engenberg und Hirzberg
Die Siedlungsstellen des Dreisamtals zeigen eine Überraschende Ähnlichkeit mit den neuerdings von P. Braun in der Rheinebene, westlich von Baden-Baden, zahlreich entdeckten mesolithischen Fundplätzen. Hier ist im Bereich des ehemaligen, dem Gebirgsrand entlang fließenden Kinzig-Murg-Flusses ein weites Gebiet der Ebene sumpfige oder feuchte Niederung; aber an vielen Stellen ragen aus ihr kleine trockene Sand- und Kieselinseln oft nur meterhoch heraus, deren Mehrzahl mesolithische Siedlungsstellen getragen hat. Heute sind die meisten der niedrigliegenden Wiesenflächen nicht mehr von Wasserläufen durchzogen. Nach den Untersuchungen Oberdorfers (1934) hat aber der Kinzig-Murg-Fluß sein Bett erst in atlantischer Zeit (4000—3000 Jahre v. Chr) verlassen, so daß auch in diesem Gebiet die mesolithischen Siedlungen die gleiche Bindung an trockenen Boden in unmittelbarer Nähe von Wasserläufen erkennen lassen wie im Dreisamtal.
In diesem Zusammenhang darf auch auf den Fund eines winzigen mesolithischen Messers bei Oberrimsingen hingewiesen werden. Es lag hart am Rand des Hochufers der Rheinebene wo diese steil zur Aue und zur Möhlin abfällt.
Jedoch darf nicht verschwiegen werden, daß im Schwarzwald zahlreiche andere mesolithische Siedlungsstellen durchaus keine enge Bindung an das Wasser erkennen lassen (siehe Lais, 1937). Ob hierin eine Scheidung der mesolithischen Bevölkerung in einen, vorzugsweise der Jagd und einen anderen, hauptsächlich dem Fischfang obliegenden Teil zum Ausdruck kommt, ist eine Frage, die noch unbeantwortet bleiben muß, wie so viele andere, die sich auf die Mittelsteinzeit beziehen. Die Forschung steht hier noch am Anfang.
Darüber aber, daß das Dreisamtal begünstigt durch die Besonderheiten seiner Bodengestalt und seines Gewässernetzes schon vor sieben- bis elftausend Jahren ein bevorzugtes Siedlungsgebiet gewesen ist, kann kein Zweifel sein. Darum wird. wenn sich erst einmal in planmäßiger Arbeit die Fundstellen und Funde gemehrt haben werden, es dazu berufen sein, die Mittelsteinzeitforschung wesentlich zu fördern.

Benutzte Schriften:
K r a f t, G: Neue Funde der Latenezeit in Oberbaden. Bad. Fundber. 13,2, H.8, 1931
L a i s, R: Die Steinzeit im Schwarzwald. Bad. Fundber. 13, 1937.
O b e r d o r f e r, E.: Zur Geschichte der Sümpfe und Wälder zwischen Mannheim und Karlsruhe. Festschrift zur Jahrhundertfeier des Vereins für Naturkunde, Mannheim, 1934
P f a f f, T: Die Dreisam. Festschrift der 15. Hauptversammlung des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins: Aus dem badischen Oberland, 1907.