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                                    Rüggerichte in herrschaftlicher Zeit vor 1806

In den herrschaftlich zerstückeltem Gebiet unserer Heimat gab es um 1800 keine einheitliche Rechtsordnung. Dorfschaften unter einer einzigen herrschaftlichen Verwaltung wurden von einem durch  die Herrschaft  bestimmten Vogt dirigiert. Mehrere Dorfschaften wurden dann
z. B. in den Fürstl. Fürstenbergischen Gebieten  einem übergeordneten Obervogt untergeordnet, der  im Namen des Landesherrn ein größeres  Gebiet beaufsichtigte und verantwortlich  verwaltete. Regelmäßig geplante, aber häufig unregelmäßig veranstaltete Rüggerichte  hatten dabei alte Tradition. Über diese früheren herrschaftlichen Rüggerichte, auch „Vogtgerichte“ genannt, habe ich keine Protokolle zu sehen bekommen. Über die dabei verhängten Strafen sind  Unterlagen zu finden z. B. in den Jahresrechnungen des zuständigen „Rentamts“. Über den Aufgabenbereich der herrschaftlichen Vögte in den Teilorten von Stegen sind mir keine Unterlagen bekannt. Wesentliche Unterschied dürften im Vergleich mit den Vögten Fürstenbergischer Herrschaft kaum bestanden haben.

In die amtlichen Aufgaben eines Dorfvogtes in den Fürstenbergischen Gebieten gibt die 1798 erlassene „Instruktion für die herrschaftlichen Vögte im Engener Amt“ einen Einblick. In 29 Abschnitten werden die Pflichten eines damaligen Dorfvogts beschrieben, worin „Erstens“ verlautet:

Da aller Augen hauptsächlich auf das Tun und Lassen der Orts- Vorgesetzten gerichtet sind, und deren gutes Beispiel einen mächtigen Eindruck auf die Sitten und Gebroechen der Gemeindsuntergebenen macht, so hat sich ein jeweilig herrschaftl. Vogt vor allem eines christlich-auferbaulichen und nüchteren Lebens-Wandels zu befleißen und darmit seinen Untergebenen mit gutem Beispiel und Exempel voranzugehen  .  .  .  .

Es wird dann die besondere Aufmerksamkeit auf Nutzen und Schaden der „gnädigsten Herrschaft“  bei Zehntleistungen und Frohndiensten erwartet. Dazu gehört auch die Überwachung und Aufrechterhaltung der herrschaftlichen Grenzmarkierungen und nicht weniger die strenge Kontrolle der herrschaftlichen „Gefälle“, die bei einem Todesfall, bei Kaufverträgen oder Wegzug aus dem Herrschaftsgebiet fällig werden.

Eigennütziges Verhalten soll dem Vogt dadurch erschwert werden, „daß sie nicht das Mindeste und besonders in wichtigen Gemeindsangelegenheiten für sich eigenmächtig unternehmen, sondern die übrigen Gemeinds-Vorgesetzte und allenfalls die gesamte Bürgerschaft zu Rat ziehen und nach dem sich ergebenden Mehr der Stimmen fürschreiten“.

Weiter wird auf sparsamen Umgang mit dem Gemeindeeigentum hingewiesen und auf sorgfältige Prüfung bei „Gemeinds-Zechen und Zehrungen“, also bei den sogenannten „Diäten“.

Gemeindeeigentum darf nicht ohne herrschaftliche Bewilligung verkauft oder verpfändet werden. Auch die Nutzung des Gemeindewaldes soll nicht ohne Not ungebührlich  erlaubt sein.

Hinsichtlich von Gemeindegebäuden, Brunnen, Brücken und Straßen wird verlangt:
Sorge zu tragen, daß alles im baulichen Wesen besonders an Dach und Fach erhalten, auch ehe und bevor der Schaden zu groß wird, die erforderliche Reparation doch auf die sparsamste Weise veranstaltet  .  .  .  .  ein ganz neues Gebäu ohne Vorwissen und Bewilligung des vorgesetzten Amtes weder zu verakordieren, noch weniger zu errichten“.


Zur schulischen Bildung  hat der Vogt zu beachten:

Weil an guter Erziehung der Jugend alles gelegen ist, so ist und bleibet es auch eine der vorzüglichsten Pflichten des Vogts, auf den Fleiß und auf die Aufführung des aufgestellten Lehrers   .  .  .  .  .   ein achtsames Auge zu tragen  .  .  .“

Schwere Straftaten sind dem Urteil der Herrschaft unterworfen. „Die Feld- und Waid – Ruegungen p., da will man solche noch fortan dem Vogt und Dorfgericht zum Obwandlen nach der bisherigen Observanz überlassen. Alle Rauf- , Schläg- , ehrenrührige Schelt- und Schimpfhändel, sie geschehe mit oder ohne Blutriß, sind gleich am nächsten Amtstag behörig bei Amt anzuzeigen“.

Privatrechtlich hat der Dorfvogt noch eine Menge anderer Amtsbereiche.
Alle Kauf-, Tausch-, Eheberedungs-, Übergabs-, und andere derlei Handlungen und Contracte müssen in Gegenwart des Vogts beschehen  .  .  .“

Einmal jährlich ist der Vogt verpflichtet, den Gemeindsangehörigen  „an einem Sonn- oder Feiertag oder, wenn ein Tag hierzu nicht erkleklich is,t an zweien auf einander folgenden Sonn- oder Feiertagen durch den Vogt oder Lehrer die Schul- und Feuerverordnung  .  .  .  deitlich und unentgeltlich abzulesen, damit sich niemand mit der Unwissenheit entschuldigen möge“.

Eine schwere und schwierige Last war die Fronpflicht und deren Verteilung auf die einzelnen Untertanen. Auch diese Aufgabe war dem Dorfvogt übertragen mit dem Hinweis:
Da denen meisten Gemeinden neben denen Gemeinds- auch herrschaftliche Frohnen zu verrichten obliegt, so haben die Vögte darauf zu sehen, daß hierunter eine billiche Gleichheit beobachtet und kein Gemeindsangehöriger mehr als der andere beschwert werde“.

Auf dem herrschaftlichen Gedankengut fußen auch die später im Großherzogtum Baden erlassenen Bestimmungen zur regelmäßigen Abhaltung der Rüggerichte, die später in ähnlicher Weise als „Ortsbereisungen“ durchgeführt wurden und auch noch einmal nach dem 2. Weltkrieg  im 20. Jahrhundert üblich waren.


                      Rüggerichte im Regierungsblatt  (1811   XXVII  S. 127 ff)

Finden wir gnädigst bewogen, im Betreff der sogenannten Rüg- oder Vogtgerichte allgemein zu verordnen wie folgt“:

Auszugsweise:
Rüggerichte sollten nun nicht mehr wie ehemals verordnet einmal im Jahr, sondern nur alle drei Jahre in jedem Ort abgehalten werden.
Gegenstand ist nur, was die Lokaleinsicht der Beamten des Landamts erfordert. In 30 Artikeln sind diese Punkte aufgeführt und nachfolgend auszugsweise vermerkt.

2)   Als Zeitpunkt soll die Zeit der längeren Tage bei einer Witterung, die diese amtliche 
     Untersuchung ermöglicht und mit möglichst wenig Behinderung der Feldarbeit gewählt                    
      werden.

3) Die Ankündigung soll mindestens 8 Tage zuvor bekannt gemacht  werden. Privatrechtliche
    Angelegenheiten wie Eigentumsrechte werden dabei nicht behandelt.

4) Zu dieser Versammlung ist die Bürgerschaft, der Schulmeister und der Vorstand der     
     Gemeinde einzuladen. Der Ortsgeistliche ist durch das Aerar einzuladen.

6)  Es soll die Befolgung früherer Verordnungen überprüft werden.

7)  Überprüfung der Gemeindeschriften und deren Verzeichnis

9)  Die Tauglichkeit für die Gemeindeämter soll bewertet werden.

11) Die Versorgung der Waisen und der in Verpflegung stehenden Einwohner wird geprüft.

12) Rechnungsprüfung der öffentlichen Fonds

15) Die öffentlichen Bauten werden besucht und beurteilt: Kirche, Pfarrhaus, Schule, Rathaus
      evtl. „Bürger Thurm“ (Bürgergefängnis).
     Auch Schulunterricht und die Person des Lehrers und Pfarrers werden kritisch beurteilt.

16) Die Feuerspritze  sowie „Löschwerkzeuge“ werden inspiziert.

17) Wasserläufe, Dämme, Wehre, Mühlen u. Wasserwerke sind ein weiterer
       Untersuchungsgrund.

18) Der Zustand der Landstraßen und Vicinalstraßen mit zugehörigen Brücken, Stegen und
      notwendigen Geländern, die Uferbepflanzung und die Bepflanzung der Wege mit Bäumen
      ist zu beurteilen.

21) Die Frage nach nicht seßhaften Bewohnern (Gesindel)  wird gestellt.

22) Es wird außerdem gefragt nach Bodenschätzern wie Spuren von Mineralien, Salz, Torf,  
       Steinkohle,  Gips, Steinbrüchen  auch nach Lehmvorkommen, das für Hafner oder 
       Ziegler verwendbar  sein könnte.

25) Der Viehzucht gilt großes amtliches Interesse. Die Art der Fütterung (Frühjahrweide,
      Spätjahrweide, Nachtweide oder allgemeine Stallfütterung) wird festgestellt.
      Mit Rücksicht auf den Obstbau wird auch festgestellt, ob und warum die Bienenzucht   
      nicht eingeführt ist.

Mit diesem Fragenkatalog ist die Übersicht über die soziale und wirtschaftliche Lage einer Gemeinde feststellbar. Mit der damaligen Lebensgrundlage der Landwirtschaft sind viele spezielle Angaben gefragt, denn auch das Handwerk in den  Gemeinden war von den Bedürfnissen der bäuerlichen Arbeitswelt bestimmt. Im übrigen waren auch Taglöhner auf eigene landwirtschaftliche Grundlage angewiesen und hatten in der Regel auch zumindest Ziegen und Hühner in einem kleinen Stall bei sich im Haus. Verlust von Tieren war in früherer Zeit nicht nur eine materielle Einbuße und eine Minderung der Lebensqualität. Der Verlust der Tiere konnte sogar  zur Gefährdung der Existenz führen, als es noch keine Maschinen und Motoren gab.

Vom Gartenbau ist bei den Fragen des Rüggerichts nicht die Rede, aber auch ein „Krautgarten“ war für  den Lebensunterhalt einer Familie unentbehrlich mit Küchenkräutern und Gemüsepflanzen.