aus:
Arthur Hauptmann
Burgen einst und jetzt
Burgen und Burgruinen in Südbaden und angrenzenden Gebieten
Im Verlag des SÜDKURIER Konstanz, 1984/87
WILDE SCHNEEBURG
Die sagenumwobene Schneeburg gab es wirklich
Eine Sage aus dem Schwarzwald — Wo lag die Wilde Schneeburg?
Die in der Sage vom wilden Jäger erwähnte Burg kann nur die Wilde
Schneeburg gewesen sein. Sie lag auf dem hinteren Schneeberg, einem
Ausläufer des Hochfahrn, auf einem
nahezu unzugänglichen Felsgrat, nur wenige Meter unter der
1000-Meter-Marke. Heute zeigt nur noch der einstige Halsgraben, der die
Burg vom Bergrücken trennte, ihren ehemaligen Lageplatz. Eine Einebnung
und einige behauene Werksteine sind weitere Indizien für ihre einstige
Lage. Die Herren der Burg waren Angehörige des weitverzweigten
Geschlechtes der Snewelins, die im Breisgau reich begütert waren und
mehrere Burgen ihr eigen nannten. Jagd und Fischenz standen im
Mittelalter nur dem Adel zu. Wilddieberei
wurde unnachsichtig bestraft, doch die in der Sage beschriebene Strafe
dürfte wohl auf einer freien Erfindung beruhen. Umgängliche Herren
scheinen die Schneeburger indes nicht
gewesen zu sein. Wie vermeldet, lagen sie dauernd im Streit mit den
Mönchen, die ihr kleines Klösterlein im nahen Wilhelmertal hatten.
Hören wir, was die Sage zu berichten weiß:
Dort, wo der Schwarzwald noch unwegsam und kaum begehbar ist, liegen in
einem einsamen Seitental, hoch oben auf einem Felsschroffen, die Reste
einer alten Burg. Die einstmals starken Mauern sind eingestürzt, über
den moosigen Trümmern wächst Dornengestrüpp, nur Holzfäller und Jäger
kennen diesen Platz, aber auch sie vermeiden es, sich dort aufzuhalten.
Mit der verfallenen Burg ist auch ihr Name abgegangen, und nur diese
Sage erinnert noch an sie und ihre einstigen Bewohner.
Auf der äußersten Spitze eines schroffen Felsgrates lag die Wilde
Schneeburg. Nach den Beschreibungen bestand sie in der Hauptsache aus
einem festen Wohnturm. Heute ist die Stelle der ehemaligen Burg kaum
noch zu finden. Das Wappenbild unserer Zeichnung gehörte dem Ritter
Kolman von Snewelin.
Der Burgherr war ein gar strenger Mann, der dort oben mit einigen
wenigen Gesellen hauste, die, wie er, nur eines kannten: die Jagd. Den
Bauern im Tal war er ein unbarmherziger Zwingherr‚ und es war ihnen bei
Todesstrafe verboten, den Hirschen oder Sauen zu wehren, die ihre
kümmerlichen Äcker und Felder immer wieder verwüsteten, so daß sie und
ihre Kinder im Winter oft bitter Hunger leiden mußten.
Nebelschwaden zogen über die
Waldwiese. undeutlich hoben sich dunkle Gestalten gegen den düsteren
Himmel ab...da stürzte ein Mann aus dem Tannendunkel auf die Lichtung.
verfolgt von Totengerippen. die auf riesigen Sechzehnendern saßen.
An einem stürmischen Herbstabend gingen der Graf und seine
Spießgesellen wieder mal, wie so oft, ihrem Waidwerk nach. Einem
angeschossenen Hirschen durch Dickicht und Dornen folgend, verlor der
Graf in der hereinbrechenden Dunkelheit die Spur. Auf einer kleinen
Lichtung machte er Rast; vergeblich sah er sich nach seinen
Jagdgenossen um. Müde von der Verfolgung setzte er sich hin und schlief
ein. Als er aufwachte, war es Mitternacht. Groß stand der bleiche Mond
am Himmel. Nebelschwaden zogen über die Lichtung und verbreiteten ein
geisterhaftes Licht. Da hörte er das Brechen dürrer Äste, ein Stampfen
und Röhren, so daß es ihm — so beherzt er auch sonst war — ganz
unheimlich wurde. Selbst sein Hund verkroch sich winselnd hinter ihm.
Undeutlich hoben sich dunkle Gestalten gegen die mondhellen
Nebelschwaden ab. Er faßte seinen Jagdspieß fester. . ., da kam eine
Gestalt auch schon heran. Ein kräftiger Mann in altertümlicher
Jagdkleidung stürzte aus dem Tannendunkel auf die Lichtung. Ihm nach
hetzten bleiche Totengerippe‚ auf riesigen Sechzehnendern sitzend, über
die Waldwiese. Nur das Klappern und Rasseln der knöchernen Reiter und
das Stampfen der Hirsche unterbrachen die unheimliche Stille. Immer
näher kam die wilde Jagd, so daß der Graf in seiner Angst den Namen
Gottes ausrief. Da, wie durch Zauberhand gebannt, hielt der Geisterspuk
an und verschwand in dem immer stärker werdenden Nebel. Im fahlen
Mondlicht trat der Mann, den sie so grausam gejagt hatten, zu dem
Grafen und sprach mit hohler Stimme:
"Ich bin der Geist deines Urgroßvaters und habe wie du immer nur für
die Jagd gelebt. Mein Leben lang habe ich meine Bauern geschunden und
unterdrückt. Wilderer, die in meinen Wäldern jagten, oder Bauern, die
Tiere, die in ihre Äcker eingebrochen waren, zu Tode schlugen, ließ ich
lebendig auf Hirsche binden und diese dann durch meine Hunde in das
Dickicht hetzen, so daß die Unglücklichen, die darauf saßen, von
spitzen Ästen zerrissen wurden oder langsam unter den zu Tode
gestürzten Hirschen elendig umkamen. Zur Strafe muß ich nun um
Mitternacht bergauf bergab in diesen Wäldern umherirren und werde von
den einst so unmenschlich von mir Bestraften selbst gehetzt. So büße
ich jetzt tausendfältig mein begangenes Unrecht. Laß dich warnen. . .
noch kannst du deinem Leben einen neuen Sinn geben, kehre um und wandle
deine Hartherzigkeit!“
Mit diesen Worten verschwand der Geist. Der Graf stand wie unter einem
geheimen Zwang, nur langsam gewann er wieder die Herrschaft über sich
selbst. Erst am frühen Morgen wurde er von seinen Jagdkumpanen
gefunden. Doch er war bleich und verstört und kaum fähig zu sprechen.
Nicht lange darauf ließ er an der Stelle, an der er dieses unheimliche
Erlebnis hatte, eine Klause bauen, in der er nun seine Jahre
verbrachte. Güter und Felder vermachte er seinen einst so hart
unterdrückten Bauern. Seine Burg indes, nun unbewohnt und verlassen,
zerfiel im Laufe der Zeit, und mit der Burg versank auch der Name des
Burgherm und seines Geschlechtes in der Vergangenheit.