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Die Wilden Schneeberger
von Archivrath Dr. Jos. Bader
aus: Schau ins Land - 1884, Seiten 22-26

Wenn der Leser schon einmal unserm Feldberg einen Besuch gemacht, so wird er am nordwestlichen Abhange desselben eine weite, muldenförmige Vertiefung bemerkt haben, welche den bezeichneten Namen des Napfes führt und sich durch das frische Blau-Grünihres Wiesengeländes auszeichnet. In dieser Bergmulde rinnen viele kleine Quellen zusammen und bilden das wilde Bergwasser des Bruckbaches, der ein Thal durchrauscht, dessen mannigfaltige, malerische Scenen im angenehmsten Gegensatze zu dem benachbarten, einförmigen und düstern Zastler stehen.

Es ist das romantische Thal von St.Wilhelm, dessen Wassergebiet im Süden von den Höhenzügen der Stubenwasens, der Schnecken- und Farrenwide,, im Westen von der Halde, dem Schauinsland und Hundsrücken, wie genen Nordosten von dem kürzeren Feldbergarme des Imisberges und Hochfarren begränzt wird. Dies meist nackten Höhen mit ihren bewaldeten Abhängen umziehen das Bruckbacher Thal und dessen Nebenthälchen, wovon der Hofsgrund als das namhaftere erscheint, in einer länglichten Runde von sieben bis acht Meilen, und schließen ein Berg- und Thalgelände ein, welches den augeprägtesten Schwarzwald Charakter trägt.

Wie weht eine reine, stählende Luft auf diesen auf diesen freien Höhen; wie sind diese abhänge und Thalgründe durch das wechselnde, heilsam duftende Grün der Wiesen, der Nadel- und Laubgehölze, wie durch das Rauschen eines reichen Wasserspieles belebt, und wie ist über das Ganze der geheimnisvolle Zauber von einsamer, ruhig großer Bergnatur verbreitet !

Und dennoch, wer sollte es glauben, daß in diesem abgelegenen Thale, welches von frommen, friedfertigen Wilhelmiten-Brüdern seinen Namen erhielt, einst ein Geschlecht der wildesten Menschennatur gehaust ? Es waren rachedurstige Raubritter, deren Hass gegen das aufblütende Bürgerthum ein blutiges Fehderecht in Anspruch nahm, um mit dem ganzen Ingrimm ihrer Vertilgungswuth vormalige Mitbürger zu bekriegen.

Wenn man vom Napfe aus das Thal hinab wnadert, so gelangt man nach zwei Wegestunden an die Stelle, wo sich der Hofsgrunder Haselbach in den Bruckbach ergießt und die "üble Brücke" über deren vereinigte Wasser führt. Hier hat der Wanderer links den Scheitel des Schauinslands und rechts den Rücken des Hochfarren, vor sich aber den Thalwegneben dem Thalbache und ihnen zunächst, am Sume des "Gefälles", den uralten Bauernhof zum Schneeberger, hinter welchem sich ein buntes Gemisch von Tannengehölzen, Felsenriffen und Bergwiesen hinaufzieht bis an den hohen Farrenstein, von dessen Gipfel das Auge die ganze Umgegend beherrscht.

 In Mitte des westlichen Abhanges dieser Höhe, zwischen dem Roßfelsen, der Gefällmatte und dem Frauenschrofen, auf einer rauhen Bergecke, ruhen in verdienter Vergessenheit die wenigen Trümmer einer Ritterveste, deren Erbauer dem reichsten und vornehmsten Partriziergeschlechte von Freiburg angehört hatten. Es waren jene berüchtigten Schnewelin, welche mit dem Schwager und Erben des letzten Herzogs von Zähringen aus dem fernen Schwabenlände nach der breisgauischen Hauptstadt gekommen und mit dem dortigen Schultheißenamte betraut worden.

Diese Herren besaßen eine merkwürdige Zwitternatur, sie verbanden mmit dem schildbürgen Ritter den spekulierenden Geldmann. Ganz füglich darf man dieselben die Rothschilde des mittelalterlichen Breisgaues nennen. Die Schnewelin machten in ihrer neuen Heimath bald ganz vortreffliche Geschäfte, als Stadtjunker, Stadtschuldheißen, Bürgermeister und Rathsverwandte, als Vogtherren, Renten- und Silbergruben-Besitzer, Geld- und Güterspekulanten.

Alles, was ihrer Darlehen bedurfte, wurde von den Schnewelin planmäßig ausgebeutet, am ergiebigsten ihre eigenen Lehen- und Dienstherren, die verschwenderischen Grafen von Freiburg, und ihre ebenso wirtschaftslosen Vettern, die einst reichsbegüterten Herren von Falkenstein; von jenen erwucherten sie nebst viel anderm Gut selbst die herzogliche Stammburg Zäringen, und von diesen beinahe alles Gebiet zwischen Ebnet und Titisee.

Noch waren keine drei Menschenalter seit ihrer Niederlassung in Freiburg verflossen, so besaßen dieselben allda schon etliche Ritterhöfe und im weiten Umkreis der Stadt schon die Burgen Wiesneck, Weiler, Falkenbühl, Bollsweil, Landeck und Kranzenau mit zugehörigen Herrschaftsrechten; sodann die Vogteien über das Stift St.Märgen, das Kloster St.Wilhelm und die Probstei zu Ebringen, nebst einer Menge von Gütern in allen Teilen des Breisgaues.

Als Zwingburg für ihre Vogtleute und Leibeigenen zu Ebringen und St.Wilhelm erbauten sie ebenso gewaltthätigen als habsüchtigen Herren selbst zwei neue Vesten, die eine auf dem Schünberge, die andere am Abhange des Hochfarren, welche man beide nach dem Geschlechtsnamen der Familie nannte; zum Unterschiede aber von der Ebringer Schnewelins- oder Schnewburg (was der Volksmund später in "Schneeburg" verwandelte) wurde der St.Wilhelmer Bau wegen seiner rauhen Lage als "wilde" Schnewburg bezeichnet. Dieselbe fiel schon sehr frühe dem schnewlin´schen Zweige der Kolmann zu. Dort hauste nun im Beginne des 14. Jahrhunderts das Brüderpaar Heinrich und Wilhelm, die Söhne des "alten Kolmann", zwar als Bürger in Freiburg, aber seit den Vorspielen des großen Städtekrieges als Todfeinde ihrer städtischen Mitbürger. Schon 1302 hatten dieselben zwei Bürger von Gengenbach und Offenburg festgenommen und auf ihrer Zwingburg eingekerkert. Diesen öffentlichen Friedbruch wiederholten sie, bis im Sommer 1314 die Freiburger mit ihnen in erbitterte Fehde geriethen, wobei Junker Heinrich das Unglück hatte, aufgegriffen und im Stadtthurm hinter Schloß und Riegel verbracht zu werden.

Schäumend vor Wuth und Rachedurst beeilte sich sein Bruder, ihnen etliche Bürger wegzufangen, um dieselben gegen den Gefesselten auswechseln zu können. Und wirklich brachte er zwei Freiburger Kaufleute, den Bürger Walther und den Juden Süßkind, in seine Gewalt. Dieser Streich versetzte die gute Stadt in nicht geringe Aufregung und Verlegenheit; sie mußte sich zu Verhandlungen bequemen. Reuige und friedliche Gesinnung heuchelnd, kam ihr Junker Wilhelm entgegen, fügte sich dem Ausspruche eines Schiedsgerichtes und gelobte in feierlichem Eide, den Freiburgern wegen der bisherigrn Späne kein Leid und keinen Schaden mehr zuzufügen.

Kaum aber sah der Wolf im Schafspelze denlieben Bruder wieder auf freien Füßen, so begann er weidlich, das hochmüthige, üppige Bürgervolk zu verspotten und zu beschimpfen, und meinte nach damaliger Junkergesinnung, dasselbe müsse niedergebeugt und vernichtet werden ! Deshalb setzte er, treu- und eidbrüchig seine Feindseligkeiten gegen Freiburg fort und schädigte die Stadt auf alle Weise an Leuten und Gütern.

Da riß den Bürgern endlich die Geduld; sie griffen zornentbrannt zu den Waffen, die erlittene Schmach zu rächen, zogen die Hilfe ihrer Bundesgenossen an sich und eilten hinauf in´s Bruckachthal, um die Veste ihres Todfeindes, das verhasste Raubnest, zu berennen und niederzuwerfen.

Es war im Frühling des Jahres 1315. Das städtische Belagerungszeug that seine Wirkung. Nachdem ein Mann der geringen Besatzung durch die Würfe der Steinschleudern gefallen, gelang es den Freiburgern, der schlecht vertheidigten Veste habhaft zu werden. Dieselben gewannen darin eine reiche Beute an Mehl, Wein, Harnischen und anderm Gute, was sie mit zwei Kühen und einem Maulthiere siegeslustig hinwegführten.

Damit aber nicht zufrieden, machte man das kolmannsche Haus in der Stadt (vor dem Predigerthor) dem Erdboden gleich, wie das Gesetz gegen treulose Bürger es erfordert; worauf die bestaubten Arbeitsleute mit ihren Zerstörungswerkzeugen unverweilt nach der wilden Schnewburg aufbrachen, dieselbe niederrissen und das Ingebäude den Flammen übergaben.

Seitdem liegt die kühne Ritterburg, aus deren düsteren Verließen die Seufzer so manches schuldlosen Gefangenen durch die vergitterte Lichtöffnung an die freie Luft gedrungen, als ein wüster, verachteter Schutthaufen unter Moos und Gesträuch begraben, und das umwohnende Volk hat ihr Andenken mit dem Namen das Raubschloß für immer gebrandmarkt.

Nach dem Falle der Schnewburg brachte es die mächtige schnewelin´sche Verwandschaft durch ein Schiedgericht dahin, daß den Gebrüdern Kolmann der Burgstall (die Trümmer der Veste) mit dem zugehörigen Bauhofe und Forstbezirke von der Stadt abgekauft, aller erlittene Schaden ersetzt und von beiden Theilen eine "ewige Sühne" beschworen wurde. Aber der Groll im Herzen der Junker wollte nicht erlöschen - erst nach vierzig Jahren (so zäh in ihrer Verbissenheit waren diese adeligen Köpfe) kam es zwischen ihnen und den Freiburgern zum völligen Ausgleich.

Die Stadt Freiburg besaß den Schneeberg, wie man das kleine Gebiet der wilden Schnewburg fortan zu nennen pflegte, bis in die neuere Zeit und verlehnte denselben als ehrschätziges, fall- und drittelpflichtiges Zinsgut jeweils an einen Bauern der Umgegend. Dergestalt gelangte das Gütlein im Jahre 1773 an den Georg Schweizer von Kirchzarten, dessen Familie es seit dem Schwedenkriege im Besitze gehabt. Da erhob sich von den Ufern der Bruckach eine neue Fehde gegen die Freiburger, nur in anderer Weise als jene des 14. Jahrhunderts.

Denn es war kein adeliger Herr von dem Ansehen der Schnewelin, welcher den Freiburger Regimentsherrn diesmal den Handschuh hinwarf, nicht ihr Mitbürger, wie Kolmann, sondern ein gemeinder Bauer, ihr eigener Bauer und Lehensmann - der Schweizerjörg selber.

Dieser starre, eigensinnige, rücksichtslose Kopf hegte so wenig Respekt vor seiner städtischen Obrigkeit, daß er mit dem Schneeberge und der dazu gehörigen Waldung ganz eigenmächtig zu schalten und zu warlten pflegte, wie es gerade in seinem selbstsüchtigen Interesse lag. Derselbe hing der Stadt eine Reihe von Prozessen an den Hals und trieb dazwischen einen großartigen Schmuggel mit Hölzern aus den freiburgischen und oberriedischen Waldungen in dergestalt frecher, verwegener Weise, daß er nicht allein auf die an ihn ergangenen Verbote mit gotteslästerlichem Schimpfen und Fluchen antwortete, sondern den städtischen und probsteilichen Förstern selbst mit Todtschlag und Erschießen drohte !

Der entschlossene, alle papierenen Waffen verachtende Selbstherrscher auf dem wilden Schneeberge, mit dem Treschflegel oder der Jagdflinte in der Faust, wußte seinen Drohungen auch solchen Nachdruck zu geben, daß man ihn allgemein fürchtete. Weder der Probst von Oberried, noch der Stadtrath von Freiburg konnte mit demselben fertig werden. Man mußte die Landesregierung gegen ihn zu Hilfe rufen, und diese hate Mühe, eine so eisenharte, widerhaarige Bauern-Natur einigermaßen zur Ordnung zu bringen.

Hätte der "Schweizerjörg", anstatt seines verwegenen Holzschmuggels, die Leidenschaft der Wilddieberei gehabt, so wäre er sicherlich einn Breisgauischer Hiesel geworden, nur mit etwas weniger Jagdpoesie.

Wer nun von den Lesern dieser Schilderung während der schönen Jahreszeit einmal das Thal des Bruckbaches besucht und den Bergabhang des Gefälles erblickte, wie er sich vom Farrensteine über Tannengehölz, Matten, Felsen und Steingerölle in den Thalgrund hinabsenkt, der weiß alsdann, welche zwei Persölichkeiten diese interessante Gegend einst berüchtigt gemacht. Und vielleicht wandelt ihn auch die Lust an, den Trümmern der wilden Schnewburg und den alten Bauhofe derselben (denn der jetzige ist eine spätere Erwerbung) einen Besuch abzustatten.

Der Weg dahin führt hinter dem Schneeberghofe aufwärts nach dem Hofe der Gefällmatte, an deren oberem Rande der uralte Gefällweg über die Höhe nach Oberried hinab zieht. Zwischen diesen Hofgebäuden und dem s.g. Kreuzbrunnen erhebt sich der Frauen- oder Roßfelsen, und hier liegt die wilde Schneeburg begraben.