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Die Memoiren des letzten Abts von St. Peter
Ignaz Speckle
Ein Beitrag zur vaterländischen Geschichte.

 

VII.
Zur Geschichte des Lindenbergs.

1. Der etwa eine halbe Stunde von St.Peter entfernte Lindenberg, der in neuester Zeit durch die gewaltsame Austreibung der dortigen frommen Jungfrauen berühmt geworden ist, wird in Abt Ignaz Speckles Tagebuch häufig erwähnt. Kurze Zeit nach dem französischen Rückzug im Jahre 1796 brach in den Waldorten und in St.Peter eine verheerende Viehseuche aus. Es war eine Art Ruhr, ein Gallenausfluß oder Gallenfieber, das eine Unzahl von Thieren wegraffte. Zur Abwendung dieser Geißel suchten die Bauern beim Abt um Betstunden und Bittgänge nach. Die Meisten wollten einen Bittgang auf den Lindenberg veranstalten, was ihnen aber nicht gestattet worden. Seitdem die Kirche auf dem Lindenberg auf höchsten Befehl abgebrochen ist, so erzählt der Abt, und seitdem das Mariabild nach Eschbach übersetzt wurde, erhält sich noch immer das Zutrauen des Volkes an den Ort, in Menge wallfahrten sie dahin und verrichten ihr Gebet bei den Ruinen der Kirche, indem sie behaupten, der Ort sei ein Gnadenort, das Bild sei nie ein miraculöses Bild gewesen. Es läßt sich das Volk nicht seine Meinung nehmen. Schon bei der letzten Retirade der Franzosen machte die Gemeinde Rohr ein Gelübde dahin zu wallfahrten, und suchte um einen Priester an. Dies ward ihr abgeschlagen. Am vorigen Sonntag (im Nov. 1796) machte der Vogt von Ibenthal abermals bei mir den Antrag auf eine solenne Procession nach dem Lindenberge. Ich schlug es wieder ab und redete es ihm aus. Gestern (10. Nov.) suchten sie wieder bei P. Prior an um einen Geistlichen, indem sie nach der Betstunde auf den Lindenberg „fahrten“ wollten. P. Prior verwies sie an mich. Die Vögte wollten es erzwingen und äußerten: sie würden wenigstens Kreuz und Fahne mit sich nehmen, und behaupteten, die Fahne gehöre der Gemeinde. Des folgenden Tages in der Frühe erschienen wieder zwei Deputirte bei mir mit dem nämlichen Gesuche. Ich belehrte sie, daß ich es gar nicht gestatten könnte, daß eine solenne Procession dahin angestellt werde. Die Bauern meinten zuerst, ich könne es ja ignoriren; sie ließen sich endlich doch belehren und versprachen zu gehorchen und weder Kreuz noch Fahne mitzunehmen; doch wollten sie für sich dahin gehen, was ich ihnen nicht wehren konnte; sie baten noch, daß man um halb 11 Uhr eine heil. Messe hier in der Pfarrkirche halten möchte, was ich auch gestattete. Nach der Betstunde setzte sich also der ganze Zug nach dem Lindenberg in Bewegung. So viele Leute waren gewiß noch nie bei einem öffentlichen Krenzgange. Schon waren die Ersten bei der Ziegelhütte, als die Letzren noch im Abteihofe waren. Das Volk wünscht wieder eine Kapelle auf dem Lindenberg zu haben, und sehr viele erbieten sich dazu beizutragen. Unsere Pfarrkinder versicherten mich heute auch, daß morgen sogar von St.Märgen eine feierliche Procession dahin werde angestellt werden, was gegen die Grundsätze der Herren von St.Märgen ist, denen es aus anderen Gründen nicht angenehm war, eine Wallfahrt in der Nähe der ihrigen zu haben.

2. Am 9. August 1800 kam der Vogt und noch ein Bauer aus Unteribenthal zu mir nach Freiburg und eröffneten, daß die Gemeinde daselbst ein Gelübde gemacht habe, aus dem Lindenberg wieder eine Kapelle zu erbauen, und fragten mich um Rath und Gutachten. Meine Antwort war, die Zeit sei jetzt nicht zum Bauen geeignet. Ich für mich würde ihre Absicht nicht hindern, könnte selbe aber auch nicht fördern. Mein Rath wäre, wenn sie je darauf beharren wollten, die Sache in gehöriger Ordnung anzugehen, sich bei ihrer vorigen Herrschaft, Kageneck oder Amt, zu melden und durch dieses bei der hohen Stelle anzusuchen. Würde es von daher erlaubt, so müßte die Sache noch bei der geistlichen Curie gemeldet werden, was ich, da der Ort in der Pfarrei von St.Peter gelegen sei, sodann thun würde. Mein Rath wäre weiter, wenn es ihnen je erlaubt werden sollte, daß nicht blos eine Bauernkapelle, sondern eine etwas geräumigere, worin doch Gottesdienst gehalten werden könnte, ausgeführt würde. Sie fanden meinen Rath gut und versprachen denselben zu befolgen. Sie folgten mir im ersten Punct. Die Frau Gräfin von Kageneck und der Beamte. Hr. Dr. Ruf, wiesen die Sache eben nicht ab und Hr. Amtmann sagte, daß er mit mir darüber reden wolle. Derselbe kam auch am 29. August wirklich hierher; wir gingen auf den Lindenberg und fanden, daß man schon angefangen hatte den Platz zu räumen, auch waren schon Kalk und Bretter beigeschafft und Sand zubereitet worden. Ich hatte inzwischen mit den beiden Regierungsräthen v. Brandenstein und v. Greiffenegg hierüber gesprochen. Beide sagten, man solle die Sache conivendo geschehen lassen, indem sich doch auch bei Hof die Grundsätze geändert hätten. Ich meldete dies dem Hrn. Amtmann. Unser Beschluß ging dahin, daß, wenn je etwas aus dem Gebäude werden sollte, man die Sache nicht so gerade nur den Bauern überlassen könne, weil sonst eine Unordnung entstehen würde, sondern man müsse sorgen, daß es unter Herrschaftlicher Direction geschehe. Da übrigens verlautet, daß der geistliche Regierungs- und Commissionsrath Will in Bälde nach Freiburg kommen werde, sollte man die Sache bei demselben anbringen, um auf alle Fälle gedeckt zu sein.

3. Unter dem 20, August 1803 findet sich folgende Aufzeichnung im Tagebuch: Der Kirchenbau auf dem Lindenberg wird von den Ibenthäler und umliegenden Bauern sehr emsig betrieben. Die Bauern leisten auch von Ferne die nöthigen fuhren mit vielem Eifer, schenken Holzstämme und geben Geldbeiträge. Indeß hat die Gemeinde noch nirgendswoher eine ordentliche Erlaubniß; vielmehr erfolgte auf das schon Früher durch das Kageneck´sche Amt gemachte Ansuchen eine abweisende Antwort von der bischöflichen Curie in Constanz. Man vermuthete demnach, daß die Bauern einen sichern Rücken hätten. Wiederholt verlangten sie nur zu wissen, ob ich die Sache hindern wollte. Ich erklärte mich einmal wie das andere, daß ich entschlossen sei, sie weder zu hindern noch zu fördern. Nun zeigt sich's aber, daß die Gräfin von Kageneck und folglich das Amt den Bau in der Stille begünstigte, vorgeblich besonders aus dem Grunde, damit die Bauern desto eher ein Schulhaus erbauten, wozu sie sich jetzt nicht nur willig zeigten, sondern auch der Gräfin versprachen, das Schulhaus so zu bauen, daß für die Frau Gräfin, wenn dieselbe kommen würde, die Schule zu besuchen, ein anständiges Zimmer zubereitet werde. Da der Bau schon ziemlich weit gediehen, so sah sich das Kagenecklsche Amt nun doch genöthigt, eine Anzeige zu machen. Der Beamte. Dr. Ruf, kam also heute zu mir in den Petershof und eröffnete mir, daß er den Auftrag von der Frau habe, mir ihre Gesinnung in Betreff des Lindenbergs mitzutheilen und die meinige zu vernehmen. Die Frau Gräfin hatte bei dem Hrn. Generalvicar mündlich über diesen Bau gesprochen und um Erlaubniß nachgesucht. Derselbe antwortete: die Curie müsse auf dem gegebenen Bescheide beharren, wenn nicht andere Gründe und Umstände vorgebracht würden. Hieraus erwiderte die Gräfin, ihre weitere Absicht sei, eine Art Localcaplanei oder doch eine Unterrichtsanstalt damit zu verbinden, welche aber freilich durch das Kloster St.Peter excurrendo sollte besorgt werden. Auf Grund dieser Eröffnung hatte der Generalvicar Hoffnung gegeben, daß der Bau erlaubt werde; nun wolle man meine Aeußerung vernehmen. Ich gab für einmal folgende Erklärung: 1) könnte ich mich für nichts verbinden, ehe ich mein Capitel vernommen hätte; 2) eine Pfarrei könne dort nicht errichtet werden, weil der Ort zu nahe an St.Peter liege und doch ebenso weit von der Gemeinde Ibenthal entfernt wäre; 3) müßte ich für allemal mich erklären, daß kein sonntäglicher Gottesdienst in dieser Kapelle gehalten werde, weil dadurch dem Pfarrgottesdienst zu St.Peter und in den benachbarten Pfarreien Eintrag geschehen würde; 4) wollte man das Ibenthal der Pfarrei St.Peter incorporiren, so wäre der Hauptanstand, wie man die Todten im Winter heraufbringen könnte, wogegen Hr. Amtmann erwiderte, daß die Gräfin auf einen eigenen Kirchhof antrage. Ich erklärte hieraus, daß ich vorderhand nicht gegen die Incorporirung sei. Alles werde auf die Bedingnisse ankommen, unter welchen es geschähe, besonders müsse man vorläufig untersuchen, ob und welche Wege könnten hergestellt werden für den Kirchgang, Schul und Krankenbesuch und zum Begräbnißgeleit, wobei unter allen Umständen aber immer vorausgesetzt sei, daß der sonntägliche vormittägige Gottesdienst nur zu St.Peter gehalten werde. 5) Ueber die weitere Frage, ob man nicht am Sonntag einigen Unterricht, Katechese ec. auf dem Lindenberg halten könnte, antwortete ich, daß ich hierzu nicht ungeneigt sei und es möglich finde, nur wäre es unschicklich, fremde Pfarrkinder aus dem Ibenthal dahin zu berufen, wenn die Pfarrei Buchenbach bleibe, oder die Ibenthäler theils zum Lindenberg, theils nach Buchenbach einzutheilen. 6) Endlich wurde darüber gesprochen, den Sigristdienst auf dem Lindenberg mit dem Schuldienste in Ibenthal zu vereinigen, was ich thunlich fand. Ueberhaupt müßte zuvor die Lage genau beaugenscheinigt, wohl überlegt, Bedingungen festgesetzt werden, unter welchen eine Anstalt getroffen werden könnte. Der Amtmann versprach so einen Augenschein zu veranstalten, wobei dann das Weitere könnte überlegt werden.

4. Inzwischen schritt der Bau der Lindenberger Kapelle rasch vorwärts. Am 13. October 1808 wurde der Dachstuhl aufgerichtet. Die halbe Kirche ist nun auf dem alten Fundament, nur etwas erweitert, aufgebaut; die andere Hälfte des Langhauses ist noch nicht angefangen. Das Gebäude wird nicht geschlossen, damit in Zukunft daran gebaut und die Kirche in ihrer vorigen Größe wieder, hergestellt werden könne. Noch ist den Bauern keine Erlaubniß gegeben worden. Alles ist durch Opfer, freiwillige Beiträge und Frohnen geschehen; die Handwerksleute und die erkauften Materialien sind richtig bezahlt. In der ganzen Gegend frohnen dle Bauern mit großem Eifer, selbst die von St.Märgen.

5. Am Freitag nach Christi Himmelfahrt 1804 nach der öffentlichen, sehr zahlreich besuchten Betstunde in der Pfarrkirche zu St.Peter ging die ganze Versammlung des Volkes abermals in Proeession nach der halberbauten Kirche auf dem Lindenberg, jedoch ohne Kreuz und Fahnen. Sie stellten sich im äußern Hof in Ordnung und fingen die Gebete an. Die Anordnung dieser Procession geschah ganz im Stillen; Herrschaft, Pfarrer undBeamter wußten nichts davon; es war lediglich ein geheimes Werk der Bauern, was ihnen allerdings nicht kann und nicht soll verwehrt werden. Der neue Altar für diese Kirche war bereits aufgestellt auf Kosten und Bestellung der Bauern im Ibenthal.

6. Am 4. Juni 1805. Durch ein bischöfliches Rescript von der Curia in Constanz, welches in den Pfarreien Eschbach und Buchenbach sollte publicirt werden, wird die halberbaute Kirche auf dem Lindenberg interdicirt. Ich nahm einstweilen das Rescript zu mir, um darauf zuerst einig Bemerkungen an das Commissariat zu geben. - So war ich anfangs entschlossen. Jch änderte dieses Vorhaben und fand besser nichts darüber zu sagen und der Sache gerade ihren Lauf zu lassen, da ich nicht gefragt, nicht aufgefordert bin, und Vorstellungen den unbesonnenen und eigensinnigen Generalviear v. Wessenberg nur hitziger machen würden. - Die Folgen mag das Vicariat tragen und verantworten.
In diesem halbfertigen Zustand verblieb die Lindenberger Kapelle, immer noch fleißig von andächtigen Gläubigen besucht, bis Anfangs der vierziger Jahre. Um diese Zeit, als das Priesterseminar nach St.Peter verlegt wurde, gelangte auch die Kapelle durch weitere Beiträge zu ihrer Vollendung. Schon um der schönen, Herz und Gemüth erhebenden Aussicht willen, welche der Lindenberg bietet, sollte man - abgesehen von allen andern Gründen - das Gebet frommer Seelen auf diesem Hochaltar der Natur nicht stören. Der weithin sichtbare Lindenberg mit seiner Kapelle erinnert unwillkürlich an Uhlands schönes Gedicht: „Droben stehet die Kapelle, schauet still in's Thal hinab.“ Auf dieser sonnigen Höhe athmet freier die beklommene Brust: die andächtige Seele fühlt sich entrückt den irdischen Sorgen und näher dem Himmel.