Spuren der
Kelten
aus: Roland Weis / Ramesh Amruth (Fotos) MAGISCH MYSTISCH MEGALITHISCH
Die rätselhafte vorchristliche Vergangenheit von Süd-
und Hochschwarzwald
II.
TEIL: STIMMEN AUS DER VERGANGENHEIT
Rombach Verlag 2013
Auch beim Eindringen in diese Zeit halten wir uns streng an die
unumstößlichen und wissenschaftlich unstrittigen Sachverhalte.
Wir kennen rund um den Hochschwarzwald mehrere Themen- und
Fundkomplexe, die wir eindeutig den Kelten zuordnen können: das
Fürstengrab Magdalenenberg bei Villingen, die Siedlung Tarodunum
im Dreisamtal, die Wallanlage Krumpenschloss mit der Siedlung
Laubhausen im Bregtal, die Wallanlage Heidenschloss bei Berau.
Nimmt man den Hochrhein hinzu, dessen Besiedelung seit den Tagen
der Neandertaler und der frühen Steinzeit nachgewiesen ist und
der bis weit in den Südschwarzwald hinein zahlreiche bronze- und
eisenzeitliche Fundstellen entlang der Unterläufe von Wehra,
Murg, Alb, Schwarza, Schlücht und Wutach aufweist, so finden wir
den Hochschwarzwald eingekreist von Zeugnissen aus der
Latenezeit (500-100 v.Chr.), der Hallstattzeit (800-450 v.Chr.)
und der Urnenfelderzeit (1200-750 v.Chr.), also jenen drei
Kulturepochen, die gemeinhin als Repräsentanten der späten
Bronze- und Eisenzeit gelten. Die Kelten selbst, da, wo sie als
Volk oder Volksgruppe angesprochen sind, tauchen um 700 v.Chr.
erst aus dem Dunkel dieser Frühepochen auf. Für die
Völkerschaften davor fehlt für unsere Region die einvernehmliche
Namensgebung oder Zuordnung zu einem Volk oder Volksstamm. Das
gilt auch für die Erbauer der bereits erwähnten Grabhügelfelder
im Raum Löffingen/Titisee- Neustadt/Hinterzarten, soweit diese
Grabhügelfelder älter als 700 v.Chr. sein sollten. Letzteres ist
nicht auszuschließen, solange der eindeutige archäologische
Nachweis eines keltischen Ursprungs nicht erbracht ist.
Der Villinger Magdalenenberg sitzt, wie bereits dargestellt, auf
einer Anhöhe über dem Brigachtal, und zwar an einer Stelle, an
der die Brigach einen markanten, beinahe rechtwinkligen Knick
von Ost nach Süd beschreibt. Knapp 15 Kilometer weiter fließt
die Brigach mit der Breg zusammen und bildet in Donaueschingen
die Donau.
Wiederum 15 Kilometer die Breg flussaufwärts befindet sich die
keltische Wallanlage Krumpenschloss im Bregtal. Die Entfernung
zwischen Krumpenschloss und Magdalenenberg beträgt in der
Luftlinie zehn Kilometer. Vom Magdalenenberg die Brigach
flussaufwärts bis zur Brigachquelle sind es in der Luftlinie
ebenfalls nur 15 Kilometer, vom Krumpenschloss bis zur
Bregquelle knapp 20 Kilometer. Brigach- und Bregquelle liegen
zehn Kilometer auseinander. Während es im Bregtal beim
Krumpenschloss einen Flurnamen »Krumpendobelk gibt, finden wir
im Brigachtal unweit der Quelle ein »Krumpenloch«. Das komplette
Quellsystem von Donau, Brigach und Breg — und jenseits der
Wasserscheide auch der Elz - steht aufgrund dieser räumlichen
Nähe seiner keltisch-archäologischen Stätten im Verdacht eines
signifikanten Zusammenhangs. Wir werden diesem Zusammenhang
später über den Umweg der Namensforschung noch näher auf den
Leib rücken und auch im Kapitel, das sich mit der Bedeutung
heiliger Quellen und Haine beschäftigt. An dieser Stelle
beschränken wir uns jedoch auf die simple Geografie. Wollte
jemand bestreiten, dass der Wirkungsradius eines
bronzezeitlichen Kelten nicht mit Leichtigkeit den skizzierten
geografischen Raum umfasst haben könnte? Erinnern wir uns an
Ötzi und seine Wege. Der Gletschermann lebte mindestens 2500
Jahre vor den Kelten des Magdalenenberges. Was er zu seiner Zeit
zu Fuß in den Alpen geschafft hat, das dürfte zwei Jahrtausende
später den gut berittenen keltischen Stämmen im Südschwarzwald
wohl kaum ein Problem bereitet haben.
Direkt bei der Brigachquelle, um genau zu sein: direkt auf ihr,
steht der Hirzbauernhof. Als in diesem Hof 1888 ein
Küchengewölbe erneuert wurde, kam eine Steinplatte zum
Vorschein, die von den Erbauern des Hofes in das Backofengewölbe
eingebaut worden war. Diese Steinplatte zeigt die eingemeißelten
Figuren von Hirsch, Hase und Vogel sowie drei Köpfe. Als
»Dreigötterstein« oder »Dreigötterrelief« ist diese Steinplatte
heute im Stadtmuseum von St. Georgen aufbewahrt. Eine
Nachbildung ist in die Quellfassung am Hirzbauernhof
eingearbeitet. In der Literatur ist von der Darstellung einer
Quellgottheit oder der Jagdgöttin Diana die Rede, jedenfalls ist
aber unstrittig, dass es sich um ein keltisches Artefakt
handelt, mehr als 2000 Jahre alt, in engem Zusammenhang mit der
Brigachquelle stehend, möglicherweise dieser gewidmet.16
In allen historischen Quellen, in denen die Kelten als
Volksstamm dingfest gemacht werden, sind Süddeutschland und die
Alpenregion als Kern- und Ursprungsgebiet dieses Stammes
unstrittig.17 Ja, genauer noch, es sind der Oberlauf
von Donau und Neckar, das Quellgebiet dieser beiden Flüsse sowie
der Breisgau, wo sich die zentralen Siedlungsplätze,
Fürstengräber, Prunkgräber und andere archäologische Fundplätze
konzentrieren. Am Oberlauf der Donau erreichen wir mit dem
Magdalenenberg, dem Krumpenschloss und der Brigachquelle die
westlichsten Fundplätze. Im Westen des Schwarzwaldes sind der
Breisacher Berg und Tarodunum im Dreisamtal die prominentesten
Keltenplätze, am Hochrhein das Oppidum Altenburg18 und
Richtung Südschwarzwald die Wallanlage von Berau. Besieht man
sich dies alles aus der Vogelperspektive, so findet man den
Hochschwarzwald regelrecht eingekreist von keltischen Metropolen
und Handelsplätzen und steht vor zwei Fragen. Erstens: Haben die
Bewohner dieser Zentren jeweils einen großen Bogen um den Hoch-
und Südschwarzwald geschlagen, wenn sie untereinander Kontakt
hielten? Zweitens: Waren die zwischen diesen Zentren liegenden
Höhen und Täler des Hoch- und Südschwarzwaldes unbezwingbar,
undurchdringlich, menschenfeindlich, siedlungsungeeignet? Ötzi
belehrt uns eines Besseren. Was 2000 Jahre früher in den Alpen
möglich war, kann 700 v.Chr. im Hochschwarzwald nicht völlig
unmöglich gewesen sein.
Die Wallanlagen von Berau und von Hammereisenbach sind in vielen
Details identisch, jedenfalls in der Konzeption und Dimension
auffallend übereinstimmend mit der Wallanlage auf dem Kapf beim
Villinger Keltengrab Magdalenenberg. In der Beschreibung dieser
Wallanlagen auf dem Kapf heißt es: »Diese zieht in weitem Bogen
von Hangkante zu Hangkante und sichert ein Areal von etwa zwei
Hektar Größe [...]. Der ursprünglich durch ein Holzrahmenwerk
stabilisierte Wall ist |...| noch deutlich als Erhebung zu
erkennen. Davor liegt ein seichter Sohlgraben, der einmal der
Materialgewinnung diente, gleichzeitig natürlich die
Fortifikation weiter verbesserte.«19 Ohne an den
Formulierungen auch nur ein Wort verändern zu müssen, könnte man
den Text auch auf die Wallanlagen bei Berau und bei
Hammereisenbach beziehen. Wir reden offensichtlich von ein und
denselben Baumeistern.
Tausende von Grabhügeln
Unser Verbindungsglied zwischen den Standorten Villingen,
Hammereisenbach, Zarten und Berau sind aber nicht weitere
Wallanlagen ähnlicher Bauart, sondern die zahlreichen bereits
beschriebenen Grabhügelfelder, die sich überall auf den Höhen
zwischen diesen Standorten befinden.
Diese Grabhügelfelder sind ausführlich beschrieben und
katalogisiert bei Gerhard Wesselkamp20 und ergänzt
durch neuere Beschreibungen aus dem Schwarzwald-Baar-Kreis,21
die vor allem auch das gesamte Bregtal miteinbeziehen, ebenso
das Brigachtal.22 Die Zählungen differieren zwar im
Detail, aber in der Summe kommen dabei für das Bregtal
mindestens vier Fundplätze mit zusammen rund 100 Grabhügeln
zusammen, für den Raum St. Märgen/St. Peter/Wagensteig drei
Fundplätze mit zusammen 70 Grabhügeln, für Eisenbach-Oberbränd
rund 440 Grabhügel an den zwei Fundplätzen Höchst/Wagnereckle und
Oberbränd / Heidenloch, für Hinterzarten-Breitnau verteilt auf
zehn Fundplätze rund 340 Grabhügel, für Lenzkirch mit Ortsteilen
zwölf Fundplätze mit über 300 Grabhügeln, für Titisee-Neustadt
mit Ortsteilen an 25 Fundplätzen (nahezu alle Hügel über dem Ort
und den Tälern) über 1300 Grabhügel, im Großraum Schluchsee weit
über 3000 Grabhügel und in Löffingen mit Ortsteilen weitere 2000
Grabhügel an etwa 20 Fundplätzen.
Wesselkamps Schlussfolgerung ist deshalb nur zuzustimmen, wenn
er konstatiert: »Das massierte Auftreten von Steinhügeln
in dieser Region kann eigentlich nur in Zusammenhang mit relativ
kontinuierlicher Besiedlung gesehen werden |...] dann hätte die
Besiedlung des Hochschwarzwaldes durch den Menschen bedeutend
eher begonnen als bisher angenommen.«23 Eine
systematische archäologische Erkundung dieser Grabhügelfelder
steht noch aus. Dies liegt auch daran, dass sich die Archäologie von einer
Öffnung der Grabhügel wenig erhofft, wie sie insgesamt die engen
Schwarzwaldtäler und Höhen für unergiebig hält.24 Der
Kirchzartener Archäologe Heiko Wagner hat dies wie folgt
begründet: Weiden und Wiesen fallen für die archäologische
Begehung weitgehend aus. Eventuell besiedlungsgünstige Stellen
sind bereits von Bauernhöfen oder den auf alten Trassen immer
weiter verbreiterten Verkehrswegen überbaut. Hinzu kommt die
Reliefdynamik mit Erosion und Sedimentation. Allgemein
verbreitet sind saure Böden, in denen sich Bodenverfärbungen,
die neben Mauerresten und Scherbenfunden die wichtigste
Befundgattung der Archäologie darstellen, nur undeutlich
abzeichnen. Da die sauren Böden des Schwarzwaldes für eine
schnelle Verwitterung und damit Vernichtung allen organischen
Materials sorgen, sind auch Zufallsfunde höchst
unwahrscheinlich.25 In der mittleren und späten
Bronzezeit (also zwischen 1500 und 500 v.Chr.), der die
süddeutschen Hügelgräber zugeordnet werden, herrschte die Sitte
der Brandbestattung. Die typische Brandbestattung hat jeweils an
Ort und Stelle stattgefunden. Aus Untersuchungen an einem
geöffneten Grabhügel bei Lauchringen am Hochrhein hat sich
folgender Befund ergeben: Der Scheiterhaufen, auf dem der
Leichnam verbrannt wurde, bestand aus Eichenholz. Der Brand war
vollständig und das Feuer muss eine Temperatur von
über 800 Grad Celsius erreicht haben. Die Archäologen fanden in
Lauchringen nur sehr kleinflächige Scheiterhaufen und
spekulierten, dass entweder nur ein kleines Feuer geschürt wurde
oder aber die Toten in Hockstellung verbrannt wurden. Zum
Verbrennungsritus gehörte die Verwendung mindestens eines
Gefäßes, das sich zerschlagen und auf der Grabsohle verstreut
vorfand. Nach der Verbrennung lasen die Angehörigen (oder
zeremonielle Priester) den Leichenbrand mitsamt Holzkohleresten
auf und deponierten ihn in einer körpergroßen Kammer aus
aufgesetzten Steinen, die dann mit Lehm verfüllt und später mit
einer Packung aus Geröllsteinen überdeckt wurde. Diese
Hügel erreichten eine Größe von maximal vier Metern Länge und
maximal ein bis zwei Metern Höhe. Die inwendig verbauten
Grabkammern waren 1,6 Meter lang und 0,4 Meter breit.26 Das
Wenige an archäologischen Funden, das in Oberlauchringen aus
solchen Gräbern geborgen wurde, Keramikscherben, bronzene
Armreifen, Bronzenadeln, Fragmente eines Bronzedolches,
Eisenring aus gebogenem Draht, Knochenreste, deutet alles in die
Spät- und Mittelbronzezeit. Auch ohne solche Funde in den
Grabhügeln im Hochschwarzwald lässt ihre frappierende
Ähnlichkeit mit diesen Grabhügeln vom Hochrhein aber nur den
einen Schluss zu: Sie stammen aus der gleichen Zeit.
Spuren der Steinzeit
Wenn wir damit schon bis weit in das 2. vorchristliche
Jahrtausend in die Vergangenheit des Hochschwarzwaldes
zurückgewandert sind, so ist das immer noch nicht das Ende
unserer Reise. Denn auch die Steinzeit hinterließ bereits ihre
Spuren im Hochschwarzwald. Wieder einmal lieferte der Bau der
Schluchsee-Staumauer den interessantesten Fund. Zur Vorbereitung
der Baumaßnahmen senkte die Schluchseewerk AG den Spiegel des
eiszeitlichen Schluchsees um 16 Meter ab. Meterhohe Torfwände
erschienen dabei überall am Ufer, jene Torfwände, die unter
anderem auch den oben vorgestellten alamannischen Einbaum
freigaben. Der Botaniker Erich Oberdorfer nutzte diese einmalige
Gelegenheit, um die im Torf konservierten Tausende Jahre alten
Blütenpollen zu untersuchen. Dabei fand er in der Torfwand der
Erosionsschlucht, die der Fischbach infolge der künstlichen
Absenkung in sein altes Delta gerissen hatte, einen 4,7
Zentimeter langen Feuersteinsplitter mit deutlichen Spuren
menschlicher Bearbeitung.27 Es handelt sich um einen
Dreikant, der aus einem Feuersteinknollen herausgeschlagen
wurde. Dieser Fund ist besonders gründlich untersucht worden,
denn Oberdorfer beschäftigte sich mit der paläolithischen
(altsteinzeitlichen) und mesolithischen (mittelsteinzeitlichen)
Botanik der Schluchseeregion. Oberdorfer hat seinen Fund in
einer Schicht gemacht, die laut Pollenanalyse vornehmlich
Birkenbewuchs, 20 Prozent Haselsträucher und ansonsten Erle und
Eiche auswies, dem typischen Schwarzwaldbewuchs der
Mittelsteinzeit (8000-5000 v.Chr.). Seine Schlussfolgerung: »Die
Paläolithiker selbst mögen einerseits am Ufer des Sees,
andererseits am Ufer des Fischbachs gesessen sein.«28
Der Geologe Wilhelm Deecke nahm den Feuerstein von Aha später
nochmals genau unter die Lupe. Die nächstgelegenen
Feuersteinvorkommen befinden sich im Markgräflerland oder auf
der Schwäbischen Alb. Feuersteinmaterial dieser Art ist für den
Hochschwarzwald auf jeden Fall ortsfremd. Deecke fasste seine
Erkenntnisse wie folgt zusammen: »Aber er [der Feuerstein] ist
immerhin sehr wichtig dafür, dass viel früher, als wir bisher
annahmen, auch die höchsten Teile des Gebirges von Bewohnern der
Niederungen durchstreift worden sind. Die Ähnlichkeit des
Gesteins mit den schwäbischen Hornsteinen lässt weiter vermuten,
dass von Osten her auf der Abdachung zur Baar und Alb diese
Wanderungen als auf dem bequemsten Weg erfolgten.«29
Skeptiker mögen einwenden, ein solcher einzelner Fund beweise
nicht viel. Aber bei diesem einen Fund ist es bis heute nicht
geblieben. In seinem Forschungsbericht Steinzeit im Schwarzwald
hat der Freiburger Frühgeschichtler Robert Lais schon 1937 auf
steinzeitliche Funde am Felsenweg am Rinken bei Hinterzarten
hingewiesen und die These vertreten, dass Jägersippen oder
einzelne Jäger von ihren Siedlungsplätzen im Zartener Becken aus
auch Streifzüge auf die umliegenden Kammhöhen unternommen haben.
Selbst eine erste Begehung der höchsten Passübergänge am
Feldberg hält er nicht für ausgeschlossen.30 Beim Bau
des Karl-Egon-Weges im Bärental kam 1887 eine
Feuersteinpfeilspitze zum Vorschein, die den F.F. Sammlungen in
Donaueschingen einverleibt wurde. Über den Fund einer weiteren
steinzeitlichen Feuersteinspitze 1926 in einem kleinen Moor auf
der Passhöhe berichtet August Vetter 1968 in seiner
Feldberschronik, weiß aber nichts über den Verbleib dieses
Fundes zu sagen. Auf dem Weg von der Todtnauer Hütte zum
Feldberggipfel wurde 1994 eine bearbeitete Feuersteinklinge
gefunden.31 Von weiteren steinzeitlichen Funden
beim Hochwarter Hof bei Breitnau sowie am Stübenwasen und am
Radschert bei Todtnauberg im Oberen Wiesental lesen wir bei
Robert Lais. Die Feuersteinklinge, die auf dem Nordwestkamm des
Stübenwasen in 1200 Metern Höhe gefunden wurde, bezeichnet Lais
als das »wohl höchstgelegene Artefakt auf primärer Lagerstätte
in Deutschland«.32 Es befindet sich heute im Besitz
des Museums für Ur- und Frühgeschichte in Freiburg. Auf dem
Schauinsland in der Nähe des Haldenwirtshauses tauchte eine
steinzeitliche Messerklinge auf. Im Jahre 1995 fand man in 1000
Metern Höhe an einem Saumpfad am Belchen ein mesolithisches
Steinartefakt, nämlich einen Hornsteinkern, der genutzt wurde,
um davon steinzeitliche Pfeilspitzen und Messerklingen
abzuschlagen. Das Fundstück wird ins Frühmesolithikum datiert,
das grob etwa von 10 000 bis 7000 v.Chr. dauerte.33
Über einen Fund, den Heiko Wagner 1990 bei St.Peter gemacht hat,
heißt es in den Fundberichten des Landesdenkmalamtes: »Bei einer
Begehung östlich des Hornhofes [wurde] in einer Höhe von etwa
780 m. ü.NN ein kleiner mesolithischer Fundplatz lokalisiert.
Wenn man von Einzelfunden absieht, dürfte diese Stelle derzeit
einer der höchstgelegenen steinzeitlichen Lagerplätze im
Schwarzwald sein. Es wurden vier Mikrolithen, zwei Klingen und
16 Abschläge aus sehr unterschiedlichen, lokal nicht
vorkommenden Rohmaterialien gefunden.«34 Weitere
Einzelfunde von einer Pfeilspitze bei Schönwald oder einer
Steinaxt bei Schonach belegen steinzeitliche Aktivitäten auch in
diesen Höhenlagen.35 Am Bahnhof in Titisee unterhält
der örtliche städtische Bauhof eine kleine Bauaushubdeponie, auf
der immer wieder einmal Aushub aus städtischen Baustellen
zwischengelagert wird. In diesem Erdhaufen fand im Sommer 2012
der Kirchzartener Archäologe Heiko Wagner steinzeitliche
Feuersteinabschläge, Splitter und Pfeilspitzen sowie
Keramikscherben ungewisser zeitlicher Herkunft. Die
Wahrscheinlichkeit eines steinzeitlichen Siedlungsplatzes
irgendwo am Titiseeufer ist damit stark erhärtet. Der Frage, wo
dieser Siedlungsplatz gewesen sein könnte, nähern wir uns im
nächsten Kapitel. Immer offener räumen jedenfalls in jüngerer
Zeit etablierte Frühgeschichtler die Möglichkeit ein, dass wir
unser Geschichtsbild hinsichtlich des Süd- und Hochschwarzwaldes
revidieren und um ein vorgeschichtliches Kapitel erweitern
müssen — auch dann, wenn es weiterhin an zweifelsfreien
archäologischen Hinterlassenschaften mangelt.
So formuliert etwa Gerhard Fingerlin (zwar auf keltische Funde
bezogen, aber genauso auf neolithische Funde anwendbar): »Auch
bei den Siedlungen muss man sich vor Augen führen, womit
gerechnet werden kann: Mit hoher Wahrscheinlichkeit nur flach
fundamentierte Holzbauten mit Schindeldächern (keine Ziegel!),
ein geringer Fundanfall, nicht einmal unbedingt an jedem Platz
Keramik, da vieles, auch Gefäße, aus Holz hergestellt wurde
[...] Spuren eines solchen Lebens in dieser Landschaft zu finden
ist äußerst schwierig, ja fast unmöglich, jedenfalls in hohem
Maß von Zufällen abhängig.«36 Konrad Spindler
formuliert ähnlich: Trotz des negativen Befunds »darf man aber
auf keinen Fall annehmen, die Höhen seien wirtschaftlich
bedeutungslos gewesen. Sicher ist der Wald |...] in der
Steinzeit auch [...] begangen worden; |...| doch hinterlassen z.
B. Waldweide, Eichelmast, Jagd, Fallenstellerei, Pechsammeln und
Zeidlerei (Wildhonigsammeln) in der Regel keine archäologischen
Spuren.«37 Letztlich sei auch noch verwiesen auf eine
altsteinzeitliche Fundstelle bei Altensteig im Nordschwarzwald.
Dort haben Forscher Anfang der 1990er Jahre rund 400
steinzeitliche Artefakte geborgen, darunter Rückenmesser,
Kratzer, Klingen, vielleicht eine Säge, Kernsteine und
Abschläge, also den klaren Beweis erbracht, dass
Steinzeitmenschen das Mittelgebirge nicht nur durchstreiften,
sondern tatsächlich auch dort siedelten.38
16 Vgl. Konrad Spindler: Aus der Geschichte, in:
Rainer Gutknecht (Hg.): Der Schwarzwald-Baar-Kreis,
Stuttgart/Aalen 1977, S. 56-84.
17 Ausführlich in: Archäologisches Landesmuseum u.a. (Hg.): Die
Welt der Kelten. Zentren der Macht — Kostbarkeiten der
Kunst, Ostfildern 2012, S. 94ff.
18
Ludwig Schnitzler: Der Raum des Kreises Waldshut in ur- und
frühgeschichtlicher Zeit, in: Landkreis Waldshut (Hg.): Der
Kreis Waldshut, Stuttgart 1975, S. 59-75, hier S. 66ff.
19 Konrad Spindler: Magdalenenberg, S. 35f.
20 Siehe Gerhard Wesselkamp: Grabhügel, S. 95ff.
21 Siehe Heribert Saldik: Bregtal, S. 8ff.
22 Siehe Verena Nübling:
Untersuchungen an Steingrabhügeln bei Überauchen, Gemeinde
Brigachtal, Schwarzwald- Baar-Kreis, in: Archäologische
Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1986 (1987), S. 63-65.
23 Gerhard Wesselkamp: Grabhügel, S. 95.
24 Vgl. Heiko Wagner: Tarodunum und das Zartener Becken
in der keltischen Zeit (Latènezeit) und in der Römerzeit,
in: Wolfgang Kleiber (Hg.): Tarodunum/Zarten —
Brigobannis/Hüfingen, S. 21-53, hier S. 25
25
Vgl. ebd.
26
Vgl. Gerhard Wesselkamp: Grabhügel, S. 39f.
27 Vgl.
Robert Lais: Die Steinzeit im Schwarzwald, in: Badische
Fundberichte 13 (1937), S. 29-66, hier S. 35.
28 Zit.
nach ebd
29
Wilhelm Deecke: Badische Fundberichte 2 (1932), S. 366, zit. nach
Robert Lais: Steinzeit im Schwarzwald, S. 35.
30 Vgl. Robert Lais: Steinzeit im Schwarzwald, S. 50f.
31 Vgl. Fundberichte aus Baden-Württemberg 19/2 (1994), S.
10.
32 Robert Lais: Steinzeit im Schwarzwald, S. 36.
33 Vgl.
Frank Baum/Clemens Pasda: Ein Steinartefakt vom Belchen, in:
Archäologische Nachrichten aus Baden 64 (2001), S.
3-8.
34 Fundberichte aus Baden-Württemberg 22/2 (1998), S. 13.
35 Vgl. Konrad Spindler: Aus der Geschichte, S. 60.
36
Gerhard Fingerlin: Der Beitrag der Archäologie zur Frage einer
»Romania submersa« im mittleren und südlichen Schwarzwald, in:
Wolfgang Kleiber (Hg.): Tarodunum/Zarten — Brigobannis/Hüfingen,
S. 13-19, hier S. 18.
37 Konrad Spindler: Aus der Geschichte, S. 63.
38 Vgl. Egon Schallmayer: Die endpaläolithisch-mesolithische
Fundstelle »Nonnenwiese« bei Altensteig, Kreis Freudenstadt, in:
Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1991 (1992), S.
40-45.