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Zug des Marschalls Tallard durch das Kappler- und Dreisamthal im Mai 1704      

Achtundzwanzigste Fortsetzung der  Beiträge zur Geschichte der Stadt Freiburg
und des Breisgaues.
aus:
Freiburger Adreß-Kalender für das Schaltjahr 1848     


In Folge des Bündnisses zwischen dem Kurfürsten von Baiern und Ludwig XIV. beim Beginne des spanischen Erbfolgestreits überwinterte 1703 unter Marschall Marcin eine französische Armee im Herzen von Baiern und Schwaben.

Um des dem Kaiser für das Jahr 1704 zugedachten Hauptschlags desto gewisser zu sein, wurde in Versailles beschlossen, noch bevor die Kaiserliche und Reichsarmee zum Beginn der Operationen versammelt wäre, eine ansehnliche Truppenmacht rasch über den Rhein und Schwarzwald zu setzen, und das französisch-baierische Heer mit den erforderlichen Verstärkungen und Kriegsbedürfnissen zu versehen. Zu dieser Unternehmung wurde Marschall Tallard bestimmt, und ihm nicht nur alle im Elsaß verfügbaren Truppen, sondern auch die 12.000 Mann an der Mosel unter Generalleutnant Coigny zur Verfügung gestellt. Tallard sah ein, daß eine derartige Unternehmung mitten durch Feindes Land nur dann den gewünschten Erfolg haben könnte, wenn es ihm gelang, den deutschen Befehlshaber am Oberrhein, Markgraf Ludwig von Baden - dessen ohnedem geringen Kräfte in den Linien von Bühl, Stockach und Rottweil verteilt standen - möglichst lange über seine wahre Absicht in Ungewißheit zu erhalten, und dessen Gegenmaßregeln durch Schnelligkeit der Ausführung zu vereiteln.


Für den Rheinübergang hatte der Marschall, welcher seine Truppen im Elsaß schon Mitte Februar zusammen zu ziehen anfing, die Wahl zwischen Hünningen, Altbreisach und Kehl - drei Brückenköpfe, welche damals sämmtlich in französischer Gewalt waren. Um die Deutschen sowohl darüber - als auch über den Zweck einer so frühzeitigen Truppenversammlung zu täuschen, ließ er Gerüchte anssprengen bald als wolle er Philippsburg belagert, bald den Bühler Linien in den Rücken fallen, bald über die Waldstädte gegen die Stockacher Linien vorbrechen, Gerüchte, denen er durch entsprechende Scheinbewegungen und Uebergangsanstalten das gehörige Gewicht zu verleihen wußte.

Sicher seinen Gegner hiedurch über den beabsichtigten Uebergangspunkt völlig getäuscht zu haben, beschloß Tallard ihn bei Breisach zu bewerkstelligen und mit Vorbeigehung der Festung Freiburg den Marsch durch das Dreisamthal nach Villingen und die Quellen der Donau zu nehmen, wohin, der Verabredung gemäß, nach Vertreibung des Feldmarschalls v. Thüngen aus den Stockacher Linien, der Kurfürst von Baiern und Marcein mit 30.000 Mann über Ulm und Tuttlingen entgegenrücken sollten.

Marschall Tallard in Villingen



Das einzige beachtenswerte Hinderniß auf der gewählten Operationslinie war die Festung Freiburg, welche den Eingang des Dreisamthals sperrte. Indessen war der entblößte Zustand und die Schwäche der Besatzung dieses Kriegsplatzes ziemlich bekannt und in der That solche durch Vernachläßigung, schlechte Verpflegung und Krankheiten so herabgekommen, daß sie kaum noch 2300 Mann zählte, ohne Reiterei, ohne genügende Artilleriemannschaft zur Bedienung des theilweise auf morschen Laffeten liegenden Wallgeschützes, - auch fehlte es am guten Einvernehmen zwischen dem Befehlshaber der Schlösser, Obristen Scherzer und dem Festungs-Kommandanten Generalmajor v. Winkelhofen - einem kränklichen Podagristen. Auf die Kenntniß dieser armseligen Verfassung des Platzes gründete Tallard den Plan, dem Kurfürsten und Marcin 13.000 Mann Rekruten und einen Zug von 4000 Wagen mit Vorräthen aller Art dicht an den Kanonen von Freiburg durch das Dreisamthal über den unbewohntesten und unwegsamsten Theil des Schwarzwaldes zu zuführen. Der Stromübergang Tallards mit 24.000 Mann und 30 Geschützen erfolgte am 13. Mai bei Breisach, während Coigny bei Rheinau überging und sich zur Deckung Tallards bei LangendenzIingen aufstellte. Am 14. Mai Vormittags zwischen 11 und 12 Uhr entwickelte der Marschall seine Reiterei auf dem Jürgenfeld zwischen St. Georgen und Freiburg; die Hauptstellung nahm er bei Uffhausen und St. Georgen, den rechten Flügel, theilweise vom Lorettoberg verdeckt, an Märzhausen, den linken am Mooswald in der Richtung des Schlatthofs, - eine Feldwache an der Dreisamsbrücke bei Lehen. General v. Winkelhofen, mit aller Bestimmtheit einer Belagerung gewärtig, sah mit jedem Augenblick den feindlichen Anstalten zur Eröffnung der Laufgräben entgegen und traf die unter solchen Umständen üblichen Gegenanstalten. Statt dem aber boten die Franzosen eine Menge Landleute auf und ließen durch diese und französische Pioniere einen Weg herstellen, dessen Vorhandensein der Freiburger Besatzung höchstwahrscheinlich wenig oder gar nicht bekannt war, und auf dem den Franzosen zwei Bewohner des Stadtgebietes als Führer gedient haben sollen.

Dieser einsame steile Gebirgsweg hebt gleich hinter der vormaligen Abtei Güntersthal im Walde an, zieht sich St. Valentin links lassend wohl eine starke halbe Stunde aus der Krete der linken Bergwand des Sohlendobel mit äußerst beschwerlichen Steigungen fort bis hinan zur Wasserscheide des Günters- und Kapplerthals, zwischen dem Eichkopf und Wachthausbühl. Von da bis herunter ins Kapplerthal auf einer Strecke von einer Viertelstunde hört jedwede Wegverbindung auf und es steht zur Wahl des Wanderers zu versuchen, wie er über den jäh abstürzenden aber freien und bewaideten Schlußrücken des Kapplerthales bis zum Sohlbauernhof herabgelangen mag, wo er auf den durch das Kappler- in das breitere freundliche Dreisamthal führenden Fahrweg trifft.

Nach vieler Mühe und Arbeit war am 15. Morgens der vorbeschriebene Weg gangbar gemacht. Die 7000 Mann starke Kolonne der Vorhut unter General Zurlauben eröffnete alsbald den Marsch, indem sie von Merzhausen zwischen dem Güntersthaler Rebberg und dem Borlisau nach Güntersthal, von da auf dem bereits bemerkten Wege am Sohlendobel über das Gebirg in das Kapplerthal zog, und noch am nämlichen Tage nach Kirchzarten und bis Buchenbach am Eingang des Wagensteiger Thals vorrückte.

Am 16. folgte auf demselben Wege der rechte Flügel der Armee nebst einem Theil der Rekruten bis Kirchzarten der Vorhut, welche nun das Wagensteiger Thal rasch hinterlegte und Nachmittags 2 Uhr die Hochebene des Thurner erstieg. Dadurch waren die Franzosen sämmtlichen Verschanzungen des Schwarzwalds im Rücken und Herr aller Verbindungen nach Villingen und Donaueschingen. Dieser merkwürdige Marsch erregte großes Erstaunen und öffnete der Besatzung von Freiburg nun vollkommen die Augen darüber, daß die Absichten des Feindes keineswegs auf eine Belagerung, sondern um so gewisser auf eine Vereinigung mit der französisch-baierischen Armee abziele, als der Marsch der Franzosen den ganzen 16. ohne Unterbrechung fortdauerte und man vom Schloßberge aus das Lager Zurlaubens auf der Hochfläche des Thurner deutlich gewahrte.

Der schwierigste Theil der Aufgabe des« Marschalls kam nun an die Reihe, nämlich den unter den Befehl des Generallieutenants Grafen Courtebonne gestellten ungeheuern Wagenzug mit Munition Lebensmitteln, Monturen und Rüstsorten aller Art an Freiburg vorbeizuschaffen. Ein Versuch solchen auf dem nämlichen Wege folgen zu lassen, den die Vorhut und der rechte Flügel der Armee eingeschlagen hatten, erwieß sich, der Jähe der Steigungen wegen unausführbar; man sah sich also genöthigt, ein anderes Auskunftsmittel zu ergreifen, und beschloß denselben ohne weiteres im Dreisamthale dem Festungsglacis entlang zu bewegen. Die erste Abteilung trat demnach mit der nöthigen Bedeckung und begünstigt von einem dichten Nebel in der Nacht vom 16. auf den 17. den Marsch an, und setzte ihn über die oben erwähnte Einsattlung des Lorettoberges, das Güntersthal überschreitend, längs dem Waldsaume des Brombeer-Berges kaum tausend Schritte vom Glacis, durch die unvollendete Thalsperre beim Raspelhaus - jetzt Wirthshaus zum Schiff – (Die beiden Flügel dieser Thalsperre auf den Anhängen des Roßkopfs und Brendenbergs sind zum Theil noch erhalten u. auf d. Sekt. Freiburg d. top. Atl. von Baden ganz getreu angedeutet: der im Dreisamthale selbst angelegt gewesene Theil der Linien zog sich vom Rand des Mösle am Schiff vorbei an die Dreisam und läßt sich bei einiger Aufmerksamkeit ebenfalls noch erkennen.) hindurch über Littenweiler bis in’s Wagensteiger Thal fort, ohne irgend einen Verlust oder Unfall zu erleiden. Den Zug schloß Generallieutenant Clerembault mit dem linken Armeeflügel, der die Wagen in die Mitte zu bekommen, auf der Bergstraße gehalten hatte, und dann über den Lorettoberg und Güntersthal nachkam; wogegen Coigny von Langendenzlingen ab- und in das Lager bei St. Georgen rückte, von wo er die Festung und den Eingang in das Dreisamthal beobachtete.

In der Nacht vom 17. auf den 18. folgte der Ueberrest des Gepäckzugs, so daß am 18. Abends Courtebonne mit dem Ganzen dicht hinter der Hauptarmee aufgeschlossen stand, welche die Hochfläche des Thurner am nämlichen Tage durch das Wagensteiger - Iben- und Espachthal (Eschbach-Tal) vollständig erreicht hatte.

Die kühne Bewegung der Spitze des Gepäcks in der Nacht vom 17. scheint dem Befehlshaber von Freiburg völlig entgangen zu sein, und erst in der vom 18. suchte er durch ein fast ununterbrochenes Feuer von den Wällen der Schlösser Verwirrungen in die nachfolgenden Abtheilungen zu bringen, was jedoch nicht gelang, da die zu hoch liegenden Butterien nur Bohrschüsse und damit zwar einigen Schaden thun, keineswegs aber deren Marsch aufhalten konnten.

Die von General v. Winkelhofen am 19. ausgesendeten Parteien brachten mehrere Gefangene ein, meist Piemonteser, die in Italien entwaffnet und wider Willen dem französischen Heere einverleibt worden waren. Das Ausreißen dieser Leute nahm die folgenden Paar Tage. dergestalt zu, daß sie haufenweise zu den Kaiserlichen in die Festung uebergingen.

Schon seit dem 15. Mai harrte Marcin in der Stellung zwischen Donaueschingen und Bräunlingen, der Kurfürst bei Villingen der Ankunft Tallards. Von beiden Theilen wurden zahlreiche Parteien ausgeschickt, um die ersehnte Verbindung aufzufinden.

Am 17. gelang dem Hauptmann Valerneau des Regiments Navarra mit 20 Grenadiren Marcins Vorposten zu entdecken. Am folgenden Tag begegneten und umarmten sich der Kurfürst und Tallard in Villingen. Am 19. fand die Uebergabe der mitgebrachten Ersatzmannschaften und Vorräthe statt.

Die drei Feldherren fanden jedoch ein längeres Beisammenbleiben nicht rathsam, da es dem Markgrafen Ludwig von Baden nach vielfältigen Berichten, Mahnen und Antreiben gelungen war, 30.000 Mann Kaiserliche, Holländer und Reichstruppen, worunter jedoch nur 22.000 Mann Dienstfähige - am 19. in einer Seitenstellung bei Niedereschbach zusammen zu bringen - zu spät zur Verhinderung der bereits bewirkten Vereinigung Tallards mit der französisch-baierischen Armee - jedoch in Verfassung, den Rückzug des Kurfürsten nach Ulm zu gefährden.

Während der Markgraf diesem dicht an der Seite dahin folgte, kehrte Tallard den 20. auf dem frühern Weg in das Dreisamthal und von da über Altbreisach und Grafenhausen nach Kehl, wo er sich am 2. Juni über den Rhein nach Niederelsaß zurückzog.

Tallards meisterhaft eingeleiteter Zug von Altbreisach auf die Hochebene des Schwarzwaldes und dahin zurück, hatte nur neun Tage erfordert - und glich mehr einer Erscheinung, als der Wirklichkeit. Die Unthätigkeit auf deutscher Seite bildet hiezu den betrübendsten Gegensatz. Doch hat man den Glanz der unblutigen Waffenthat Tallards, die Umgehung von Freiburg und Uebersteigung der von Landvolk schlecht vertheidigten Verschanzungen des Schwarzwaldes auf Kosten des deutschen Ruhmes übertrieben. Festungen und Schanzen ohne tüchtige Vertheidiger sind wirkungslose todte Massen, Volksaufgebote und Landausschüsse, selbst vom besten Geiste beseelt, Spreuen, die jeder Wind verweht, wo ihnen nicht ein Kern disziplinirter gut geübter stehender Truppen zum festen und sichern Rückhalt dient. („Die seit 1693 auf Befehl des Markgrafen Ludwig von Baden verschanzten Schwarzwald-Pässe boten übrigens auch nach ihrer Wiederherstellung in den Jahren 1702 und 1703 durchaus keine Garantie, daß der Feind nicht auf dem einen oder andern Punkte durchbrechen werde. Es stand dies um so mehr zu besorgen, da man die Bewachung dieser Punkte fast ausschließend dem breisgauischen und schwäbischen Landsturm vertrauen mußte, lauter gute und rechfschaffene Leute, die aber doch lieben daheim waren, als auf Wache und Posten, und den Augenblick nicht erwarten konnten, wo sie mit einigen Ehren - unter dem Vorwande der Uebermacht gewichen zu sein, - die Musketen wieder mit ihren gewohnten Beschäftigungen vertauschen durften“ Feldz. v. 1704 a. Rhein u. a. d. Donau i. d. östr.m. Ztschrft. Jahrg. 1841. II. S. 277.)

Unser Urkundsmann beklagt freilich selbst im Berichte, dem wir hier größtentheils folgten, daß die zeitige Herstellung des zerfallenen Forts vom hohlen Graben verabsäumt wurde, wodurch man die Franzosen genöthigt hätte, diesen Punkt entweder zu nehmen, oder mit bedeutendem Zeitaufwand zu umgehen und daß er vergeblich vorgeschlagen, da wo die Franzosen außerhalb des Gesichtskreises der Festung über den Lorettoberg gezogen waren, eine geschlossene Redoute anzulegen. ()
Mit einigem Recht läßt sich wohl aber einwenden, daß weitere Befestigungsanlagen im strategischen Gebiete von Freiburg, ohne vorhandene lebendige Kräfte zu deren Bethätigung, nichts Erhebliches in der damaligen Lage der Dinge geändert hätten, dagegen Ausfälie einer vollzähligen Besatzung in Freiburg, unter einem energischen und wachsamen Befehlshaber, die abversäumte Armirung der das Dreisamthal flach bestreichenden kleinen und Lochredoute auf dem südlichen Abhange des Schloßbergs (S. Taf. I. z.  Schreiber´s Beschreibung des Schloßbergs bei Freiburg. Freiburg 1844) verbunden mit den einfachsten Vorkehrungen zur Sperrung der Annäherungswege, die zunächst liegenden wirksamen Mittel gewesen wären, wo nicht die ganze französische Armee, doch wenigstens das Durchkommen des eine Länge von mehrern Stunden einnehmenden Gepäcks abzuhalten.

Daß Tallards Zug dem Wohlstande des Gesegneten Breisgaus tiefe Wunden geschlagen und das Land gleich einem zermalmenden Gewitterstrich berührt hat, ist ebenso geschichtlich beglaubigt, als die erzählten militärischen Thatsachen. Die Landleute mußten Haus und Hof verlassen und in´s Gebirg fliehen. Die Franzosen schonten weder Alter noch Geschlecht; Alles um Freiburg herum wurde auf das Grausamste verheert, die Feldfrüchte niedergetreten, die schöne Karthause auf dem Johannisberg geplündert und Littenweiler in einen Aschehaufen verwandelt.

v. Rösch

Quellen und Hilfsmittel:
Rélation du Passage de l´armée de France dans la forest noire prè de Fribourg et de la route que les ennemis ont tenu depuis Fribourg jusques à Turner le 16. May 1704 servant d´explication à la carte cy-jointe.  Manuscript im G. Hausarchiv zu Karlsruhe.
Diese wohl nie benützte Beschreibung und zugehörige erklärende Karte vom Grafen de Venerie, damaligen kaiserlichen Ingenieur von Freiburg bildet die Grundlage nachstehenden Geschichtsbeitrags und gewährte allein die Möglichkeit, den unseres Wissens in seinen Einzelheiten noch nirgends bestimmt nachgewiesenen Zug Tallards in örtlicher Beziehung mit voller historischer Gewißheit festzustellen.

Feldzug 1704 am Rhein, an der Donau ec. vom k.k. Major Heller. Oestr. m. Ztschrft. Jahrg. 1841-1842.

Topogr. Atl. über das G. Baden. 56 BI. Skt. Freiburg.

Plan der Stadt und Schlösser von Freiburg vor der letzten Belagerung im Jahr 1744. von K. Rösch 1844.

Geometrischer Abriß der Wiehre, Alt-Adelhausen- und Adelhauser Bannes, aufgenommen 1769 von F. X. Gaes