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Tarodunum - Urgeschichtliches aus dem Breisgau.

Von H. M


aus: Breisgaues Chronik - Beilage zum Freiburger Bote

(Freiburger Volksblatt). V. Jahrgang.

Nr. 7. Donnerstag, den 10. April 1913.



Auf diese Hallstatt-Periode, die wir in Nr. 5 der„Breisgauer Chronik“ besprochen haben, folgte in Mitteleuropa die Kulturepoche, welche von den Historikern als die La Tene- Zeit bezeichnet wird. La Tene - sprich: La tähn — wird diese Periode genannt nach der Pfahlbaustation bei dem Dörfchen Marin am Nordende des Neuchateler oder Neuenburger Sees in der Schweiz, in welcher, ähnlich wie in Hallstatt, die wichtigsten und zahlreichsten Funde dieser Periode gemacht wurden. Die La Tenezeit ist die zweite vorgeschichtliche Eisenzeit zwischen der Hallstattperiode und der Römerzeit und umfaßt die Zeit von etwa 400 vor Christi Geburt bis zur Zeit des Kaisers Augustus. Man kann diese Periode auch als die spezifisch, gallische oder keltische bezeichnen; sie charakterisiert sich durch den geringen Prunk der Waffen, massive praktische Werkzeuge, auf der Drehscheibe geformte und in Brennöfen gebrannte Tongefäße, granitne Handmühlen, gemünztes Geld und Spielwürfel. Man betrachtet die Kultur dieser Zeitperiode als Abkömmling oder Ausläufer der phönikisch-griechischen Kultur der Mittelmeerländer.


Das Gebiet der Funde der La Tenezeit entspricht dem der Verbreitung der keltischen Stämme (Ungarn, Süddeutschland, Mittelrheingegend, Schweiz, Cote d'or, Champagne usw.) und weist zahlreiche vorgeschichtliche Eisenschmelzen auf; allein im Berner Jura sind circa 400 Fundstellen von solchen. Die Schwerter der La Tenezeit haben dünne, gerade, zweischneidige Klingen von Eisen (Länge etwa anderthalb Meter) ; ein glockenförmig geschwungener Bügel vertritt die Parierstange, der Griff war meist aus Holz oder Horn, die Scheiden durchgehend aus Eisenblech. Bekannt sind diese langen Schwerter aus den verlustreichen Schlachten der Römer; nicht minder auch die krummen Haumesser, die im oberen Teile sensenförmig eingebogen waren. Die Lanzenspitzen haben Lanzettform, die, meist hölzernen, Schilde tragen Schildbuckel aus eingebogenen Eisenplatten, die vielfach mit Nägeln in der Mitte des Schildes befestigt waren. Ferner fanden sich aus jener Zeit, Beile, Wagen- und Pferdegeschirr, Trensen, Kesselwagen, aus Bronzeplatten gehämmerte Kessel, bronzene Schnabelkannen mit hochragenden Ausgüssen, kunstvolle Fibeln (Vorsichtsnadeln), Gürtelhaken mit Tierköpfen u. dergl. Als Neuerscheinung zeigt diese Periode keltische Münzen in Form nationaler Typen oder solche nach makedonischen und römischen Vorbildern, geprägt in Gold, Silber und Bronze. Ueberall findet das Eisen Anwendung und hat die Bronze fast ganz verdrängt. Mit der Eroberung Galliens durch Cäsar musste die keltische Kultur vor der römischen zurückweichen und so leitet dir La Tenezeit in die Römerzeit hinüber; sie bildet den Uebergang von der Urgeschichte zur geschichtlichen Zeit Europas diesseits der Alpen. Damit war die Latenezeit zu Ende und römisches bezw. geschichtliches Leben blühte für ein halbes Jahrtausend an den Ufern des Rheins und der Donau, bis auch dieses durch die Völkerwanderung wie mit einem Schwamme weggelöscht wurde.


Für Südbaden und den Breisgau sind auch für die vier Jahrhunderte der Latene-Periode nur die Funde und Fundstellen die einzige Geschichtsquelle. Es ist zu verwundern, daß zu der Zeit, wo das römische Reich bereits auf der Höhe der Macht und Kultur angelangt war, wo seine „Soldaten“ und Beamten halb Afrika und Asien kannten und beherrschten, über das Land jenseits der Alpenkette keine Kunde nach Rom drang; wenigstens weiß keiner der zahlreichen römischen Schriftsteller, deren Werke uns überliefert worden sind, etwas von den Ländern am Rhein, am Main, am Neckar und an der Donau, von den Volksstämmen, die dort wohnten, von ihren Sitten und Gebräuchen zu berichten. Was Diodorus Siculus, der um das Jahr 30 vor Christus lebte, über das Land jenseits der Alpen zu sagen weiß, bestätigt nur, daß ihm das Land nicht viel bekannter war, als uns das Gelände um der Nord- und Südpol. Die literarischen Dokumente der damaligen Zeit lassen uns im Stich; sie bestätigen und widerlegen die Vermutungen nicht, daß in Südbaden, Württemberg, Bayern und Nordschweiz die nördlichsten Teile der Rätier, Ligurer und: Etrusken saßen und daß diese Stämme um das Jahr 400 vor Christus von den Kelten besiegt und verdrängt worden sind.


Auch für die Latene-Periode kommen in unserem Heimatland hauptsächlich wieder Fundstätten und Funde in der Oberrrhein-Ebene in Betracht und das häufige Vorkommen von altrömischen Münzen in den Fundstellen beweist, daß unsere Vorfahren mehr von den Römern hatten und wußten, als die römischen Geschichtsschreiber von ihnen. Jedenfalls waren also schon Händler vorhanden, wie der Verkehr mit Italien vermittelten. Auch bekunden uns die Funde, daß; am Oberrhein eine fleißige und gewerbetreibende Bevölkerung ansässig war; zahlreiche Ortschaften,

durch Straßen mit einander verbunden, erhoben sich aus der Ebene und am Gebirgsrand, ja die Ueberreste von Tarodunum, Zarten im Dreisamtal, bekunden, daß auch bereits wohlbefestigte Städte bestanden.


Funde aus der Le Tenezeit wurden im Breisgau gemacht (s. Wagner „Fundstätten und Funde“)

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Spuren keltischer Kultur sind in Freiburg zurückgeblieben in einigen keltischen Münzen, sog. Regenbogenſschüsselchen, die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aufgefunden wurden.


Zarten. Die größte Fundstätte des Breisgaus aus keltischer Zeit ist der Ringwall von Tarodunum im vorderen Höllental. Zwischen Zarten und Wiesneck sind längst die Reste einer alten Befestigung bekannt gewesen, Der Rotbach und der Wagensteigbach umschließen vor ihrer Vereinigung bei Zarten eine dreieckige, gegen Zarten spitz zulaufende völlig ſlache, nach Westen mäßig geneigte Hochfläche, auf der Nord-, West- und Südseite durch Steilabhänge von etwa 15 Meter Höhe umsäumt, gegen Osten durch einen verhältnismäßig schmalen Rücken mit dem das Tal überragenden Gebirge zusammenhängend. Ihre Länge von Osten nach Westen beträgt etwa 1400 Meter, die der östlichen Umgrenzung 670 Meter; der südliche Teil der letzteren wird durch den „Heidengraben“ eingenommen, der sich teilweise noch als Erdwall von 2 bis 4 Meter Breite bei ungefähr 1 Meter Höhe kenntlich macht.


Die Historiker erkannten hier die Stätte des von Ptolemäus unter den Städten zunächst der Donau aufgeführten Tarodunum. Dr. H. Schreiber bemerkt: „man stoße im Inneren öfter bei tieferem Pflügen auf Fundamente von Gebäuden und auf antike Leistenziegel.“


1901 wurden unter Leitung von Prof. Fabricius in Freiburg und Prof. Leonhard Ausgrabungen vorgenommen, deren nächster Zweck zunächst nur die Einleitung einer Untersuchung der Oertlichkeit sein sollte, die aber doch schon einige wichtige Anhaltspunkte ergaben. „An den Rändern der Hochfläche haben ſich überall Reste einer zusammenhängenden Befestigung erhalten, die in ihrem äußeren, dem Abhange zugewandten Teil aus einer mächtigen Mauer, innen aus einer wallartigen Erdanschüttung bestand. Zur Rechten der modernen Landstraße, die wie die Höllentalbahn östlich von Kirchzarten das Plateau ersteigt und die Hochfläche ihrer Länge nach auf der Südseite durchzieht, sind noch jetzt beträchtliche Stücke der alten Befestigung am Rande der Aecker und Wiesen zu erkennen.“ An der Ostseite schützt von Abhang zu Abhang der gewaltige Heidengraben. „Durch einen breiten Querschnitt wurde das Profil der Befestigung festgestellt. Es zeigte außen einen Spitzgraben von 12 Meter Breite, und 4 Meter Tiefe, dahinter eine aus mächtigen rohen Steinblöcken primitiv erbaute Mauer, an die auf der Innenseite ein Wall aus lehmhaltigem Kies und aus dem dem Graben entnommene Geröll angeschüttet war. In der Kieshinterschüttung der Mauer wurden nicht allein große Mengen von Holzkohlen gefunden, sondern auch an verschiedenen Stellen in beträchtliger Anzahl etwa 20 Zentimeter lange schwere eiserne Nägel und Klammern (dieselben sind in der Freiburger Sammlung) wie in den gallischen Festungsmauern Frankreichs z. B. von Bibracte. In der Mitte der Ostseite, wo die Spuren des Heidengrabens eine Unterbrechung vermuten ließen, wurde ein Haupttor nachgewiesen. Der Graben setzt hier mindestens 30 Meter weit aus. Die Unterbrechung der Mauer und des Walls war dagegen nicht größer, als zum Durchlaß der noch wohl erhaltenen, mit Stückung und Steinschlag bedeckten Straße erforderlich war. Das eigentliche Tor scheint von ausspringenden Türmen eingefaßt gewesen zu sein, die zugleich den Graben flankierten.“


Baureste im Innern der Hochfläche und römische Fundstücke, von denen Schreiber berichtet, sind hier bis jetzt nicht wieder gefunden worden. Dagegen wurden zwischen Brandschutt in der Sohle des Grabens wenige, aber charakteristische Tongefäßscherben angetroffen, die der jüngsten La Tenezeit angehören. Diese, wie die Verwendung der großen eisernen Nägel zur Verbindung des Holzbalkengefüges der Mauern sprechen für den keltischen Charakter der Anlage. Man darf ihr also den Charakter einer befestigten keltischen Stadt zusprechen, deren Bewohner nicht allzulange vor dem Erscheinen Caesars in Gallien durch die Germanen gewaltsam vertrieben worden sein mögen. Dafür, daß hier wirklich das alte Tarodunum aufgefunden worden ist, spricht auch entschieden die ganz gesetzmäßige Umbildung des Namens in „Zarten“.