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Rolf Dehn 
Tarodunum (und Kegelriß)
Neues zur Spätlatenezeit im Breisgau
Ein altes archäologischer Problem


Schon seit über 150 Jahren wird eine Befestigungsanlage im Dreisamtal östlich von Freiburg mit dem bei Ptolemaios (2. Jh. n. Chr.) überlieferten Namen Tarodunum verbunden, der sich in dem Ortsnamen Zarten (erstmals 765 n. Chr. als Zarduna erwähnt) in der Gemeinde Kirchzarten erhalten hat. Die Anlage nimmt ein langgezogenes Dreieck im Ostteil des Zartener Beckens ein, das von den Quellbächen der Dreisam‚ Wagensteigbach und Rotbach, aus der diluvialen Niederterrasse mit bis zu 15 m hohen Böschungen herausmodelliert worden ist. Mit knapp 200 Hektar Flächeninhalt und einer Wallänge von fast 6 km gehört sie zu den eindrucksvollsten Kulturdenkmälern in unserem Lande


LUFTAUFNAHME der keltischen Siedlung Tarodunum bei Kirchzarten. Sichtbar wird ihre günstige Lage im Mündungsdreieck der Quellflüsse der Dreisam. Luftbildfreig. Reg.-Präs. Freiburg Nr. P-2360 vom 8. II. 1971.
TOPOGRAPHISCHE SITUATION der spälkeltischen Siedlungen im Dreisamtal in offener Lage oder mit Befestigungm.

SIEDLUNGEN aus spätkeltischer Zeit im Breisgau: 1 Limburg bei Sasbach, 2 Breisach-Münsterberg, 3 Breisach-Hochsteiten, 4 Kegelriß bei Ehrenkirchen, 5 Kirchzarten-„Rotacker“, 6 Kirchzarteng,Tarodunum". Punkt: offene Anlage; Quadrat: befestigte Anlage.

Die Lage der Befestigung und Ergebnisse einer 1901 von E. Fabricius vorgenommenen Ausgrabung in der Mitte des nach Osten die Befestigung abschließenden „Heidengrabens“ bestätigten diese Annahme. Denn neben wenigen in die Spätlatenezeit zu datierenden Keramikresten fanden sich mehrere lange vierkantige Baunägel aus Eisen, die in dieser Art nur von spätkeltischen Befestigungsanlagen des bei Caesar beschriebenen „murus gaIIicus“ bekannt sind. Es verwunderte nur, daß trotz intensiver Suche auch mittels der Luftbildarchäologie bisher innerhalb der Befestigung die Reste der anzunehmenden Großsiedlung sich nicht finden lassen wollten.
Massive Eingriffe in die Substanz dieser eindrucksvollen Anlage, die auch trotz Eintragung in das Denkmalbuch durch die amtliche Denkmalpflege nicht verhindert werden konnten, haben dieses Bild nicht ändern können. Als letzte Maßnahme ist hier die Führung der neuen B 31 Ost im Dreisamtal zu nennen, die in voller Länge die Befestigungsanlage schneidet. Da die Trassenführung auch das Südende des „Heidengrabens“ berührte, wurde eine Grabung notwendig, die 1987 auf Kosten des Bauträgers durchgeführt wurde. Der durch die Grabung nachgewiesene Konstruktionsbefund der Befestigungsanlage läßt sich als eine Variante des Murus gallicus ansprechen, bei der ein schmales Holzrahmenwerk, dessen Eckpunkte genagelt waren, die Mauerfront stützte. Auffallend ist, daß dieses Rahmenwerk erst in einer bestimmten Höhe beginnt. Unklar bleibt auch, ob — wie beim „klassischen“ Murus gallicus üblich — die Balkenköpfe in der Mauerfront sichtbar waren. Es hat vom Befund her eher den Anschein, als ob die Balken an oder in der Mauerrückseite endeten. Ein Graben ließ sich vor der Mauerkonstruktion bei der Grabung nicht sicher nachweisen. Dies und andere Besonderheiten deuten darauf hin, daß die Befestigung „Heidengraben“ hier nicht fertiggestellt worden war.
Da auch diese umfangreichen Baumaßnahmen keine Siedlungsreste in der Anlage ergaben, war es naheliegend‚ siedlungsgünstige Flächen außerhalb der Anlage im Dreisamtal zu begehen, in der Hoffnung, so zugehörige Siedlungsspuren zu finden. Dank des unermüdlichen Einsatzes eines ehrenamtlichen Mitarbeiters kann hier ein erstes Begehungsergebnis vorgelegt werden, das die Befestigungsanlage Tarodunum in einem neuen Licht sehen läßt: Knapp 1 km westlich der Befestigung fand sich ein spätlatenezeitliches Siedlungsareal, das mit seiner sich aufgrund von Oberflächenfunden abzeichnenden Ausdehnung von mindestens 6, möglicherweise auch 10 Hektar mit den spätlatenezeitlichen Großsiedlungen von Breisach-Hochstetten und Basel-Gasfabrik verglichen werden kann. Wenn auch die Erhaltungsbedingungen für die Oberflächenfunde bei den aggressiven Bodenverhältnissen sehr schlecht sind, so liegt bis heute doch schon ein Fundmaterial vor, das eine Datierung innerhalb der Spätlatenezeit möglich zu machen scheint: von neun Münzen sind sieben Potinmünzen vom Sequaner-A-Typus, zwei kleine Silbermünzen sind dem Typus der Kreuzmünzen zuzuordnen. Fast 50 Glasarmringfragmente stellen eine zweite Fundgattung dar, die sich bei den Bodenverhältnissen gut erhalten hat. Die Ringfragmente gehören in der Mehrzahl den Typen Haevemick 2 und 3 an. Ausgesprochen schlecht sind die Erhaltungsbedingungen für Keramik: Außer mehreren Graphittonfragmenten lassen sich hier noch am ehesten kleinteilig zerscherbte Fragmente zahlreicher Amphoren gut bestimmen. Soweit die Rand- und Fußbruchstücke eine Zuweisung erlauben, gehören sie dem Amphoren-Typus Dressel l A an. Schon diese kurze Aufzählung läßt deutlich werden, daß die neuentdeckte Großsiedlung im wesentlichen dem älteren Abschnitt der Spätlatenezeit zuzuweisen ist und gleichzeitig mit den Siedlungen von Breisach-Hochstetten und Basel-Gasfabrik bestanden hat.
Diese neue Siedlung wirft die Frage ihres Verhältnisses zur Befestigungsanlage an der Dreisam auf. Die unmittelbare Nachbarschaft von offener Siedlung und Befestigungsanlage (Abb. 2) läßt die Vorstellung eines Refugiums für letztere nicht wahrscheinlich erscheinen. Bei ihrer geringen Entfernung (knapp 1 km) hätte es sich doch eher angeboten, die Siedlung gleich in der Befestigung anzulegen. Man wird wohl eher daran zu denken haben, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt während des Bestehens der offenen Siedlung ein erhöhtes Schutzbedürfnis entstand und daher von dieser Siedlung aus in unmittelbarer Nachbarschaft an einer von Natur aus besser geschützten Stelle eine Befestigungsanlage erbaut worden ist. Der oben angeführte Grabungsbefund legt sogar nahe, daß die Anlage nicht fertiggestellt worden ist und daher eine Verlegung der Siedlung nicht mehr erfolgen konnte. Man mag für die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. literarisch überlieferte Ereignisse (Germaneneinfälle und Helvetierauszug) als Erklärung in Anspruch nehmen, jedoch werden Überlegungen in dieser Richtung immer hypothetisch bleiben müssen.

.....Kegelriß Ehrenkirchen.....

Diese beiden, durchaus als wichtige landesgeschichtliche Erkenntnisse zu wertenden Beispiele sind wieder ein Beleg, wie wichtig einerseits für die archäologische Denkmalpflege die Tätigkeit ihrer ehrenamtlichen Mitarbeiter ist. Systematische Begehungen einzelner Objekte über Jahre hinweg und Begehungen topographischer Kleinräume im Stile der klassischen archäologischen Landesaufnahme sind längst in der Denkmalpflege nicht mehr möglich. Daß auf diesem Feld wichtige und ohne Substanzzerstörung durch Grabungen erzielte Ergebnisse gewonnen werden können, zeigen beide Beispiele deutlich. Neben der Luftbildarchäologie, deren Ergebnisse in den wenigen Jahren ihres Bestehens schon für sich sprechen, wird es aber andererseits für die archäologische Denkmalpflege sicher eine künftige Aufgabe sein, zusätzlich Möglichkeiten und Methoden einer systematischen Landesaufnahme zu entwickeln. Denn so verdienstvoll der persönliche Einsatz einzelner als ehrenamtliche Mitarbeiter der Denkmalpflege auch ist, so werden ihre Ergebnisse doch immer räumlich begrenzt bleiben. Aufgabe einer öffentlichen Denkmalpflege ist jedoch der Schutz aller Kulturdenkmäler im Lande, auch derjenigen, die heute noch verborgen im Boden ruhen. Wirksamer Schutz ist jedoch nur bei der Kenntnis der genauen Lage und der Bedeutung eines Denkmales möglich. Eine gezielte Landesaufnahme unter Nutzung auch der Möglichkeiten, die die Naturwissenschaften heute entwickelt haben, ist daher dringend geboten.

Dr. Rolf Dehn
LDA Archäologische Denkmalpflege Marienstraße 10a, 7800 Freiburg i. Breisgau