zum Inhaltsverzeichnis

Tarodunum

Aus: Die Besitznahme Badens durch die Römer
von Ernst Fabricius
Winter, Heidelberg 1905


.....Wenn man von Freiburg aus auf der Höllentalbahn in den Schwarzwald fährt, so kommt man mitten durch das Gebiet einer sehr alten Stadt hindurch. Bevor die Bahn bei der Station Himmelreich in die berühmte Talenge eintritt, überschneidet sie ein 2 1/2 km langes Plateau, das von vereinzelten Höfen und von Ackerland oder Wiesen bedeckt ist. Die beiden Quellbäche der Dreisam, der von St.Märgen herabkommende Wagensteigbach und der Rothbach, der das Höllental durchfließt, umschließen vor ihrer Vereinigung vor Zarten die nach Westen mäßig geneigte Fläche. Auf der Nord- und Südseite, sowie im Westen, wo das Plateau in eine Spitze ausläuft, durch Steilabhänge von durchschnittlich 15 m Höhe umsäumt, hängt es auf der Ostseite durch einen 670 m breiten Rücken mit dem das Tal überragenden Gebirge zusammen. An den Rändern dieses Plateaus haben sich an vielen Stellen Reste einer zusammenhängenden Befestigung erhalten, die sich als wallartige Erhöhung darstellt. Auf der Ostseite war das Stadtgebiet außerdem durch einen Graben geschützt, der von Abhang zu Abhang quer über den Rücken hinweg zieht. Er führt den Namen Heidengraben und ist noch jetzt als flache Einsenkung im Ackerlande erkennbar. Die ganze Anlage hat einen Umfang von 6 km, und die umwallte Fläche bildet ein Areal von 190 ha.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß dies die Überreste des von Ptolemäus unter den Städten im südlichen Germanien genannten Tarodunum sind. Denn der Name hat sich bis heute als Zarten, Kirchzarten und Hinterzarten in den Namen benachbarter Dörfer erhalten. Wie durch die Lautverschiebung aus Tabernac Zabern oder aus Turicum Zürich geworden ist, und wie durch die Zurückziehung des Tones aus Campodunum Kempten oder aus Lugdunum Leyden wurde, so mußte nach den Gesetzen des Lautwandels Tarodunum sich zu Zarten umbilden. Die Zwischenstufen dieser Umbildung sind zudem in mittelalterlichen Urkunden erhalten.

Das Wort Tarodunum ist aber keltischen, nicht germanischen Ursprungs, keltisches dunon entspricht altdeutschem zun, neuhochdeutschem Zaun und englischem town. Es bedeutet die feste Stadt. Keltisch ist aber auch die Bauart der erwähnten Ringmauer.

Bei einer Ausgrabung die mit Mitteln der Stadt Freiburg im Herbst 1901 aus der Ostseite des Plateaus am Heidengraben vorgenommen wurde, stellte sich heraus, daß dieser ursprünglich ein Spitzgraben von 12 Meter Breite und 4 Meter Tiefe war. Auf seiner Innenseite lag eine gewaltige, ehemals aus großen Steinen errichtete Mauer, und in der Kieshinterschüttung dieser Mauer wurden nicht allein große Mengen von Holzkohlen gefunden, sondern auch in beträchtlicher Anzahl etwa 20 cm lange, schwere, eiserne Nägel. Die Befestigung von Tarodunum war also kunstvoll genug aus abwechselnden Balken und Steinen, alternis trabibus ac saxis,
SEITE 4
hergestellt, wie es Cäsar in der Geschichte der Belagerung von Avaricuni (Bourges) im Lande der Biturigen als die zu seiner Zeit übliche Bauart fast aller Festungsmauern der Gallier ausführlich beschreibt und wie es die Funde in Frankreich bestätigen. Die wenigen, aber charakteristischen Gefäßscherben endlich, die in der Sohle des Grabens zwischen Brandschutt angetroffen wurden, gehören der jüngeren La=Tène-Zeit an. Sie können nicht erheblich älter als aus dem Ende des zweiten Jahrhunderts v. Chr. Geb. sein.

Die Altertumssammlung in Freiburg besitzt allerdings einen Bronzekelt von vorzüglicher Arbeit, als dessen Fundort Burg Wiesneck angegeben wird. Aus der mittelalterlichen Burg, deren Trümmer unmittelbar über Tarodunum am andern Ufer des Wagensteigbaches liegen, kann der Fund nicht stammen. Wiesneck ist auch der Name eines Hofes dicht am Heidengraben. Schon in der Bronzezeit war also die Stätte besiedelt. Fragen wir aber nach den Erbauern der gewaltigen, kunstvollen Mauern der Stadt Tarodunum und nach ihren Bewohnern im 2. Jahrhundert v. Chr. Geb., so lautet die Antwort: es können nur Ketten, also einzig jene Helvetier gewesen ein, die als die als frühe Bewohner unseres Landes durch Tacitus und Ptolemäus bezeugt sind.

Es steht fest, daß die La-Tène-Kultur, die ihren Namen von einer Fundstelle am Neuenburger See in der Schweiz trägt, die Kultur des weitverzweigten Volkes der Kelten oder Gallier ist. Selbst die Galater Kleinasiens hatten die gleichen eigentümlichen Waffen, wie ihre Stammverwandten in den Donauländern am Rhein und in Frankreich. Da die Kelten ausgedehnten Handel getrieben und auch stammfremde Nachbarn beeinflusst haben, braucht nicht jede LaTène-Fibel, die irgendwo gefunden wird, und nicht jede La-Tène-Vase einem Gallier gehört zu haben. Anders ist es in unserem Falle, wo es sich um eine große Ansiedlung und um Festungsbauten der Las-Tène-Zeit von so gewaltiger Ausdehnung handelt. Noch im 2. Jahrhundert v. Chr. Geb. also war das Dreisamtal Sitz einer reichen und blühenden gallischen Kultur. Wenn auch die ganze Fläche von Tarodunum nicht von Wohnstätten bedeckt war, so lässt doch die Größe der Stadt auf zahlreiche, seßhafte Bewohner, und ihre Lage im offenen Tal an leicht zugänglicher Stelle auf friedliche, geordnete Verhältnisse und ausgedehnten Ackerbau schließen

Diesem Bild einer großen keltischen Niederlassung im Breisgau läßt sich vielleicht ein gleichartiges im Neckarland an die Seite stellen. In der Liste der Städte in Süddeutschland bei Ptolemäus steht an zweiter Stelle gleich nach Tarodunum Arae Flaviae. Der Name des Ortes, der bei Rottweil gelegen war, ist in der römischen Kaiserzeit wahrscheinlich durch Umnennung des vorrömischen Namens entstanden, aber die Zusammenstellung mit der alten Keltenstadt läßt als möglich erscheinen, daß in den Quellen das Geographen auch hier eine vorrömische Stadt genannt war. Wie dem auch sei, die Lage einer großen Festung zwischen Rottweil und dem benachbarten Altstadt gleicht in auffallender Weise derjenigen von wieder ein flaches Plateau, hier von 35,3 ha Größe, mit denselben nicht sehr hohen, aber steilen Abhängen auf drei Seiten, im Norden und Osten vom Neckar, auf der Süd- und auf der Nordwestseite von zwei kleinen, tief eingeschnittenen Tälchen umgeben. Hie und da am Rande des Plateaus sind noch die Reste eines Walles erhalten, und im Südwesten wo der natürliche Schutz durch den Abhang fehlt, bemerkt man auch die Spuren des breiten Grabens. Die Reste gelten freilich für römisch, wie denn in der Tat auch römische Gebäude auf dem Plateau lagen. Ringwall und Graben gleichen indes in keiner Weise römischen Befestigungsbauten, sondern erinnern in ihrer Tracierung und in ihrem Profit an die Reste der Ringmauer und des Walles und an den Heidengraben von Zarten. Dazu kommt, daß bei Rottweil zahlreiche keltische Münzen gefunden worden sind. Zur Beurteilung der Größenverhältnisse sei erwähnt, daß die Standlager der Rheinlegionen in Bonn und Neuß 25 ha, das Legionslager in Carnuntum an der Donau nur 19 ha groß sind. Es müßte also schon ein sehr großes, aus mehreren Legionen bestehendes, römisches Heer gewesen sein, das ganz gegen römische Gewohnheit den Ringwall bei Rottweil erbaut hätte. Er stammt gewiß, wie Tarodunum von einem keltischen Oppidum.

Fehlt uns hier der ursprüngliche Name, so beweisen die keltischen Ortsnamen Brigobanne, das in der Nähe der Donauquelle lag, und Sumelocenna, das heutige Rottenburg, wie auch der unrömische Name Grinario, heute Köngen am Neckar, daß noch andere keltische Niederlassungen nördlich und südlich von Rottweil bestanden haben. Am Unterlaus des Neckars aber, schon in der Rheinebene ist Lopodunum, im Mittelalter Lobdemburc (Ladenburg) schon durch seinen Namen als feste gallische Stadt bezeugt. Grubenhütten und Gräber der Mittel-La-Tène-Zeit kommen als Bestätigung hinzu.

Und zieht man erst die Funde zu Rate, so mehren sich die Belege außerordentlich. Nach ihnen hat Schumacher am Rande des Gebirges gegen die Rheinebene, am Kaiserstuhl und auf dem Hochgestade des Rheins allein an dreißig Ansiedlungen der La-Tène-Periode zusammengestellt. Noch dichter sind die Fundstätten im badischen Neckarhügelland und in Württemberg wo namentlich in der Gegend Heilbronns und im benachbarten Frankenlande neuerdings« Gräberfelder der La-Tène-Zeit entdeckt worden sind. Mit Ausnahme des Schwarzwaldes war das ganze Land, das Tacitus als frühere Heimat der Helvetier bezeugt, in der keltischen Zeit verhältnismäßig dicht bevölkert.
 
Wie die Helvetier in der Schweiz teils Städte, oppida, teils Dörfer, vici, oder Einzelhöfe bewohnten, so lassen die erwähnten Spuren auch in Deutschland die gleiche Art der Siedlung erkennen. In der älteren Zeit mögen die kleinen und kleinsten Niederlassungen vorherrschend gewesen sein, wie auch in Frankreich, zu Cäsars Zeit der Stadtbau im Süden weiter vorgedrungen war als bei den nördlichen, in der Entwicklung zurückgebliebenen Stämmen. Und wie diese in ihrem Flachland sich gegen feindliche Angriffe hinter Verhauen in Wald und Sumpf schützten, so suchten die keltischen Bewohner unseres Landes in Kriegszeiten ihre Zuflucht in den sogenannten Ringwällen auf den Höhen des Gebirges. Aber auch diese Befestigungen, deren Trümmer an vielen Stellen erhalten sind, waren keineswegs kunstlos aufgetürmte Steinmassen, wie sie in ihrem jetzigen Zustand äußerlicher Betrachtung erscheinen, sondern sorgsam gebaut und mit Balken versteift, wie die Mauern von Tarodunum. Denn die Kultur des Landes in der gallischen Zeit hat man sich als hoch entwickelt und reich vorzustellen Der Ackerbau war überall durchgeführt, eine große gewerbliche Kunstfertigkeit ausgebildet, und dem Verkehr dienten zahlreiche gebahnte Wege, die zwar nicht mit Steinoberbau versehen, aber an feuchten Stellen durch Holzeinlagen gefestigt waren.

Während Tarodunum als keltische Feste mindestens bis in die letzte Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. bestanden hat, reichen auch aus einer Inschrift aus der Gegend von Heidelberg. Das Zusammentreffen dieser Namen und Zeugnisse in Miltenberg für belanglos erklären zu wollen, hieße dem Zufall mehr, als erlaubt ist, zutrauen. Jedenfalls ist es weniger kühn, daraus den Schluß zu ziehen, daß hier am Main Reste der beiden Stämme zurückgeblieben waren. Wohnten doch auch Abkömmlinge einst am Rhein zurückgelassener Cimbern und Teutonen zu Cäsars Zeit in Belgien.
 
Am Herzynischen Wald von den damals noch in Böhmen ansässigen Baiern abgeschlagen, hatten die Cimbern auf ihrem Zuge nach Süden im Jahre 113 v. Chr. Geb. den Römern bei Noreia in Oberösterreich eine große Niederlage beigebracht. Vier Jahre verweilten sie alsdann im südlichen Deutschland. Damals werden sie mit den Helvetiern in Verbindung getreten sein und die Tiguriner zu dem oben erwähnten Zuge nach Gallien veranlaßt haben. Es ist wohl kein Zufall, daß eben um diese Zeit das rechtsrheinische Gebiet auch im Süden von den Kelten geräumt worden ist. Die Vereinigung der Cimbern und Teutonen hat wahrscheinlich noch später, erst im Jahre 103, in Gallien stattgefunden, nachdem die Cimbern inzwischen bis nach Spanien vorgedrungen und wieder über die Pyrenäen zurückgezogen waren. In diesem Jahre plünderten die heimatlos umherschweifenden Völker fast ganz Gallien. Erst 102 entschlossen sie sich zu dem Zuge nach Italien, der ihnen den Untergang brachte. Nur die Tiguriner hatten sich wieder zu ihren Stammesgenossen in der Schweiz gesellt und östlich vom Neuenburger See um Murten und Avenches niedergelassen.

Die Loslösung einzelner aus Cimbern und Teutonen zusammengesetzter Scharen von dem Hauptzuge kann also nicht vor dem Jahre 103 erfolgt sein. Die Vorfahren unserer Cimbern und Teutonen im Odenwald werden also wohl vor dem Zuge nach Italien in der Rheingegend zurückgeblieben und nach den Niederlagen ihrer Stammesgenossen bei Aquae Sextiae und Vercellae sich vor der Rache der durch die Raubzüge entsetzlich heimgesuchten Gallier in die Helvetier-Wüste gerettet und in der Gegend von Miltenberg eine Zuflucht gefunden haben. So leiten diese Spuren zu der Geschichte der Wiederbesiedlung des verödeten Landes über.
 .......