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Zur literarischen Überlieferung des Oppidums Tarodunum
Von Rolf Nierhaus

Aus: Kelten und Alemannen im Dreisamtal. Ein Beitrag zur Geschichte des Zartener Beckens
Konkordia, Bühl/Baden (1983) 


Der nachfolgende Beitrag ist in zwei voneinander nahezu unabhängige Abschnitte geteilt:
l. Tarodunum bei Klaudios Ptolemaios.
ll. Zum Begriff oppidum und seiner genauen Bedeutung.

Der erste Abschnitt stellt die im großen und ganzen unveränderte Wiedergabe eines Referats der Tagung vom 14. September 1979 dar. Diese Tagung stand unter dem Rahmenthema „Tarodunum, die Burg Wiesneck und die Zähringer“. Auf Einzelnachweise und Belege konnte hier weitgehend verzichtet werden, da in der Festschrift für Hartwig Zürn eine erweiterte Fassung erschienen ist, auf die für den gesamten ersten Abschnitt ausdrücklich verwiesen wird.(1) — Der zweite Abschnitt lag bei der Tagung nur in einem skizzenhaften Entwurf vor und wurde stellenweise frei gesprochen. Er erscheint hier soweit für die Erklärung des archäologischen Befundes in Tarodunum von Belang, zum Teil in erweiterter Form, wobei manche Anregungen für die Ausarbeitung sich aus Fragen ergaben, die in der Diskussion gestellt wurden.

I. Tarodunum bei Klaudios Ptolemaios

Bei der Betrachtung des antiken Tarodunum darf nicht nur der archäologische Befund herangezogen und der Name und seine Gleichsetzung mit dem heutigen Zarten nur mehr beiläufig erwähnt werden: es ist vielmehr auch die überlieferungsgeschichtliche Problematik des Namens bei dem Astronomen, Mathematiker und Geographen Ptolemaios mit in Betracht zu ziehen.(1a)

Sein Werk „Geographike Hyphegesis“ — „Einführung ins Kartenzeichnen“. geschrieben wohl bald nach der Mitte des 2. Jh. n. Chr. bis längstens um 180 in Alexandria (Ägypten), wo Ptolemaios lebte, erfreut sich bei den Landeshistorikern, gleich ob altertumswissenschaftlicher oder mediävistischer Fachrichtung, mit Recht keines guten Rufs. Seine Ortsnamenlisten mit Angaben der geographischen Koordinaten wimmeln förmlich von Fehlern. Wie schon vor bald 100 Jahren der Germanist K. MÜLLENHOFF, so hat in jüngerer Vergangenheit (1953) der Althistoriker H. Nesselhauf nachdrücklich davor gewarnt bei Studien zur historischen Geographie und Topographie besonders des rechtsrheinischen Germaniens irgendwelche Namen heranzuziehen, die nur in den Listen des Ptolemaios und sonst nirgendwo bezeugt sind. Zu diesen Namen würde auch Tarodunum gehören. wenn hier nicht der im rechtsrheinischen Germanien zwar nicht einmalige, aber doch recht seltene Fall vorläge. daß der antike Name in dem mittelalterlichen und heutigen Ortsnamen weiterlebt - in unserem Falle in Zarten - und daß tatsächlich ein vorrömisches Oppidum in dem fraglichen Bereich nachgewiesen werden konnte.

Aber zur Sicherung der Gleichsetzung des Namens Tarodunum mit dem Oppidum östlich von Kirchzarten kommt noch ein Faktor hinzu, der, obwohl schon 1923. also vor mehr als einem halben Jahrhundert, in der mit Ptolemaios befaßten Spezialliteratur erwähnt, (2) bis jetzt, soweit ich sehe, noch keinen Eingang in die hiesige landesgeschichtliche Literatur gefunden hat, nämlich die Tatsache, daß Tarodunum unmittelbar vor Arae Flaviae (bei Rottweil) genannt wird und daß für beide Plätze erstaunlich genaue Angaben ihrer geographischen Breite gegeben werden, so genaue Angaben, wie sie bei Ptolemaios selten anzutreffen sind.

Diese Tatsache sei im Folgenden etwas erläutert. Insbesondere müssen, wenn die Bedeutung der exakten Breitenangaben von Tarodunum und Arae Flaviae richtig gewürdigt werden soll, zunächst Anlage und Inhalt der „Einführung ins Kartenzeichnen“ kurz umrissen werden. - Das zentrale Anliegen des Werks, das in acht Bücher gegliedert ist, bildet die Frage nach den geeignetsten und richtigstett Möglichkeiten der Projektion des damals bekannten Teils der gekrümmten Erdoberfläche auf das Planum einer Weltkarte [Buch I) bzw. auf die Plana von 26 Einzelkarten der verschiedenen Länder in größerem Maßstab (Buch VIII), und zwar so, daß die einzelnen Orte richtig zueinander zu liegen kommen. Der Wert dieses theoretischen Teils des Werks wird von der geodätischen Forschung bis auf den heutigen Tag hoch veranschlagt.

Buch II bis VII enthalten den umfänglichen länderkundlichen Teil, der im wesentlichen nur das "Rohmaterial" für die zu zeichnenden Karten darstellt. Eine allgemeingültige Erklärung dafür, wie es im länderkundlichen Teil zu den vielen Einzelirrtümern gekommen ist, kann zumindest heute noch nicht oder allenfalls versuchsweise gegeben werden.

Der läitderkundliche Teil ist in Gestalt eines Katalogs von mehr als 8100 Namen samt geographischen Koordinaten angeordnet. Die Namen (Gebirgs-, Fluß- und Ortsnamen, manchmal auch Völkernamen) sollten an den in den Koordinaten genannten Stellen im Koordinatennetz der in Buch l und Buch VIII konzipierten Karten eingetragen werden. lm einzelnen ist der Katalog gegliedert nach Ländern, innerhalb des Römischen Reichs nach Provinzgruppen (hispanische, gallische usw. Provinzen) und nach Italien als dem Kernland des Reichs, außerhalb des Reichs nach Ländern mit Bezeichnungen, die das betreffende Land je nach Bekanntheitsgrad mehr oder weniger scharf umreißen. Nach einem nicht immer einheitlich durchgehaltenen Schema werden zuerst die Grenzen der einzelnen Provinzen bzw. Länder tunlichst nach Gebirgen und Flüssen kurz umrissen, dann folgen die Gebirge und Flüsse im Innern des betrelfenden Landes und endlich die Städte, alle drei topographischen Einheiten mit ihren Koordinaten versehen.

ln den halb barbarischen Grenzprovinzen des Reichs und in den Ländern außerhalb des Reichs werden vielfach noch die Völkerschaften zwischengeschaltet, teils als eine eigene Gruppe hinter den Gebirgen und den Flüssen und vor den Städten (so z.B. in Germanien), teils unter den Städten so angeordnet, daß bei jeder Völkerschaft gleich die zugehörigen Städte stehen. Die Völkerschaften erhalten, soweit ich sehe, nie Koordinaten, wohl aber die ihnen zugeordneten Städte.

Die Namen im Mittelmeerraum können wir zumeist noch identifizieren und lokalisieren. Aber je mehr wir uns den Reichsgrenzen nähern oder je weiter wir gar über die Grenzen hinaus in die Länder außerhalb des Reichs gelangen, desto zahlreicher werden diejenigen Ortsnamen, die nur bei Ptolemaios vorkommen und mit denen wir nichts anzufangen vermögen, und desto größer werden Wirrnisse aller Art, insbesondere in den Koordinaten. Ein gewissermaßen „klassisches" Beispiel solcher Wirrnisse sind das Iinksrheinische Ober- und Niedergermanien vom heutigen Elsaß bis in die Niederlande hinein sowie das alte Helvetiergebiet in der Westhälfte der heutigen Schweiz (ohne das Wallis). Die Versuche, das Zustandekommen dieser Wirrnisse zu erklären, sind kaum mehr zu überblicken. Das Alter der Quellen des Katalogs ist ganz unterschiedlich. Die meisten Angaben stammen aus der Mitte bis zweiten Hälfte des 1. Jh. n. Chr., einiges noch aus den beiden ersten Jahrzehnten des 2. Jh. Jünger ist, außer ein paar kurzen Nachträgen, nichts - unbeschadet der so viel späteren Ablassungszeit des Werks insgesamt (zwischen 150 und 180 n. Chr.). Die Angaben über das uns hier besonders interessierende rechtsrheinische (freie) Germanien stammen überwiegend aus der Zeit der augusteischen Offensivkriegc rechts des Rheins 15 v. - 16 n. Chr; einige Angaben sind jünger.

Endlich noch ein Wort zu den Angaben der geographischen Koordinaten. Längengrade (Meridiane) astronomisch exakt zu messen, war die Antike nie imstande. Alle diesbezüglicheit Angaben beruhen zumindest in unserer Gegend auf Schätzungen aufgrund von Marschleistungen oder aufgrund der Streckenlängen besonders der römischen Fernstraßen, die bekanntlich genau vermessen waren (Meilensteine!). Bei Ptolemaios sind Meridianangaben nur dann wenigstens von relativem Wert, wenn eine Städteliste von West nach Ost aufgeführt wird und man aus der Reihenfolge der Städte schließen kann, in welchem west-östlichen Verhältnis die Städte zueinander gelegen haben. Auch Tarodunum ist in diesem Zusammenhang, neben zahlreichen anderen Städten, zu nennen. Es bildet den westlichen Anfangspunkt einer west-östlich verlaufenden Städtereihe. Anders steht es mit der astronomischen Messung der geographischen Breiten, also der Parallelkreise. Aufgrund der Beobachtungen des im Jahreslauf wechselnden Sonnenstandes waren schon hellenistisclte Gelehrte seit dem späten 4. und frühen 3. Jh. v. Chr. zu der Erkenntnis gelangt. daß es einen Äquator und zwei Pole sowie zwei Wendekreise und zwei Polarkreise geben müsse mit ihrer bekannten Bedeutung für den Sonnenstand. Ebenso hat man damals schon die beiden Halbkugeln der Erde vom Äquator aus nordwärts und südwärts mit je 90 Parallelkreisen umzogen, wobei die südlichen Kreise reine Theorie blieben, da in der Antike nur ganz vereinzelt Expeditionen längs der afrikanischen Küsten in die Gegenden südlich des Äquators vorgestoßen sind.

Die nördlichen Parallelkreise stimmen grundsätzlich mit den unsern überein, unbeschadet zahlreicher Berechnungsfehler. Die Distanzen zwischen den einzelnen Parallelkreisen (111,12 km) wurden unterschiedlich, aber stets zu gering angesetzt. Man war in den Tagen der Sommersonnenwende in der Lage, sehr genaue Breitenmessungen vorzunehmen. Allerdings fielen auch die genauesten Messungen sämtlich um ca. 7-15 Bogenminuten (nicht Grade!) zu gering aus infolge eines Meßfehlers, der der Antike nie zu Bewußtsein gekommen ist. Liegt also die antike Messung im Vergleich zur modernen um 7-15' zu niedrig, d. h. zu weit südlich, ist die Messung als genau anzusehen, bleibt sie bis zu 30 ' (= einem halben Grad) unter der wirklichen Breite, als ziemlich genau.

Neben großen Zentren wie Rom, Massilia/Marseille u. a. gibt es mitunter auch am Rande des Reichs gelegene Orte mit erstaunlich genauer Breitenangabe, so Augusta Rauricorum am Hochrhein ostwärts Basel mit 47° 30' statt richtig 47° 32 ', also um 2' zu wenig (zu weit südlich), und endlich, wie schon einleitend zu diesem etwas langen Exkurs über das Werk des Ptolemaios angedeutet, Tarodunum mit 47° 50' statt richtig 47° 58 ', also um 8' zu wenig, und im Katalog unmittelbar daneben Arae Flaviae mit 48° statt 48° 09 ', also um 9' zu wenig.

Ein erstes Resultat unserer Beobachtungen ist also die Feststellung. daß die Gleichsetzung des Oppidums östlich Kirchzarten mit Tarodunum nicht nur auf der Kontinuität des Namens beruht, sondern auch auf der Genauigkeit der bei Ptolemaios angegebenen geographischen Breite (4).

Aber wie ist die exakte Breitenbestimmung Tarodunums und seine Erwähnung im Katalog direkt vor dem ebenfalls mit exakter Breitenbestimmung versehenen Arae Flaviae historisch zu deuten? - Dazu einige Hinweise: Arae Flaviae ist der bedeutendste römische Stützpunkt (anfänglich mehrere Kastelle, später Zivilsiedlung mit römischem Munizipalrecht) ostwärts des Schwarzwalds gleich nach Beginn der lnbesitznahme der heutigen Südwestecke von Baden-Württemberg durch Rom in dem bekannten Feldzug des Cn. Pinarius Cornelius Clemens 73/74 n. Chr. Man sollte also meinen, daß Tarodunum und Arae Flaviae innerhalb des seit 74 n. Chr. sich allmählich formierenden rechtsrheinischen Teils des römischen Obergermaniens aufgeführt würden. Das ist nicht der Fall. Vielmehr ist der Bezirk Germania Superior (Provinz erst seit etwa 85 n. Chr.) im Katalog ausschließlich auf das linke Rheinufer beschränkt. Der Katalog bringt hier also den Zustand der Zeit vor 73 n. Chr., vor dem Feldzug des Pinarius Clemens.

Alle rechtsrheinischen geographischen Daten, und damit auch Tarodunum und Arae Flaviae, erscheinen vielmehr in dem bei Ptolemaios noch zur Gänze außerhalb der Reichsgrenzen gelegenen Land „Germania“, das nach seinen Angaben vom Rhein im Westen bis zur Weichsel im Osten und von der Nord- und Ostseeküste {einschließlich der Jütischen Halbinsel) im Norden bis zum „westlichen Teil des Donauflusses“ im Süden reicht. Dieses Land „Germania“ wird in der Beschreibung aufgegliedert in vier west-östlich verlaufende Zonen, die am Rhein beginnen und sich ostwärts der Weichsel im damals Unbekannten verlieren. Die vier Zonen werden von Norden nach Süden gezählt. Die Städte werden in jeder Zone von Westen nach Osten aufgeführt. also vorn Rhein bis tief ins Innere Germaniens.

Wir haben es bei Tarodunum und Arae Flaviae mit der vierten und südlichsten dieser Zonen zu tun, von der es heißt, daß sie „entlang der Donau“ verläuft, natürlich auf deren Nordseite, gemäß der Angabe über die Süderstreckung der „Germania“ insgesamt. Außerdem grenzen nach den Angaben in zwei späteren Kapiteln die Provinzen Raetia et Vindelicia und Noricum an das Südufer der Donau, Rhein sowie obere und mittlere Donau bis etwa zum großen Donauknie bei Väc/Waitzen (nördlich Budapest) bilden im Norden die Reichsgrenze, ein Zustand, der seit der Zeit des Kaisers Claudius (reg. 41- 54 n. Chr.) galt und erst seit 73/74 n. Chr. durch neue Eroberungen allmählich überholt wurde. Für unsere vierte und südlichste Zone werden 19 Städte genannt. Von diesen sind die beiden ersten und westlichsten Tarodunum und Arae Flaviae; die dritte, Riusiava, ist wahrscheinlich das größte Oppidum auf süddeutschem Boden, der „Heidengraben“ bei Grabenstetten (Kr. Reutlingen); die vierte. Alkimoännis, wird mit gutem Grund mit dem zweitgrößten Oppidum auf süddeutschem Boden identifiziert, dem „Michelsberg“ bei Kelheim a. d. Donau (Niederbayern) am Zusammenfluß von Altmühl und Donau gelegen. Die restlichen 15 Städte sind nicht identifizierbar, sie müßten, wenn Alkimoönnis wirklich bei Kelheim liegt und die west-östliche Reihenfolge gewahrt ist, in der Oberpfalz und weiterhin in der Tschechoslowakei oder in den nördlich der Donau gelegenen Landesteilen von Ober- und Niederösterreich zu suchen sein. Arae Flaviae ist die einzige römische Militär- oder Zivilstation innerhalb der Reihe von 19 Städten der vierten Zone und zugleich die einzige, die bei Ptolemaios überhaupt innerhalb des sich allmählich formierenden rechtsrheinischen Teils der Germania Superior genannt wird. Was im Katalog später, nach Behandlung der „Germania“, südlich der Donau an römischen Städten aufgeführt wird, liegt sämtlich in der Provinz Raetia et Vindelicia oder weiter ostwärts in der Provinz Noricum, nicht im rechtsrheinischen Teil der Germania Superior, den Ptolemaios als solchen überhaupt nicht kennt. Fassen wir zusammen:

1. In die als solche ältere (augusteische?) Liste vorrömischer Städte der vierten Zone der „Germania“ muß bald nach dem Feldzug von 73/74 n. Chr. Arae Flaviae eingefügt worden sein. Die Liste repräsentiert somit offenkundig einen Übergangszustand der heutigen Südwestecke von Baden-Württemberg von der Unabhängigkeit von Rom zur Unterwerfung unter Roms Herrschaft. Nur so ist der Widerspruch zu verstehen: die
Nennung des um 73/74 n. Chr. neugegründeten römischen Stützpunktes Arae Flaviae einesteils unter 18 vorrömischen Siedelungen in einer Zone. die zu dem von Rom unabhängigen Land „Germania“ gerechnet wird (und größerenteils auch nach 74 n. Chr. von Rom unabhängig bleibt), andernteils. Das völlige Fehlen von weiteren römischen Siedelungen in der Liste - Siedelungen, die in den Jahren nach 73/74 angelegt wurden - spricht gleichfalls dafür, daß diese Liste, so wie sie uns heute vorliegt, bald nach 73/74 fixiert worden sein muß, unabhängig von der Frage, wie alt ihr Kern ist, insbesondere die Aufzählung der 18 vorrömischen Siedelungen, die möglicherweise auf augusteische Quellen zurückgeht.

2. Stimmt der Zeitansatz der endgültigen Fixierung der Liste bald nach 73/74, dann muß auch die exakte Breitenbestimmung zumindest von Arae Flaviae aus derselben Zeit stammen, zumal Arae Flaviae ja vor 73/74 nicht existiert hat. Die Breitenbestimmung von Tarodunum könnte theoretisch älter sein, aber einer solchen Annahme fehlt jede innere Wahrscheinlichkeit. Schließlich werden die beiden Plätze Tarodunum und Arae Flaviae mit ihren exakten Breitenbestimmungen nicht aus reinem Zufall in der Liste unmittelbar hintereinander aufgeführt worden sein.

Hiermit sind die Tatsachen, die sich dem Katalog über Tarodunum entnehmen lassen, und die hieraus mit einiger Wahrscheinlichkeit zu ziehenden Schlußfolgerungen umrissen. Alle weiteren Überlegungen sind nicht beweisbar. Das gilt insbesondere für die Frage nach dem Grund der genauen Vermessung der beiden Plätze. Daß Arae Flaviae, der damals wichtigste Stützpunkt Roms ostwärts des Schwarzwalds, genau vermessen wurde, ist ohne weiteres verständlich. Aber Tarodunum? - Über die Gründe für die genaue Vermessung von Tarodunum kann man nur spekulieren. Der folgende Gedanke etwa drängt sich auf: Straßenbaupläne von Tarodunum aus quer durch den Schwarzwald an die obere Donau konnten bestanden haben, Pläne, die dann nicht realisiert wurden. Auch bietet sich der Gedanke an, im Zuge der Landesvermessung des neu unterworfenen Gebiets seien einige Fixpunkte am Ost- wie am Westrande des Schwarzwalds so genau wie damals möglich vermessen worden, unter ihnen neben der Neugründung Arae Flaviae auch das vorrömische Oppidum Tarodunum. Träfe das zu, dann dürften noch weitere Plätze rings um den Schwarzwald genau vermessen worden sein; doch hat der unberechenbare Zufall der Überlieferung unserer Quellen die Namen dieser Plätze und ihre Koordinaten nicht erhalten (5)

II. Zum Begriff” „oppidum" und seiner genauen Bedeutung

Im Katalog des Ptolemaios heißt - von wenigen, unsere Gegend nicht berührenden Ausnahmen abgesehen - jede Siedlung „pólis“ (Stadt), gleichviel, ob es sich um eine Stadt im Mittelmeerraum handelt oder um eine Siedelung unbekannten Charakters im Innern der „Germania“, darunter natürlich auch Tarodunum. „Polis“ ist offensichtlich die Übersetzung von lateinisch Oppidum, ein Wort, von dem jeder Lateinschüler schon
im Anfangsunterricht lernt, daß es „Stadt“ heißt. In Wirklichkeit ist die Bedeutung - richtiger: die Bedeutungsentwicklung - von Oppidum komplizierter und sei hier kurz erläutert (6). Die ursprüngliche Bedeutung des Worts ist „Befestigung“, „fester Platz“, „Fliehburg“, im Gegensatz zu ager = „offenes, freies Land“. Das Innere eines Oppidums diente ursprünglich ausschließlich als Fliehburg in Kriegszeiten für die umwohnende Bevölkerung, war also gewöhnlich unbesiedelt oder enthielt allenfalls ein paar Häuser für das Personal, das die Befestigung instand hielt. Nicht selten gehörte zu einem Oppidum eine Burg im üblichen Wortsinne (arx) für den Herrn des Oppidums, meist am höchsten Punkt der ummauerten Gesamtanlage errichtet. Entsprechend seiner Zweckbestimmung konnte ein Oppidum niemals Autonomie besitzen; (7) es stand im Verband der umliegenden civitas (Volksgemeinde) oder eines Teils derselben, eines Gaus (pagus) und wurde von der betreffenden Volksgemeinde bzw. von dem betreffenden Gau erbaut und unterhalten. Wurde die Volksgemeinde oder der Gau weitgehend beherrscht von einem Herrn in häuptlingsähnlicher Stellung, konnte der Herr sich im Oppidum eine Burg (arx) errichten, andernfalls fehlt eine Burg. Allmählich, mit dem Zunehmen der im östlichen Mittelmeerraum längst heimischen Stadtkultur auch in ItaIien und auf der lberischen Halbinsel, (8) wurde jede nicht ganz kleine Dauersiedelung befestigt. Das Wort Oppidum bekam somit nach und nach die Bedeutung „befestigte Stadt“, eine Übersetzung, die im Grunde eine Tautologie ist: eine Siedelung, die ihrer Bevölkerungszahl und wirtschaftlichen Funktion nach auch nur halbwegs den Namen „Stadt“ verdiente, war ipso facto befestigt und behielt mehr oder weniger auch ihre Aufgabe bei, der umwohnenden Bevölkerung in Notzeiten als Refugium zu dienen. Dieser Zustand dauerte in Italien bis gegen Ende der Republik. Erst in der frühen Kaiserzeit, als die meisten Städte mit zunehmendem Wachstum sich über ihren Mauerring hinaus ausdehnten und die Mauern in der Zeit des Kaiserfriedens überflüssig wurden, bekam Oppidum endgültig die Bedeutung „Stadt“, unabhängig davon, ob die Stadt befestigt war oder nicht. (9)

Nach diesem gedrängten Exkurs über die Bedeutungsentwicklung von Oppidum in Italien zurück zu den Oppida in Gallien und im heutigen Süddeutschland. Es ist längst gesehen worden, daß Caesar, als er 58 v. Chr. seine Eroberung Galliens begann, dort ein gewisses Städtewesen antraf. Dieses hatte sich allmählich im Süden Galliens im heutigen Midi, in Anlehnung an griechische, besonders an massaliotische Vorbilder schon bald nach der Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. entwickelt, in Zentralgallien etwa im späteren 2. Jh. v. Chr., während es in Nordgallien (Nordfrankreich, Belgien, südliche Niederlande) zur Zeit des Gallischen Kriegs erst im Entstehen begriffen war. Die verwaltungsmäßigen und wirtschaftlichen Zentren der großen Stämme bildeten ständig bewohnte „Städte“ im antiken (und jüngeren) Sinne, mit Wohn- und Handwerksvierteln, Marktplätzen, Heiligtümern usw. Die Städte hatten ziemlich regelmäßig eine von Natur gut geschützte Lage, sei es auf den in Frankreich zahlreichen Tafelbergen mit steil abfallenden Rändern (z. B. Bibracte/Mont Beuvray, das Zentrum der Haeduer; Alesia/Alise - Sainte-Reine‚ der Ort des letzten verzweifelten Widerstands der Gallier unter Vercingetorix gegen Caesar 52 v. Chr.), sei es in sumpfigen und von Wasserläufen geschützten Tieflagen (z. B. Avaricum/Bourges, das Zentrum der Biturigen). Zusätzlich waren diese Stadtanlagen regelmäßig befestigt mit Trockenmauerwerk, das durch einen Holzrahmen einen festeren Halt erhielt — der von Caesar (Bell. Gall. VII 23) beschriebene murus Gallicus (die Holzkonstruktionen, soweit archäologisch untersucht, können, aber müssen nicht immer genau der Beschreibung bei Caesar entsprechen). Architektur der Mauern, geplante Geradlinigkeit der Mauern und Wälle über längere Strecken hin, Großflächigkeit der Anlagen - nicht unter ca. 120 ha — und andere Kennzeichen heben diese Mauer- und Wallanlagen aus der Zahl der entsprechenden älteren Anlagen aller vorgeschichtlichen Zeitstufen heraus und führten dazu, sie generell in Anlehnung an Caesars Terminologie als „Oppida“ zu bezeichnen.(10)

Schaut man sich indessen die Stellen in Caesars „Bellum Gallicum“ näher an, an denen Oppida zur Sprache kommen,(11) merkt man bald, daß neben den großen Stammeszentren, wie Bibracte und Avaricum, und manchen Handelszentren. wie Cenabum/Orleans.

Cavillonum/Chalon-sur-Saöne, Noviodunum/Nevers u. a. - letztere meist an Flüssen gelegen - zahlreiche Oppida meist nur kurz genannt werden, die zwar befestigte Plätze waren und sich vorzüglich zur Aufnahme größerer Menschenmengen sowie von Vieh und Vorräten aller Art eigneten, aber schwerlich als „Städte“ angesprochen werden können. (12)

Das markanteste Beispiel V 21, 1-2 (13)  betrifft zwar nicht Gallien, sondern Britannien, macht aber besonders deutlich, daß oppidum auch ein simples Refugium, einen Ringwall vorgeschichtlicher Art bedeuten kann. Das Oppidum des Cassivelaunus ist nach Informationen, die Caesar erhielt, (das Oppidum des Cassivelaunus sei ein durch Wälder und Sümpfe geschützter Ort, an dem eine beträchtliche Anzahl von Menschen und Tieren zusammengekommen sei. Mit dem Wort oppidum bezeichnen die Britannier unwegsame, mit Wall und Graben befestigte Wälder, in denen sie zusammenzukommen pflegen, urn feindlichen Einfällen zu entgehen). Caesar übersetzt hier mit oppidum sichtlich ein gallisches Wort, möglicherweise dunum, (14) und verwendet oppidum hierbei in seinem ursprünglichen Sinne als „befestigter Platz“, unabhängig davon, ob der Platz ständig bewohnt oder ein nur in Notzeiten aufgesuchtes Refugium war.(15)

In Gallien selbst sind bei Caesar Oppida, die gesichert nicht dauernd bewohnt waren, nicht nachzuweisen. Aber ob die Oppida, die Caesar mehrere Male nur global als von den Einwohnern verlassen und verbrannt nennt (16), alle eine zahlreichere Einwohnerschaft gehabt haben und „Städte“ (auch im antiken Wortsinne) gewesen sind, darf man bezweifeln. Am besten kommt, wenn ich recht sehe, die Funktion der durchschnittlichen Oppida zum Ausdruck in dem Kriegsplan der „verbrannten Erde“, den Vercingetorix seinen Landsleuten verlegt (VII 14, 2-9) (17): „Mit allen Mitteln müsse man danach trachten, die Römer von Grünfutter und Lebensmittelnachschub abzuschneiden, ... Grünfutter könne noch nicht gemäht werden (nämlich wegen der Jahreszeit, Spätwinter), deshalb müßten es die Feinde einzeln aus den Häusern holen und könnten dabei sämtlich von der gallischen Reiterei umgebracht werden. ... Dörfer und Häuser müsse man beiderseits des Vormarschweges des Feindes, so weit dieser streifen könne, um Futter zu holen, verbrennen. Selbst könnten sie von den Vorräten des Landes leben, in dem gerade Krieg geführt wird; die Römer dagegen würden (nämlich durch die vorgeschlagenen Maßnahmen) in die größte Not geraten. Außerdem müsse man die Oppida verbrennen, die nicht durch Befestigungen und natürliche Lage vor jeglicher Gefahr sicher seien, damit sie nicht gallischen Deserteuren als Zuflucht dienten und den Römern keinen Anlaß böten, die dort gestapelten Lebensmittel und sonstige Beute mitzunehmen“. Der Kriegsplan zerfällt deutlich in zwei Phasen. Sofort sollen - wie so oft im Verlauf des Kriegs - vici Dörfer und aedificia Häuser, die in Reichweite des Feindes liegen, verbrannt werden. Bei den Oppida wird unterschieden: Diejenigen, die ab omni sint pericula tuta (VII 14, 9) die vor jeglicher Gefahr sicher seien), die man also glaubte, unter allen Umständen behaupten zu können, will Vercingetorix vorerst erhalten wegen der in ihnen angehäuften Vorräte; offenbar sollen sie erforderlichenfalls in einer zweiten Phase später vernichtet werden - das steht zwar nicht im Text, ergibt sich aber aus dem Zusammenhang. Die schwächeren Oppida sollen wie die Dörfer und Häuser sofort verbrannt werden. Tatsächlich werden dann sofort im Gebiet der Biturigen mehr als 20 Oppida (18) an einem Tage verbrannt (VII 15, 1-2). Lediglich Avaricum bleibt erhalten und fällt erst nach längerer Belagerung in römische Hand.

Die Bedeutung der Oppida für Vercingetorix’ Kriegsplan liegt offensichtlich nicht darin, daß sie eine größere Menge Menschen aufnehmen konnten (mit Ausnahme von Avaricum), sondern darin, daß in ihnen erhebliche Vorräte gestapelt waren, die, sofern möglich, nicht sofort vernichtet, sondern für die Ernährung des gallischen Heeres möglichst lange erhalten werden sollten. (19) Die Funktion dieser kleineren Oppida entspricht also genau derjenigen des von Xenophon (vgl. Anm.15) beschriebenen Refugiums, das die Ernährung der eigenen Menschen sicherstellen und zugleich diejenige des Feindes unmöglich machen sollte, nachdem man die geringen im offenen Lande verbliebenen Vorräte vor Einmarsch des Feindes vernichtet hatte. Diese kleineren Oppida werden zwar eine gewisse Dauerbesiedelung gehabt haben, schon um die in ihnen gestapelten Vorräte zu bewachen, aber „Städte“ waren sie sicherlich nicht.

Daß man sich die durchschnittlichen Oppida, auch wenn ständig besiedelt, nicht als sonderlich wohnlich vorstellen darf, erhellt auch aus Caesars Mahnung an zwei haeduische Adlige, die im Begriff waren, von ihm zu Vercingetorix abzufallen. Caesar erinnert (VII 54. 3-4) die beiden daran, in welch elendem Zustand er die Haeduer 58 v. Chr., als er nach Gallien kam, angetroffen habe - gemeint ist die Bedrängung des Stammes durch die vereinigten Sequaner und Germanen unter Ariovist -, und zählt dabei an Einzelheiten u. a. auf, wie zusammengedrängt in ihren Oppida (compulsos in Oppida), ihrer Länder verlustig (multatos agris) usw, sie damals gewesen seien. Mag Caesar hier vielleicht auch ein bißchen dick aufgetragen haben - allzuweit von der Wahrheit durfte er sich nicht entfernen, wenn seine Mahnungen fruchten sollten, was dann allerdings nicht der Fall war. (20)

Die hier behandelten und andere Stellen in Caesars Bellum Gallicum, an denen Oppida zur Sprache kommen, machen deutlich, daß es neben den großen Stammes- und Handelszentren, von denen einige vorhin schon genannt wurden, zahlreiche Oppida gegeben haben muß, die zwar sehr wahrscheinlich dauernd besiedelt waren, aber den Namen einer „Stadt“ nicht verdienen. Nur wenn man Caesars Wortgebrauch von oppidum invdem weiten Bedeutungsumfang, wie im Vorstehenden dargelegt, in Rechnung stellt, versteht man, wie es zu der Zahl von angeblich 800 „poleis“ (= Oppida) kommen konnte, die Caesar nach Plutarch (vgl. Anm. 12) in Gallien erobert haben soll. Wie groß die richtige Zahl auch immer gewesen sein mag, die Zahl der „Städte“ war im Vergleich zur Gesamtzahl aller Oppida sicherlich gering. - Um nicht in den Verdacht zu geraten, als ob hier unter dem Oberbegriff „Oppida“ einseitig die „Städte“ den kleineren Oppida als ausgesprochenen Refugien gegenübergestellt werden sollten, sei ausdrücklich betont, daß die „Städte“ selbstverständlich auch Funktionen als Refugien gehabt haben. darin vergleichbar den italischen Städten zur Zeit der Republik (oben S. 51 ). Platz zur Aufnahme großer Menschenmengen war in den „Städten“ bestimmt vorhanden, wie die hohen Gefangenenzahlen bei der Eroberung der „Städte“ - mögen die angegebenen Ziffern auch übertrieben hoch sein - beweisen“, desgleichen etwa der Markt (forum) und die offenen Plätze (Ioca patentiert!) innerhalb des Mauerrings von Avaricum (VII 28. l), auf denen sich die Gallier zum letzten verzweifelten Widerstand formierten, Insoweit hatten auch die „Städte“ - unbeschadet ihrer Funktionen als solche - die allgemeinen Aufgaben aller Oppida wahrzunehmen.

Im Grunde sind alle diese Erkenntnisse nicht neu. Die französische Forschung ist sich ihrer seit langem bewußt und „geht mit dem Begriff
[oppidum] wesentlich weitherziger um [als die deutsche Forschung], sie wendet ihn auf nahezu alle eisenzeitlichen Befestigungen an“ usw., wie W. DEHN einmal kritisch anmerkte (22). Die französische Verwendungsweise des Begriffs oppidum ist von Caesars Sprachgebrauch her durchaus gerechtfertigt; um vorkeltische Ringwälle wird sich zwar Caesar schwerlich gekümmert haben, aber wenn sich eine Gruppe Gallier zufällig in einem solchen Ringwall festsetzte und dort von den römischen Truppen bekämpft werden mußte, dann wurde der Ringwall nach damaligem Sprachgebrauch als oppidum bezeichnet.

Die deutsche Forschung hat ein etwas kompliziertes Verhältnis zu dem Begriff oppidum. Das beruht wohl darauf. daß es auf süddeutschem Boden sowie im Ostalpengebiet und nördlich davon bis in die Tschechoslowakei hinein eine zahlenmäßig zwar beschränkte, aber sehr ausgeprägte Gruppe von Oppida gibt, die den großen gallischen Oppida, wie oben (S. 51 f.) kurz charakterisiert, ziemlich genau entsprechend nicht aber den kleineren Oppida. Aber auch im Verhältnis zu den großen Oppida Galliens weisen die süddeutschen Oppida Unterschiede auf, die allerdings umstritten sind. Das Hauptproblem dabei ist die Frage nach Art und Umfang der Dauerbesiedelung innerhalb des Mauerrings der süddeutschen Oppida. Da es im Ostalpengebiet‚ in Westungarn und in der Tschechoslowakei gesichert ähnliche „Städte“ gibt wie in Gallien, lag die Annahme nahe, daß auch die süddeutschen Oppida „Städte“ gewesen sein müßten. Diese wesentlich 1939 von J. WERNER (vgl. Anm. 10) begründete Annahme lag um so näher, als damals gerade die ersten Siedlungsspuren in Manching entdeckt worden waren, die nach dem Zweiten Weltkrieg zu den dortigen bekannten umfassenden und so erfolgreichen Grabungen führen sollten (23). So hat sich in der deutschen Forschung. gestützt auf WERNER. weithin die Vorstellung entwickelt, daß ein oppidum außer den oben (S. 52) schon angeführten
Eigenschaften - Großflächigkeit, geplante Geradlinigkeit der Mauern mit Holzrahmen auf längere Strecken usw. - unbedingt auch diejenige gehabt haben müsse, in seinem Mauerbering eine stadtartige Siedelung zu beherbergen. Die vorhin nach DEHN zitierte „weitherzige“ Auffassung der französischen Forschung von den Oppida wurde im ganzen abgelehnt.

Freilich wurden schon bald nach dem Kriege Gegenstimmen laut, und zwar von prähistorisch-archäologischer wie von althistorischer Seite. Bei den Einsprüchen von prähistorischer Seite handelt es sich - wenn wir uns auf die hier ausschließlich interessier
ende Frage beschränken, ob und wieweit die Oppida Stadtcharakter haben müssen (24) - um kritische Äußerungen zu einigen Oppida Süddeutschlands, die bestimmt keine „Städte“ beherbergt haben, insbesondere zum Burgstall bei Finsterlohr (im Taubergrund unweit Bad Mergentheim) und zu Tarodunum. So meint K. BITTTEL, ausgehend vom Befund im Burgstall bei Finsterlohr (Abb. 1), von dessen innerer Besiedelung damals (1950) noch nichts bekannt war. „. . . ob es auch bei uns oppida mit einer wenigstens teilweisen Dauerbesiedelung des Innenraums . . . gab, ist faktisch eine offene, gelegentlich aber eine stillschweigend als bereits positiv beantwortet ausgegebene Frage“, und etwas weiter unten äußert er unter demselben Aspekt den Verdacht, „es handle sich dabei (bei Finsterlohr und ähnlichen im Innern fundleeren Oppida) um Anlagen, die kei-
ne nennenswerte Dauerbesiedlung besessen hätten, die über die Bestimmung als große refugia niemals hinausgekommen seien und die daher nur sehr bedingt den großen
oppida Galliens zur Seite gestellt werden dürfenm" (25).


Abb. 1: Das Oppidum Burgstall bei Finsterlohr und seine nähere Umgebung
Nach K. Bittel. Das keltischc Oppidum bei Flnsterlohr. Jahrbuch Württemb, Franken N. F. 24/25, 1950. S. 73 Abb. 1.

Und noch mehr als ein Vierteljahrhundert später, 1977, muß H. ZÜRN aufgrund der damals unveränderten Fundsituation im Innern von Finsterlohr - von Neufunden wird gleich zu sprechen sein - feststellen, daß man sich fragen müsse, „ob das Oppidum überhaupt eine Siedlung beherbergt hat. Es wäre durchaus denkbar ..., daß die Anlage nur ein Refugium für Gefahrenzeiten darstellte, . . ." (26) - Auch im Hinblick auf Tarodunum diskutiert Fr. FISCHER des längeren die Frage, ob Tarodunum in Anbetracht der völligen Fundleere in seinem Innern als ein bloßes Refugium anzusprechen sei oder ob der Fundmangel lediglich eine Forschungslücke sei. Die Tatsache, daß Tarodunum bei Ptolemaios genannt werde, spreche doch eher dafür, daß der Platz „wenigstens zeitweilig eine nicht ganz unbedeutende Siedlung beherbergte“. (27) Eine Entscheidung der Frage wagt er nicht bzw. hält er für verfrüht, solange nicht größere Grabungen im Innern der Anlage stattgefunden haben.

Zu diesen vorsichtig-kritischen Stimmen von seiten der Archäologie gesellte sich schon 1957 die eingehende althistorische Stellungnahme von K. CHRIST (28). In Anlehnung an BITTEL und unter Auswertung von Stellen in Caesars Bellum Gallicum verwahrt er sich - wie auch im vorstehenden laufend geschehen - gegen die generelle Gleichsetzung von oppidum mit „Stadt“ im antiken (und modernen) Sinne. In einem Punkte muß man ihm allerdings widersprechen, in seiner Beurteilung der Wortverwendung von Oppidum bei Caesar: „Ohne Zweifel gehen die Definitionsschwierigkeiten auf den zum Teil mißverständlichen und uneinheitlichen Sprachgebrauch Caesars zurück“.(29) Uneinheitlich ist
Caesars Sprachgebrauch, wie oben im Anschluß an KORNEMANN dargelegt wurde, keineswegs; zu beachten ist allerdings, daß Caesar oppidum in dem in republikanischer Zeit üblichen weiten Bedeutungsumfang verwendete. Wenn moderne deutsche Forscher ihn und seinen Sprachgebrauch nicht verstehen oder mißverstehen, dann ist das nicht seine Schuld; die französische Forschung hat ihn durchaus richtig verstanden (s. o. S. 56). Im Sachlichen stimmen CHRISTS Ansichten und die obigen Darlegungen über oppidum ziemlich überein, mit dem einen Unterschied allerdings, daß obenstehende Interpretation der “wichtigsten einschlägigen Caesarstellen stärker vom Bedeutungsumfang des Wortes oppidum bestimmt und getragen wird als CHRISTS Argumentation, die sich fast mehr auf die damals weithin noch unzureichend publizierten archäologischen Quellen stützt als auf die antiken Texte.

Trotz diesen und manchen anderen kritischen Einschränkungen hält die deutsche Forschung unentwegt und bis auf den heutigen Tag daran fest, die Oppida, angeblich im Sinne Caesars, als „befestigte, stadtartige Züge tragende Siedlungen“ zu bezeichnen, „deren Rolle sich nicht auf die von Refugien und Plätzen letzten Widerstandes beschränkt, sondern die bei ihm (scil, Caesar) darüber hinaus oft genug als wirtschaftliche, politische und vielleicht auch kultische Mittelpunkte der Stämme und Gaue in Gallien erscheinen“ (W. DEHN) (30). Ähnlich, nur leicht abgeschwächt. Fr. FISCHER in seinem Heidengrabenführer (31), neuerdings (1979) uneingeschränkt G. Jacobi (32) sowie 1980 S.
RIECKHOFF-PAULI und B. Overbeck (33). Zu welch einseitig ausgerichteter Argumentation das übliche Oppidum-Bild der deutschen Forschung führen kann, davon zeugten 1978 einige Bemerkungen O. ROLLERS zu meinem Aufsatz „Römische Straßenverbindungen durch den Schwarzwaldm”. (34) Nachdem ROLLER mir beigepflichtet hat, daß es eine römische Straße durch den Schwarzwald im Bereich des unteren Dreisam- und des Höllentals nicht gegeben habe, fährt er fort: „Zu überdenken bleibt jedoch nach Meinung des Rezensenten (ROLLER) nochmals die Situation in der Spätlatenezeit, denn unsere heutigen Vorstellungen von Funktion und Bedeutung der keltischcn Oppida sind wohl nicht ohne weiteres mit der Situation als ‚Refugium‘ zu vereinen, in die das Oppidum Tarodunum geriete, wenn es so abseits der Verkehrswege läge, wie dies NIERHAUS glaubt. Ohne umfangreiche Grabungen wird man jedoch schwerlich mehr zu dieser Frage sagen können“. Unbeschadet des einschränkenden, Grabungen verlangenden zweiten Satzes steht hier die Vorstellung im Vordergrund, daß im Innern eines Oppidums unbedingt eine stadtartige Siedlung mit allem, was dazu gehört, existiert haben müsse, die selbstverständlich Verkehrsmöglichkeiten nach allen Richtungen benötigt habe. Die Funktion eines bloßen Refugiums ist gewissermaßen unter der Würde eines Oppidums. In diesem und in ähnlichen Fällen ist wohl umgekehrt zu argumentieren: Erst muß eine Siedlung innerhalb eines Oppidums nachgewiesen werden, die halbwegs den Namen einer „Stadt“ verdient, dann kann man Überlegungen darüber anstellen, wie diese
„Stadt“ mit der Außenwelt verbunden gewesen sein mag. - Um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen, sei ausdrücklich betont, daß DEHNS vorhin wiedergegebene Definition eines Oppidums oftmals stimmt, häufiger in Gallien als in Süddeutschland, daß sie aber keineswegs stimmen muß.

Läßt man einige Oppida Süddeutschlands Revue passieren, über die wir heute, sei es durch Grabungen, sei es durch monographische Aufarbeitung unseres gegenwärtigen Wissensstandes einschließlich der Publikation der bisher gemachten Oberflächenfunde, einigermaßen Bescheid wissen, ergibt sich ein, trotz aller Lückenhaftigkeit unseres Wissens, recht differenziertes Bild.

Als eine „Stadt“ im antiken Sinne kann man auf süddeutschem Boden zumindest vorläufig wohl nur das ca 380 ha große Oppidum von Manching bei Ingolstadt ansprechen.(35) Insbesondere die Größe des bewohnten Geländes, die Reichhaltigkeit der Keramik- und Tierknochenfunde, Importstücke aller Art aus Italien so gut wie aus dem germanischen Norden, zahlreiche Münzfunde und Funde von Tonformen, in denen die Schrötlinge keltischer Münzen geschmolzen wurden - ein Teil dieser Schrötlinge hat aus einer Silber-Kupfer-Gold-Legierung bestanden -, aber auch die ursprüngliche Lage direkt am Donauufer (36) und am Kreuzungspunkt alter Fernverkehrsverbindungen - alle diese Kriterien sprechen eine mehr als deutliche Sprache. Offenbar ist Manching der westlichste Vertreter der von den Ostalpen bis in die Tschechoslowakei hinein reichenden östlichen Gruppe von Oppida, Es handelt sieh um eine „Stadt“ mit weitreichenden Handelsbeziehungen.

Schwieriger sind die Doppelanlage von Altenburg-Rheinau und der Heidengraben von Grabenstetten zu beurteilen. Für das 233 ha große Altenburg, an einem alten Rheinübergang gelegen, von dem aus sich mehrere Fernverbindungswege verzweigten, liegt ein reichhaltiges Fundspektrum vor. Geborgen wurden zahlreiche Fibeln, auch Halbfabrikate, sodann 39 Münzen (bis zum Erscheinen von ALLEN’s Aufsatz“), dazu Tonformen zum Schmelzen der Schrötlinge keltischer Silbermünzen, bis jetzt Reste von drei Feinwaagen, Campana-Scherben und Amphorenreste, letztere teilweise mit Stempeln, aus dem Süden. Diese Funde lassen mit Sicherheit darauf schließen, daß Altenburg ein
größeres Handels- und Manufakturzentrum gewesen ist. An eigentlichen Siedlungsresten, wie Hausgrundrissen, konnten in der bis jetzt untersuchten Fläche von 3000 qm infolge von schwierigen Bodenverhältnissen nur Gruben mit Resten von Bronze- und Eisenverarbeitung nachgewiesen werden. Die Frage, ob das Oppidum, über eine Handelsstation mit zahlreichen Manufakturen hinaus, eine „Stadt“ beherbergt habe, muß
deshalb vorerst offen bleiben; die Verteilung der bisher aufgesammelten Einzelfunden innerhalb des Oppidums spricht nicht gerade dafür.

Beim Oppidum Heidengraben (38) bei Grabenstetten stehen Grabungen im Innern der Wallanlagen vorerst noch fast ganz aus. Nur soviel ist durch die Streuung der Einzelfunde, besonders der Scherben, ziemlich wahrscheinlich geworden, daß eine Siedlung nur in der etwa 153 ha großen sog, „Elsachstadt,(39) die durch eine besondere Befestigung vom übrigen Oppidum abgegrenzt ist, gelegen haben kann. Nachgewiesen ist die Siedlung bis jetzt noch nicht. Der weitaus größere Teil des mit (einschließlich der Elsachstadt) etwa 1662 ha größten Oppidums Süddeutschlands war offenbar siedlungsfrei und diente anscheinend nur als Refugium. Die bis jetzt zwar nicht sehr zahlreichen, aber zum Teil bemerkenswerten Einzelfunde - darunter 21 Münzen, wovon 9 noch nachweisbare (ursprünglich wohl mehr) goldene „Regenbogenschüsselchen“, allerdings bis jetzt keine Schrötlingsformen für die Münzprägung - lassen ähnlich wie in Altenburg weitreichende Verbindungen des Oppidums von Gallien bis nach Böhmen erkennen. Eine Handelsstation könnte in der Elsachstadt gelegen haben. Ob von einer „Stadt“ die Rede sein kann, steht vorerst bei dem Mangel an Grabungen dahin. Jedenfalls dürfte die Siedlung bei maximal 153 ha zur Verfügung stehender Fläche wesentlich kleiner gewesen sein als die „Stadt“ in Manching (380 ha) und auch als die Siedlung in Altenburg (233 ha), Die Lage auf dem Hochplateau der Alb muß einer Handelsstation nicht abträglich gewesen sein. Eine schlagende Parallele dazu bildet im Ostalpengebiet der große Handelsplatz auf dem Magdalensberg in Kärnten (40),. Auch an Bibracte und manch anderes Oppidum in Gallien auf den Plateaus von Tafelbergen wäre zu erinnern. Am Fuße der Alb zog eine wichtige vorgeschichtliche West-Ost-Verbintlung vorbei, von
der aus man die Elsachstadt ohne großen Umweg, wenn auch in einem etwas mühsamen Aufstieg, gut erreichen konnte,

Vielleicht das seltsamste, jedenfalls in seiner Größe und der Mächtigkeit seiner Wälle kaum erklärbare Oppidum Süddeutschlands ist dasjenige auf dem Miehelsberg bei Kelheim im Mündungsdreieck von Altmühl und Donau, mit ca, 600 ha das zweitgrößte Oppidum Süddeutschlands (41).



Abb, 2: Verbreitung der glatten Regenbogenschüsselchen und der spätkeltischen Oppida in Süddeutschland.
Nach K, Castelin und H,-J, Kellner, Jahrbuch f. Numismatik und Geldgesch, 13, 1963, 118 Abb, 1 in der Umzeichnung bei H. Zürn, Grabungen im Oppidum von Finsterlohr, Fundberichte aus Baden-Württbg, 3, 1977, S. 262 Abb, 31.
Karte um westlichen Teil mit Oppidum Tarodunum ergänzt.
Abb. 3: Verbreitung der keltischen Siedlungen und Viereckschanzen im Raum um das Oppidum Finsterlohr, Maßstab 1 : 250 000
Nach H. Zürn a. O. (wie zu Abb. 2] S. 263 Abb, 32.

Der weitaus größte Teil des Innern des Oppidums wirdvon keltischen Schürfgrubenfeldern für Eisenabbau eingenommen. Dieselben Felder finden sich aber auch außerhalb der Umwallung, so daß der Schutz der Felder nicht der einzige Grund für die Wallanlagen gewesen sein kann. Siedlungsgünstig und einzig besiedelt war eine im Vergleich zur Gesamtanlage winzige Fläche an der Altmühl, HERRMANN (vgl, Anm, 41) rechnet damit, daß das Oppidum im wesentlichen als Refugium gedient habe, meint aber einschränkend, „seine Bedeutung und Funktion im Rahmen der spätlatenezeitlichen Oppidum-Kultur [seien] in keiner Weise geklärt und wohl auch archäologisch nicht zu lösen“. Jedenfalls ist festzustellen, daß die beiden größten süddeutschen Oppida, beide bei Ptolemaios registriert, keine „Städte“ gewesen sind; als „Stadt“ kann man allenfalls in beschränktem Ausmaß den Heidengraben bezeichnen. Endlich kommen wir zu den beiden Oppida Finsterlohr und Tarodunum, über die, wie, oben schon dargelegt, schon von früheren Autoren in mehr oder weniger vorsichtiger Form die Vermutung geäußert worden ist, sie seien reine Refugien gewesen. (42) In Finsterlohr (Abb. 1), dem mit 123,5 ha kleinsten Oppidum Süddeutsehlands, noch vor wenigen Jahren im Innern völlig fundfrei, haben sich in der letzten Zeit beim Absuchen des Geländes spätlatenezeitliche Scherben im Innern des Oppidums, und zwar im Nordwesten unweit der Toranlage, eingestellt. (43) Die Neufunde könnten bedeutungsvoll werden im Zusammenhang mit Beobachtungen aus dem Anfang der 60er Jahre, die darauf hinweisen, daß in Finsterlohr oder in seiner nächsten Umgebung Goldmünzen geprägt worden sein dürften, Ein bestimmter keltischer Münztyp, die sog, glatten Regenbogenschüsselchen, die kein oder fast kein Gepräge aufweisen, häufen sich auffallend in der näheren und weiteren Umgebung von Finsterlohr (Abb, 2) (44). H,-J, KELLNER“ dachte deshalb daran, den Prägeort dieser Münzen in Finsterlohr selbst zu suchen, wenn er auch zugeben mußte, daß ein Beweis hierfür vorerst nicht zu erbringen sei. Im Hinblick auf die ambivalente Fundsituation - einerseits fast gänzliche Fundleere im Oppidum, andererseits zahlreiche gesicherte größere und kleinere jüngerlatene-zeitliche Siedlungen und Viereckschanzen in der näheren Umgebung von Finsterlohr (Abb, 3) - rechnete ZÜRN damit, daß, wenn nicht am Ort selbst, so doch in dessen Umfeld ein „bedeutender Handelsplatz“ bestanden habe und daß in diesem Raum die besagten Münzen geprägt worden seien. (46) Dagegen habe das Oppidum selbst, wie oben (S, 56 ff,) schon referiert, offenbar nur als Refugium für die umwohnende Bevölkerung gedient. Dies der Stand der Forschung noch 1977. Die Tatsache, daß jetzt nach langem Suchen sich im Oppidum selbst doch Siedlungsfunde eingestellt haben, zwingt zu neuen Überlegungen, Die
Münzprägung könnte vielleicht doch im Oppidum selbst stattgefunden haben, Freilich
beschränken sich die Siedlungsfunde bis jetzt auf Scherben; Schrötlingsformen fehlen. Eine Untersuchung des fraglichen Geländes bleibt abzuwarten.

Ein Gesichtspunkt, der wohl dagegen spricht, daß es sich in Finsterlohr um ein gewöhnliches Refugium gehandelt habe, ist offenbar bis jetzt in der Literatur nicht zur Sprache gekommen: Die bei aller Einfachheit der technischen Mittel bewußte monumentale Gestaltung der die Torhalle flankierenden Mauern samt den beiderseitigen, den Erddamm der Befestigung auf der Stadtseite begleitenden Stützmauern, denen BITTEL (47) eine so eindringende Bauanalyse gewidmet hat, ist bis jetzt bei der Beurteilung des Zwecks des Oppidums nicht bedacht worden. Wäre die Torhalle wohl mit solchem Bestreben nach repräsentativer Wirkung geplant und errichtet worden, wenn sie lediglich in Notzeiten den Flüchtlingsscharen der umwohnenden Dörfler als Eingang in ein Refugium gedient hätte? BITTEL (s, Anm, 47) spricht selbst vom Torweg als der „ihrer ideellen Bedeutung nach wichtigelnl Stelle des Befestigungswerkes, wo sich der Verkehr mit der Außenwelt vollzog, sich Innen und Außen, Zugehöriges und Fremdes begegneten“, Das alles nur für einen Eingang in ein Refugium, in das Fremde normalerweise doch gar nicht kommen‘? Jedenfalls nicht als Gäste. Zwar hat BITTEL damals (1950) in Anbetracht der Fundleerc im Innern des Oppidums an ein einfaches Refugium gedacht (48), aber die neuen Siedlungsfunde eröffnen vielleicht neue Perspektiven einer Deutung der Anlage. Könnte das seinem Flächeninhalt nach vergleichsweise kleine Oppidum mit der monumentalen Torhalle am Eingang nicht als ein Edelings- oder Fürstensitz anzusprechen sein? Unbeschadet natürlich seiner Aufgabe, auch als Refugium für die umwohnende Bevölkerung in Kriegszeiten zu dienen: an diese Aufgabe zu denken, liegt um so näher, als das Oppidum nach dem Ergebnis von ZÜRNS Sondagen mit einem Erdbohrer
zum größten Teil effektiv fundfrei ist, (49) - Treibt man schließlich die Spekulation zu weit, wenn man den Gedanken äußert, der Fürstcnsitz könne unter dem heutigen Weiler Burgstall (vgl, Abb, 1) gelegen haben? BITTEL (50) versichert, der Burgstall, d, h, das Oppidum „(habe) nichts mit mittelalterlichen Befestigungswerken gleicher Bezeichnung gemein“, Ich habe die urkundliche Überlieferung des Weilers Burgstall nicht überprüft. Aber wenn es stimmt, daß ein mittelalterlicher Burgstall nie innerhalb des Oppidums bestanden hat, wäre es dann nicht denkbar, daß bauliche Überreste des keltisehen Fürstensitzes unter den Häusern des Weilers die irreführende Benennung Burgstall im Mittelalter verursacht haben? Ob und in welchem Umfang zwischen den Häusern des Weilers eventuell Grabungen möglich sind, bleibt zu ermitteln.

Vergleicht man die skizzenhaft referierten Charakteristica der im vorstehenden besprochenen süddeutschen Oppida mit den entsprechenden Zügen des Oppidums Tarodunum, dann fällt eine gewisse Dürftigkeit von Tarodunum auf (51). Mit 190 ha Flächeninhalt (52) ist es -- vor Finsterlohr mit 123,5 ha - das zweitkleinste Beispiel der hier besprochenen süddeutschen Oppida. Aber könnte man die verhältnismäßig geringe Größe von Finsterlohr evtl. damit erklären, daß es, wenn sich die vorhin vorgetragene Vermutung bewahrheiten sollte, in erster Linie ein Fürstensitz und erst in zweiter Linie ein Refugium gewesen sei, so entfallen entsprechende Anhaltspunkte in Tarodunum vollständig, Zwar weist der Abschnittswall mit Graben dieselbe Geradlinigkeit auf wie zahlreiche andere Oppidum-Wälle. Auch der stumpfe Winkel des Walls nach außen beim Tor läßt sich mit der Führung des Walls südlich Grabenstetten mit den beiden stumpfen Winkeln, von denen einer unmittelbar bei Tor E liegt (Abb, 4), vergleichen (53). Ferner ist die Mauer im Abschnittswall von Tarodunum offensichtlich in murus Gallicus-Technik gebaut, wie die 15-20 cm langen Nägel, die während der Grabung beim Tor 1901 gefunden wurden, beweisen (54); vom Holzrahmenwerk hat sich nichts mehr erhalten. Dagegen waren die Randwälle bzw. Randmauern in einer simpleren, prähistorischer‘ anmutenden Technik, als sonst bei Oppida üblich, gebaut (55), BITTEL konfrontiert eindrucksvoll die „in kyklopischer Manier aufeinander geschichteteln" Blöcke“ der Randmauern von Tarodunum mit den zubehauenen, in Quaderlagen angeordneten Blöcken der Torhalle von Finsterlohr (56), Der Unterschied zwischen der gestalteten Architektur in Finsterlohr und den roh aufeinander geschichteten unbehauenen Blöcken in Tarodunum ist unübersehbar.

An spätlatenezeitlichen Funden hat sich - außer den 1901 bei der Untersuchung des Tors aufgesammelten Scherben und Eisenstücken, die FINGERLIN (oben S. 25 ff,) vorlegt - weder im Innern des Oppidums noch in seiner näheren oder weiteren Umgebung etwas eingestellt. Nichts weist auf eine Handelsstation oder dergleichen in oder bei Tarodunum hin, sehr im Gegensatz zu den Einzelfunden aus der Umgebung von Gra
benstetten und Finsterlohr, um nur zwei Oppida zu nennen, in deren Innern bis jetzt wie in Tarodunum noch keine oder nur geringfügige Grabungen stattgefunden haben und die sich in diesem Punkte gut mit Tarodunum vergleichen lassen.


Abb, 4 Der Heidengraben bei Grabenstetten, Der Abschnittswall südlich von Grabenstetten
Nach Fr. Fischer, Der Heidengraben bei Grabstetten, Ein keltisches Oppidum auf der Schwäbischen Alb
bei Urach, Führer zu archäol, Denkmälern in Baden-Württembg, 2 (1979) S, 48 Abb, 10,

Insbesondere fehlen in und bei Tarodunum jegliche außergewöhnlichen Einzelfunde oder Gold- und/oder Silbermünzen, wie sie für alle hier besprochenen Oppida bezeugt sind, mit Ausnahme von Kelheim, das auf seinen Bergbau auf Eisen spezialisiert war. So heikel in der Archäologie ein Argumentum e silentio auch immer sein mag, hier scheint es mir berechtigt zu sein, um so mehr, als das „jahre-, ja jahrzehntelange“ Absuchen des Geländes von Tarodunum durch Prof. Hermann WIRTH (Freiburg) zwar zur Entdeckung eines kleinen kaiserzeitlichen römischen Gehöftes, nicht aber zur Auffindung latenezeitlicher Siedlungsreste geführt hat, auch nicht unter dem römischen Gehöft, von dem man damals erhofft hatte, daß es eine spätlatenezeitliche Tradition weitergeführt haben könnte.(57) Eine spätlatenezeitliche Siedlung muß in Tarodunum selbst oder in seiner näheren Umgebung bestanden haben, da sonst die Weitergabe des Namens in die römische Zeit hinein - und darüber hinaus - kaum denkbar wäre. Während der Kaiserzeit mag das kleine Gehöft im Innern des vormaligen Oppidums den Namen tradiert haben. Für die spätrömische Epoche und die Völkerwanderungszeit schweigen bisher die archäologischen Quellen,(58) Für das spätere 7. J h, ist jetzt auf die von G, FINGERLIN (unten S, 71 ff,) unter den Funden aus der Grabung von 1901 am Tor so erfolgreich entdeckten merowingerzeitlichen Stücke zu verweisen, die aus Gräbern stammen müssen. Auch die Frage, wo die zugehörige Siedlung zu suchen sein mag, erörtert FINGERLIN (ebenda). Jedenfalls dürfen wir in diesen alamannischen Siedlern weitere Tradenten des Namens sehen. Hoffentlich gelingt es eines Tages, die Völkerwanderungszeitlichen Vorläufer dieser alamannischen Neusiedler des 7. Jhs, am ehesten in Gestalt von sitzengebliebenen Gallo-Romanen (vgl, Anm, 58), aufzuspüren,.- Falls die zu erwartende spätlatenezeitliche Siedlung im Innern des Oppidums gelegen hat, könnte sie, in Analogie zu den Scherbenfunden in Finsterlohr, unweit des Tores zu suchen sein; diesbezügliche Grabungen bleiben abzuwarten. Aber ebensogut kann sie auch an einer anderen Stelle innerhalb des Oppidums oder außerhalb desselben in der näheren Umgebung gelegen haben.

Insgesamt kann man Tarodunum, zumindest nach dem derzeitigen Stand unseres Wissens, nur die Qualität eines Refugiums zuerkennen. Daran wird sich wohl auch dann nicht viel ändern, wenn eines Tages eine spätlatenezeitliche Siedlung, sei es innerhalb, sei es außerhalb des Oppidums, entdeckt werden sollte. Es müßte denn sein, daß in der Siedlung Gegenstände zutage kommen, die auf weiterreichende Verkehrsverbindungen Tarodunums hinweisen. Aber das bisherige völlige Fehlen entsprechender Einzelfunde
in oder bei Tarodunum erweckt wenig Hoffnungen in dieser Richtung.

Stimmt unsere Interpretation, daß Tarodunum ein einfaches Refugium gewesen sei, erübrigen sich lange Betrachtungen über seine angeblichen Fernverbindungen (vgl, oben S, 58 f.). Ein Fußgänger- oder Saumtierpfad durch den Schwarzwald in die Baar mag bestanden haben, archäologisch nachzuweisen sind solche Pfade unmittelbar nie, indirekt allenfalls mit Hilfe von Einzelfunden, die längs ihrer Strecke aufgesammelt wurden. An solchen Einzelfunden mangelt es in unserm Falle für die gesamten Metallzeiten wie für die römische Zeit bis jetzt noch völlig. - Von Westen her war Tarodunum natürlich ohne weiteres erreichbar. Aber das mittlere und vordere (westliche) Zartener Becken
war ursprünglich stark versumpft und wahrscheinlich mit Sumpfwald und Gebüsch bedeckt, so daß der Zugang nach Osten sich wohl auf einen Weg längs des Gebirgsrandes beschränkt haben wird und ein Einblick in das Gelände des hinteren (östlichen) Zartener Beckens von Westen her kaum zu gewinnen war.(59) Die als solche siedlungsgünstige Ebene des hinteren Zartener Beckens war also als Rückzugsgebiet vorzüglich geeignet, was der hier vorgeschlagenen Deutung des Oppidums Tarodunum als Refugium offensichtlich entgegcnkommt.

Auf FISCHERS Frage,(60) ob Tarodunum nicht „wenigstens zeitweilig eine nicht ganz unbedeutende Siedlung“ beherbergt haben müsse, weil es bei Ptolemaios genannt werde, ist die Antwort im Grunde oben (S, 51 ff,) laufend vorweg gegeben worden. „Polis“ (- oppidum) heißt bei Ptolemaios, zumal in der „Germania“ außerhalb des römischen Reichsgebiets, jeder Platz, der in seine Namenlisten aufgenommen wurde, unabhängig von Größe und Bedeutung der betreffenden Siedlung: eine wenn auch noch so unbedeutende Siedlung in oder in der Nähe von Tarodunum wurde deshalb ja auch oben angenommen.(61)

Als Absehluß (62) dieser vielleicht etwas mühsamen Untersuchungen und Überlegungen zur Bedeutung des Oppidums Tarodunum sei die dringende Bitte an die deutschen bzw, deutschsprachigen Prähistoriker erlaubt, mit dem Begriff oppfdum behutsamer, als bisher üblich, umzugehen. Der Begriff mag weiterhin ruhig - im Gegensatz zu seinem weitgefaßten Gebrauch bei Caesar und in der hierin Caesar folgenden französischen Forschung -- in dem im deutschen Sprachbereich terminologisch fest gewordenen engeren Sinne verwandt werden, daß unter ihm ausschließlich die jüngerlatenezeitlichen großflächigen Befestigungen verstanden werden, die mit den in den bekannten Techniken errichteten Mauern und Wällen (murus Gallieus), „Zangentoren“ usw, versehen sind. Aber die Vorstellung, daß jede dieser Befestigungen in ihrem Innern eine „Stadt“ oder doch wenigstens eine Handelsstation od, dgl, beherbergt haben müsse, muß endlich aus der Literatur verschwinden. Eine „Stadt“ oder stadtartige Siedlung kann, aber muß keineswegs sich in einem Oppidum befunden haben: ein Oppidum kann ebensogut als bloßes Refugium gedient haben oder vielleicht auch als Fürstensitz (Finsterlohr ?), Die Frage nach der Besiedelung des Innern eines Oppidums - oder auch seiner näheren Umgebung - muß in jedem einzelnen Fall jeweils neu gestellt und den Umständen entsprechend untersucht werden. (63)

1 R. Nierhaus, Zu den topographischen Angaben in der "Geographie" der Klaudios Ptolemaios über das heutige Süddeutschland. Fundber. aus Baden-Württ. 6, 1981 (0Festschrift für Hartwig Zürn), S. 475-500.

1a Ptolemaios lebte im 2. Jahrhundert n Ch.: die genauen Lebensdaten sind nicht bekannt

2 O. Cuntz Die Geographie des Ptolemaeus. 1923. S. 97 f.

3 Der 48, Breitengrad läuft bekanntlich durch die Nordstadt von Freiburg,

4 Während, wie S, 46 schon gesagt, auf diese Feststellung von O, CUNTZ (wie Anm, 2) seit 1923 niemand mehr zurückgekommen ist, ist CUNTZ’ analoge Feststellung zu Arae Flaviae unlängst von D, PLANCK, Arae Flaviae I, Neue Untersuchungen zur Geschichte des röm,
Rottweil, Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgesch, in Baden-Württ, 6, 1975, S, 10 wieder angeführt worden, gleichfalls zum ersten Mal seit 1923.


5 Diese und andere Überlegungen zu den Gründen für die exakte Vermessung der beiden Plätze wurden auf der Tagung nur knapp angesprochen und nicht weiter diskutiert, z, T, auch erst später angestellt, Sie seien deshalb auch hier nicht weiter verfolgt, Vgl, jedoch dazu den in Anm, l genannten Aufsatz,

6 Für das Folgende immer noch grundlegend: E, KORNEMANN, in: PAULY-WISSOWA, Realencyclopädie der klass, Altern-Wissenschaften (z RE), 18, 1, 1939, Sp, 708 ff,, Artikel „Oppidum“, - Dazu an neuerer Literatur H, VOLKMANN, Der Kleine Pauly 4, i972, S, 3 l 6 f,, Artikel „Oppidum“ (gegenüber KORNEMANN nichts Neues): G, KUHLMANN, in: Thesaurus Linguae Latinac IX, 2, 1976, S, 754 ffl, Art, „Oppidum“, der sich für die Bedeutungsentwicklung stark auf KORNEMANN stützt, Zur Etymologie von Oppidum zuletzt M, SCHELLER, ebd, S, 752, Art, „oppido (adv,)“,

7 Auf diese Feststellung legt KORNEMANN (wie Anm, 6) Sp, 710, mit Recht großen Wert: meine Skizze verdankt KORNEMANN Wesentliches,

8 Daten zu nennen ist schwierig, In Süditalien einschließlich Sizilien sowie in Südspanien, wo der griechische und z, T, der phoenikisehe Einfluß sich zeitig bemerkbar machte, kann man von stadtartigen Siedlungen schon seit dem B17, Jh, v, Chr, sprechen, in abgelegenen Gebieten z, T, erst seit dem späteren 2, Jh, v, Chr,, im nördlichen Hispanien mitunter erst seit der beginnenden Kaiserzeit, Entstehungszeit, Größe und Bedeutung der Städte wechseln demgemäß von Landschaft zu Landschaft stark,

9 Schon vorher, noch etwa im 2, Jh, v, Chr,, als die Oppida allmählich eine gewisse Gemeindeautonomie errangen, begann die Bedeutungserweiterung von Oppidum im Sinne von „Stadt und umliegendes Stadtterritorium“; vgl, KORNEMANN (wie Anm, 6) Sp, 716, Über die analoge Entwicklung im vorrömischen Gallien wissen wir nichts,

10 Die Literatur über die Oppida ist nur schwer zu überblicken, Grundlegend der 1939 erstmals erschienene Aufsatz von J, WERNER, Die Bedeutung des Städtewesens für die Kulturentwicklung des frühen Keltentums, in: J, WERNER, Spätes Keltentum zwischen Rom und Ger-
manien, Gesammelte Aufsätze zur Spätlatenezeit, hrsg, von L, PAULI, Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgesch, Ergänz-Bd, 2, 1979, S, 1-20 (erstmals erschienen in: Die Welt als Geschichte 5, 1939, S, 380 ff,), - Eine gute Zusammenstellung der neueren Literatur geben
VOLKMANN (wie Anm, 6) S, 316 und F, FISCHER, Der Heidengraben bei Grabenstetten, ein kelt, Oppidum auf der Schwäb, Alb bei Urach, Führer zu archäol, Denkmälern in Baden-Württ, 2, 1979’, S, 152 ff, FISCHER bringt zwar nur die Literatur, die den Heidengrahen erwähnt, aber da dieser in der Diskussion um die Oppida regelmäßig zur Sprache kommt, ist Fischers Lit,-Liste nahezu komplett, Bei FISCHER S, 33 ff, eine gute Übersicht über das Phänomen der Oppida, - Zusätzlich zu FISCHER wäre an neuester Lit, über die Oppida noch zu nennen: H, ZÜRN, Grabungen im Oppidum von Finsterlohr, Fundber, aus Baden-Württ, 3, 1977, S, 231 ff,, besonders die Zusammenfassung S, 260 ff, - G, JACOBI, Haus und Handwerk im keltischen Oppidum, in: Wohnungsbau im Altertum, Diskussionen zur archäol, Bauforschung 3, Berlin o, J, [19791 S, 75 - 84, - S, RIECKHOFF-PAULI, Das Ende der keltischen Welt, Kelten - Römer - Germanen, in: Die Kelten in Mitteleuropa, Kultur, Kunst, Wirtschaft, Salzburger Landesausstellung 1, Mai-30,September 1980 im Keltenmuseum Hallein, Österreich 1980, S, 37 ff, mit weiterer Lit,; kurz auch B, ÜVERBECK, ebd, S, 105 unter „Oppidum“, -  Einige weitere Lit, wird im Folgenden zitiert, Auf Vollständigkeit der Lit,-Angaben wird nirgendwo Wert gelegt, - Nicht mehr heranziehen konnte ich K, BITTEL (u, a,; Hrsg,), Die Kelten in Baden-Württemberg (1981), Desgleichen konnte ich erst während der Korrekturen einsehen: J, FILIP, Die geschichtliche Bedeutung der spätkeltischen Oppida, in: 150 Jahre Deutsches Archäologisches Institut 1829-1979, Festveranstaltungen und Internat, Kolloquium 17,-22, April 1979 in Berlin, 1981, S, 176-187: ferner Fr, FISCHER, Keltische Oppida (Burgstall-Finsterlohr und Altenburg), in: Historischer Atlas von Baden-Württemberg Karte III, 8 und Beiwort dazu, 1979, S, 11-16 (im Folgenden: FISCHER, Kelt, Oppida),

11 Sie sind bequem zusammengestellt von W, DEHN, Die gallischen „Oppida“ bei Caesar, in: Saalburg-Jahrbuch 10, 1951, S, 36-49, Von DEHNS Auswertung der Stellen muß ich im Fol-
genden mehrfach abweichen,

12 Nach Plutarch, Caesar 15, soll Caesar in den acht Jahren des Gallischen Kriegs 800 „poléis" also Oppida, erobert haben, Die Zahl ist sicherlich zu hoch gegriffen, aber einige Hundert mögen es gewesen sein, Wieviel „Städte“ im antiken Sinne darunter waren, steht dahin, - Die Zahl stammt wohl aus einem offiziellen Bericht Caesars an den Senat, Zu den häufigen Übertreibungen in den Zahlenangaben dieser amtlichen Feldherrn-Berichte vgl, H, NESSELHAUF bei W, KRÄMER, Cambodunumforschungen 1953-I, Materialhefte zur Bayer, Vorgesch, Heft 9, 1957, S, 119,

13 Im Folgenden werden bei Stellen aus Caesars Bellum Gallicum nur die Zahlen angeführt,

14 An dunum ist schon mehrfach gedacht worden, z, B, VOLKMANN, (wie Anm, 6) S, 316, - Zu dunum als Vokabel wie als Ortsnamen vgl, HOLDER, Alt-celtischer Spruchschatz I, 1896; Neudr, 1961, S, 1375 ff,

15 Der Unterschied zwischen der ursprünglichen Bedeutung von oppidum einerseits und griechisch „pólis“ andererseits erhellt besonders eindrucksvoll aus Xenophon, Anabasis IV 7, 1-3, Dort wird ein Refugium, eine Zufluchtsburg der Einheimischen im Armenischen Bergland neutral als „Ort“ (chorion) bezeichnet und von ihr ausgesagt, sie enthalte weder eine „pólis“ noch Häuser; wohl aber brachten die in der Fliehburg Zuflucht suchenden umwohnenden Einheimischen ihre gesamten Vorräte dorthin, so daß die Griechen in der Gegend keine Lebensmittel mehr vorfanden und deshalb genötigt waren, das Refugium zu erobern, um sich verproviantieren zu können, - Im Latein der Republik und somit auch bei Caesar
wäre der Platz ein oppidum, im klassischen Griechisch Xenophons ist er keine „polis“, Erst die griechischen Autoren der Kaiserzeit übersetzen oppidum regelmäßig mit pólis - so Plutarch (wie Anm, 12), so Ptolemaios (S, 50), ohne sich darum zu kümmern, ob die „póleis“ wirklich „Städte“ im antiken Sinne sind oder nicht,

16 z, B, I 5, 2 (Helvetier); II 29, 2 (Atuatuker) u,ö,

17 Meine Übersetzung beschränkt sich - zusätzlich zu den durch Pünktchen angedeuteten Auslassungen - z, T, auf eine geraffte Inhaltsangabe,

18 VII 15, 1 steht zwar urbes, aber gemeint können nur die im Kriegsplan (VII 14) genannten oppida sein, Überhaupt fällt auf, daß urbs, wenn gallische Städte gemeint sind, ausschließlich im VII, Buch vorkommt, so außer der gerade behandelten Stelle noch VII 23, 5 (Beschreibung des murus Gallicus, der ad defensionem urbium summam habet opportunitatem) sowie zweimal für Gergovia (VII 36, 1 und 47, 4) und je einmal für Avaricum (VII 15, 4) und Alesia (VII 68, 3), Daneben werden alle drei Städte auch im VII, Buch vielfach als Oppida bezeichnet, Eine befriedigende Erklärung für diese Erscheinung kenne ich nicht, Abwechslung im Ausdruck kann nicht gut angestrebt worden sein, sonst müßte urbs auch in den anderen Büchern des Bellum Gallicum zu finden sein, wenn gallische Städte gemeint sind (urbs für Rom steht hier natürlich nicht zur Erörterung), Mangelnde letzte stilistische Glättung des Textes des VII, Buchs? - Vgl, auch Anm, 29,

19 Auf die Lagerung größerer Vorräte in den Oppida wies schon Dehn (wie Anm, 11) S, 45 f, hin, unter etwas zu starker Betonung der größeren Oppida, der „Städte“,

20 Vgl, auch die bei DEHN (wie Anm, 11) S, 44 zusammengetragenen Stellen mit Angaben über das Stadtbild innerhalb der Mauern,

21 Vgl, die hierhergehörenden Stellen bei DEHN (wie Anm, 11) S, 44 f,

22 W, DEHN, Einige Bemerkungen zur Erforschung gallischer Oppida in Frankreich, Archeologické Rozhledy (Prag) 23, 1970, S,393-405; das wörtliche Zitat S, 404,- Gerade mit Hinblick darauf, daß ich zu Dehn einige einschränkende Bermerkungen machen muß, sei auf diese vorzügliche Übersicht über die französischen Oppidum Forschung nachdrücklich hingewiesen,

23 Auf seiner Karte "Lage der behandelten keltischen Oppida der Spätlatènezeit" bringt WERNER (wie Anm, 10) S, 17, Abb, 9 bezeichenderweise von allen süddeutschen Oppida rechts des Rheins nur Manching,

24 Einsprüche anderer Art nennt K, CHRIST (wie Anm, 28) S, 230 mit Anm, 3,

25 K, BITTEL, Das keltische Oppidum bei Finsterlohr‚ in: Jahrbuch Württ, Franken NF 24/25, 1950, S, 69-86; die wörtlichen Zitate S, 69 und S, 70, - Der neueste, vervollständigte Plan des Oppidums Burgstall bei Finsterlohr findet sich jetzt bei FISCHER, Kelt, Oppida (wie Anm,10), Karte III, 8 und Beiwort S, 14,

26 H, ZÜRN (wie Anm, 10); das wörtliche Zitat S, 263,

27 F, FISCHER, Beiträge zur Kenntnis von Tarodunum, Bad, Fundber, 22, 1962, S, 37-49, bes, S, 46 ff,; das wörtliche Zitat S, 46,

28 K, CHRIST, Exkurs: Zur Definition der keltischen Oppida, Historia 6, 1957, S, 229-235 (im Rahmen eines umfassenden Forsehungsberichtes über die keltische Numismatik und Geldgeschichte),

29 CHRIST (wie Anm, 28) S, 232, - Zu CHRISTS Bemerkungen zum Gebrauch des Wortes urbs (ebd,), das nach CHRIST die großen keltischen Stammeszentren bezeichnen solle, vgl, Anm, 18, Ergänzend sei angefügt, daß Bibractc im VII, Buch nirgendwo als urbs bezeichnet wird, auch VII 55,4 nicht: (Bibracte), quod est oppidum apud eos (scil, Haeduos) maximae autoritaris.

30 W, DEHN, Einige Bemerkungen (wie Anm, 22) S, 393.

31 F, FISCHER, Heidengraben (wie Anm, 10) S, 33 f,, doch vgl, unten Anm, 63.

32 G, JACOBI (wie Anm, 10) S, 75, Jacobi muß man allerdings zugute halten, daß er dann, seinem Thema gemäß (wie Anm, 10), Häuser und Handwerksstätten in solchen keltischen Siedlungen bespricht, die man als „Städte“ bezeichnen muß.

33 S, RlECKHOFF-PAULI (wie Anm, 10) S, 38 ff.,; Br, OVERBECK, ebd, S, 105,

34 O, ROLLER, Zeitschrift f, d, Gesch, des Oberrheins 126, 1978, S, 431 ff., Besprechung von R, NIERHAUS, Studien zur Römerzeit in Gallien, Germanien und Hispanien, hrsg, von R, WIEGELS, Veröffentl, des Alemann. Instituts Freiburg i, Br, Nr, 38, 1977, - Der im Text genannte Aufsatz darin S, 157-193 (Erstdruck Bad, Fundber, 23, 1967, S, 117- 157), - Das wörtliche Zitat ROLLERS S, 433.

35 Zuletzt JACOBI (wie Anm, 10) S, 78 ff. - Vorher W, KRÄMER, Zwanzig Jahre Ausgrabungen in Manching 1955-1974, in: Ausgrabungen in Deutschland, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1950- 1975 I. Römisch-German, Zentralmuseum, Monogra-
phien I, 1, 1975, S, 287-297 mit Beilage 12 und 13, Dort die ältere Lit,

36 Der Ort liegt heute etwa 5 km südlich der Donau.

37 Zuletzt F. FISCHER, Untersuchungen im spätkeltischen Oppidum von Altenburg-Rheinau, in: Ausgrabungen (wie Anm, 35) S, 312-323, Dort die ältere Lit, Dazu jetzt der neue Plan bei FISCHER, Kelt, Oppida (wie Anm, 10), Karte Ill, 8 und Beiwort S, 13 f. - Außerdem zu den
Münzfunden D. F. ALLEN. The Coins from the Oppidum of Altenburg and the Bushel Series, Germania 56, 1978, S, 190-229, Nach der neuesten Zusammenstellung der Münzfunde bei FISCHER, Kelt, Oppida, Beiwort S, 14, wurden bis jetzt in Altenburg mehr als 70 keltische
Münzen gefunden, darunter 41 Silbermünzen sowie ein römischer gezähnter Denar (Senates) der Zeit um 100 v, Chr, - Der schweizerische (Rheinauer) Teil des Oppidums wird im Folgenden nicht besprochen,


38 Vgl, FISCHER, Heidengraben (wie Anm, 10) laufend. Dazu jetzt eine neue archäologische Karte bei FISCHER, Keltischc Oppida (wie Anm. 10), Beiwort zu Karte Ill, 8, Abb, auf S, 15 und die Bemerkungen S, 14, - Zur Gleichsetzung des Heidengrabens mit Riusiava bei Ptolemaios vgl. den Anm. l genannten Aufsatz S, 490 493,

39 Der Name ist modern und fehlt auf den Landkarten. Es ist der südwestliche Teil des gesamten Oppidums, der auf den Karten bei FISCHER (wie Anm, 38) durch die Wallslrecken begrenzt wird, zu denen die Tore A bis D gehören, Vgl. auch den Sonderplan der Elsachstadt bei
FISCHER, Hcidengraben.

40 Neueste Übersichten: G, PICCUTFINI, Die Stadt auf dem Magdalensberg - ein spätkeltischesvund frührömisches Zentrum im südl. Noricum, in: H, TEMPORINI (Hrsg), Aufstieg und Niedergang der röm, Welt ll, 6, 1977, S, 263-301, - G, PICCOTTINI und H, VETTERS, Führer durch die Ausgrabungen auf dem Magdalensberg. 1978.

41 F,-R, HERRMANN, Grabungen im Oppidum von Kelheim 1964 bis 1972, in: Ausgrabungen (wie Anm, 35) S, 298-311. Dort die ältere Lit. Das wörtliche Zitat S, 298, - Zur Gleichsetzung des Michelsbergs mit Alkimoännis bei Ptolemaios vgl. den Anm. l genannten Aufsatz
S, 493-495,

42 Vgl, oben S, 56 ff, mit Anm, 25 bis 27,

43 Noch unpubliziert, - Für freundlichen Hinweis auf diese Neufunde bin ich Herrn Prof, Dr, F, FISCHER (Tübingen), für genauere Auskünfte und die Genehmigung, diese Auskünfte hier verwerten zu dürfen, Herrn Oberkonservator Dr, D, PLANCK (Stuttgart) zu Dank verbunden,

44 Vgl, dazu K. CASTELIN und H.-J. KELLNER, Die glatten Regenbogenschüsselchen, in: Jahrbuch für Numismatik und Geldgesch, 13, 1963, S, 105 - 130, Dort S, 118 Abb, l die Verbreitungskarte der glatten Regenbogenschüsselchen, die in der Fassung bei ZÜRN (wie Anm, 10) S, 262 Abb, 31 unserer Abb, 2 zugrunde liegt,

45 KELLNER (wie Anm, 44) S, 119,

46 ZÜRN (wie Anm, 10) S. 261 und Verbreitungskarte S. 263, Abb. 32, danach unsere Abb. 3.

47 BITTEL, (wie Anm, 25) S, 82 ff.: das wörtliche Zitat S, 84,

48 BITTEL, ebd, S. 70; vgl, oben S, 57 f,

49 ZÜRN (wie Anm, 10) S, 261, - Die Stelle, an der unlängst, wie vorhin berichtet, Scherben gefunden wurden, ist mit Wald bedeckt und konnte deshalb, wie ZÜRN betont, damals nicht genau abgesucht werden,

50 BITTEL (wie Anm, 25) S, 72.

51 Zu Tarodunum vgl. die beiden Beiträge von G, FINGFRLIN in diesem Band sowie FISCHER.
Beiträge (wie Anm. 27) und oben S. 58, Dazu jetzt FISCHER, Kelt. Oppida (wie Anm, 10), Beiwort zu Karte III, 8 S. 12 f, mit Plan von Tarodunum.

52 Diese Zahl nennt FISCHER, Beiträge (wie Anm, 27) S, 38, In seiner Zusammenstellung von Ausmaßen der Innenräume mehrerer Oppida gibt FISCHER, Heidengraben (wie Anm, 10) S, 34 für Tarodunum die Größe von 129 ha an. Diese Zahl beruht, wie mir Herr FISCHER freundlichst mitteilt, auf einem Versehen, 190 ha ist die richtige Größenangabe.

53 Vgl, für Tarodunum den Plan bei FINGERLIN oben S, 27, Abb, 2 oder bei FISCHER, Beiträge (wie Anm, 27) Taf, 14; für Grabenstetten FISCHER, Heidengraben (wie Anm, 10) S, 50 ff, mit Kartenskizze S, 48, Abb, 10; danach hier Abb, 4,

54 FINGERLIN, oben S, 36, Abb, 9, und FISCHER, Beiträge (wie Anm, 10) S, 41,

55 Vgl, die Photo-Abbildungen der Mauer Bad, Fundber, 2, 1929/32, S, 296 f. Abb, 117-118 und (besser) Germania 15, 1931, S, 277, Abb, 2; dazu das Profil, Bad, Fundber, 13, 1937, S, 102, Abb, 2,

56 BITTEL (wie Anm, 25) S, 85.

57 Vgl, zur Forschungsgeschichte G, KRAFT, Bad, Fundber, 13, 1937, S, 101 f,; dort das wörtliche Zitat, - Bemerkt sei noch, daß im Innern von Tarodunum, anders als in Finsterlohr (wie Anm, 49), nirgendwo Waldbewuchs das Abgehen und Absuchen des Geländes je behindert
hat oder behindert.

58 Das Weiterdauern gallo-romanischer Siedler im Zartener Becken bis ins frühe Mittelalter hinein konnte W, Krugman anhand mehrerer Gewässer- und Flurnamen nachweisen, vgl, W. KLEIBER, Zwischen Antike und Mittelalter. Das Kontinuitätsproblem in Südwestdeutschland
im Lichte der Sprachgeschichtsforschung, in: Frühmittelalterl, Studien 7, 1973, S, 27-52, hier S, 41-43, - Ders., Tarodunum/Zarten, Beiträge zum Problem der Kontinuität, Alemann, Jahrbuch 1971/72, S, 229-238.

59 Auf diesen Gesichtspunkt machte auf dem Colloquium in der Diskussion Herr Bibl.-Direktor i, R, Dr, E, LIEHL (Hinterzarten) aufmerksam: vgl, auch E, Liehl, oben S, 12 f.

60 Vgl, oben S, 58 mit Anm, 2?,

61 Erst nach Abschluß des Manuskripts werde ich darauf aufmerksam, daß: A, GNIRS in einer erstmals 1898 erschienenen Arbeit nachdrücklich darauf hinweist, daß die ,,Pöleis" bei Ptolemaios, sofern sie im Freien Germanien liegen, nicht mehr zu sein brauchen als „Stationen und Etappen“ der damaligen Hauptverkehrswege. Zu solchen „Stationen“ rechnet GNIRS unter Umständen auch bloße Furten, Gebirgspässe und ähnliche markante Geländepunkte. Damit geht GNIRS wohl etwas zu weit. Mit Siedlungen, vielfach mit befestigten Siedlungen, gleich welcher Größe, die durchaus an Furten oder ähnlichen schwierigen Wegstellen gelegen haben können, werden wir bei den ptolemaischen „Pöleis" in Germanien zu rechnen haben, aber „Städte“ im antiken Sinne oder auch im Sinne der großen gallischen Oppida waren sicherlich die wenigsten, Vgl, die Sammlung von Gnirs’ wichtigeren Aufsätzen: A{nton) GNIRS, Beiträge zur Geschichte und Geographie Böhmens und Mährens in der Zeit des Imperium Romanum, hrsg, von A(nna) GNIRS, Reihe Argo l (1976), Das wörtliche Zitat in dem Aufsatz: Das östliche Germanien und seine Verkehrswege in der Darstellung des Ptolemaeus. S, 1- 27, hier S, 6, - Der Aufsatz erschien erstmals in den Prager Studien 4, 1898,

62 Absichtlich nicht eingegangen wurde hier auf das Oppidurn auf dem Donnersberg in der nördlichen Pfalz. Dort werden seit 1974 regelmäßig Ausgrabungen unternommen, die unser
bisheriges Bild vom Donnersberg schon stark verändert haben und sehr wahrscheinlich in naher Zukunft weiterhin verändern werden. Bis jetzt haben diese Grabungen - neben anderen wichtigen Ergebnissen - zwar schon zahlreiche Einzelfunde erbracht, die darauf hinweisen, daß im östlichen Teil des Oppidums eine bedeutendere Siedlung bestanden haben muß, doch bleiben genauere Befunde, besonders Siedlungsgrundrisse, abzuwarten. Vgl, den Überblick über die Grabungen von K, BITTEL, Der Donnersberg, eine keltische Stadtanlage, Abh, Akad, Wiss, und Lit, (Mainz), Geistes- und Soz,-wiss, Klasse, Jahrg, 1981, Nr, 8, Dort S, 6 f.