Überraschungen aus Tarodunum
Analysen belegen den Rang der keltischen Großsiedlung
von: STEFAN TOLKSDORF
Als Claudius Ptolemäus Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts
in Alexandria den Namen ¸¸Tarodounom" in sein Kartenwerk ¸¸Geographia"
schrieb, hatte er vom Aussehen der fernen Keltenstadt im Zartener
Becken keine Ahnung. Doch die Erwähnung allein verweist auf einen
Handelsplatz von überregionalem Rang. Lange haben die Archäologen
vergebens versucht, die Bedeutung des Ortes durch spektakuläre Funde zu
belegen. Innerhalb der sechs Kilometer langen, noch als Bodenwelle
erkennbaren Befestigung im Dreisamtal fehlten alle Siedlungsspuren.
Haben die Erbauer die riesige, wohl unvollendete Anlage nie bezogen?
War das geheimnisvolle Tarodunum nur eine leere Fluchtburg?
Im März 1987 ließ sich dann doch noch eine Großsiedlung nachweisen.
Unbefestigt erstreckte sie sich westlich des Walles, am Ortsrand von
Zarten, auf einem 12 Hektar großen Areal. Verwitterte Keramik- und
Amphorenscherben kamen zum Vorschein, insbesondere aber 122 Münzen und
254 Fragmente von Glasarmringen, vom damaligen Student Heiko Wagner aus
dem Ackerboden geklaubt. Das Bild einer blühenden Handelssiedlung nahm
erste Konturen an. Zehn Jahre lang hat ein Forscherteam unter Leitung
der Geochemiker Professor Andreas Burkhardt und Willem Stern von der
Universität Basel sowie Rolf Dehn vom Landesdenkmalamt Freiburg die
keltischen Münzen des Breisgau untersucht. Die Ergebnisse sind
verblüffend. In einem von der DFG finanzierten Projekt werden
überdies durch Andreas Burkhardt und den Freiburger Frühgeschichtler
Heiko Steuer 250 keltische Gläser aus Tarodunum zerstörungsfrei
analysiert. Die Methode der
zerstörungsfreien Analytik erlaubt durch den Einsatz eines
Röntgenspektrometers Materialanalysen von bislang kaum erreichter
Genauigkeit. Im Gegensatz zu den gängigen chemischen Methoden bleibt
das Objekt bei dieser Methode intakt. Die Ergebnisse dieser quasi
kriminalistischen Recherche bezeichnen Steuer und Burkhardt als
archäologische Sensation. Nie wurde eine so große Anzahl keltischer
Münzen derart scharf unter die Lupe genommen, nie zuvor gelang es, an
einem keltischen Fundort sämtliche Stadien der Münzherstellung vom
Rohgoldklumpen bis zur Prägung archäologisch und metallurgisch
lückenlos nachzuweisen.
Von den 10 000 Einzeldaten ist nun ein Großteil ausgewertet. Was
zunächst überrascht, ist die hohe Qualität der Münzen. Die
Goldlegierungen bezeugen, dass die Kelten damals Metalltechniken
beherrschten, die erst wieder in der heutigen Hightech- Industrie zur
Verwendung kommen. Und dass Kobalt, Zinn und Antimon in keltischen
Gläsern vorkommen, wirft ein neues Licht auf deren Produktion. Diese
Elemente finden sich auch in den Erzen des Schwarzwaldes.
Folgende Schlüsse liegen nahe: Nicht nur Goldmünzen, auch
qualitätsvoller Glasschmuck wurde vor Ort produziert, möglicherweise
auch für den Export. Das Oppidum im Dreisamtal verdankt seinen
Standort wohl dem frühen Erzbergbau. Weitere Standortvorteile liegen
auf der Hand: Die Kontrolle der später von den Römern ausgebauten
rechtsrheinischen Handelswege, die gute Verteidigungslage hinter der
Talenge von Ebnet. Verglichen wurden die Zartener Funde auch mit denen
aus dem ¸¸Kegelriß" bei Ehrenkirchen. Dort kam ein kegelförmiger
Gusszapfen zum Vorschein, der zur Produktion keltischer Bronzemünzen
diente. All dies beweist: Die Oberrheinregion war mit all ihren
keltischen Großsiedlungen zwischen 200 bis 100 vor Chr. ein
prosperierender Wirtschaftsraum. Um die Wende zum ersten Jahrhundert,
also lange vor Ankunft der Römer, muss es zu Unruhen unter den Stämmen
gekommen sein. Die Bewohner des alten Tarodunum erwogen damals wohl den
Umzug hinter den neuen Großwall. Dann aber verließen sie das Tal.
Wenige blieben und überlieferten den Namen einer versunkenen Siedlung,
aus dem später ¸¸Zarduna", ¸¸Zarten" wurde. Unter Fachleuten ist es
schon jetzt ausgemacht, dass Tarodunum so bedeutend ist wie das
berühmte Manching bei Ingolstadt. Auf die erhofften Flächengrabungen
der Freiburger Archäologen darf man gespannt sein.
STEFAN TOLKSDORF
Aus: Süddeutsche Zeitung
Nr.188, Montag, den 16. August 2004 , Seite 14