Tarodunum aus:
Roland Weis / Ramesh Amruth (Fotos) MAGISCH MYSTISCH MEGALITHISCH
Die rätselhafte vorchristliche Vergangenheit von Süd-
und Hochschwarzwald
III.
WEGE IN DIE VERGANGENHEIT Rombach
Verlag 2013
Wohnen und Leben
Wir haben uns bisher mit vermeintlichen Kultplätzen beschäftigt,
mit heiligen Stätten, mit Sonnwendbergen und mit heidnischen
Quellen und Bäumen. Das Vorhandensein solcher Orte wirft aber
ganz unweigerlich die Frage nach den Siedlungsplätzen auf. Wo
haben die frühen Menschen gewohnt, von denen wir annehmen, dass
sie hier gelebt haben? Für manche der frühgeschichtlichen
Stätten, die wir schon identifiziert haben, ist die Frage
bereits beantwortet. Am besten gesichert und erforscht ist dabei
sicherlich das keltische Tarodunum im Dreisamtal. Dort hat man
bereits im frühen 19. Jahrhundert eine 200 Hektar umfassende
Befestigungsanlage der Spätlatènezeit (nach dem Fundort La Tène
am Neuenburger See, 1. Jahrhundert v. Chr.) ermittelt und als
das bereits beim griechischen Geografen Claudius Ptolomaeus
erwähnte Tarodounon (Tarodunum) identifiziert. Durch beständige
Grabungen und Begehungen bis heute74 kennt man die
Anlage ziemlich genau: Die keltische Großsiedlung war mehr oder
weniger unbefestigt, offen, wie man es auch von anderen
keltischen Siedlungen in Breisach oder Basel kennt. Sie
erstreckte sich auf einer hochwassersicheren Geländeterrasse.
Ermittelt wurden ein Siedlungszentrum (12 Hektar) und größere
Außenbereiche. Man hat einen Marktplatz, 165Schmieden, Metall-,
Keramik- und sonstige Werkstätten identifiziert, zahlreiche
Belege (Bernstein, Perlen, Münzen) für Fernhandel gefunden sowie
Mühlsteine aus Buntsandstein, die nachweislich aus einem
Buntsandsteinbruch bei Schopfheim stammen.
»Insgesamt entsteht das Bild einer ausgedehnten blühenden
Siedlung«, so das Fazit von Heiko Wagner,75 die
aufgrund der Funddichte auf 1000 bis 3000 Einwohner gekommen
sein dürfte. Wagner spricht vom »Siedlungszentrum eines Stammes
oder Teilstammes«, zu dem im näheren Umland noch etwa zwölf oder
15 Gehöfte gehört haben könnten. Des Weiteren gehörte zu dieser
Siedlung auch eine Befestigungsanlage, die im Osten des
Siedlungsplatzes liegt, also dem Schwarzwald zugewandt. Die auch
heute noch mit bloßem Auge erkennbare Befestigung trägt im
Volksmund die Bezeichnung »Heidengraben«. Bemerkenswert ist die
Lokalisierung des bisher einzigen Eingangtores in dieser
Befestigung.76 Dieses Tor liegt nicht der
beschriebenen Großsiedlung zugewandt, sondern richtet sich nach
Osten, also zum Wagensteig- und Höllental hin in den Schwarzwald
hinein. Kann dies etwas anderes bedeuten, als dass es in diesem
Schwarzwald Orte und Menschen gab, die in Kontakt mit Tarodunum
standen?
Das typische mittel- und spätlatènezeitliche
Siedlungsbild sieht ein Oppidum (Zentralort mit
Festungsanlage) wie Tarodunum eher als die Ausnahme an. Die
Regel, so nimmt die Forschung an, sind viel eher kleine
Gehöftsiedlungen oder sogar Einzelgehöfte gewesen.77
Derartige Gehöftsiedlungen sind in Mengen, Sasbach, Breisach,
Ehrenstetten oder Basel nachgewiesen. Teilweise waren sie als
befestigte Viereckschanzen angelegt, von Wall und Graben oder
von Palisadenwerken umgeben. Gehöfte dieser Art waren »nach
Ausweis der Funde und der Berichte antiker Autoren
höchstwahrscheinlich Residenzen der lokalen Aristokratie, die
ökonomische und politische Macht über das Umland ausübte.«78
Zum keltischen Oppidum im Dreisamtal ist übrigens der
dazugehörige Bestattungsplatz noch nicht gefunden, insbesondere
fehlt es an einem prominenten Grabbauwerk, wie es auf der
anderen Seite des Schwarzwaldes mit dem Fürstengrab
Magdalenenberg bei Villingen gegeben ist. Bei Villingen ist es
andersherum: Hier hat man den repräsentativen Grabhügel mit
Fürstengrab und zahlreichen Nachbestattungen gefunden, über den
dazugehörigen Siedlungsplatz herrscht Unklarheit. Lange Zeit
schien die bereits beschriebene Wallanlage auf dem rund vier
Kilometer entfernten Kapf als Siedlungsplatz festzustehen, heute
wird das wieder angezweifelt.79 Eine Alternative ist
allerdings nicht in Sicht. Aufgrund der Größe und Ausstattung
des Fürstengrabes vom Magdalenenberg schließt die Forschung dort
auf »eine sozial differenzierte Gesellschaft [...|, die wohl von
einer Fürstendynastie beherrscht wurde.«80
Es muss also eine ‚Oberschicht: gegeben haben, die
Gemeinschaftsleistungen wie das Aufschütten des Grabhügels (mit
einer Schüttungsmasse von 33 000 Kubikmetern) oder der
Wallanlagen organisierte und überwachte. Die Grabbeigaben
dokumentieren große soziale Unterschiede zwischen den
Bestatteten. Die zur Fürstenfamilie gehörige Unterschicht‘, wenn
sich für sie kein zentraler Siedlungsplatz ähnlich dem von
Tarodunum finden lässt, hätte sich dann auf zahlreiche kleine
und kleinste Gehhöftsiedlungen und Einzelgehöfte verteilt, die
aber für das Einfiussgebiet des Magdalenenbergs noch der
Auffindung harren. Brigachtal und Bregtal, jeweils vom
Zusammenfluss bis hinauf an ihre Quellen, dürften aber
diesbezüglich ein heißer Tipp sein. Die Herrschaft über einzelne
Siedlungsräume lag in diesen keltischen Stammesgesellschaften
oft über Generationen hinweg bei einer Familie.81 Der
Reichtum dieser ‚Fürsten beruhte auf ihrem monopolartigen
Zugriff auf geregelte Nutzung von Bodenschätzen wie Salz oder
Eisen. Salzvorkommen in der nächsten Umgebung von Villingen sind
bei Bad Dürrheim und bei Schwenningen vorhanden. Im Bregtal bei
Hammereisenbach gibt es Bohnerz, das sich zu Roheisen verhütten
lässt. Wie die keltische Eisenproduktion funktionierte, hat man
anhand von Funden bei Neuenbürg im Nordschwarzwald
rekonstruiert. Dort konnte auch der Beweis vorgeschichtlichen
Bergbaus erbracht werden.82 In langovalen,
kuppelförmigen, relativ kleinen Rennöfen mit einem
Innendurchmesser von maximal 60 Zentimetern fand die
Eisenschmelze statt. Die Öfen besaßen eine Düsen- oder
Windöffnung, durch welche per Blasebalg die Luftzufuhr erfolgte.
Auf der Kuppel befand sich die Öffnung, durch die jeweils Erze
und Holzkohlen nachgefüllt wurden. Die Öfen wurden in einen Hang
eingetieft, wobei sich an der hangabwärtigen Seite eine Vorgrube
anschloss, die in den Ofenraum mündete. Aus dem Ofen rannen die
Schlacken (daher der Name »Rennofen«) nach unten. Nach jedem
Ofengang mussten die Öfen zur Entnahme der geschmolzenen Erze
geöffnet werden, nach dem Abkühlen wurden sie mit Lehm wieder
repariert und erneut betrieben. Je Ofen ließen sich mit mehreren
Ofengängen rund drei Tonnen Erz bewältigen und daraus etwa eine
Tonne Metall gewinnen.83
Was den Kelten im Nordschwarzwald möglich war, dürfte ihren
Zeitgenossen im Südschwarzwald nicht fremd gewesen sein.84
Schon seit langem geht die Forschung von der Existenz keltischen
Bergbaus aus, da genügend indirekte Indizien dafür sprechen,
wenn auch die Abbauund Verarbeitungsplätze noch nicht eindeutig
nachgewiesen sind.85 Ein heißer Kandidat wäre aber
Hammereisenbach mit dem in unmittelbarer Nähe liegenden
Krumpenschloss. Die Anfänge des Bergbaus im Eisenbacher Tal und
im Bregtal liegen vollkommen im Dunkeln. Johannes Humpert
spekuliert in seiner Untersuchung über eine Römerstraße im
Südschwarzwald auch über Bergbau in römischer oder gar
vorrömischer Zeit in Eisenbach.86 In der Nähe des
Krumpenschlosses bei Hammereisenbach fanden Forscher eine Anzahl
von Gruben, die eine schwach linienartige Anordnung. besitzen.
Die Wissenschaftler interpretieren sie als Pingen, also als
Erdeinbrüche infolge unterirdisch eingestürzter Grubenbauten.
Auch die Namensgebung Reichenbach in unmittelbarer Nähe könnte
laut Heribert Saldik auf frühen Bergbau schließen lassen.87
Zur im ersten Kapitel bereits beschriebenen Wallanlage
Krumpenschloss gehörte die inzwischen in ihren gröbsten Umrissen
rekonstruierte Siedlung Laubhausen. Sie befand sich in einer dem
Krumpenschloss gegenüberliegenden Talsenke, dem Wilddobel, vom
Krumpenschloss durch einen kleinen Bergrücken getrennt. Die
gesamte Anlage der möglichen Siedlung Laubhausen wird auf
mindestens 70 Hektar geschätzt.88 Neuerdings ist auf
der gegenüberliegenden Seite des Bregtals eine weitere Anlage
identifiziert worden, die dem Gesamtkomplex höchstwahrscheinlich
zugerechnet werden müsste. Zur Erinnerung: Genau dazwischen, in
der Aue des Bregtals, steht der von uns weiter oben beschriebene
weißgeschliffene Menhir.
Auf der dem Bregtal zugewandten Seite Laubhausens gibt es einen
markanten Felsen mit dem höchst verdächtigen Namen »Tierstein«.
Auf der Bergseite, wo es auf die Höhen Richtung Mistelbrunn
zugeht, heißt ein größeres Flurstück nicht minder verdächtig
»Keltengräber«. Wer immer diese Namen vergeben hat, sie sind,
wie wir inzwischen gelernt haben, untrügliche Zeichen, dass wir
uns auf der richtigen Spur befinden. Laubhausen ist von
Befestigungswällen mit einer Länge von ungefähr vier Kilometern
umgeben gewesen. Davon sind mit bloßem Auge noch einige bis zu
drei Meter breite Steinwälle von 80 Zentimetern Höhe
auszumachen. Insgesamt ist das, was eine Ortsbegehung zeigt,
aber eher enttäuschend, und es bedürfte zwingend einer
archäologischen Untersuchung, um alle Annahmen zu erhärten, die
sich an diesen keltischen Siedlungsplatz knüpfen. Eine als
Laubhausener Brunnen bezeichnete Wasserfassungam Westende des
Wilddobels wird als künstlich angelegte Wasserversorgung
gedeutet.89
Am unweit entspringenden Reichenbächle, ca. 2500 Meter
südöstlich des Brunnens, sind außerdem weitere fächerförmige
Erdwälle zu erkennen, die als Langhügel (Reihengräber)
interpretiert werden.90
Die Trennung zwischen Siedlungsplatz und Flucht- oder Wallburg,
wie wir sie jetzt bereits in Tarodunum, in Villingen und bei
Hammereisenbach kennengelernt haben, führt zu der Vermutung,
dass es sich auch bei der Wallanlage von Berau nicht um eine
Siedlung der Vorzeit handelt, sondern eher um eine Flucht- und
Verteidigungsanlage. Dafür sprechen die Lage auf dem Bergsporn
und die Absicherung des Bergrückens durch gleich drei Linien von
Wällen und Gräben. Wir erinnern uns, dass die Kirchzartener
Befestigungsanlage im Volksmund als Heidengraben bekannt war.
Eine solche Bezeichnung ist auch bekannt für das keltische
Oppidum bei Grabenstetten auf der Schwäbischen Alb.91
Dieses ist schon 1454 als Haidengraben urkundlich erwähnt,92
was uns sensibel auch für alle Bezeichnungen mit »Haid-« machen
sollte. Berühmt ist auch das Tuttlinger Heidentor, eine
Fundstätte mit Siedlungshinterlassenschaften aus der älteren
Bronzezeit.93 In Berau heißt die Anlage
Heidenschanze. Auch diese Bezeichnung spricht eher gegen als für
einen Wohnplatz. Allerdings ist zwischen dem ersten und dem
zweiten Wall reichlich Platz für eine Siedlung, die zumindest
für die Sippe(n) der lokalen Oberschicht ausreichend Raum
geboten hätte. Eine besondere Bedeutung käme in diesem Falle der
Frage der Trinkwasserversorgung zu. Denn das ganze Areal ist
frei von Quellen und bis heute gibt es auch keinerlei Anzeichen
für eine Brunnenversorgung. Die Vorstellung, dass eine hinter
den Wällen verschanzte Gemeinschaft sich über Kletterpartien und
bewehrt mit Wasserschläuchen oder Fässern ins Alboder
Schlüchttal hinunter mit Trinkwasser versorgen musste, ist
völlig abwegig. Wie also haben die Bewohner/Verteidiger der
Wallanlage Berau sich mit Trinkwasser versorgt? Wir nehmen die
Frage auf unsere Wiedervorlage und treten ihr im fünften Kapitel
näher.
74 Ausführlich
dargestellt von Heiko Wagner: Tarodunum und das Zartener
Becken.
75 Ebd., S. 27.
76 Vgl. Rolf Dehn: Das Oppidum Tarodunum bei Kirchzarten, in:
Landesamt für Denkmalpflege (Hg.): Kelten an Hoch-und
Oberrhein, Esslingen 2005, S. 86-89, hier S. 86f.
77 Vgl. Holger Wendling: Offene »Städte«
befestigte Höhen. Ein Sonderfall der Siedlungsstruktur im
Oberrheingebiet, in: Landesamt für Denkmalpflege (Hg.): Kelten
an Hoch- und Oberrhein, S. 19-34.
78 Ebd.,S.21.
79 Schriftliche Mitteilung der Museumsleiterin Anita Auer der
Städtischen Museen Villingen-Schwenningen vom04.01.2013 an den
Verfasser.
80 Gabriele Weber-Jenisch: Das keltische Fürstengrab
Magdalenenberg im Franziskanermuseum Villingen, in: Konrad
Spindler: Magdalenenberg, S. 25.
81 Vgl. ebd.
82 Vgl. Günther Wieland/Guntram
Gassmann: Wo die Rennöfen glühten. Keltische Eisenproduktion im
Nordschwarzwald, in: Archäologisches Landesmuseum
Baden-Württemberg u.a. (Hg.): Die Welt der Kelten, S. 183-186.
83 Vgl. ebd.,S. 186.
84 Vgl. Guntram Gassmann: Neue Forschungen zur keltischen
Eisenproduktion in Süddeutschland, in: Archäologische
Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1996 (1997), S. 94-100.
85 Vgl. Heiko Steuer: Keltischer und römischer Bergbau im
Südschwarzwald, in: Archäologische Informationen aus
Baden-Württemberg 41 (1999) S. 37-42, hier S. 37f.
86 Vgl. Johannes Humpert: Eine römische
Straße durch den südlichen Schwarzwald, in: Archäologische
Nachrichten ausBaden 45 (1991), S. 19-32.
87 Vgl. Heribert Saldik: Bregtal, S. 14.
88 Vgl.
www.heimatgilde-frohsinn.de/abteilungen/ak_stadtgeschichte
(Stand: 31.08.2013)
89 Vgl. Heribert Saldik: Bregtal, S. 14.
90 Vgl. ebd.
91 Vgl. Ines Balzer: Das Tor G des Oppidums
Heidengraben bei Grabenstetten: Die Grabungen 1976 und 1981, in:
Fundberichte aus Baden-Württemberg 22/1 (1998), S. 295-376.
92 Vgl. ebd., S. 298.
93 Vgl. Rolf Dehn/Jutta Klug: Fortführung der Grabungen am
»Heidentor« bei Egesheim, Kreis Tuttlingen, in: Archäologische
Ausgrabungen in Baden-Württemberg 1992 (1993), S. 99-103.