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Badische Volkskunde vom Dorfe Stegen, Amts Freiburg

Karl Ruch, Hauptlehrer

Stegen, den 24. Dezember 1894.


1. Stegen (Stege) bildet mit dem Zinken Rechtenbach (Rechtebach), Unter- und Oberbirken (Unter und Oberbircher) die Gemeinde Stegen.
Stegen ist Filiale zu Eschbach, wo der hl. Jakobus Kirchenpatron ist. Wohl befindet sich hier eine Kapelle, zum Schlosse des Herrn Grafen v. Kageneck gehörig, in der aber wöchentlich nur einmal Gottesdienst gehalten wird. Schutzpatron darin ist der hl. Sebastian.
Die Zinken Rechtenbach, Ober- und Unterbirken gehören zur Pfarrei Kirchzarten.
Der Marktverkehr ist nach Freiburg gerichtet.
 
2. „Eschbach“‚ ein Bach, an dem früher viele Eschen gestanden sein sollen.
“Brandbühl” Anhöhe im Walde, welche der Sonne sehr ausgesetzt ist.
“Galgenbühl” Berg, auf dem früher der Galgen gestanden sein soll.
“Geisterplatz” früher Geißenplatz, Platz im Walde, wo früher die armen Leute ihre Geißen weiden durften. _
“0ber- und Unterlaien” Feldgewann, der oben bezw. unten an einem gewissen Wege liegt.
Dummes = (Thomas), Josephen= Räuchle, Recken =u. Romanenhof haben ihre Namen von früheren Besitzern. Dobelhof, weil er in einem Dobel liegt.

3. Familien- u. Taufnamen:
Andris, Dilger, Drescher, Eckmann, Gassenschmidt, Heitzler, Huber, Hug, Hummel, Kiesel, Klingele, Läufer, Mäder, Molz, Nitz, Pfister, Rebmann, Rombach, Scherer, Schlegel, Schweitzer, Thoma, Tritschler, Walter, Willmann, Wirbser, Zähringer.
Die häufigsten sind Rombach bezw. Joseph u. Max.

4. Hausbau und Dorfanlage:
Die Gebäude sind teils aus Holz aufgeführt, und befinden sich bei diesen gewöhnlich Wohnhaus, Scheuer und Stall unter einem Dache (Stroh- oder Schindeldach, teils sind sie aus Steinen gebaut. Dann in der Regel das Wohnhaus von Scheuer und Stall getrennt.
Meistens ist die Breitseite des Hauses der Straße zugekehrt. Die Holzhäuser sind einstöckig, die andern jedoch mehrstöckig. Stegen ist kein geschlossenes Dorf.

6. Volkstracht:
Bei den Männern kann von einer besonderen Tracht nicht mehr gesprochen werden. Dagegen tragen die Frauen die sog. Thaltracht, nämlich einen kurzen, schwarzen Schoben, dessen Ärmel oft mit Watte aus gefüllt sind (Pfutleschobe), grauen Rock und ein vielfarbiges Fürtuch (Schürze) Den Hals kleidet der gestickte Halsmantel und ein farbiges Halstuch. Die Kopfbedeckung ist im Sommer ein weißer, niederer Strohhut mit breitem Rande, verziert mt einem breiten Sametbande, und im Winter wird die Kappe getragen, deren breite, seidenen Bänder bis auf die Knöchel reichen. An hohen Festtagen schmücken sich die Jungfrauen mit Kranz oder Schäppele.

7. Nahrung:
Dieselbe besteht hauptsächlich in Mahlzeiten wie Nudeln, Knöpfle, Mocken = Pflaumkuchen, Küchle und Strüble. Nur am Sonn-und Donnerstag giebt es Speck. Rinds- Kalb- oder Schaffleisch wird nur an der Kilbi (Kirchweih) und Neujahr gekocht.
Täglich drei Mahlzeiten.
 
8. Beschäftigung ist Landwirtschaft und Viehzucht.

9.
A Volkslieder: Gesungen wird im Wirtshause, auf der Straße und beim Spinnen.
B. Kinderreime:

Ringeltänze:
l.
Blauer, blauer Fingerhut
Steht dem Mädchen noch so gut,
Mädchen soll auch tanzen
ln dem grünen Kranze,
Mädchen soll auch knieen
Und ein anderes ziehen.
II.
Häslein in der Grube
Häslein bist du krank, 
Daß du nicht mehr hüpfen kannst.
Häslein hüpf, Häslein hüpf.
WoIlen wir alle stille steh n
Und dir das Gesicht zu kehr n
Eins, zwei, drei,
So ist das ganze Spiel vorbei.
lll.
Beim lustigen Spielen,
Beim fröhlichen Singen,
Da sollst du erraten,
Erraten wer s ist.
Fräulein du hast recht geraten,
komm marschieren aus dem Kreis.
oder
Fräulein du hast falsch geraten,
Komm verbess re deinen Schaden,
Komm und rat zum zweitenmal.

Abzählverse:
I.
Eins, zwei, drei, vier, fünf,
Strick mir ein Paar Strümpf,
Nicht zu groß und nicht zu klein,
Sonst mußt du der Fänger sein.
II.
Bauer bind den Hund an,
Daß er mich nicht beißen kann,
Beißt er mich, verklag ich dich
Tausend Thaler kost es dich.
III.
Adam isch in Garte gange,
Wie viel Vögel hat er g fange ?
Eins. Zwei, drei
Und du bisch frei.

Wiegenlieder:
I.
Soli mi Koli het Eckestrümpf a,
Weiße und schwarzii und Rölleli dra.
II.
Es kummt en Bär
Vu Mailand her
Ne schwarze und en wieße,
der will s bös Kindle bieße (beißen)
III.
Soli mi Kindle mach d Äugeli zu,
Der Vater hütet d Schaf
D Mutter hütet d Kuh,
Soli mi Kindli mach d Äugeli zue.
Ritte, ritte Rößli
z Basel stoht e Schloßli
z Bade stoht e Kappeli
d Maidli trage d Schappeli,
d Bube trage d Maien
d Wieber trage d Zaine,
d Mann trage d Hütte,
Und s Kindli muß dri hucke.

f. den Glotter und Elzthälern wird der Spottnamen „Schnitzländer” beigelegt

11 Sagen
b. Schrätteli: Wird jemand vom Schrätteli gedrückt, so kann er sich davon befreien, wenn er sagt “Gang in s drei Teufelsnamen und kumm am Suntig zum Mittagessen”. Kommt dann zufällig ein alte Frau um die Mittagszeit, so wird sie für eine Hexe gehalten.
c. Zur Fasten- und Adventszeit zeigt sich in der Gegend vom Nadelberg das “Nadeltier”. Es ist bald Pferd, bald Kalb, bald ein Licht, das alle irre führt, welche ihm begegnen.
f. Der Hexenglauben ist noch nicht ganz geschwunden, denn noch manche glauben bei Krankheiten des Viehes an Hexerei. Um die betreffende Hexe kennen zu lernen, wird noch dann und wann zu einem Hexenbauer nach Loffingen gewandert.
Kommt nun in der Zeit, während welcher der betreffende Fremde bei dem Hexenbauer weilt, jemand in das Haus, um irgend etwas zu entlehnen, so muß dieses die Hexe sein.
i. Das Sternbild des großen Bären heißt Himmelswagen. Steht der Regenbogen über dem Bache, so bedeutet dies für den folgenden Tag gutes Wetter.
Der Nordwind heißt Vorwind und der Wirbelwind Windsbraut.

12. Sitten und Bräuche:
aa Schwangerschaft: Als Mittel gegen das Versehen wird genaues Ansehen des betreffenden Gegenstandes empfohlen.
ab. Die Kinder werden von der Hebamme gebracht. Um das Kind gegen die Gichter zu schützen, werden, demselben Zweige von Birken, die an Christi Himmelfahrt um die Altare herum stehen, unter das Kopfkissen gelegt.
Damit das Kind fromm und sparsam wird, läßt man in das erste Bad drei Kerzen tropfen und eine kleine Münze fallen. Das Wasser wird alsdann nach dem Bade an einem Baume in die Höhe geschüttet, daß das Kind vor Unglück durch Herunterfallen geschützt ist und gut klettern lernt. Vor einem halben Jahre darf das Kind nicht in Regen kommen, da es sonst Leberflecken bekommt. Einige Tage nach der Geburt des Kindes wir die Wöchnerin von Verwandten und Bekannten besucht, welche Zucker, Kaffee, Weißbrot und Fleisch “in Kindbett” tragen.
Die Taufe findet womöglich am ersten Tage nach der Geburt in der Kirche statt. An der selben nehmen außer der Hebamme noch Teil: Der Götti (Pathe), die Gotti, (Pathin) und der Vater  des Kindes. Von der Kirche geht es dann in das Wirtshaus, wo die “Schenki” (Taufschmaus) stattfindet, während der Täufling durch eine andere Person nach Hause geholt wird.
Den ersten Ausgang unternimmt die Wöchnerin nach etwa 4 Wochen in die Kirche, zum “Aussegnen”.
ad. Tanzlied:
Polka, Polka tanz i gern
Mit nem schönen, jungen Herrn
Aber mit nem alte nit
Lieber tanz i Polka nit.

Am Donnerstag und Sonntag geht der Bursche zu seinem Mädchen.
ae. Hochzeit: Will der Liebhaber seine Werbung anbringen, so nimmt er gewöhnlich einen Freund mit sich. Erhält er das “Jawort”, so geht die “Hochziteri” mit ihrem Vater “auf Bschau”. Bei Essen und Trinken wird dann “d Hostig (Hochzeit) richtig gmacht”
(Verlobung). Die Einladungen zur Hochzeit geschehen entweder durch einen Hochzeitlader oder durch die Braut in Begleitung einer Schwester oder sonst nach Verwandten des Bräutigams (Hochziter). Am Tage vor der Hochzeit wird der Brautwagen abgeholt. Heiratet z.B. die Braut in ein anderes Dorf, so wird mit einer Kette oder einem Seile vorgespannen. Der Bräutigam hat sie alsdann loszukaufen, wobei er dann nach langem “märktem” nicht selten 30 - 50 M bezahlen muß.
Die Hochzeiten finden am Dienstag oder Donnerstag statt.
Als Schmuck trägt die Braut einen Kranz und an der Brust einen Strauß. Der Bräutigam ist mit   einem Strauß auf dem Hute und an der Brust geschmückt, während die Gäste nur einen Strauß am Rocke tragen.
Am Morgen des Hochzeittages werden die Gäste im Hause der Braut mit Kaffee oder Wein bewirtet (Morgensuppe). Beim Verlassen des Hauses werden dann “Hochzeitleute” und Gäste mit Weihwasser besprengt.
Nun geht es zur Kirche und nach der Trauung in das Wirtshaus, wo das Hochzeitsmahl gehalten wird. Vor dem Wirtshause wir der Zug von dem Wirte empfangen, der die Gäste mit Wein und Brot, das mit geweihtem Salze bestreut ist, bewirtet.
Auch der Tanzsaal und die übrigen Räume, welche mit Hochzeitsgästen besetzt werden, werden mit geweihtem Salze bestreut.
Die Vortänze, 3 Runden, werden von der Braut und Ehrenjungfrau mit den Ehrgesellen (die beiden Führer) getanzt. Dann findet vor dem Wirtshause ein Wettlauf statt. Als Preis gilt bei den Männern eine Tabakdose, bei den Frauen ein farbiges und bei den Mädchen ein weißes Taschentuch. Oft werden diese Gegenstände, welche die Braut spendet, auch ausgewürfelt.
Darauf beginnt das Essen. Die Festlichkeit dauert oft bis Mittemacht. Zu Hause muß dann der Bräutigam der Braut den Kranz abnehmen.
Zur Hochzeit hat der Bräutigam der Braut die Schuhe, sie aber ihm das Hemd zu schenken.
Den ledigen Personen wird “das Recht im Hause verschrieben”. Die Eltern erhalten ein “Libding” (Leibgeding“).

af. Bei Krankheiten wird noch mitunter ein Sympathiedoktor in der Regel aber ein Arzt geholt.
Der Tod eines Gemeinde- bezw. Familienmitgliedes tritt nach folgenden Anzeichen bald ein:
Wenn die Leute auf dem Heimwege aus der Kirche einen ganzen Zug bilden,
wenn im Hause ein Schwein geschlachtet wird und keine Raben kommen, um etwaige Abfälle zu erhaschen.
Wenn ein Bienenschwarm sich an einen dürren Ast setzt,
wenn die Elstern gegen das Haus schreien,
wenn sich der frische Grabhügel eines Angehörigen senkt,
wenn es während der Wandlung oder dem Gebetsläuten die Stunde schlägt.
Der Tote wird auf eine Bank gelegt und ihm frischer Rasen unter den Kopf geschoben.
Nach dem Gebrauche wird der Rasen wieder an seinen Platz verpflanzt. Wächst er nicht wieder an, so ist dies ein Zeichen von dem baldigen Tode eines Familienmitgliedes.
Stirbt eine Person im Hause, so müssen die Bienen gerückt und der Essig geschüttelt werden, sonst sterben die Bienen und der Essig steht ab.

ag. Vor der Hausaufrichtung ist Gottesdienst. Nach derselben hält ein Zimmermann den Zimmerspruch.
Vor dem Einzuge wird das Haus eingeweiht.
Wenn eine Weibsperson am Neujahr den ersten Glückwunsch darbringt, bedeutet dies Unglück.

B. Tiere:
ba Schutzpatron der Rosse = hl. Georg
bb Schutzpatron der Rinder = hl. Fridolin
bc Schutzpatron der Schweine = hl. Antonius
Die besten Eier sind die “Drißgischeine“ die die in der Zeit von Maria Himmelfahrt - Maria Geburt gelegt werden.

C. Äcker:
ca . Beim Ackern werden die Tiere besser gefüttert.
cb. Der Hanf wird im Monat Mai im Zeichen des Fisches (Maiefisch) und zwar morgens gesät.
cc. Am Karsamstag umschreitet eine Person das ganze Gut und bespritzt alle Räume des Hauses und alle “Loche” (Grenzsteine) mit Ostertauf, das ist Wasser, das am Karsamstag geweiht wird.
Bei einem Gewitter werden geweihte Palmen und geweihte Kohlen in das Feuer geworfen. (An Ostern wird nämlich Holz vor der Kirche verbrannt und die Kohlen geweiht).
cd. Beim Abladen der Garben werden die ersten in den 3 höchsten Namen hingelegt, dann ist der Garbenstock vor den Mäusen gesichert.

D. Am Andreastag wird von den ledigen Mädchen, damit sie ihren Bräutigam erfahren, nachts zwischen 11 - 12 der Bestollen geschüttelt und folgender Spruch gesagt:
Bettstolle ich schüttle dich,
Andreas ich bitte dich,
daß mir sollst erklären,
was für ein Mann mir willst gewähren.

Der 1 August ist ein “verworfener Tag” (Unglückstag).
Am St. Nikolaustag geht St. Nikolaus umher und beschenkt die fleißigen Kinder mit Äpfeln, Nüssen u.s.w. den Faulen aber “legt er eine Ruthe ein”.
ln der Christnacht wird zwischen 11 und 12 auf dem Herde ein Aschenhäufchen hergestellt. Zeigen sich am Morgen in diesem Häufchen Grübchen, so stirbt bald jemand im Hause.
Ebenso werden an diesem Abend, den 12 Monaten entsprechend, 12 Zwiebelnschüsselchen mit Salz bestreut. In nachdem an folgenden Morgen das Salz vergangen ist oder nicht, sind die betreffenden Monate naß oder trocken.
“Zwische de Jahre” das ist in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr wird nichts gearbeitet.
Die Sylvesternacht ist “ Durchnacht”. Die jüngeren I Burschen schießen und gehen singend von Haus zu Haus und beglückwünschen die Bewohner, von welchen sie bewirtet werden.
An Fastnacht haben die Dienstboten 3 Tage frei.
An der Kilbi (Kirchweih) wird 3 Tage hindurch nicht gearbeitet. Dieselbe wird bei Essen und Trinken gefeiert. Da gibt es ausnahmsweise Rinds- und Kalbfleisch und Wein oder Bier.

13. Sprachliches:
a. Mentig, Zieschtig, Mitwuche, Dunschtig, Frittig, Samschtig, Sunntig.
Weihnachten = Winnete, Christi Himmelfahrt = Uffahrt, Fastnacht = Fasnet, voriges Jahr = fem, Gestern Abend = geschtert Obed.
b. Gewitter = Dunnerwetter, es blitzt = es kühlt sich, Sternschnuppen = Sternebutze.
c. Hell = heiter, Dunkel = fischter, rein = saufer, schmutzig = dreckig.
d. Onkel = Vetter, Tante = Bäsli, Braut = Hochziteri, Bräutigam = Hochziter, Hochzeit = Hostig.
Kindstauf = Taifi, Pathe = Götti, Pathin = Gotti, Wittmann = Witling.
f. Niesen = pfutzge, husten = wunschte.
Finger : Dume, Zeigefinger, Mittel=, Gold- u. kleiner Finger.
Des isch de Dume,
Der schüttelt Pflume, Der liests uf, 
Der traits heim
Und der kleini Spitzbu saits dehaim

h. Korb = Zaine, Sense = Segese, Schaufel = Schufle, Flegel = Pflegel, Besen = Beseme.
i. Junge Hühner = Junkili, junge Gänse = Gaisli, alte Gans = Gans, Schwein = Sau, Schmetterling = Summervogel, Wasserjungfer = Teufelsnodle, Eidechse = Eckgeiß, Kröte = Bruttseckel.
Rabe = Kraier, Specht = Baumspicker, Elster = Agerste.
Kühenamen: Fleck, Blümli, Blässi, Nägeli, Blänki.
Pferdenamen: Fritz, Peter, Hans, Max, Liesi.
Hundenamen: Sultan, Wächter, Fritz, Wolf, Nero.

m. lme Bur isch z Nacht si schinscht Roß us em Schtal g stohle worre. Er isch wit furt uf e Roßmärkt gange un hät welle en anderes kaufe. Aber lueg da, unter selle Rosse dert hät er au sins gsieh. Ohne lang z mache hät er s am Heisel gnumme un hät g sait:” das Roß
isch mi, vor 3 Täg isch es mir gschtohle wore”.
D r Ma, wu s Roß feil gha hät, hät gsait: “Do sinn Ihr lätz dra, lieber Ma, i ha des Tier scho über e Jahr. Eures kann enm viellicht glich sieh”.



In Schreibmaschinenschrift geschrieben am 06. Dezember 2000,  Oskar Steinhart, Stegen