zum Inhaltsverzeichnis
      
    
      
        
          Josef Bader 
             Eine
                  Schwarzwald-Wanderung 1858   
             (Ausschnitt aus
                  „‚Badenia oder das badische Land und Volk“, Band 5,
                  1862) 
                  Teil 1 
                 | 
        
      
    
    Wenn du das Bedürfnis fühlst,
          dich an Leib und Seele recht gründlich zu erholen, so ergreife
          Stock und Reisetäschlein und durchziehe zu Fuß die eine oder
          die andere Gegend unseres Schwarzwaldes. Da wird dir‘s wieder
          leichter werden ums Herz und klarer im Kopfe; da werden deine
          Muskeln sich neu beleben, deine Sehnen sich wieder stärken,
          deine Sinne sich wieder erfrischen und schärfen.  
        
    Ich habe das immer getan, wenn
          mich ein langes Arbeits- und Sorgenjahr leiblich uns seelisch
          erschöpft und gelähmt hatte. Als ein halb kranker Mensch zog
          ich nach den Bergen und als gesunder kehrte ich wieder zurück
          mit neuem Lebensmute und frischer Arbeitslust.  
        
    So war’s im Spätsommer 1858
          der Fall, nach jenen heißen Tagen, welche auf dem Sandboden
          unserer Hardgegend alles Gras versengt und die Straßen der
          Residenz (Karlsruhe) mit erstickender Glut erfüllt hatten.
          Leibes- und geistesmatt schlich ich zur Eisenbahn, und
          freilich schien die Fahrt nach Freiburg ein schlechter Beginn
          der Erholung; aber von dorten ging’s in den Bereich der
          stärkenden Bergluft.  
        
    Hier weichet
          schnell ein trüber Seelenschleier 
          dem früh erwachten gold’nen Sonnenstrahl. 
          Es sprang der Berg in stiller Morgenfeier, 
          es glänzt im Perlentau das grüne Tal. 
          Vom Quell getränkte Mattengründe schimmern, 
          die Tannenhaine hauchen Würzeduft — 
          O fliehe fort aus deinen dumpfen Zimmern 
          und atme hier die frische Bergesluft!   
        
    In Freiburg wurden alle alten
          Lieblingsplätze wieder besucht, Sankt Loretto, Günterstal,
          Sankt Ottilien, das Jägerhaus und besonders der Schloßberg.
          Ich verbrachte da etliche Morgen und Abende, wo mir das
          Schönste geboten wurde, was eine reichbegabte süddeutsche
          Herbstlandschaft bei günstiger Beleuchtung dem empfänglichen
          Auge zu bieten vermag.  
        
    Wie prächtig lag der
          farbenreiche Teppich der breisgauischen Ebene vor mir mit
          seinem Kranze naher und ferner Gebirge, und wie zauberisch das
          grüne Dreisamtal! Noch unentschlossen wegen meines nächsten
          Wanderzieles — blickte ich über dieses Eden hin; da tauchten
          alle liebgewordenen Erinnerungen in der Seele auf und zogen
          sie nach den Bergen im Hintergrund. Ich wählte den Weg durchs
          Dreisamtal nach der Hölle.  
        
    Wohlberockt, gutgestiefelt und
          leichtbehutet (Schwarzwald-Wanderungen,
              selbst im höchsten Sommer, erfordern einen guten
              wollentuchenen Rock, wegen der kühlen Morgen und Abende
              und den scharfen Winden auf den Höhen, wo man gewöhnlich
              schwitzend ankommt; sodann starke Stiefel und Schuhe, weil
              der grobkörnige Granitsand das Leder besonders scharf
              angreift), den Schirm in der Rechten, das
          Reisetäschlein mit der nötigsten Wäsche an der Seite — ein
          freier, durch nichts belästigter Wandersmann, omnia mea mecum
          portans, zog ich aus bei schönster Morgenzeit. Mein Ziel für
          den ersten Tagesmarsch war „die Neustatt“, acht bescheidene
          Wegstunden von Freiburg.  
        
            Das Dreisamtal  
      Ich hatte einen wanderlustigen
          Gefährten, dessen heitere Lebensanschauung meiner trüb
          gefärbten immer reichlichen Stoff des Widerspruches gab. Schon
          oberhalb Ebnet begann der freundschaftliche Hader, indem er
          den Segen der herrlichen Landschaft den Fortschritten der
          Neuzeit zuschrieb, während ich aus der Geschichte darzulegen
          suchte, daß der sittliche und wirtschaftliche Wohlstand des
          Tales in den besten Zeiten früherer Jahrhunderte kein
          geringerer gewesen.  
        
    Unter solchen Zwiegesprächen
          zogen wir munter auf der freigelegenen Straße mitten durch das
          breite herrliche Tal hin. Es umgibt den Wanderer da ein weiter
          Kranz von Waldbergen, an deren Saume freundliche Dörfer und
          Höfe ruhen. Und schaut er einmal zurück, so öffnet sich die
          Talgegend aufs lieblichste und läßt sein Augen hinausschweifen
          in die bläuliche Ferne des  Rheines und der
          Vogesen.  
        
    Zahlreiche Bergwasser beleben
          das Tal, welche sich zwischen Zarten und Ebnet mit der Dreisam
          vereinigen. Die Benennung dieses kleinen Flusses leitet ein
          Wortspiel davon ab, daß drei Bäche zusammenfließen, um
          denselben zu bilden. Es sollen der Ibach, der Wagensteiger und
          der Höllenbach sein, welch‘ letzterer den anderen beiden
          vorgeschlagen habe, sie wollten ihre Besondernamen aufgeben
          und einen gemeinschaftlichen annehmen 
        
     „Seig’s e-so“, hän si
          d’ruf g’sait, un usse vor Zarte hät me si täuft. Jez haiße si
          „Dri z’sämme“, Dreisam uf hochditsch. 
        
              (Nach einem artigen Gedichte
                  in breisgauischer Mundart, bei Schnetzler, badisches
                  Sagenbuch I.). 
    Abgesehen von diesem Scherze,
          herrscht gewöhnlich noch im- mer die Meinung, daß der Name
          Dreisam erst bei Zarten begin- ne, während doch von altersher
          das Wasser des Wagensteiger Tales denselben führte bis hinauf
          zu seinem Ursprung am west- lichen Hange des Hirschberges, bei
          der alten Schanze des hohlen Graben.  
        
    Dort hatte man unter den
          Zähringern schon die Quelle des Er- lenbaches bei Bernhaupten
          als „Treisamspring“ bezeichnet (Eine
              Urkunde vom Jahre 864, bei Neugart, cod. Alem. I, 345,
              nennt schon Güter in Muntinchova marca circa fluvium
              Treisima, und eine andere von 1112 im Rotulus sanpetrin.
              bei Leichtlin, die Zäring. S. 65, sagt in der Beschreibung
              des saktpetrinischen Stiftungsgutes: Inde usque Seinibach,
              erga  iugum Hirzberc et treisimespinc, et inde ad
              Wisenegga. Hierzu macht P.  Baumeister (annal. S.
              Petri I, 49) die Anmerkung: „Oigo fluvii treisamae, quam
              ipsemet vidi. Ist ein kleine Lachen unter der
              Hohlengraben-Schanz, ad Jugum montis Hirzberg, qui hodie
              Bernhaupten vocatur. Aus dieser Lachen kommt das Wasser
              schier ohnvermerkt, worzu aber weiter unten hin und wieder
              ein Bächlein fließet.“ ). Es vereinigen
          sich aber mit dem unansehnlichen Bächlein bald mehrere
          Bergwasser, namentlich der Spirznach, und nachdem es den
          Buchenbach verlassen, rechterseits der Ibach und Eschbach, wie
          links die Rotach, Osterach und Bruckach.  
        
    So verstärkt eilt die Dreisam
          an Freiburg vorüber dem Kaiserstuhle zu und ergießt sich bei
          Riegel in die Elzach (Jetzt gewöhnlich
              die Elz; die ursprüngliche Schreibung ist aber noch im
              Namen der Stadt Elzach erhalten), um mit
          derselben bei Niederhausen vom Rheine aufgenommen zu wer- den.
          Dieser ganze Flußlauf aber beträgt ungefähr sechs deutsche
          Meilen.  
        
    Das Wassergebiet der Dreisam
          ist hinterhalb Freiburg von einem weiten Gebirgsgürtel
          umschlossen, welcher zum Teil aus den höchsten Scheiteln des
          oberen Schwarzwaldes besteht. Das- selbe erhält daher eine
          Reihe der merkwürdigsten Erscheinun- gen schwarzwäldischer
          Bergnatur.  
        
    Dieser Gebirgsgürtel hebt an
          mit dem Schloßberge bei Freiburg und zieht sich zunächst
          nordöstlich über den Roßkopf (2463° <Fuß>), den
          Flaunser, den Brombeerkopf (2907‘), die lange Ecke und die
          Höhe hinter St. Peter bis an den Hochwald (3420°); von da
          alsdann in einem langen Bogen südwärts über den Kapfenberg
          (34431°), die Höhe von St. Märgen, den Doldenbühl (3587°), die
          Farrenhalde, die Weißtannenhöhe (3974), und über das Moos an
          der Straße nach dem Titisee (2960°) bis zum Scheibenfelsen;
          sofort streng westlich über den Kopf von Hinterzarten (4036°)
          und mit der Albersbacher Höhe (4241°) auf den Feldberg
          (4982°); von hier endlich nordwestwärts über den Stübenwasen
          und Hirschkopf, die Farrenwiede (4224°) und Halde, über den
          Erzkasten (4288°) und Schauinsland nach dem Kipfelsen (2759°)
          und Bromberge, mit welchem der Gebirgszug dem Schloßberge
          gegenüber sich endet.  
        
    Das ganze Wassergebiet hat
          also eine Länge von 5 und eine Breite von 4 Stunden. Es gehört
          einesteils zum ödesten und wildesten Schwarzwalde, andernteils
          aber zu den schönsten und gesegnetsten Gegenden des Landes.
          Etwas Eigentümliches besitzt dasselbe darin, daß sich die
          Nebentäler fächerartig in das Haupttal ausmünden, wodurch
          dieses die Gestalt eines großen Amphitheaters gewinnt, dessen
          Proscenium die Talebene von Zarten bildet.  
        
    Von der Landstraße aus, welche
          mitten durchs Tal hinaufzieht, erblickt man am Saume des
          weiten Gebirgskranzes die Eingänge der verschiedenen
          Nebentäler, welche bald einen heiteren, bald einen düsteren
          Schoß verraten.  
        
    Dort, halb verborgen in der
          waldgrünen Talwand, ruhen die kleinen Bergbusen von St.
          Ottilien, des Atten-, Welchen- und Wittentales mit den Zaubern
          ihrer idyllischen Einsamkeit. Hierauf öffnet sich das
          mattenreiche Tal des Eschbaches mit der Straße nach St. Peter,
          und getrennt davon durch den heiteren Lindenberg das
          wohlbewohnte, getreidereiche Ibental (vallis Iwa).  
        
    Weiterhin zeigt der Wisenecker
          Hügel mit seinen Burgtrüm- mern und daneben der Eingang ins
          Tal der hinteren Dreisam, durch welches die Wagensteige in
          einer weiten Krümmung nach St. Märgen führt. Darüber hinweg
          schauen der Spirzenkopf und die Hochwarte mit ihren breiten,
          nackten Scheiteln.  
        
    Alsdann, links an der
          Sonnecke, verrät sich die Schlucht des wildromantischen
          Höllentals, aus welcher die Rotach schäumend hervorstürzt; und
          tiefer zurück, am Fuße der waldigen Rappenecke, erblickt man
          das Tal von Oberried, dessen Hintergrund sich in den düsteren
          Zastler und das malerische St. Wilhelmstal verliert.„
        
    Endlich, am Abhange der
          Mittelecke, des Prangenkopfs und Kipfelsen (Man
              schreibt sonst Kibfels. Ich leite dieses Wort aber von Kip
              (verwandt mit caput?), scharf, spitzig sein, woher auch
              Kuppe, Kupfe oder Gupfe und Gipfel kommen.)
          erscheinen die zahmen Tälchen von Groß- und Kleinkappel und
          der liebliche Berbusen von Littenweiler, gerade jenem von St.
          Ottilien gegenüber.  
        
    Die Bewohner des Dreisamtales
          bildeten ehedem eine große Genossenschaft; sie haben eine
          eigene Geschichte und es prägte sich ein eigentümlicher
          Charakter in ihnen aus, dessen Spuren durch die nivellierende
          Neuzeit noch nicht verwischt sind.  
        
    Es wechseln im Tale etliche
          große Dörfer mit mehreren Weilern und vielen einzelnen Höfen,
          welche noch ziemlich ein Bild von dem alten stattlichen
          Bauernstande geben. Die Gemarkungen derselben sind eben so
          reich an Wiesen- und Ackerland, daher die Talbauern auch eine
          besonders gedeihliche Viehzucht treiben.  
        
    Durch echt germanische
          Bevölkerung wandert man hier. Hochgewachsene, blonde Gestalten
          begegnen einem sehr häufig und erinnern öfters lebhaft an das
          fränkische Gepräge, daß man versucht werden könnte, wirklich
          hier die Nachkömmlinge der alten Harelungen (Nach
              der Sage soll dieser Stamm längs dem Rheine herauf in den
              Breis- gau gekommen sein. Daher datieren im 16.
              Jahrhundert die Freiburger Professoren ihre Briefe statt
              Friburgi Brisigavorum auch Friburgi Harelungorum.)
          zu suchen.  
        
    Die altherkömmliche Tracht des
          Talvolkes hat große Ähnlich- keit mit jener im
          Hanauerländchen, wenigstens die männliche. Schwarze
          Lederhosen, weiße Strümpfe, kurze rote Westen, kurze weiße
          Jacken, schwarze Filzhüte oder grüne mit Pelz verbrämte
          Sammetkappen, und weite mit Oerlinger ausgeschlagene Röcke
          herrschen unter dem Mannsvolke beider Gegenden vor, nur findet
          man im Dreisamtale die bunteren Farben, welche die 
          katholische Bevölkerung überall im Lande von den evangelischen
          schon äußerlich unterscheiden.  
        
    Neben dieser altherkömmlichen
          Männertracht erscheint aber im Dreisamtal noch eine andere von
          neuerem Geschmacke, welche dieselbe allmählich verdrängen
          wird, weil sie wohlfeiler und bequemer ist. Sie besteht
          einfach in weiten Langhosen und einem langen Rocke von blauem
          Wollentuch mit aufstehendem Kragen und über Rücken und
          Schultern hängenden Mantel- stücke.  
        
    Der Taglöhner in diesem
          nüchternen und der Talbauer in  jenem malerischen Aufzuge
          — sie stehen sich gegenüber wie  Leute aus zwei völlig
          verschiedenen Gegenden Deutschlands. Wie gesagt aber, nach
          zwei, drei Generationen wird aller Unter- schied verschwunden
          sein.  
        
    Unterscheidend an der
          weiblichen Tracht im Dreisamtale sind die lange, gefältelte
          grüne Jüppe und der besonders breitkrempige, kreidenweiß
          getünchte Strohhut mit schwarzer Bandbelege um die niedere
          Gupfe und am Rückteile. Denn in der Nachbarschaft, auf dem
          Schwarzwalde und im Elzachtale, erscheint die Hutgupfe hoch
          und die Krempe schmal, beides zuweilen, wie namentlich im
          Simonswalde, bis zur abgeschmacktesten Übertreibung
          gesteigert.  
        
    Charakteristisch dürfte es
          auch erscheinen, daß das Dreisamtaler „Weibervolk“ eben nur
          Hüte und daneben gar keine Hauben trägt. Die Wälderinnen sind
          mit beidem versehen; im breisgauischen Rheintale aber findet
          man bei Frauen und Mädchen wieder nur Hauben und keine
          Hüte.  
        
    Während einer lebhaften
          Unterhaltung über diese Dinge ge- langten wir nach Zarten und
          ins Bereich des alten Tarodunum, wovon der Erdwall noch
          deutlich erkannt wird. Diese Örtlich- keit bildet ein großes,
          längliches, gegen seine nächste Umgebung im Norden und Süden
          etwas erhöht gelegenes Dreieck von beiläufig 6700 Schritten im
          Umfange, zwischen der Dreisam und Rotach. Dasselbe stößt also
          mit seiner westlichen Spitze an die Vereinigung beider Bäche,
          und gegen Osten hin durch einen Heidengraben von der weiteren
          Hochebene getrennt.  
        
    Da am linken Raine der Hof
          „Brand“ liegt und gegenüber am rechten der Weiler „Burg“, so
          entstund im Volksmunde die Sage von einer untergegangenen
          Stadt Brandenburg. Von dem tarodunischen Trümmerfelde aber
          mögen nachmals die besten Steine nach Freiburg geführt worden
          sein, als man dort eine neue Stadt gegründet.  
        
    Dies Tarodunum (Ptolemaei
            geograph. Ed. Nobbe I, 1232) war ein großes
        Oppidum oder Wehr- und Schirmwerk und umschloß wohl die
        bedeutendste keltisch-römische Niederlassung an der Heerstraße
        zwischen den Plätzen mons Brisiacus (Breisach) und arae Flaviae
        (Rottweil). Den Namen desselben erklärt man aus dem Keltischen
        als „Ochsenberg“, und allerdings stund der fremde Eroberer hier
        wie der Ochs am Berge. Denn überall ging’s durch düstere
        Schluchten steil aufwärts in waldige, ungeheuerliche
        Bergwildnisse, deren Ausdehnung niemandem bekannt war.  
        
        In diesen Wildnissen konnte der Feind unbemerkt sich sammeln, um
        plötzlich, wie ein angeschwollener Bergstrom, hervorzubrechen
        gegen die Talstadt, welche einer solchen Überraschung wohl
        erliegen müßte. Es war daher geboten, die Eingänge der
        verschiedenen Nebentäler, welche in einem engen Bogen die Veste
        umgaben, mit befestigten Wachtposten zu versehen.  
        
        So zählte Tarodunum um sich her wenigstens ein halbes Dutzend
        von Türmen und Kastellen, welche später als Ritterbur- gen
        abermals ihre Rolle gespielt haben, und noch heutzutage in ihren
        Trümmern vorhanden sind.  
        
        Am Eingange des Witten- und Eschbachtales liegen die Überreste
        der Türme auf dem Falkenbühl und zu Weiler; zwischen den
        Ausgängen des Iben- und Dreisamtales erheben sich die Mauern des
        Burgstalles von Wiseneck, im Höllentale jene von Falkenstein,
        und am Eingange des Zastler- und Wilhelmertales ruhen die
        Trümmer der Vesten Oberried und Wildschneeburg.  
        
        Man ersieht auch aus diesem Beispiele wieder, wie systematisch
        und praktisch die Römer in der strategischen und kommerziellen
        Einrichtung ihres rheinischen Vorlandes zu Werke gegangen. Wo
        jedoch Knechtschaft und Entsittlichung die Völker verderben, da
        bringen all‘ solche Schutzmittel keine Rettung mehr. Daher
        wurden die völlig romanisierten und riesig verwahrten Decumaten
        so leicht die Beute der deutschen Eroberer.  
        
        Die römische Kulturperiode war abgelaufen, es sollte die
        germanische folgen. Aber alle Kultur ist eine Überlieferung, und
        jegliche neue gründet sich in ihren Anfängen auf die Rest einer
        älteren.  
        
        So wurde das keltisch-römische Tarodunum mit seiner Bodenkultur,
        seinen Vorwachten, Straßen und Wegen für unser Dreisamtal die
        Grundlage seines späteren Anbaues und hinterließ ihm auch seinen
        Namen. Denn seit den frühesten Zeiten hieß die Gegend von Stegen
        bis gen Oberried und von Buchenbach bis Ebnet das Zartener oder
        das Kirchzartener Tal, und noch heutzutage heißt sie im
        Volksmunde so.  
        
        Zarten aber hat sich aus Tarodunum gebildet, indem die deut-
        sche Zunge hinter dem T ein s hören ließ, was man alsdann mit
        einem Z bezeichnete. Auf dieselbe Weise sind aus Tabernae,
        Tolbiacum und Turicum die Namen Zabern, Zülpich und Zürich
        entstanden.  
        
        Zarduna oder Zarda nämlich hieß in den merowingischen und
        karolingischen Zeiten die zerstreute Gemeinde (villa), welche
        sich nach der Völkerwanderung bei den Trümmern von Tarodunum
        angesiedelt. Hochstämmiges, blondes Alemannenvolk hatte diese
        schönen und gesegneten Talgefilde in Besitz genommen und die
        alten gallisch-römischen Bewohner in die Berge zurückgedrängt.
        Noch gegenwärtig unterscheiden sich die Wisenecker und
        Kirchzartener durch ihr alemannisches Gepräge von den
        dunkelfarbigen Leuten im Ibentale, in der Wagensteige, im
        Höllen- und Zastlertale.  
        
        Die Zartener Gemarkung umfaßte das ganze weite Talgebiet und in
        der villa Zarduna lag auch die Pfarr- und Mutterkirche für alle
        Kapellen, Weiler und Höfe desselben. Begreiflicher Weise aber
        ließen sich zunächst bei dieser Kirche immer mehr Leute nieder,
        wodurch das Dorf Kirchzarten entstund, nach welchem der südliche
        Teil des Dreisamtales, den die Krum- und Bruckach bewässert,
        benannt wurde.  
        
        So bildete sich Zarten schon im achten Jahrhundert zu einem
        bedeutenden Doppelorte heran, wo der Graf des Breisgaues zu-
        weilen sein Gaugericht abhielt. Der größte Teil des Grundes und
        Bodens aber mit der Kirche und den Pfarreirechten gehörte damals
        dem Stifte St. Gallen, durch Schenkungen und Tausch- handlungen
        der alten freien Grundbesitzer (Nach Urkunden bei
            Neugart, cod, Alem. I, num, 44, 187, 330, schenkten 765
            Trutprecht seinen Knecht Waldzog in villa Zarduna und seine
            Güter in ipsa marcha zardunense, 816 Gozbart partem
            ecclesiae in Zartuna com pertinentiism und 848 Tuto sein
            väterlich Erbteil prope villam Zartunam, an das Stift St.
            Gallen. Nach der Urkunde num. 114 geschah 791 eine Schen-
            kung von Gütern zu Ebringen an ebendasselbe publice (d.h.
            vor dem Gauge- richte) in loco Zartuna, und nach der num.
            762 bestätigte K. Otto II. dem Kloster Einsiedeln sein
            großes Riegler Hofgut, wozu auch Güter in Zarda gehörten). 
        
        
        Denn nachdem der heilige Gallus im Gefolge des irischen
        Glaubensboten Kolumban nach Alemannien gekommen und am Bodensee
        das Gotteshaus seines Namens gegründet, gelang es dieser frommen
        Anstalt durch den trefflichen Geist ihrer Regel, ihrer Schule
        und Hauswirtschaft, auf weithin ein vorherrschen- des Ansehen zu
        erlangen. Fromme Alemannan beschenkten das aufblühende Stift
        immer reicher, und als die Zeiten eintraten, wo der gemeine
        Freimann, wegen den Lasten des freien Standes und den Zumutungen
        der Gaugrafen, seine Güter den Klöstern und  Domstiften
        übergab, um sie als gotteshäusische Erblehen zurück zu
        empfangen, da gewann auch St. Gallen in den alemannischen Landen
        bis herab über den Schwarzwald auf solche Weise zahlreiche
        Besitzungen.  
        
        Neben dem Kloster St. Gallen walteten aber noch drei weltli- che
        Herren im Dreisamtale — die Zähringer als Grafen des Breisgaues
        und Besitzer der südwestlichen Abhänge des Roßkopfes; sodann die
        Grafen von Hohenberg als Inhaber des Gebirgsstriches vom
        Kesselberge bis herab über den Kilpen und die Wagensteige, und
        die Freiherren von Kipburg als Eigentümer des unteren
        Talgeländes, wo sich dasselbe in die große Rheinebene
        verliert.  
        
        Diese Kipburger hausten in ihrer Burg auf dem Kipfelsen, welcher
        das kleine Günterstal und den größeren Teil des Dreisamtales
        beherrscht. Da ersuchte erstmals der Nachbar und Schwager zu
        Zähringen einen von ihnen um die Gunst, auf dem trefflich
        gelegenen Vorhügel des Roßkopfes ein Jagdhaus erbauen zu dürfen.
        Der gutmütige Herr gewährte dies, sein Weib aber sagte
        erschrocken: „Ja, er wird sich festsetzen auf deinem Gut und
        dich verjagen davon.“  
        
        Und so geschah es auch (So erzählt Albert
            von Straßburg in seiner Chronik, bei Wursteisen, script.
            rer. German. II, 99). Die Zähringer, nachdem
        sie Herzöge von Schwaben geworden und Rektoren von Burgund,
        stifteten (1093) am südlichen Abhange des Kandels das Gottes-
        haus St. Peter und erbauten auf jenem Vorhügel eine Veste und am
        Fuße desselben die Stadt Freiburg.  
        
        Und zu derselben Zeit, da der letzte zähringische Herzog als ein
        mächtiger, land- und geldreicher Fürst zu Grabe ging (1218),
        verstarb der letzte Kipburger als ein armer Edelmann, nachdem er
        sein ganzes Familienerbe — das bescheidene Tälchen unter der
        Stammburg, einer Tochter zur Gründung des Klösterleins Gün-
        terstal abgetreten (Anno domini 1221
            Adelheidis, filia nobilis domini Guntheri, relicto castro
            Kibenfels dicto modo totaliter destructo, vum quibusdam
            virginibus in quandam domum se sontulit ibique primum
            fundamentum pro monasterio edificando posuit, as cuius
            edificationem eiusdem pater locum adiacentem cum omnibus
            iuribus legavit. Annal. Mon. Günterstal, Hdschr. J. L.
            Herrling, in seinem Verzeichnisse der Günterst. Urkunden,
            bemerkt dazu: „Es hat dieser Güntherus au dem Kübfelsen, wo
            die rudera noch heutigen Tagen zu sehen, gewohnet.“ Im
            Kappler Dingrotel lesen wir: „Die Burkbachsgassen uff an den
            Berg untz gen Kiburg“).  
        
        
        SEITE 8 
        
        Wie nun die Zähringer im Bereiche des Dreisamtales das
        Benediktinerkloster St. Peter gestiftet, ebenso gründeten (1120)
        die Hohenberger, offenbar ihnen zum Trutze, in der nächsten
        Nachbarschaft die Augustinerabtei St. Märgen. Denn die einen
        waren welfisch, die anderen waiblingisch gesinnt, und keine Spur
        läßt sich entdecken, daß zwischen beiden Häusern irgend ein
        freundnachbarliches Verhältnis bestanden.  
        
        Die beiden Gotteshäuser aber übten später einen wichtigen
        Einfluß auf die Geschicke des Zartener Tales, wo dieselben durch
        Schenkungen und Käufe viele Güter und Rechte erwarben. Sie
        hatten jedoch ein ganz verschiedenes — jenes ein glückliches,
        dieses ein höchst trauriges Schicksal.  
        
        Denn für St. Peter war’s ein großer Vorteil, daß seine Schirm-
        vogtei bei der Familie des Stifters (den Markgrafen von
        Hachberg) verblieb, während St. Märgen die seinige in fremde
        Hände fallen und zu den gewissenlosesten Erpressungen und
        Gewalttaten mißbraucht sehen mußte.  
        
        Es hatten aber die Zähringer und das Stift St. Gallen ihre
        Besitzungen im Dreisamtale größtenteils an die Herren von
        Falkenstein zu Lehen vergeben. Diese Dienstmänner des
        herzoglichen Hauses waren ein alter stattlicher Ritteradel und
        bewohnten im engen Höllentale die einsame Felsenburg ihres
        Namens. Von da herab herrschten dieselben über das benachbarte
        Tal- und Berggelände, bis sie einem neueren Rittergeschlechte
        allmählich zur Beute wurden.  
        
        Nachdem die Zähringer den städtischen Marktort Freiburg
        gegründet, versahen sie denselben auch mit einer entsprechenden
        Garnison aus ihren zahlreichen Dienstmannen. Hierdurch wuchsen
        neben den Kauf- und Gewerbsleuten eine Anzahl von
        Soldatenfamilien heran, welche mit Verwilligung der Gemeinde
        nicht allein in der Stadt ihren Wohnsitz hatten, sondern
        daselbst auch alle bürgerlichen Rechte genossen (Herzog
            Konrads freiburgische Verfassungs-Urkunde (bei Dümge, reg.
            Bad. S. 122) bestimmte: Nullus de hominibus vel
            ministerialibus domini Ducis vel miles aliquis in civitate
            habitabit vel ius civile habebit, nisi de communi consensu
            et voluntate omnium urbanorum. Man verlg. Hiezu Ochs, Gesch.
            von Bas. I, 476 und Roth von Schreckenstein, das Patriziat,
            S. 60 f.).  
        
        Begreiflicher Weise aber mußte es kommen, daß diese
        „Herzogmannen“ vermöge ihrer Schildbürtigkeit neben den
        angesehensten freien Bürgergeschlechtern den vorherrschenden
        Einfluß behaupteten und die wichtigsten städtischen Ämter
        führten. Die Zähringer wollten sich, bei den großen Freiheiten
        der Städte, doch einen maßgebenden Einfluß auf deren Handhabung
        und Entwicklung sichern und verschafften daher den städtischen
        Garnisons-Rittern eine möglichst vorteilhafte Stellung.  
        
        So entstand das freiburgische Patriziat, welches die städtische
        Leitung ausschließlich in Händen behielt, bis im Beginne des 14.
        Jahrhunderts die Zünfte, als Vertreter des demokratischen
        Flements in der Bürgerschaft, nach heftigem Kampfe, sich neben
        dem aristokratischen zur Geltung brachten.  
        
        Wie sich aber die Zünfte neben den Patriziern geltend mach- ten,
        so hatten es viele schon längst neben dem alten Adel getan. Die
        Freiherren und Ritter vom echten Schrot und Korne, welche auf
        ihren einsamen Burgen, stolzen Adlern gleich, ein unabhän- giges
        Dasein führten, mußten’s erleben, daß diese städtischen
        „Dienstmänner“ sie durch sparsame Wirtschaftlichkeit und kluge
        Berechnung finanzell überflügelten und ihre wachsenden
        Geldverlegenheiten, ihre steigenden Mißgeschicke erfolgreich zum
        eigenen Vorteil benützten.  
        
        Denn es waren Zwitternaturen, welche mit dem Soldaten den
        Geschäfts- und Geldmann verbanden. Es waren Emporkömmlinge,
        deren erwerbsüchtiges, zudringliches Wesen um so eher zum Ziele
        kam, je stolzer und ritterlicher der alte Adel das Treiben der
        adeligen Krämer und Geldmäkler in den gehaßten Städten
        verachtete.  
        
        Ein solches Geschlecht nun waren die freiburgischen Ritter
        Schnewelin, welche zur Zeit, als Graf Egeno von Urach das
        breisgauische Land seines (1218) zu Grabe getragenen
        herzoglichen Schwagers in Besitz nahm, schon unter den
        vornehmsten Geschlechtern und in den ersten Ämtern der
        jugendlich empor- strebenden Stadt auftraten (In
            einer Urkunde von 1219 erscheinen als Zeugen. Otto sculetus
            de Friburch, Cuonradus Snewili etc. Das Jahr darauf war
            dieser Schnewelin freiburgischer Schuldheiß, wie auch 1226,
            1248 und 1255. Eine Urkunde der Gräf. Adelheid v. Fr. von
            1239 ist gegeben in maiori ecclesia friburch (im Münster
            daselbst) presentibus Ruodolfo plebano, Henrico sculteto,
            Hermanno Sneweline, Cuonrado fratre suo, C. de Tuselingen
            etc. So erscheinen die Schnewelin immer in erster Reihe.
            Dambachers Urk. d. Gr. v. Freib. in der oberrhein. Zeitschr.
            IX, 231, 255; und Schreibers Geschichte d. St. Fr. I, 50.). 
        
        
        Diese Schnewelin sind eine merkwürdige Erscheinung. Sie
        vermehrten sich „wie der Sand am Meere“, und wuchsen so schnell
        zu den Rothschilds des Breisgaues heran, daß man ver- sucht
        wird, hinter ihnen eine gemeinschaftliche Abstammung mit den
        Geldfürsten unserer Zeit zu vermuten. Ihr Familienname (Schnewelin
            ist ein Übername, der entweder vom altd. Snabel, snavel
            (rostrum) herkommt und Schnäbelein bedeutet, wie nach einer
            Urkunde von 1418 dere Schnabelin dictus de Ichenheim; odere
            von sneo, snew (nix), in welchem Falle derselbe mit
            Schneemännlein zu geben wäre. Übrigens kommt er schon früh
            in verschiedenen Gegenden vor, so 1323 (cod. Salem. IV, 141)
            ein frater C. dictus Sneweli, magister in Bachhoupten, und
            1350 ein Claus Snewelin ze Dankstetten im Klettgau (Archiv
            St. Blasien.)) wenigstens würde einer solchen
        Herkunft nicht widersprechen.  
        
        Ihren Lehens- und Kriegsherren, den Grafen von Freiburg (Verschied.
            Urkunden in der oberhein. Zeitschr. IX, 225. Schon 1292
            hatte Dietericus Snewelin de Brigurgo für 1000 Mark Silbers
            (damals eine sehr bedeutende Summe) wettingische Güter im
            Breisgaue erkauft. Daselbst IV, 234. Den schnewelinschen
            Reichtum zeigen aber besonders die Urk. Von 1291, 1318 und
            1323 bei Schreiber I, 117, 225 und 248, und der Teilungs-
            brief von 1465 im Landecker Copeibuch, Nr. 9),
        und anderen Großen halfen die Schnewelin mit ihrem Gelde aus —
        gewiß nicht ohne schönen Gewinn; denn in allen Teilen des
        gesegneten Breisgauer Landes erwarben sie Burgen und Säßhäuser
        mit zugehörigen Dörfern und Höfen. So namentlich die Vesten
        Wiseneck und Weiler im Zartener Tal, die wilde Schnewburg hinter
        Oberried, das Weierschloß Schnewfelden bei Emmendingen, die
        Doppelveste Landeck hinter Mundingen, die Burgen Kranznau am
        Kaiserstuhl und Birkenberg zu hinterst im Tale von
        Fttenheimmünster, die Wasserhäuser zu Ebnet, Krozingen und
        Mengen, ja selbst auf längere Zeit die zährin- gische Stammburg
        (Anno 1327 castrum Zäringen cum
            pago Conradus comes friburgensis vendidit cuidam nobili de
            familia Schnewelin dicto Baernlappe, praetori friburgensi.
            P. Baumeister, de castro Zäringen. Handschr. Noch 1536 hatte
            Christoph Schnewelin von Landeck Anteil an Zähringen). 
        
        
        Und hatte es in der alten Grafenzeit von Freiburg schon meh-
        rere Schnewelinschen Äste gegeben, so zählte das Geschlecht im
        15. und folgenden Jahrhundert nicht weniger als vierzehn
        verschiedene Zweige (Gerbert, hist. S.n.
            I. 112. Schreiber, Gesch. v. Freib. I, 50). 
        
        
        Aber nicht bloß als die reichsten Edelleute im Breisgau
        erschienen die Schnewelin, man lernte sie daneben auch als die
        bösesten Buben der ganzen Landschaft kennen. Wie frech es
        dieselben zu treiben wagten, haben sie am sprechendsten als
        Schutzvögte der Klöster St. Wilhelm und St. Märgen
        gezeigt.  
        
        Das Wilhelmiter Klösterlein zu Oberried war 1235 gestiftet und
        mit ansehnlichem Grunde und Boden in dortiger Gegend gewidmet
        worden. Nachdem aber der kolmannische Ast der Schnewelin die
        Schirmvogtei darüber erworben und auf der be- nachbarten Höhe
        (wohl bei einem alten Römerturm) die Schnewburg erbaut, wollte
        die junge geistliche Pflanzung nicht mehr gedeihen; denn die
        Vögte saugten die Klosterleute aus und trieben von ihrer Veste
        herab schmählichen Straßenraub (Mone, Quell. Zur
            bad. Geschichte I, 196. P. Eichhorn, Geschichte des Klosters
            Oberried. Handschr).  
        
        Dieses Unwesen wurde so arg, daß es die Freiburger nicht mehr
        länger gedulden wollten. Im Jahre 1314 zogen sie bewaff- net
        aus, erstiegen das Raubnest, brannten es nieder und führten den
        Burgherrn gefangen hinweg (Schreiber, Gesch.
            von Freib. I, 102. In einer Urk. Von 1292 erscheint Johann
            Snewelin der jung, Vogt zu Oberried. Derselbe und sein
            Bruder Walther verkaufen 1317 an das dortige Kloster ihre
            Güter im Geroldstal und Ferlinsbach „ohne die Burg, der man
            spricht die wilde Snewesburg“. Dieses Felsennest lag im St.
            Wilhelmer Tal, am westlichen Abhange des Hochfarren, über
            dem „Gefäll“, und unweit von dem „Frauenstein“).
        Seither liegt die Veste als „wilde Schneeburg“ in ihren
        Trümmern.  
        
        Das war aber gleichsam nur ein kleines Vorspiel zu der langen
        Tragödie, welche die Schnewelin vom wiseneckischen Aste mit den
        Mönchen von St. Märgen aufzuführen wagten. Übermütiger,
        rachesüchtiger und gewalttätiger läßt sich kaum etwas denken,
        als hier das unritterliche Treiben dieser adeligen
        Emporkömmlinge war.  
        
        Zum Unglück für das Gotteshaus St. Märgen hatte der Graf von
        Hohenberg 1293 „die Burg und Herrschaft Wisenecke in Zartental
        und die Vogteie über das Kloster ze sante Marienzelle mit Lüten
        und Gütern, Gerichten und Rechten und Gewohnheiten an Holz und
        Feld, an Äckern, Reben und Matten, an Was- sern und Fischenzen“,
        schuldenhalber an den freiburgischen Pa- trizier Turner
        verkaufen müssen. Von diesem aber ging dieselbe schon 1319 an
        die schnewelinsche Familie über, und nun began-  nen deren
        Feindseligkeiten gegen das Kloster — gleich von vornherein mit
        einer offenbaren Gewalttat und Rechtsverletzung.  
        
        Urkundlich waren, wie bei den meisten Gotteshäusern, auch bei
        St. Märgen die s. g. Sal- oder Stiftungsgüter von aller welt-
        lichen Vogtei befreit und nur die lehen- oder erbweise vergebe-
        nen Besitzungen der Gewalt des Schirmvogtes unterworfen. Hieran
        kehrte sich Johann Schnewelin, der Herr von Wiseneck, jedoch
        wenig und erhob auch von den Salgütern die gewöhn- liche
        Vogtsteuer und andere Abgaben, was sofort zu einem giftigen
        Rechtsstreit führte.  
        
        Nun legten sich die Sippen des Vogtes, namentlich der freibur-
        gische Schuldheiß Schnewelin und dessen Bruder, „der Gresser“,
        ins Mittel, und der Abt Dietmar, in gutem Glauben an deren
        billige und edelmännische Rechtlichkeit, ließ sich herbei, auf
        ihren Scheidspruch zu kompromittieren. Da dieser Spruch jedoch
        ganz parteiisch zu Gunsten Johanns ausfiel, so wurde er vom
        Kloster entschieden zurückgewiesen und vom Papste für ungültig
        erklärt.  
        
        Das aber war Öl ins Feuer gegossen. Der Wisenecker hielt fest an
        dem erschlichenen Spruche, und als die Mönche sich nicht fügen
        wollten, griff er gewalttätig zu, vertrieb sie aus dem Kloster,
        eignete sich kirchenräuberisch ihre fahrende Habe an und
        schaltete mit den Klostergütern nach Laune und Willkür.  
        
        Die „armen Leute“, welche im sanktmärgischen Gebiete sa- Ben,
        wurden mit unerschwinglichen Steuern und Abgaben belegt und
        zogen daher häufig hinweg, wodurch die Güter großenteils
        unbebaut blieben und verwilderten. Das Klostergebäude aber lag
        jahrelang so verödet, daß es in Zerfall geriet, daß „in der
        Kirche, im Chore, um den Hochaltar das Unkraut dicht
        emporwucherte, und Spinnen, Kröten und Nattern ihre Nester darin
        fanden.  
        
        Dieser jammervolle Zustand seines Nachbarstiftes ging dem Abte
        von St. Peter so zu Herzen, daß er sich deswegen in einem
        beredten Schreiben nach Avignon an den heiligen Vater wende- te.
        Seine Sprache hatte die Wirkung, daß Johann XXII. dem Bi- schofe
        von Konstanz befahl, den Schnewelin und seine Gesellen mit dem
        Banne zu belegen.  
        
        Gleichwohl erlag Abt Dietmar den Folgen der erlittenen
        Bedrängnis. Aber auch Herr Johann starb, und dessen Vettern zu
        Freiburg suchten seine Schuld durch eine reichliche Gottesgabe
        an das mißhandelte Kloster zu sühnen (Der
            Ritter Schnewelin von Wiseneck, Bürgermeister zu Freiburg,
            ver- macht dem Kloster zum Seelenheile seiner Vordern den
            Kirchensaz zu Haslach. Urkunde von 1329). 
        
        
        Inzwischen hatten sich die vertriebenen Mönche wieder nach St.
        Märgen zurückbegeben, und der neue Abt Johann bemühte sich
        eifrigst, den Gottesdienst und die Klosterwirtschaft wieder
        herzustellen. Und es schien, als wolle ihn der junge Vogt, Herrn
        Johanns gleichnamiger Sohn, darin pflichtgemäß unterstützen;
        denn er erlaubte dem Kloster, eine zehnjährige Anleihe zu erhe-
        ben, um sich damit wieder aufzuhelfen.  
        
        Der Apfel war aber nicht weit vom Baume gefallen. Als das
        Kloster die ihm entrissenen Güter und Gilten ernstlich wieder
        zurückzufordern begann, erhob der Vogt neue Feindschaft gegen
        dasselbe, neuen gehässigen Streit und Hader. Denn hatte der
        Vater seine rechtswidrigen Ansprüche durch einen erschlichenen
        Schiedspruch rechtfertigen wollen, so suchte der Sohn seine An-
        maßungen durch die gewaltsame Erpressung eines Vertrages zu
        sanktionieren. 
        
        Eines Tages überfielen die Gesellen des jungen Schnewelin
        bewaffnet das Kloster, nahmen den Abt und etliche Konvents-
        herren gefangen und führten sie nach Wiseneck in Verwahr. Hier
        nun suchte ihnen der Vogt dasjenige abzudringen, was er
        wünschte. Die Gefangenen blieben aber standhaft, und weil’s ihm
        lästig fiel, dieselben noch längere Zeit zu füttern, so wurden
        sie nach etlichen Monaten, gegen Abschwörung einer Urfehde,
        wieder auf freien Fuß gestellt.  
        
        Dieses Verfahren war ebenso töricht wie gewalttätig; denn die
        Mönche ließen sich ihres Eides entbinden und brachten ihren
        Verfolger mit seinen Helfern in den Kirchenbann, „bis er zum
        Kreuze kriechen werde“. Alle Sonntage verlasen die Pfarrer den
        Bannbrief von der Kanzel und verboten den Gemeinden allen Umgang
        mit den gebannten Frevlern. 
        
        
        Jahre gingen darüber hin und ein neuer Kirchenbann drohte allen
        denen, welche sich weigern würden, dem Stifte St. Märgen die
        geraubten Güter zurückzugeben. Da wirkte der Bannstrahl endlich
        — Herr Johann kroch zum Kreuze. Er unterwarf sich dem Spruche
        eines Schiedsgerichtes und leistete dem Kloster eine
        befriedigende Entschädigung, worauf ihn der Bischof wieder aus
        dem Banne tat.  
        
        Nicht lange jedoch währte es und neue Irrungen erhoben sich
        zwischen Kloster und Schirmvogt, gerade während des erbitter-
        ten Freiburger Krieges, welcher sieben Jahre lang das
        breisgauische Volk in Verwirrung und Jammer versetzte. Und bis
        zum Meuchelmorde kam es diesmal; denn eines Tages 1355 wurde Abt
        Konrad bei Ebnet erschlagen (Alles nach den
            Urkunden des ehemal. Kl. St. Märgen von 1293, 1320, 1322,
            1332, 1341, 1346, 1348, 1353, 1360, 1363, 1364, 1366, 1370
            und 1372. Vergl. auch Petri Suev. sacra, 236, und Kolbs
            Lexicon von Baden II,  145). 
        
        
        Damit endigte der 40jährige Hader. Es geschah 1372 eine voll-
        kommene Ausgleichung zwischen den St. Märgenern und der
        Schnewelinschen Familie. Hierauf ging 1383 die Klostervogtei aus
        deren Hand an die Herren von Blumeneck über; aber das Gotteshaus
        war in Zucht und Wirtschaft jämmerlich zerrüttet und fristete
        sein Dasein kein Jahrhundert mehr.  
        
        Im Jahre 1463 verkaufte Abt Johann V. die sanktmärgischen
        Klostergüter an die Stadt Freiburg und zog sich mit dem Reste
        seines Konventes in das dortige Klösterlein Allerheiligen
        zurück. Erst 1725, nach langen Bemühungen, wurde die Abtei St.
        Märgen wieder hergestellt.  
        
        Aber nicht allein die alte Stiftung der Hohenberger ging an den
        Schnewelin zugrunde, auch die Ritterfamilie von Falkenstein
        wurde durch diese adeligen „Ruechen“ allmählich aufge- zehrt.
        Ein Stück Gutes nach dem anderen drückten sie derselben ab, bis
        die verschuldeten Junker so weit herabkamen, daß Wegelagerei und
        Straßenraub ihr Handwerk wurden, wie sie solche ehedem selber
        getrieben.  
        
        Als um die Mitte des 15. Jahrhunderts die letzten Sprößlinge des
        uralten falkensteinischen Edelgeschlechtes in ärmlicher
        Dunkelheit verschwanden, hieß Johann Schnewelin von Landeck zu
        Wiseneck der „Herr des Kirchzartener Tales“, und hinterließ
        seinen Nachkommen noch außerdem die landecki- schen Dörfer mit
        dem Glotter- und Föhrentale (Mone, Quellensamml.
            I, 243. Ein schnewelinschere Zinsberein von 1446 bis 1463,
            und der Teilungsbrief von 1465 zählen auf 1) die Herrschaft
            Wiseneck, 2) das Kirchspiel Breitnau, 3) die Falkensteig mit
            dem Zoll- und Wildbann, 4) das Dorf Ebnet und verschied.
            Güter und Zinse zu Littenweiler, Kirchzarten, Geroldstal,
            Dietenbach ezc., 5) die Herrschaft Landeck, 6) das Glotter-
            und Föhrental, 7) die Dörfer und Höfe in der Mark, 8) Höfe,
            Güter und Zinsen zu Vörstetten, Denzlinbgen, Krozingen,
            Biengen, Gottenheim, Waltershofen, Horben, Weilersbach etc). 
        
        
        Die Burg Landeck mit ihren Zubehörten war inzwischen durch
        Auftragung ein badisches, und die Veste Wiseneck mit ihrer
        Herrschaft ein österreichisches Lehen geworden. Dieser
        schnewelinsche Zweig erlosch aber 1603 und seine reiche
        Verlassenschaft gelangte durch eine Erbtochter an die Freiherren
        von Sickingen (Anna, Tochter des Hanns Jacob von
            Landeck, vermählt mit Friderich v.  S. Gerbert, histor.
            S. n. Il, 229), welche nun neben der Stadt
        Freiburg die bedeutendsten Grundherren des Dreisamtales
        waren.  
        
        Auch die übrigen schnewelinschen Zweige dorrten nach einan- der
        ab, und 1833 erlosch das ganze Geschlecht mit einem kinderlosen
        Zwergen. Es war der Freiherr Franz Xaver Schnei- ling Bernlapp
        (wie er sich selber schrieb) zu Bollschweil, welcher noch dieses
        altschnewelinsche Lehen besaß, dessen Be- standteile die
        Dörflein Bollschweil, Sölden, Bietzighofen, Au und Wittnau im
        Hexentale bildeten (Lehenrevers von 30.
            April 1825).  
        
        Über sechs Jahrhunderte lang waren also die Schnewelin aufs
        engste in die breisgauische Geschichte verflochten. Wir wollen
        glauben, daß ihr löblicheres Wirken, namentlich zu Freiburg in
        den ersten städtischen Ämtern, und ihre stillen Verdienste durch
        so viele Geschlechter herab, ein Gewicht in die andere Wag-
        schale legten, welches jene Verirrungen, Gewalttaten und Sünden,
        wovon ich hier ein kleines Bild entworfen, wohl großenteils
        wieder aufwiegen mochte.