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Aus:
Robert Feger
Ritter, Fürsten und Melusinen.
Geschichte und Geschichten von Burgen und Schlössern in Südbaden
Rombach Verlag
Seiten 105 bis 123

Faustrecht, Schirmvogtei und Geldgeschäfte

Die Burg Wiesneck bei (Buchenbach) Kirchzarten
Dort wo sich die breite Talebene des Zartener Beckens nach Osten hin in das Wagensteigtal verengt, erhebt sich nördlich des Dorfes Buchenbach ein schön geformter Hügel; ein von St.Märgen herkommender Höhenzug zwischen Ibental und Wagensteigtal treibt ihn als letzte Erhöhung in den weiten Kessel der Dreisamebene vor. Auf diesem Hügel liegen im lichten Wald die Trümmer der Burg Wiesneck. Wessen Auge aufmerksam über die Landschaft geht, der vermag von der Höllentalbahn oder von der Bundesstraße 31 aus die Ruine zu sehen.
Allein so nahe Zug oder Auto die Reisenden auch vorbeiführen - es sind vom Bahnhof Himmelreich bis zur Burg etwa 1000 Meter -, die Wiesneck liegt heute abseits, in einem stillen Winkel, und macht mit ihren Resten von Mauerzügen und Türmen nichts mehr aus sich. Einst war das anders. Zwar ist unbekannt, wann und von wem die Burg angelegt wurde, doch war sie im 11. Jahrhundert für die Geschicke des Landstrichs von Bedeutung. Damals gehörte sie zusammen mit der Gegend um die Wagensteige den aus dem Fränkischen gekommenen Grafen von Hohenberg. Sie beherrschte die Eingänge in den Schwarzwald - das vielbefahrene Wagensteigtal, das Höllen- und Ibental - und diente vielleicht auch zur Überwachung der Zähringer Herzöge, die sich im Zwist mit der Kaisergewalt zu eben dieser Zeit auf ihren Hausbesitz im Schwarzwald zurückgezogen und im Jahre 1093 ihr Hauskloster von Weilheim unter Teck nach St. Peter im Schwarzwald verlegt hatten. Daß die Hohenberger sich als Rivalen der Zähringer fühlten, geht daraus hervor, daß sie alsbald nach der Gründung von St. Peter durch die Zähringer mit einer Gegengründung aufwarteten: Sie erbauten nicht weit entfernt das Augustinerkloster Marienzelle oder St.Märgen, dessen Schirmvögte sie wurden.
In einer Fehde der Zähringer mit dem Abt von St. Gallen - Kirchzarten war St. Gallischer Besitz -, in der die Hohenberger den Abt unterstützten, wurde die Wiesneck von den Zähringern zerstört. Doch muß der Wiederaufbau bald erfolgt sein, denn im Jahre 1293 konnte sie von Albrecht von Hohenberg an den Freiburger Patrizier Bernhard Turner verkauft werden. In der Kaufurkunde heißt es: „Wir grave Albreht von Hohenberg haben verkoufet die burg und die herschaft ze Wisenegge, dü da lit in Zartuntal in Brisgoewe, und die vogetei über das closter ze sante Mariencelle in dem Swarzwalde in Costenzer bischtuome, mit lüten und guoten unde mit namen über lüte und guot ze Froulenbach, ze  zarten, ze Merdingen . . . . dem erberen manne hern Burcharte dem Turner, einem burger von Friburg, vür lidig eigen umbe tusend Marke und zwenzig marke loetiges silbers geweges ze Friburg“
Nach einem Vierteljahrhundert jedoch kam die Burg an die Snewelin. In ihrer Hand blieb sie nun - mit einer Unterbrechung von 1372 bis 1451. Die Snewelin traten um diese Zeit als tatkräftige Patrizier von Freiburg und als kluge Kapitalisten im ganzen Breisgau hervor. Von rücksichtslosem Erwerbswillen getrieben und oft ohne ritterlichen Sinn, hatten sie sich seit 1300 einen ausgedehnten Besitz und eine hervorragende politische Stellung geschaffen, indem sie die Güter und Gerechtsame  der verarmenden alten Adelsgeschlechter durch Geldverleih in ihre Hand brachten; so etwa die der Landecker und der Falkensteiner. Auch St.Märgen, dessen Vögte sie nun waren, bekam ihre Härte zu fühlen. Nicht genug damit, daß sie die Mönche von St.Märgen bedrückten, beraubten und gar im Verließ der Wiesneck einige von ihnen zeitweilig gefangen hielten, ließ im Jahre 1355 Johann von Snewelin ihren Abt Konrad bei Ebnet ermorden. Vielleicht hängt es mit der Sühnung dieses Mordes zusammen, daß 1372 die Wiesneck an die Herren von Blumeneck verkauft wurde; damit wechselte auch St.Märgen seinen Schirmvogt.
Aber der Tausch bekam dem Kloster nicht. Der Zwist zwischen ihm und den Besitzern der Wiesneck ging weiter: 1401 wurde abermals ein St.Märgener Abt, Johann mit Namen, bei Merdingen erschlagen, diesmal von Knechten der Blumenecker. Im Jahre 1451 kauften die Snewelin die Burg wieder zurück; sie waren immer noch die gleichen unruhigen und rauflustigen Gesellen, und es mag wie ein Urteil der Geschichte erscheinen, daß die Bauernscharen des Hans Müller von Buchenbach im Jahre 1525 die Wiesneck in Trümmer legten. Im Laufe des gleichen Jahrhunderts noch wurde sie jedoch wieder aufgebaut; ein Altarflügel aus der Schloßkapelle Weiler bei Stegen aus der Zeit um 1550 gibt eine naive Ansicht der Burg wieder. 1644 wurde die Wiesneck von den die Stadt Freiburg belagernden Schweden eingenommen und ein drittes Mal in Trümmer gelegt. Und diesmal folgte kein Wiederaufbau mehr, die Burg blieb gebrochen liegen, verödete und geriet in Vergessenheit. Keine Sage rätselte an den Trümmern herum. Das scheint merkwürdig. Wirkte der  nüchterne Sinn der früheren Burgbesitzer immer noch über dem Platze? Oder machten die Gewalttaten, die tatsächlich in der Burg geschehen und geplant worden waren, es überflüssig, noch mehr an Geschehnissen zu erfinden?
Die Trümmer der Burg sind noch heute eines Besuches wert. Sie überraschen durch ihre vergleichsweise Mächtigkeit, die man in diesem vergessenen Winkel nicht suchen würde. Der Zugang öffnet sich gegen Osten hin, wo sich der Burghügel gegen den Bergzug absetzt. Durch ein breites Tor betritt man den geräumigen Zwinger, der die Burg im Osten und Süden umschloß, wo der Burghügel einen flachen Absatz hat. Im Westen und Norden übernahm ein Graben mit vorgelegtem Wall den ersten Schutz. Im Westen stieg man vom Zwinger aus zur inneren Burg auf. Ihre Reste auf dem steil ansteigenden, zerklüfteten Kegel lassen auf einen viereckigen Turm mit anhängenden Wohngebäuden schließen; eine Ringmauer umschloß die Burg.
Die Trümmer zerfallen mehr und mehr. Die Natur hat die Herrschaft über den Platz übernommen: Schlanke Buchen erheben sich und Tannen starren grün zwischen den Blöcken von vermauerten Steinen, kaum halten die Wurzeln der Bäume das Erdreich auf dem steilen Hang zusammen, Stück für Stück fällt bröckelnde Mauer und rutschender Grund in den nordseits umlaufenden Graben oder auf den flacheren Boden des Zwingers. Von den Wiesen im Tal dringt das Geläut der Kuhglocken her und das Brummen der Traktoren; durch das graue Gegitter der Stämme sieht man auf die Dächer des Weilers am Hügelfuß, auf Bach und Wiese. Nichts blieb von Gewalttat und Faustrecht, von großen Machtplänen und harter Geldgier der mittelalterlichen Burgherren. Nichts, nicht einmal eine Erinnerung daran in den Erzählungen des Volkes. Nur der Bauer der Talebene blieb und bestellt sein Feld wie vor Jahrhunderten. Das heißt, soweit er noch kann. Denn inzwischen hat sich südlich der Wiesneck eine sogenannte Wohnanlage breitgemacht, die den Landschaftscharakter des alten Tarodunum dort brutal zerstört hat.