Die Burg Wieseneck |
J. Bader Schau-ins-Land 1877 |
Wenn der
Wanderer aus dem engen, wildromantischen Höllenthale in das weite,
gesegnete Treisamthal gelangt, so wähnt er wirklich, aus einer „Hölle“
in ein „Himmelreich“ zu treten, so heiter und herrlich entfaltet sich
die Landschaft vor seinen Blicken. Es ist ein wundervolles Schauspiel.
Dort, am erlenbeschatteten Osterbache, zwischen prangenden
Getreidefeldern und hochgrünen Wiesen, welche von den dunkel bewaldeten
Abhängen des Rabeneckes malerisch begränzt sind, ruht im Schoße seiner
Gemarkung das uralte Kirchzarten, neben Neuhäuser an der Bruckach beim
Eingange des Dietenbach.
Hier aber, zur Rechten, zeigen sich in reichen Gefilden zunächst die
Poststation Burg am Freudenbache, sodann Stegen am Eschbache und Zarten
an der Treisam, hierauf am Fuße des kleinen Roßkopfes das Dörflein
Ebnet, und endlich am Ausgange des Thales die Stadt Freiburg, deren
Münsterthum mit seiner Spitze hinter dem Schloßberge hervorschaut.
Ich übergehe es, näher zu erwähnen, welch’ eine uralte Welt baskischer,
keltischer, gallisch-römischer und germanischer Bevölkerungen in diesem
Erdenwinkel begraben liege. Die Verschiedenheit des ethnischen Gepräges
der heutigen Bewohner, zahlreiche Namen der Berge, Flüsse, Orte und
Gelände, viele Sagen des Volkes, viele Trümmer und Trümmerspuren aus
früherer und frühester Zeit, bezeugen uns die dritthalb tausendjährige
Thalgeschichte von Zarten, dem keltisch-römischen Tarodunum, dessen
Gemarkung hinauf gereicht bis an den Titisee!
Hat der Wanderer an der Schwelle des Himmelreichs die lachende
Thalebene betreten, so erblickt er rechts, auf einem hervortretenden
Hügel, zwischen dem Freudenbache und der Iwa, die Ueberreste der Burg
Wieseneck, deren Namen ihre Lage trefflich bezeichnet, denn sie liegen
auf einer Bergecke, welche von frischgrünen Wiesengelände im Halbkreise
umgeben ist. Hinter dem „Wiesenecker Thale“, wie dieser östliche Theil
des Treisamthales genannt zu werden pflegt, führen die Straßen durch
das Eschbachthal nach Sanct-Peter und durch die Wagensteige nach
Sanct-Märgen, wo die Wasserscheiden gegen die Thäler der Glotter und
Wildgutach sich hinziehen.
Offenbar überwachte einst ein Römerthurm auf der Wiesenecke die große
Lagerstatt von Tarodunum, und ohne Zweifel bot derselbe, nach Eroberung
des Landes durch die Germanen, einem alemannischen oder fränkischen
Herrn die Gelegenheit, sich daselbst anzubauen. Welchen Namen aber mag
der Erbauer dieser Veste getragen haben? So fragen wir vergeblich; denn
der Ursprung der alten Dynastengeschlechter und ihrer Burgen ruht
meistens von undurchdringlichem Dunkel umhüllt, wie der
Lebenserinnerung des Menschen seine ersten Kinderjahre völlig
verschlossen sind.
Die Gegend von Sanctpeter gehörte seit uralter Zeit den Ahnen der
Zäringer und jene von Kirchzarten dem fernen Stifte Sanctgallen; was
dazwischen lag, die Wagensteige und die Höhen von Sanctmärgen, war im
11ten Jahrhunderte ein Besitztum der fränkischen Grafen von Hohenberg,
deren Verpflanzung aus dem Frankenlande nach Schwaben und in’s Breisgau
einsweilen noch ein Räthsel bleibt. Vermuthen läßt sich, daß die
Hohenberger, als Anhänger des waiblingischen Kaiserhauses, den welfisch
gesinnten Zäringern gleichsam zur Ueberwachung an die Seite gesetzt
worden, als dieselben ihre schwäbischen Stammgüter verließen, um sich
im Breisgau haushäblich festzusetzen. Denn kaum hatte Herzog Berchtold
II das Benedictinerstift Sanctpeter zu Weilheim unter Teck nach dem
Kandel, in die Nähe seines neuen Wohnsitzes auf der Veste Zäringen, als
herzogliche Grabstätte verlegt, so gründete unweit davon ein Mitglied
des hohenbergischen Hauses auch schon das Augustinerstift Marienzell
oder Sanctmärgen. Dies geschah ohne Zweifel, um dem kirchlichen und
politischen Einflusse jener geistlichen Pflanzung eine solche Anstalt
von waiblingischer Richtung entgegen zu setzen.
Die Domstifte und Klöster spielten damals in den kirchenpolitischen
Zeitkämpfen eine noch einflußreichere Rolle, als später. Sie bildeten
die geistigen, gelehrten, literarischen Zeughäuser der Kaiser, Könige
und Fürsten; denn man kämpfte nicht allein mit Schwert und Lanze,
sondern ebenso wirksam mit den Waffen des Wissens, der Schrift und
Diplomatie. Wo aber fanden sich kundigere, rede- und schriftgewandtere,
klugere und ausdauerndere Geschäftsträger und Unterhändler als in den
Gotteshäusern?
Schon lange vor 1118, wo der straßburgische Dompropst Bruno von
Hohenberg das Kloster Sanctmärgen gestiftet, hauste sein Bruder, Graf
Albrecht, auf der Wiesenecke, als Beobachter alles dessen, was Herzog
Berchtold zu Zäringen und Sanctpeter unternahm. Das böswillige
Mißtrauen und die gereizte Eifersucht zwischen der waiblingischen und
welfischen Partei trat immer leidenschaftlicher zu Tage, bis es
mehrfach zu Zerwürfnissen kam, welche sich zu blutigen und
landverderblichen Fehden gestalteten.
So hatte Graf Albrecht kaum die Schirmvogtei des neuen Klosterwesens
von Sanctmärgen übernommen, als sich eine Fehde erhob, welche seiner
Veste Wieseneck den Untergang brachte. Es war in dem Hader des Herzogs
von Zäringen mit dem Abte von Sanctgallen. Berchtold rächte sich an
diesem eifrigen Anhänger der kaiserlichen Partei durch Verwüstung der
breisgauischen Güter seines Stiftes. Wie auch diese dunkle Sache sich
verhalten mochte, so scheinen die Hohenberger eine Hand darin gehabt zu
haben; denn ihre Veste wurde berannt, genommen und zerstört! Wer von
ihnen dieselbe wieder hergestellt, ist unbekannt; man weiß jedoch, daß
ein späterer Graf Albrecht, der Schwager des Königs Rudolf von
Habsburg, sie zeitenweis bewohnt und endlich mit aller Zubehör an den
freiburgischen Patricier Burghard Turner verkauft habe.
Dieser Verkauf der „Burg und Herrschaft Wieseneck“ geschah im Jahre
1293 um die Summe von 1200 Marken Silbers oder 16,800 Gulden heutigen
Geldwerthes. Der Käufer gehörte der Familie an, welche ihren Namen von
dem Turner trug, einem Edelsitze beim alten Römerthurme auf der Höhe
des „hohlen Graben“, in der Nähe von Sanctmärgen, wo die alte
Hochstraße aus der Wagensteige nach der Baar und nach Schwaben führte.
Der biedere Character des Ritters Burghard und die Nachbarschaft seines
Burgsitzes mochten die Gründe sein, wodurch Abt und Convent bewogen
worden, der Kaufhandlung beizustimmen.
Leider jedoch gelangte die Herrschaft Wieseneck mit der Schirmvogtei
über Sanctmärgen schon nach 25 Jahren von den Turnern an die
Schnewelin, welche bereits 1300 von den Johannitern zu Freiburg die
Doppelveste Landeck hinter Emmendingen käuflich erworben. Der
wieseneckische Kauf aber war ein verhängnißvoller Wechsel für die Abtei
und ihre Hörigen. Denn das schnewelin’sche Rittergeschlecht vereinigte
in seinen Mitgliedern reiche Industrieritter, sozusagen die Rothschilde
des damaligen Breisgaues, mit den schlimmsten Junkern und Raufbolden
unter dem breisgauischen Adel.
Ihr Schirmamt über die Marienzelle führte zum Untergange derselben. Die
unerhört mißhandelten Mönche mußten ihr ruinirtes Gotteshaus verlassen
und sich nach Allerheiligen in Freiburg zurückziehen. Man lese diese
tragische Klostergeschichte von 1311 bis 1463 und es wird unglaublich
scheinen, wie eine einzige Oertlichkeit innerhalb eines Zeitraumes von
kaum anderhalb Hundert Jahren der Schauplatz so zahlloser, so
empörender und schmachvoller Gewaltthaten sein konnte. Es möge dem
Leser genügen, sich aus diesem vielactigen Drama die ersten
Scenenbilder vor Augen geführt zu seh’n.
„Ritter Johann Schnewelin, der neue Schirmvogt von Sanctmärgen, hielt
sich wenig an den Wortlaut der Urkunden, worin ihm das Schirmamt
übergeben worden. Er wollte sein Vogteirecht auch über die Salgüter des
Klosters ausdehnen, obgleich dieselben von aller Vogtsteuer befreit
waren. Es kam zu Irrungen und Zerwürfnissen, welche man durch den
Ausspruch eines unparteiischen Schiedgerichtes beilegen wollte. Dabei
schlug Ritter Johann seine Vettern, den freiburgischen Schuldheißen
Schnewelin-Bärenlapp und den Schnewelin-Gresser, zu Richtern vor. Die
Marienzeller ließen sich diesen Vorschlag gefallen, da ihnen die
Ritterehre der Beiden als beste Bürgschaft eines gerechten und billigen
Spruches galt; Dieses Vertrauen wurde jedoch bitter getäuscht, denn die
Schiedmänner ließen sich von Familieninteressen leiten und fällten ein
dem Kloster ungünstiges Urtheil.“
„Abt und Convent protestirten feierlich dagegen und wendeten sich an
den heiligen Stuhl, unter dessen besonderm Schutze ihr Kloster stund.
Der Papst erklärte sofort in einer Bulle vom 27. Mai 1320 die
schnewelinsche Entscheidung für ungültig und die Klosterherren suchten
ein neues Schiedsgericht zur Schlichtung der streitigen Puncte zu
erlangen. Ritter Johann aber, ein leidenschaftlicher, auf seine Gunst
beim Grafen von Freiburg pochender Mann, wies nicht allein jede
Verständigung zurück, sondern behandelte die Marienzelle mit so
rücksichtslos gewaltthätiger Bosheit, daß es den Anschein gewann, als
wolle er sich zum Herrn des Klostergutes machen und solches seinem
Familienbesitztum einverleiben, wie es früher und später viele
Klostervögte mit ihren Schutzbefohlenen gethan.“
„Der Schnewelin verwendete von der fahrenden Habe des Klosters zu
seinem Gebrauch, was ihm beliebte. Die sanctmärgischen Salgüter, welche
er widerrechtlich besteuerte, wurden deshalb verlassen und lagen öde;
die verliehenen Höfe und Grundstücke aber behandelte er als sein
Eigentum, bezog die Zinse und Abgaben davon und legte den Inhabern so
schwere Steuern und Dienste oder Fronen auf, daß die armen Leute es
kaum zu ertragen vermochten.“
„Den Abt und die Conventherren behandelte der Vogt nicht allein auf’s
Frechste und Gröblichste, sondern verkürzte sie auch in ihrem Einkommen
dergestalt, daß es ihnen nicht mehr möglich war, der Regelpflicht und
dem Gottesdienste noch ferner nachzukommen. In dieser „pharaonischen
Knechtschaft“ mußten sich die Armen endlich zu dem verzweifelten
Schritte entschließen, das Kloster zu verlassen, um nur ihr Leben davon
zu tragen. Nachdem dieselben den Kirchenschmuck, die Bücher und Anderes
bei benachbarten Gotteshäusern in Sicherheit gebracht, wanderten sie
aus, zogen im Elende umher und erbettelten sich da und dort ihre
Nahrung und Unterkunft. Das Klostergebäude blieb leer und verlassen;
Alles stund offen, die Kirche, der Speise- und Schlafsaal, die Küche
und der Keller. Keine Menschenseele belebte die öden, zerfallenden
Räume; im Kirchenchor’ und am Hochaltare wucherte Unkraut empor, und
Spinnen, Kröten und Nattern nisteten darin.“
„Zwei Jahre schon hatte dieser jammervolle Zustand gedauert und
nirgends wollte sich eine Hilfe zeigen. Da endlich erbarmte sich der
Abt des Nachbarstiftes Sanctpeter der verlassenen Marienzelle und ihrer
umherirrenden Söhne. Er berichtete die ganze Trauergeschichte in
lebhaften Farben an den Papst nach Avignon und beschwor denselben, doch
zur Wiederherstellung des beraubten und entvölkerten Gotteshauses seine
mächtige Hand zu reichen, um die schnewelinschen Frevel, zur
Abschreckung auch Anderer von der Nachahmung eines so bösen Beispiels,
exemplarisch zu bestrafen und dem verödeten Kloster seine Bewohner
wieder zurück zu führen.“
„In Folge dieses Schreibens übertrug der Papst die Untersuchung der
Sache zweien Prälaten, damit der Schnewelin, zur Gebühr gebracht oder
mit dem Kirchenbann belegt werde. Derselbe erschien aber auf keine der
wiederholten Vorladungen, sondern fuhr mit verstocktem Herzen (animo
indurato) in seinen Verfolgungen der Marienzeller noch rücksichtsloser
fort, daher der Kirchenbann auch wirklich über ihn verhängt wurde.
Doch, auch dieses brachte ihn immer noch nicht zur Umkehr. Erst nachdem
der Papst befohlen, den Bann an allen Sonn- und Feiertagen unter
Glockengeläute und bei brennenden Kerzen in sämmtlichen Kirchen des
Breisgaues öffentlich zu verkünden, erst jetzt konnten der verfolgte
Abt und Convent, welche inzwischen wieder nach Sanctmärgen zurück
gekehrt, die geforderte Genugthuung erlangen.“
„Der Schnewelin verschwand damals vom Schauplatze und es schwebt
ein verdächtiges Dunkel über dem Ausgange desselben. Starb er eines
natürlichen Todes oder als Opfer der Kirchenstrafe? Man findet keine
Nachricht darüber; nur das ist bekannt, daß jener freiburgische
Schuldheiß Schnewelin, welcher mit seinem Vetter Johann den
parteiischen Schiedspruch von 1320 gethan, der Marienzelle das
Kirchenpatronat zu Haslach vergabte, wahrscheinlich als Ersatz für
allen dem Kloster verursachten Verlust und Schaden“.
Der Schirmvogt Johann hinterließ einen minderjährigen Sohn gleichen
Namens, welcher 1339 mündig ward und völlig in die Fußstapfen seines
Vaters trat; daher ebenfalls mit dem Kircheinbann bedroht wurde. Er
kümmerte sich aber wenig um solche Androhung, sondern ging darauf aus,
den Marienzellern einen für seine Absicht günstigen Vertrag abzuzwingen
und zur Erreichung dieses Zieles schien ihm auch eine offenbare
Gewaltthat nicht verwerflich. Der gestrenge Ritter versammelte eines
Tages etliche Getreue und befahl ihnen, das Kloster mit gewaffneter
Hand zu überfallen, den Abt und Convent festzunehmen und sie nach
Wieseneck zu bringen. Diesen Auftrag vollführten die Beordneten; es
wurde der Abt Konrad mit drei Conventherren ergriffen, nach der Feste
abgeführt und dort in einen Thurm gesperrt, um sie kirre und gefügig zu
machen.“
„Der gewaltthätige Vogtherr täuschte sich jedoch; die Gefangenen ließen
sich keineswegs zu dem begehrten Vertrage herbei, während die
päpstlichen Commissarien in dieser Angelegenheit auch ihre Schritte
thaten. Nach etlichen Monaten sahe sich Ritter Johann genöthigt, die
standhaft verharrten Marienzeller wieder frei zu geben; nur zwang er
ihnen zuvor das eidliche Gelöbniß ab, nirgendwo über das Geschehene
eine Klage zu erheben. Der Abt und seine Schicksalsgenossen erlangten
aber vom Papste die völlige Entbindung von diesem gewaltsam erpreßten
Eide und betraten sofort den Rechtsweg gegen den Vogt und seine Helfer.
Dieselben wurden als schuldig erkannt und mit dem Kirchenbanne bedroht,
bis sie reuig gemacht, den Klägern genug gethan und sich um
Schuldvergebung an den heiligen Stuhl gewendet.“
„Da endlich bedachte sich Herr Johann eines Bessern. Er ließ sich zu
einem Schiedsgerichte herbei, welches im Sommer 1348 zusammen trat und
einen Friedensvergleich auf ein Jahrsechst erzweckte, wornach der Abt
bewirkte, daß der Vogtherr und seine Helfer des Bannspruches erledigt
wurden, er dagegen eidlich gelobte, dem Kloster einen bestimmten Theil
der entrissenen Güter wieder anheim zu stellen. Kaum aber war die Frist
dieses Vergleiches abgelaufen, so begann Ritter Johann in seiner
Verbissenheit die Verfolgung gegen S anctmärgen auf’s Neue und trieb es
noch ärger, als zuvor. Der standhafte und thätige Abt Konrad mochte ihm
der ärgste Dorn im Auge sein; denn bis zu einem Anschlage gegen dessen
Leben ließ der Verblendete sich hinreißen. Eines Tages im Jahre 1355,
als der unbesorgte Prälat mit wenigen Begleitern von Freiburg nach
seinem Kloster zurückkehrte, wurde derselbe bei Ebnet von den
schnewelin´schen Gesellen hinterlistig überfallen und meuchelmörderisch
erschlagen.“
Soweit mein Auszug aus der Chronik von Sanctmärgen. Der Leser wird kaum
begreifen, wie das alles möglich gewesen, und gleichwohl führt uns die
Geschichte der Wiesenecker Burgherren noch ganz andere Bilder
faustrechtlicher Verwilderung vor Augen. Meine Hand ermüdet aber,
dieselben bis in’s Einzelne nieder zu schreiben; ich vermag es nur, sie
in größeren Zügen darzustellen. Denn den Specialhistoriker beschleicht
endlich ein Gefühl des Widerwillens, des Eckels, beim Durchgehen der
Acten und Urkunden über das unritterliche, kleinliche,
leidenschaftliche Treiben in der niedern Adelswelt des 14. und
folgenden Jahrhunderts, wo die trostlosen Zustände des deutschen Reichs
den Ausschweifungen des Faustrechtes überallhin Thore und Thüren sich
geöffnet.
Die Ermordung des Abtes Konrad war geeignet, im ganzen Breisgau, zumal
unter den Freiburgern deren Mitbürger er gewesen, den größten Abscheu
zu erwecken. Die dortigen Verwandten des Anstifters dieser blutigen
That gaben sich daher alle Mühe, denselben mit den Marienzellern
auszusöhnen. Es kam im Sommer 1357 auch wirklich zu einem Vergleiche
über die gegenseitigen Ansprüche und zu einer Beilegung aller alten
Streitigkeiten, worauf der neue Abt beim päpstlichen Stule die
Aufhebung des über den Vogtherrn verhängten Kirchenbannes bewirkte.
Dieser Ausgleichung folgte später ein völliger Verzicht Ritter Johanns
und seiner Söhne auf alle vordem an das Gotteshaus gemachten Ansprüche.
Die Schnewelin scheinen ihres Verhältnisses zu den Marienzellern damals
müde "gewesen zu sein, denn ein Jahrsechst nach dem Verzichte von 1372
verkauften sie die Burg und Herrschaft Wieseneck mit der Schirmvogtei
über Sanctmärgen an die Edlen von Blumeneck. Diese Rittersfamilie hatte
sich vom Schwarzwalde nach Freiburg verpflanzt und mancherlei Güter im
Breisgau erworben. Ritter Johann mit seinen Söhnen Burghard und
Heinrich erließ die Leute der Herrschaft und Vogtei sofort ihres Eides
und gebot ihnen, dem „frommen, vesten Ritter Hanns von Blumeneck“ zu
huldigen. Mit sothanem Wechsel seines Schirmvogtes war aber für das
Kloster nichts gewonnen, denn die Blumenecker geriethen mit demselben
ebenfalls in Zerwürfnisse und wiederholten die schnewelin´schen
Unthaten. Der Hader nahm einen so leidenschaftlichen Character an, daß
Abt Johann im Jahre 1401, als er von seinem Gute zu Merdingen
heimkehren wollte, in der Hohlgasse unweit des Dorfes von Bewaffneten
überfallen und erschlagen wurde.
In Folge dieses Mordes fielen die von Blumeneck aus Andringen der Stadt
Freiburg in Acht und Bann; scheinen sich aber wenig daraus gemacht zu
haben, da sie sich derselben erst nach neun Jahren wieder entledigten
um nun fortan mit der Marienzelle in thunlichem Frieden zu leben. Wie
wol mochte das dem langbedrängten Gotteshause bekommen; wie mochte es
aufathmen von all’ den erlittenen Unbilden, all’ den gehabten Sorgen
und Mühen! Leider jedoch genoßen die geistlichen Herren ihrer Ruhezeit
nicht lange, denn im Jahre 1450 verkauften die Blumenecker die
Herrschaft Wieseneck mit der sanctrnärgischen Vogtei wieder an die
Schnewelin zurück, und damit begannen die alten Händel, Intriguen und
Verfolgungen neuerdings.
Dadurch aber gerieth das arme, unaufhörlich drangsalirte Gotteshaus in
einen so herabgekommenen, verschuldeten, wirthschaftslosen Zustand, daß
Abt und Convent nicht mehr glaubten, sich aufrecht halten zu können.
Sie griffen daher zu dem verzweifelten Mittel, ihr ganzes Kloster und
Widemgut, mit Ausnahme der Kirche und des Zehenten, an die Stadt
Freiburg zu verkaufen und sich gänzlich nach Allerheiligen daselbst
zurückzuziehen. Fortwährend aber arbeiteten die nachfolgenden Vorsteher
an dem Wiedererwerbe des Gutes und an der Wiederherstellung der
Marienzelle, bis es dem unermüdlichen Propste Dilger im Jahre 1725
endlich gelang, dieses schwierige Werk zu vollbringen.
Während der Zeit aber, wo die Schnewelin auf der Veste Wieseneck
gehaust, waren nicht allein die geistlichen Herren von Sanctmärgen ihr
trauriges Opfer, sondern auch die benachbarten Ritter von Falkenstein!
Denn diese „Schwäger und Vettern“ der auch in jüdischen
Wuchergeschäften machenden Junker waren von ihnen das Gegentheil - ein
wirtschaftloses Geschlecht, welches in den Tag hinein lebte, Schulden
auf Schulden häufte und dadurch den größten Theil seiner schönen
Besitzungen verlor.
Die schnewelin´schen Schwäger und Vettern hatten es fein angelegt; sie
liehen den Falkensteinern auf Unterpfande von Gütern und Gerechtsamen
eine Summe nach der andern dar, wol in sicherer Voraussicht, daß an
eine Rücklösung derselben niemals zu denken sei. Sie täuschten sich
auch keineswegs, denn was an Land und Leuten, Rechten und
Gerechtigkeiten von Ebnet bis hinauf zum Feldberge im 14ten
Jahrhunderte noch falkensteinisch gewesen, war im folgenden Alles
schnewelinsch! Die üppige Mistel hatte dem stattlichen Baume, auf
welchem sie saß, allmählig den Lebenssaft entzogen; er fieng zu siechen
an und dorrte ab - ein trauriges Bild adeliger Verkommenheit.
Der schnewelin´sche Ast von Landeck hatte sich durch die beiden Enkel
des Erwerbers von Wieseneck in zwei Zweige getheilt, wovon der eine
gegen das Ende des 15ten Jahrhunderts wieder erlosch, während der
andere das an die Blumenecker veräußerte Schloß käuflich zurück erwarb,
was 1451 durch Ritter Johann den älteren geschah. Dieser unruhige Kopf
überließ sich in bedauerlicher Weise seiner Fehdelust; er nahm im Jahre
1462 Theil an dem Kriege des bösen Fritz von Kurpfalz gegen den
Markgrafen Karl von Baden, welcher deshalb seinem Amtmanne befahl, die
landeckischen Besitzungen im Kirchzarter Thale zu verwüsten. Der Gram
darüber mochte den Junker krank machen; er verstarb schon im Jahre
1466, da seine beiden Söhne Johann und David noch unmündig waren.
Kaum aber hatten dieselben die Volljährigkeit erreicht, so traten sie
schon waidlich in die Fußstapfen ihrer Vordern. Johann betheiligte sich
1469 an den adeligen Raubzügen gegen das Kloster Sanctgeorgen auf dem
Schwarzwalde, wie an dem Kriege zwischen Pfalzgraf Friedrich und Herzog
Ludwig von Baiern, wobei er in pfälzische Gefangenschaft gerieth, und
David spielte sonst den flotten Junker, was eine Geldverlegenheit
verursachte, welche das Haus Oesterreich zu benutzen wußte. Die
Falkensteinischen Besitzungen im Treisamthale waren Feudalgüter, deren
Lehenherrlichkeit von den Zäringern an die Freiburger Grafen und von
diesen an Oesterreich übergegangen; die Burg und Herrschaft Wieseneck
dagegen bildeten ein Allodialgut bis zum Jahre 1489, wo Erzherzog
Sigmund dieselben um die Summe von 2800 Gulden zu Eigentum erkaufte und
sofort den David von Landeck damit belehnte.
Diese Belehnung bestätigte Kaiser Karl V im Jahre 1520 seinem „lieben
Getreuen und Rathe David von Landeck“, welcher schon längst als
Landvogt zu Röteln in den Diensten des Markgrafen Christoph von Baden
stund. Er hauste auf der Veste Wieseneck, obwol dieselbe beim
umwohnenden Volke in schlechtem Geruche stund; denn unvergessen war es
geblieben, was Alles seit den Tagen, da der Prälat von Sanctmärgen mit
seinen Chorherren im Turme daselbst geschmachtet, inner- und außerhalb
dieser Burgmauern von den Vorderen des Junkers gefrevelt und gesündigt
worden.
Solche Zwinghäuser bezeichneten die dunkelste Schattenseite des
Mittelalters, wo der niedere oder Soldatenadel durch sein habsüchtiges,
rechtsverachtendes, übermüthiges, gewissen- und rücksichtsloses
Treiben, wie durch die wachsende Menge seiner Familien, eine Ausdehnung
und einen Einfluß gewonnen, deren Wirkungen wahrhaft landes- und
volksverderblich waren.
Endlich aber erschienen die Tage der strafenden Rache für so viel
himmelschreiendes Unrecht, für so viel blutige Gewaltthat. Der große
Bauernkrieg des Jahres 1525 brach aus und stürzte unzälige der stolzen
Ritterburgen in Schutt und Asche. Auch die Beste Wieseneck entgieng
diesem rächenden Schlage nicht. Das Bauernheer des Hanns Müller von
Bulgenbach, womit sich die Unzufriedenen des Kirchzarter Thales
verbanden, auf seinem Rundzuge durch den Schwarzwald und das Breisgau,
überfiel und verwüstete dieselbe, wie die Villinger Chronik in
folgender, Stelle kurz berichtet.
„Am Freitage des 12ten Mai verließen die Bauern das Kloster
Sanctgeorgen und zogen gen Furtwangen. Aus diesem Zuge nahmen dieselben
dem Wachter im Rorbach etliche Stücke Viehes weg. Darnach zogen sie gen
Sanctpeter, gen Kirchzarten und Ebnet, nahmen’s ein und ließen sich
schwören. Sofort warfen sich etliche Haufen dem Junker David von
Landeck vor sein Schloß Wieseneck, stürmten’s, gewannen’s, plünderten´s
und verbrannten’s, auf Sonntag Cantate, den 14ten Mai.
Nach dem Mißlingen des Bauernkrieges wurden die betheiligten Gemeinden
zur Verantwortung und Strafe gezogen, und dermaßen auf Klage des
Junkers David auch diejenigen des Kirchzarter Thales durch die
Regierungscommissäre von Ensisheim. Die Verhandlungen waren schwierig
und zogen sich in die Länge, denn erst im Februar 1527 kam ein Vertrag
zu Stande, welcher die Sache endgültig abschloß. Die Gemeinden
verpflichteten sich eidlich darin, dem Junker für die Wiederstellung
der Veste Wieseneck und anderer Gebäulichkeiten 3200, wie für die
entwendete Habe 800 Gulden im Verlaufe von drei Jahren baar zu
entrichten.
Längere Zeit aber blieb die Veste ungebaut liegen; denn als Junker
Christoph, der Sohn und Erbe Davids, im Jahre 1549 sein Testament
machte, that er derselben keine Erwähnung, sondern verschrieb dem einen
seiner beiden Söhne zur Wohnung das Schlößlein Falkenbühl oberhalb
Ebnet, und dem andern sein Haus in Freiburg. Der ältere von ihnen,
Junker Hanns Jacob, hatte sein einziges Kind, die Tochter Anna, an den
Freiherrn von Sickingen verheiratet, welchem nunmehr beim Tode seines
Schwiegervaters im Jahre 1603 die Burg Wieseneck mit der anhangenden
Herrschaft zuviel.
Wer von diesen Herren den verödeten Burgstall wieder bewohnbar gemacht,
ist nicht bekannt; um’s Jahr 1620 aber erschien die bescheidene Veste
nach einer damaligen Zeichnung in der Gestalt, wie das beigegebene Bild
sie darstellt. Dieselbe bestund demnach einzig aus dem alten Römerturme
und einem Wohngebäude daneben, welche ein sogenannter Mantel mit
Schießscharten in’s Gevierte umgab. Großen Wiederstand vermochte dieses
Castellum nicht zu leisten, was sich im 30jährigen Kriege erzeigen
sollte. Als der Platz während der Belagerung Freiburgs von 1644 durch
die Schweden am 27ten Juni überfallen wurde, mußte die Besatzung ohne
Weiteres accordieren, worauf man die Veste in Trümmer legte.
Dieses war die dritte und bleibende Zerstörung der Burg Wieseneck, denn
seither schauen nur graue und verwitterte Mauerstücke über das üppige
Gebüschwerk des Burghügels auf den Wanderer herab, ihn an die
Vergänglichkeit alles Irdischen erinnernd. „Die allgewaltige Zeit
vergißt, was sie aus hinfälligem Stoffe geschaffen, läßt es allein
steh’n und in sich zerfallen. Die Natur aber ist mitleidiger. Sie lockt
den Grashalm aus dem Schutte hervor, pflanzt auf dem zerbröckelnden
Gemäuer ihre Tannen, Gesträuche und Blumen, umrankt es erhaltend mit
ihrem Eppich und füllt die klaffenden Spalten mit ihrem Moose, als
wolle sie das erstorbene Geschöpf der Zeit in seinem Grabe noch
mütterlich schirmen.“ - Aufregung und Rache-
Die Familie Schnewelin von Wieseneck ist in diesen Blättern
verdientermaßen mit Farben geschildert, welche lebhaft an, die Sage von
der Landecker Brigitte erinnern. Zur Steuer der geschichtlichen
Wahrheit aber muß daneben anerkannt werden, daß unter den
wieseneckischen Rittern und Junkern doch auch manche edlere Gestalten
aufgetreten und sich unläugbare Verdienste erworben. Wiederholt
bekleideten solche das Schultheißen- und Bürgermeisteramt der
aufblühenden Stadt Freiburg, oder erwiesen sich als Wohlthäter von
Klöstern, oder waren an Urkunden betheiligt, welche zum Nutzen und
Frommen des Volkes gefertiget worden, wie namentlich an dem
merkwürdigen Kirchzartener Dingrotel von 1395.
Es war eben eine characteristische Eigenschaft des mittelalterlichen
Ritteradels, daß sein Bildniß eine tiefe Schattenseite neben glänzenden
Lichtseiten zeigte. Man findet da eine fromme Ritterlichkeit, dann aber
öfters an derselben Gestalt wieder ein gewaltthätiges Wesen, ein
Getriebe der Standeseitelkeit, der Aufregung und Rachesucht, welche als
wahres Räthsel erscheinen. Der Schlüssel zu dessen Lösung liegt aber
einfach in den adeligen Prärogativen, im Soldatengeiste, Fehde- und
Faustrecht, und in der leicht erregbaren und veränderlichen Gemüthsart,
der damaligen Menschen überhaupt.
J. Bader.