Der Zartner-Tanz
Abschrift
eines Artikels aus dem
Freiburger
Wochenblatt Nr. 77 vom 25. September 1819
Gewiß
ist Niemand, der nicht wenigstes einige Zeit dem nationalen Tanze der Thal- und
Waldleute in dem großen Zartner-Thale, die sich überdies durch ihre Tracht,
ihre Sitten und durch einen schönen Menschenschlag auszeichnen und noch am
meisten Eigenthümlichkeiten
beibehalten haben, mit Interesse zuschaute, und sich an dem lebendigen Gewühl
des sonst langsamen Landmannes ergötze. Dieser Tanz ist aber auch noch einer näheren
Betrachtung werth. Wer unbefangen öfters den Beobachter macht, dem müssen die
macherlei Abwechslungen, der stufenweise lebendiger werdende Gang, und der plötzlich
zur Ruhe führende Schlußakt, auf die Vermuthung leiten, dieser Tanz sei nicht
das Ergebniß einer bloßen berechneten Leibesbewegung, sei nicht ein planloses
Springen und Trillen, sondern es liege ihm ein Sinn, eine Bedeutung zum Grunde,
gleich der Saltarella der Römer, und so manchen anderen Tanze wilder und
civilisirter Völker.
So alt dieser Tanz ohne Zweifel ist, und so schwer daher eine
Deutung seines Ursprungs zu seyn scheint, so leicht, glaube ich, ist sie doch.
Es ist eine Liebes-Erklärung, bei welcher das Mädchen länger Zeit die Spröde
spielt, endlich aber erhört.
Du
lächelst zweifelnd, lieber Leser ? So Komm, und sieh; verfolge mit mir den Tanz
in seinen Wendungen und Verschlingungen, und es wird dir klar werden. Nur vergiß
nicht dabei, dass es der Ausdruck roher einfältiger Natur ist, die die
inwohnende Bewegung in dem lebendigsten Gebärdenspiele abspiegelt.
„Gern
folgen Jüngling und Mädchen dem durchdringenden Rufe der Schwegelpfeife
Schwegel,
von den Landleuten auch Schwefelpfeife genannt, ist ein veraltetes, nur hie und
da noch in Deutschland gebräuchliches Wort, dessen Wurzel man gar nicht mehr zu
kennen scheint, und dessen Erklärung man zum Angelsächsischen und Gothischen
seine Zuflucht nehmen muß. Im erstern ist Sweg Ton, und Swegan tönen. Im
Gothischen des Ulphila aber ist Swigljon auf der Pfeife blasen. Bei uns ist
Schwiegel auch dem Namen eines Registers in der Orgel geblieben: der große
Schwiegel, acht Fuß Ton; der kleine Schwiegel, vier Fuß Ton. Verwandt damit
scheint Siffler und Sibilare, und alles zusammen, nach Frisch, eine Bedeutung
und Nachahmung des Lautes zu seyn, den man mit dem Munde macht.
aber
mit verschiedener Aeßerung der Gefühle ! Er voll Eifer und Hingebung; schon
seine Augen verrathen das Geheimniß seines Herzens. Sie – zimpfer und spröd.
Er sucht sich ihr zu nähern; sie weicht. Er verdoppelt seine Aufmerksamkeit;
sie, leichtfüßig und gewandt, zieht ihn unwillkührlich mit sich fort. Jetzt
glaubt er sie erreicht zuhaben, und plötzlich dreht sie ihm kalt den Rücken,
und läßt ihn, so zu sagen, gar nicht zum Worte kommen. Er stampft vor Ungeduld
mit den Füßen; sie hört nicht, und weicht. Er ereilt sie, ergreift ihre Hände;
sie aber ringend und immer weichend, weiß ihm durch die geschicktesten
Wendungen zu entschlüpfen. Er wagt das Aeußerste, und sinkt auf die Knie; noch
scheint sie unerbittlich. Jetzt erreicht sein Feuer die höchste Stufe. Er
stampft schnell hintereinander, er springt in die Höhe, klopft abwechselnd in
die Hände und auf die Schenkel; ja, der Schmerz presst ihm einen Klageton ab.
Das erreicht endlich den harten Sinn der Spröden; solchem ritterlichen
Ausharren, so unablässiger Bewerbung kann das Mädchen nicht länger
widerstehen, sie fällt ihm in die Arme, und nun schlendern beide, im traulichen Walzervereint, auf der prallen Diele dahin.“
Freilich
hat jetzt der Landmann selbst den Sinn dieser Tanzart verloren, und er folgt der
alten Sitte seiner Väter gedankenlos, auch wohl mit entstellenden Zusätzen,
nach. Doch mag im Ganzen immer die ursprüngliche Idee durchschimmern.
Und
der Städter ? Beurkundet auch hierin seine Fortschritte. Wir haben das Stampfen
und Ringen, das Zappeln und Klatschen, als unanständig bei Seite gethan, und
jede langweilige Erklärung hassend, immer zum Ziel eilend, haben wir nur das
Ende vom Ländler, den Walzer, behalten. Auch darin ist es uns gelungen, das
Leben in seinen Aeßerungen flacher und sinnloser zu machen, und unseren weltbürgerlichen
Sinn, auf den wir uns so viel zu Gute thun, zu bewähren, indem wir eine
nationale Tanzweise, statt sie zu veredeln, verstümmeln, in unaufhörlichem
Wirbeln durch die Säle rasen, und dann, wenn doch der Ueberdruß sich regt,
nach fremder Pfeife tanzen.
Julis
Leichtlen.
Anmerkung:
Ernst Julius Leichtlen war Archivrat der Stadt Freiburg i.Br. und Ehrenbürger
der Stadt Breisach am Rhein. Autor zahlreicher Veröffentlichungen. Verstorben
am 02.04.1830 in Freiburg i.Br.
Oskar
Steinhart
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Stegen, 02.01.2007